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MIT DEM SCHATTENBLICK UNTERWEGS/0004: Bagger fressen Erde auf - Teil 1 "Verheizte Heimat" (SB)


Bagger fressen Erde auf

Teil 1: Verheizte Heimat


Geht man davon aus, dass fremde Worte immer dann einen Weg in die eigene Sprache finden, wenn Unaussprechliches quält und nach einem Ausdruck verlangt, dann mag dieser Umstand existenzbegründend für das Wort "devastieren" im deutschen Sprachraum sein. Der Kontext seines Gebrauchs erklärt gleichsam, warum es nicht unbedingt zum Standardwortschatz deutscher Allgemeinbildung zu zählen ist. "Devastieren" bezeichnet das Verwüsten ganzer Landstriche, die Entvölkerung von Städten und Dörfern, das Abholzen von Wäldern, das Verwüsten von Feldern und Wiesen - kurz die Zerstörung gewachsener Natur und Kultur aus unterschiedlichen Gründen. Dazu zählt das Abholzen tropischer Regenwälder in Brasilien ebenso wie das Umsiedeln und Abbaggern ganzer Dörfer, um Braunkohle abzubauen in der Lausitz, mitten in Deutschland. Zu sagen, beides liegt weit weg, fällt dem Betrachter zu, der seinen Blick abwendet oder die Handbewegung zum Lichtschalter voll automatisiert und damit unerreichbar gemacht hat für den Gedankenblitz, das eine könnte mit dem anderen zu tun haben, selbst wenn es nicht vor der eigenen Haustür spielt. Existenzbedrohung ist in der globalisierten Welt als Kehrseite des staatlich propagierten Wohlstandsversprechens für eine Mehrheit stets Privatsache. Dass sich im gesellschaftlichen Rechnungswesen kapitalistischer Prägung ein "Atomkraft- nein, danke!" zunächst als Erfolg feiern (während im japanischen Fukushima weitere Kernschmelzen stattfinden und zur Randnotiz der sogenannten öffentlichen Meinung werden) und dann zu einem "Braunkohle - ja, bitte!" uminterpretieren lässt, ist im Land Brandenburg derzeit eindrucksvoll zu erleben und verleiht dem Wort "devastieren" - einem aus DDR-Tagen in der Landschaft leidlich bekannten Begriff brennende Aktualität. "Devastieren" ist aus dem Lateinischen entlehnt, kommt von: vastus = weit, leer, öde. Das englische "devastate" wird mit "verheeren, verwüsten, völlig zerstören", in Ökonomie-Zusammenhängen auch mit "zugrunde richten" übersetzt. Die Absicht zu erklären, ein ganzes Dorf und einen Stadtteil verwüsten zu wollen, erschiene dem Bergbau-Betreiber Vattenfall Europe sicher ebenso abwegig, wie der Landesplanungsbehörde in Brandenburg. Solche Formulierung lassen sich schwerlich in einen demokratischen Prozess einbinden, dessen vornehmliches Ziel es ist, die nicht betroffenen Mehrheiten von abgeklärten, meist von Profitinteressen begründeten, zuvor installierten Notwendigkeiten zu überzeugen und im selben Zuge die betroffene Minderheit ruhig zu stellen.

Der Ort Proschim und ein weiterer Stadtteil von Welzow in der Lausitz sind von der Zerstörung durch den Bergbau bedroht. Vattenfall Europe hat die Nutzung vom Teilabschnitt II im Tagebau Welzow Süd beantragt. Bis Ende Oktober 2011 hat der Entwurf es entsprechenden Braunkohle-Plans (Er ist Grundlage für die bergbauliche Genehmigung.) öffentlich ausgelegen. Es dürfte keine Überraschung sein, dass sich darin - auf keiner der 53 Seiten - Worte wie "verwüsten", "vernichten" oder "devastieren" finden. Stattdessen ist von Umsiedlungen zu lesen. Für 810 Menschen sollen sie unvermeidlich sein.

Der Schattenblick hatte Gelegenheit, einige von ihnen zu treffen, ihr Dorf Proschim kennenzulernen, das den Braunkohle-Baggern zum Opfer fallen soll. Mit dem Schattenblick unterwegs: zwischen Plan und Wirklichkeit am Rand der Braunkohle-Wüste in der Lausitz.



Sprecherin: Else Reich



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Einen ausführlichen, bildreichen Bericht und zwei Interviews zum Thema finden Sie im Schattenblick zum Nachlesen unter:

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BERICHT/012: Bagger fressen Erde auf - Gegen Landraub und Vertreibung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0012.html
INTERVIEW/010: Bagger fressen Erde auf - Widerstand braucht langen Atem (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0010.html
INTERVIEW/009: Bagger fressen Erde auf - Proschim streut Sand ins Getriebe (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0009.html

18. November 2011

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