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VEGETARIERBUND/331: Tiere muß man nicht "lieben" (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch, Juli/August/September 2007
Das Magazin vom Vegetarier-Bund Deutschlands e.V. (VEBU)

Tiere muss man nicht "lieben"
Die Forderung nach Grundrechten für Menschenaffen und die Angst vor einem ethischen Paradigmenwechsel

Ein Beitrag von Ingolf Bossenz


Was des Haustiers Herz und Magen recht ist, ist dem deutschen Haustierhalter alles andere als billig. 3,148 Milliarden Euro betrug 2006 der Markt für Futter, Pflegemittel und andere Produkte für Hund, Katze und Co. und wuchs damit im Vergleich zum Vorjahr um 2,2 Prozent. Die optimistische Schlussfolgerung von Gerd Köhlmoos, Vorsitzender des Industrieverbandes Heimtierbedarf: "Tierliebe ist offensichtlich nicht konjunkturabhängig."


Abgeknallt und zerstückelt

Tierliebe? 23 Millionen "Haustiere" finden sich in deutschen Haushalten (ohne Fische und in Terrarien gehaltene Tiere); davon 7,6 Millionen Katzen, 5,3 Millionen Hunde, 3,9 Millionen Ziervögel ...

Während sich diese Kreaturen der Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer Halter erfreuen können (reichlich Elend gibt es natürlich auch), werden hierzulande jedes Jahr 450 Millionen "Nutztiere" (ohne Fische) nach einem erbärmlichen Leben getötet, zerstückelt, zermahlen und an den Fleischtheken der Supermärkte als Schnitzel, Hackepeter oder Wurst feilgeboten. 5,5 Millionen "Wildtiere" werden von Jägern abgeknallt (die in ihrer Waidmanns-Lust auch gleich noch 300.000 bis 400.000 Katzen und 35.000 bis 45.000 Hunde erledigen). "Versuchstiere" - über zwei Millionen pro Jahr in Deutschland - leiden und krepieren in den Labors der Forschungseinrichtungen und Pharmakonzerne für den "wissenschaftlichen Fortschritt". Und nicht vergessen sollte man auch die elenden Bedingungen, unter denen Zigtausende "Zootiere" zur Schau gestellt werden (wobei der Besuch von Zoos gemeinhin als Zeichen von "Tierliebe" gilt).

Sogenannte Tierliebe ist also offenbar durchaus teilbar. Und sie ist ein derart unscharfer Begriff, dass sie über den wahren Umgang mit nicht menschlichen Wesen in einer Gesellschaft kaum etwas aussagt.

Das Buch "Animal Liberation - Die Befreiung der Tiere" ist seit seiner ersten Veröffentlichung vor über 30 Jahren das Standardwerk der internationalen Tierrechtsbewegung. Sein Verfasser, der australische Philosoph Peter Singer, berichtet darin von einem Gespräch mit einer Bekannten, die sich überrascht zeigte, als sie erfuhr, dass Singer und seine Frau keine Haustiere haben. Singer: "Wir hatten beide niemals eine besondere Vorliebe für Hunde, Katzen oder Pferde entwickelt, so wie das bei vielen Leuten der Fall ist. Wir 'lieben' Tiere nicht. Wir wollen einfach, dass sie als die unabhängigen und empfindenden Lebewesen behandelt werden, die sie nun einmal sind, und nicht als Mittel zu menschlichen Zwecken - wie zum Beispiel das Schwein, dessen Fleisch nun auf den Sandwiches unserer Gastgeberin lag." Ein anderer Philosoph der Tierrechtsbewegung, der US-Amerikaner Tom Regan, brachte das im Gespräch mit dem Autor dieses Beitrags auf den Satz: "Tiere gehören nicht zwischen zwei Scheiben Brot."

Die Feststellung, dass man Tiere nicht "lieben" muss, um einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit ihnen einzufordern, ist zweifellos diskreditiert durch das sentimental-verklärte Verhältnis zu Haustieren, das in Deutschland die Kehrseite zu Duldung, Billigung und Befürwortung des millionenfachen Leids anderer Tiere bildet. Leid, das von der Tierausbeutungsindustrie und ihrer politischen Lobby als unverzichtbar für Lebensqualität sowie wissenschaftlichen und zivilisatorischen Fortschritt schlechthin propagiert wird. Man muss schließlich auch Menschen nicht "lieben", wenn man die Anerkennung und Achtung der Menschenrechte verlangt.


Göttliche Geschöpfe?

Die in Kalifornien lebende Tiertrainerin, Tierschützerin und Publizistin Diana L. Guerrero schrieb ein hervorragend recherchiertes und zugleich emotional bewegendes Buch mit dem Titel "Tiere wissen mehr - Warum sie unsere Seele berühren und was sie uns lehren". Darin rät sie, gegenüber Tieren "offen und ohne Vorurteile zu sein". Und: "Ein weiterer wesentlicher Punkt ist, Tiere nicht länger als 'minderwertig', sondern als göttliche Geschöpfe zu behandeln." Nun rührt der recht- und gnadenlose Umgang mit nicht menschlichen Wesen in der abendländischen Kultur wesentlich daher, dass die christliche Kirche sie zu Seelenlosen erklärte. Noch im aktuellen, 1993 veröffentlichten Katechismus der Katholischen Kirche heißt es, man dürfe "sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen".

