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MELDUNG/003: Jonathan Safran Foer - Tiere essen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 160 - Februar/März 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Tiere essen
Eine hoch engagierte und leidenschaftliche Auseinandersetzung über das Essen

Von Elisabeth Westphal


Da sagt einer: "Ich liebe Würste auch, aber ich esse sie nicht." Jonathan Safran Foer. Er gibt damit von vornherein den Ton seines Buches an, sein Herangehen an eines der kompliziertesten Probleme: ein wirkliches, tiefes Verständnis für die vielen Menschen. Es sind doch die meisten, die den alten Traditionen und Essgewohnheiten noch verhaftet sind. Aus keiner Zeile spricht hier ein besserwisserischer Streiter zu uns, sondern einer, der gemeinsames Nachdenken und Suchen nach Lösungen anregen will. Und doch, sein Buch "Tiere essen" ist eine hoch engagierte, leidenschaftliche Auseinandersetzung über das Essen: Was essen wir und warum. Es ist eine tief beeindruckende Darstellung seiner Meinung über unseren Fleischkonsum und dessen Folgen. Der 33jährige Amerikaner Jonathan Safran Foer ist Schriftsteller und Philosoph. Sein "Tiere essen" ist mit großer Leichtigkeit geschrieben. Bestechend sein Denken, sein Humor. Er beharrt darauf, dass es Möglichkeiten ethischen Handelns gibt, die man erkennen muss. Alle Menschen sollten dieses Werk lesen. Besonders auch jene, die die Unmengen billigen Fleisches ohne Nachdenken verzehren. Dies ist eine wichtige Lektüre für jeden, der über sich nachdenkt und fragt, wie es in der Welt mit uns weitergehen soll und der seine Position in ihr sucht.

Etwas leichtsinnig betrachtet, könnte man auch sagen: Eigentlich wissen wir ja alles über die sogenannte moderne Fleischproduktion. Wir kennen den Horror der Massentierhaltung von Bildern, Filmen, Berichten. Wir sehen die Tiertransporte quer durchs ganze Land fahren bei Wind und Wetter. Wir erleben immer neue Skandale um beispielsweise Gammelfleisch oder giftiges Dioxin.

Wir sind doch mündige, informierte Bürger. Wozu noch ein weiteres Buch?

Ja, mündig sind wir, ohne Zweifel, aber auch umfassend informiert? Da hätte ich Fragen. Wissen wir wirklich genug über das ganze Ausmaß dessen, was auf dem Gebiet der modernen Nahrungsproduktion vor sich geht?

Foer sagt: "Die stärkste Unterstützung beim Schreiben meines Buches fand ich bei den Landwirten. Die Landwirte selbst hassen dieses System der industriellen Nahrungsmittelproduktion. Ich habe fast keinen getroffen, der es nicht am liebsten wieder auf dieselbe Art machen würde wie sein Großvater oder gar nicht." Foer hat auch kleine Schlachthöfe besucht, er hat Bauern kennen gelernt, die offen, ohne Geheimniskrämerei, über ihre Arbeit gesprochen haben, wie sie Tiere artgerecht halten, alte Nutztierrassen wieder züchten und die große Probleme haben, ihre Höfe zu erhalten. Bei den Großproduzenten fand Foer allerdings Geheimniskrämerei und Verschlossenheit vor. Er sagt: "Ich habe nie eine Antwort von Tyson oder all den anderen Fleischproduzenten bekommen, denen ich geschrieben habe. (Nein zu sagen ist eine Aussage. Gar nicht zu reagieren ist ebenfalls eine.)"

"In den insgesamt drei Jahren, in denen ich mich mit Viehwirtschaft beschäftigt habe, hat mich nichts so sehr beunruhigt wie diese verschlossenen Türen. Nichts verdeutlicht die traurige Wahrheit über die Massentierhaltung besser." "Warum schließt man Truthahnställe ab? Sicher nicht, weil man fürchtet, die Tiere könnten fliehen (Truthähne können keinen Türknauf drehen)".

"Die Strippenzieher der Massentierhaltung wissen, dass ihr Geschäftsmodell darauf angewiesen ist, dass der Verbraucher nicht sehen oder davon hören kann, was sie tun." Foer wollte es genau wissen. Nachts ist er heimlich in Tierfabriken eingestiegen. In den Schlachthöfen hat er sich bei denen informiert, die die praktische Arbeit des Schlachtens verrichten. In einem Interview mit der Wochenzeitung "DIE ZEIT" wird Foer gefragt: "Sie haben Ställe und Schlachthäuser besucht. Die eine Szene, die Sie nacherzählen, wo diese schwer verwundeten Tiere halb tot herumlaufen... wie haben Sie das überstanden?" Foer: "Es war sehr auf-wühlend. Auch weil man sich die ganze Zeit fragt: Wie kommt es, dass wir Menschen so etwas zulassen... Wir bezahlen noch Geld dafür! Unverständlich. Wir Konsumenten werden getäuscht."

In Abwandlung des Truthahnessens zum amerikanischen Thanksgiving möchte ich mit Foer fragen: Ist eigentlich unser traditioneller Weihnachtsgansbraten wirklich so unentbehrlich, wo wir ein Tier verspeisen, das in den meisten Fällen "nie frische Luft geatmet oder den Himmel gesehen hat, bis es zur Schlachtbank geführt wurde. Auf unseren Gabeln steckt ein Tier, das unfähig war, sich zu reproduzieren. In unseren Bäuchen liegt ein Tier mit Antibiotika im Bauch." (Foer). Und das zum heiligen Weihnachtsfest, wo es um etwas ganz anderes geht als um dieses mörderische, schädliche Tun.

Wir müssen anfangen, über alles zu reden. Es ist höchste Zeit, dass der mündige Bürger sein Wissen um dieses Thema vertieft und aktiv wird. Foer: "Wenn wir wirklich wollen, dass weniger Tiere so gehalten und geschlachtet werden, müssen wir versöhnlicher an die Sache herangehen. Wir sollten nicht Vorwürfe machen, sondern Alternativen aufzeigen." Jeder kann und muss etwas lernen, um sich ändern zu können. Foer: "Auf Massentierhaltung zu reagieren erfordert über reines Informiertsein hinaus, die Fähigkeit zu sagen: das geht mich etwas an."


Jonathan Safran Foer
Tiere essen
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010
400 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-462-04044-9


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 160 - Februar/März 2011
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2011