Amnesty International - Pressemitteilung vom 15. Oktober 2025
Deutschland:
Biometrische Überwachungspläne der Bundesregierung sind zum Scheitern verurteilt
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Auch wenn unklar ist, wann das Kabinett entsprechende Entwürfe auf die Tagesordnung setzen wird, hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, die biometrische Überwachung der Bevölkerung voranzutreiben. In der vorliegenden Form würden sie jedoch gegen geltendes Recht verstoßen und einer Massenüberwachung der Bevölkerung Tür und Tor öffnen. Das haben fünf Expertinnen und Experten im Rahmen einer Pressekonferenz bei AlgorithmWatch in Berlin deutlich gemacht. Der im August öffentlich gewordene Gesetzesentwurf des Bundesinnenministeriums (BMI) muss aus rechtlichen und technischen Gründen abgelehnt werden. Die Einschätzung wird auch von einem neuen Gutachten gestützt, das heute vorgestellt wurde.
AlgorithmWatch, Amnesty International, der Chaos Computer Club, die Gesellschaft für Freiheitsrechte und der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber, haben auf einer gemeinsamen Pressekonferenz erläutert, warum der vorliegende Entwurf zu biometrischer Überwachung und Datenanalyse nicht Gesetz werden darf.
Ein Kern der Kritik ist der eindeutige Verstoß gegen die KI-Verordnung der EU (AI Act), der im Gesetzesentwurf angelegt ist. Die KI-Verordnung verbietet es ausnahmslos, "Datenbanken zur Gesichtserkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern aus dem Internet oder von Überwachungsaufnahmen [zu] erstellen oder [zu] erweitern." Insofern würden nationale Gesetzesvorhaben, die einen biometrischen Abgleich mit Bildern aus dem Internet vorsehen, geltendem EU-Recht zuwiderlaufen, falls dieser Abgleich nur mithilfe solcher Datenbanken stattfinden kann. Und genau das ist der Fall, wie das von AlgorithmWatch beauftragte technische Gutachten von Professor Dirk Lewandowski von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg belegt: Um den biometrischen Abgleich mit Bildern aus dem Internet wie vorgesehen durchzuführen, müssen ausnahmslos Datenbanken zur Gesichtserkennung genutzt werden. Damit ist ein solches Gesetz europarechtswidrig und zum Scheitern verurteilt.
Matthias Spielkamp, Geschäftsführer von AlgorithmWatch, erklärt:
"Wir sind froh, dass wir mit dem Gutachten nun zeigen können, was wir und
viele andere schon lange kritisieren: Die angestrebten biometrischen
Erkennungsverfahren würden zwangsläufig gegen EU-Recht verstoßen, weil sie
ohne den Einsatz von Datenbanken nicht umsetzbar sind. Diese
Bundesregierung kann diese Tatsache nicht länger bestreiten und sollte ihre
Gesichtserkennungspläne endgültig begraben."
Simone Ruf, stellvertretende Leiterin des Center for User Rights bei der
Gesellschaft für Freiheitsrechte, fügt Kritik aus grundrechtlicher
Perspektive hinzu:
"Internet-Scans nach Gesichtern und Palantir bringen uns nicht mehr
Sicherheit - sie sind ein Angriff auf unsere Grundrechte und ein Schritt in
den Überwachungsstaat. Das dürfen wir nicht akzeptieren."
Unterstützt wird die Kritik von Julia Duchrow, Generalsekretärin von
Amnesty International in Deutschland, aus menschenrechtlicher
Perspektive:
"Massenhafte Überwachung mit KI gefährdet Menschenrechte und Demokratie.
Sie hat eine einschüchternde Wirkung und birgt die Gefahr von Missbrauch.
Sowohl beim KI-Einsatz für einen biometrischen Abgleich als auch für eine
automatisierte Analyse von Polizeidaten besteht außerdem ein erhebliches
Risiko für Diskriminierung. Falls für die automatisierte Datenanalyse
Software von Palantir eingesetzt werden soll, so handelt es sich um ein
Unternehmen, das nach Recherchen von Amnesty International in den USA
systematisch in Menschenrechtsverletzungen der Trump-Administration
involviert ist - und daher von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden
sollte."
Matthias Marx, Sprecher des Chaos Computer Clubs, fordert ferner ein
entschlossenes Vorgehen gegen bestehende Gesichtersuchmaschinen im
Netz:
"Egal, wer sie betreibt: Biometrische Massenüberwachung ist rechtswidrig.
Die Polizei darf auch nicht auf kriminelle private Gesichtersuchmaschinen
wie Pimeyes oder Clearview AI ausweichen, schon um sie nicht durch die
Hintertür zu legitimieren. Vielmehr müssen diese kommerziellen Dienste
endlich von deutschen Datenschutzbehörden mit allen Mitteln des Rechts
aktiv bekämpft werden. Ebenso gehört der Plan gestrichen, alle Polizeidaten
zusammenzuführen und automatisiert zu analysieren."
Ulrich Kelber, ehemaliger Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit, schließt mit datenschutzrechtlicher Kritik:
"Immer wieder musste das Bundesverfassungsgericht aufgrund von Klagen aus
der Zivilgesellschaft überschießende Überwachungs- und
Fahndungsgesetzgebung stoppen. Das Bundesinnenministerium hat daraus nicht
gelernt und will erneut gesetzliche Regelungen, die erkennbar gegen
Vorgaben der Verfassung, des Datenschutzes und der KI-Regulierung
verstoßen."
Wann Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) den Gesetzentwurf über neue digitale Ermittlungsbefugnisse in der Polizeiarbeit ins Kabinett einbringen wird, ist derzeit unklar. Der Entwurf sieht mehrere Änderungen am Gesetz über das Bundeskriminalamt (BKAG), am Gesetz über die Bundespolizei (BPolG) und am Asylgesetz (AsylG) vor. Polizeibehörden sollen zusätzliche Befugnisse erhalten, die Grundrechte verletzen, gegen die KI-Verordnung der EU verstoßen und KI-gestützte Massenüberwachung vorantreiben. AlgorithmWatch hatte im Juli eine Petition gestartet, in der unter anderem gefordert wird, Gesichtserkennungssysteme im öffentlichen Raum vollständig zu verbieten. Mehr als 52.000 Menschen haben diese Petition unterschrieben.
Weitere Informationen:
Das Gutachten ist hier zu finden:
https://algorithmwatch.org/de/gutachten-datenbank-biometrie-gesichtserkennung
Petition gegen biometrische Massenüberwachung:
https://weact.campact.de/petitions/pride-und-protest-schutzen
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Quelle:
Pressemitteilung vom 15. Oktober 2025
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin
Telefon: 030 / 420248-0, Fax: 030 / 420248-488
E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 17. Oktober 2025
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