Doch zwischen dem Verdikt, leidensfähige Geschöpfe seien dazu da, sich ihrer zu "bedienen", und der Vergöttlichung von Tieren (Ratten oder Mäuse, die das Gros der Versuchstiere bilden, dürften damit ohnehin nicht gemeint sein) befindet sich das eigentlich nahe Liegende: Tiere sind fühlende, lust- und leidensfähige Lebewesen mit sich daraus ergebenden Interessen. Sollten diese Interessen für eine im 21. Jahrhundert lebende Gesellschaft Anlass zu Konsequenzen sein, die über das hinausgehen, was in sogenannten Tierschutzgesetzen Niederschlag fand? Eine Antwort auf diese Frage gab unlängst die Regierungspartei in Spanien. Die Sozialisten brachten im Madrider Parlament eine Initiative ein, die beinhaltet, Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans und Zwergschimpansen aufgrund ihrer Verwandtschaft mit dem Menschen bestimmte Grundrechte einzuräumen. Die Partei machte sich damit die Forderungen des 1993 ins Leben gerufenen internationalen "Great Ape Project" zu eigen, dessen Empfehlungen bislang Neuseeland als einziges Land gefolgt ist. Der Plan führte in Spanien zu heftigen Reaktionen. Während Amnesty International kritisierte, "dass den Affen Menschenrechte zugesprochen werden sollen, obwohl noch nicht einmal alle Menschen diese Rechte besitzen", forderte die Zeitung "El Mundo", man solle sich "in Spanien beim Tierschutz um näher liegende Probleme kümmern wie zum Beispiel um die Frage des Stierkampfs".

Wer sich die drei Rechte ansieht, die nach Ansicht der spanischen Sozialisten den Primaten zugesprochen werden sollen, müsste eher verwundert sein, dass diese nicht schon längst zu den Selbstverständlichkeiten gehören. An erster Stelle steht das Recht auf Leben. Es besagt, dass Primaten - außer zur Selbstverteidigung - nicht getötet werden dürfen. Zweites Recht ist das auf Freiheit. Danach dürfen Menschenaffen weder in Zoos gefangen gehalten noch in Zirkusarenen vorgeführt werden (etliche Tierrechtstheoretiker bringen an dieser Stelle auch den Begriff der Würde ins Spiel). Drittens - so die spanische Initiative - soll für die Tiere das Recht auf körperliche Unversehrtheit gelten. Demzufolge müssten Menschenaffen vor "Folter" geschützt werden und dürften nicht in Labors zur Forschung missbraucht werden.


Warum nun diese ablehnende Erregung?

Schließlich sind doch die "Menschen nicht die Kinder der Götter, sondern die Cousins der Schimpansen". In diesem Einwurf des spanischen Philosophen Jesús Mosterin in der aktuellen Debatte mögen hartgesottene Katholiken eine Einschränkung ihrer "Göttlichkeit" sehen, aber ansonsten ist diese Binsenweisheit seit Darwin Allgemeinbildung. Menschenaffen gehören zudem nicht zu den klassischen Nahrungsmitteln, Zoos und Zirkusse könnten auch ohne sie bestehen, und im Versuchstierbereich spielen sie eine eher marginale Rolle.

Die Ursachen für den Widerstand gegen das Primaten-Projekt dürften wohl eher in der Furcht vor einem "slippery slope" liegen, einem glatten Abhang, der ethische Prinzipien ins Rutschen bringt, mit denen sich die Mehrheit bequem eingerichtet hat.


Wackelige Prinzipien

Denn mit welcher Begründung ließen sich eigentlich die drei Grundrechte Leben, Freiheit und Unversehrtheit, würde man sie einer bestimmten Spezies gewähren, anderen Spezies vorenthalten? Wieso darf man dann einen Gorilla nicht einmal unter vergleichsweise annehmbaren Bedingungen im Zoo halten, während ein an Leidensfähigkeit, Sozialität und Intelligenz diesem Primaten kaum nachstehendes Schwein als Ferkel grausam verstümmelt wird, als Sau in isolierter Enge vegetieren muss, um schließlich in einer Massentötungsanlage verhackstückt zu werden? Oder - um in Spanien zu bleiben - mit welcher Berechtigung darf dann ein Stier in die Arena gejagt werden, um zur Belustigung einer johlenden Menge zu Tode gequält zu werden?

Rechte für Tiere - auch wenn es zunächst nur eine ausgewählte Gruppe wäre - würden in einer Gesellschaft, die sich tagtäglich auf übelste Weise der Tiere "bedient", das Signal für einen kulturellen Paradigmenwechsel setzen, der am Ende die wirtschaftlich an der Tierausbeutung sich bereichernde Industrie träfe. Das ist das Problem. Auch in Deutschland, wo der Tierschutz immerhin im Grundgesetz als Staatsziel verankert ist. Dennoch hat as schwarz-rote Kabinett sein Plazet gegeben, damit Legehennen weiter in Käfige gesperrt werden dürfen. Wie meinte doch eingangs der Vorsitzende des Industrieverbandes Heimtierbedarf? "Tierliebe ist offensichtlich nicht konjunkturabhängig."


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Quelle:
natürlich vegetarisch, Magazin vom Vegetarier-Bund Deutschlands e.V.
58. Jahrgang - Quartal 3/2007, S. 10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2007