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KIRCHE/0011: Der Film "Pius XII." - ein Beigeschmack von Verherrlichung (Ingolf Bossenz)


Ein Beigeschmack von Verherrlichung

Mit dem Film »Pius XII.« trug auch die ARD ihr Scherflein zur Seligsprechung des Pacelli-Papstes bei

Von Ingolf Bossenz, 3.11.2010


»Immer fällt mir, wenn ich an den Indianer denke, der Türke ein ...« Ähnlich wie Karl May, der mit diesem genialen Satz seine Winnetou-Trilogie einleitete, ging es mir bei dem dreistündigen Zweiteiler »Pius XII.«, den die ARD am Montagabend zeigte. Immer fiel mir, wenn ich Pius XII. sah, John Dillinger ein. »Dies hat«, um noch einmal Karl May zu zitieren, »so sonderbar es erscheinen mag, doch seine Berechtigung.« Der Film »Public Enemies« von 2009 über den US-amerikanischen Gangster und Bankräuber brillierte ebenso mit einem charismatischen, dem Verkörperten zudem äußerlich frappierend ähnlichen Hauptdarsteller (Johnny Depp) wie der Pius-Streifen (James Cromwell). Und: Beide Filme hatten bestenfalls punktuell Berührungen mit der historischen Realität des verarbeiteten Stoffes.

Doch während dem US-Regisseur Michael Mann in erster Linie an einem spannenden Film über den seinerzeit vom FBI zum Staatsfeind Nr. 1 erklärten Bandenchef gelegen war, ging es bei der deutsch-italienischen Koproduktion unter der Spielleitung des Kanadiers Christian Duguay um mehr: Nämlich darum, eine historiografisch beschädigte Persönlichkeit so zu inszenieren, dass sie in den Köpfen der Zuschauer nachhaltig rehabilitiert wird.

Pius XII. gilt seit der Uraufführung von Rolf Hochhuths Schauspiel »Der Stellvertreter« im Jahre 1963 als »der Papst, der geschwiegen hat« - geschwiegen zur Verfolgung und Vernichtung der Juden durch das Naziregime. Der britische Historiker John Cornwell schmähte ihn gar als »Hitlers Papst«. Die Führung der römisch-katholischen Kirche arbeitet seit Jahrzehnten daran, den ramponierten Ruf des Italieners Eugenio Pacelli (1876-1958) in einen Zustand zu bringen, der nicht nur die Vorwürfe als Haltlosigkeiten hinter sich lässt, sondern der zudem eine Erhebung des umstrittenen Pontifex in die vordersten Reihen der klerikalen Lichtgestalten erlaubt.

So lässt Benedikt XVI. nichts unversucht, um dem von ihm verehrten Pacelli-Papst die Trümmer, die der »Stellvertreter«-Krieg hinterließ, aus dem Weg zur Seligsprechung zu räumen. Erst im vergangenen Jahr präsentierte das Berliner Schloss Charlottenburg eine Sonderausstellung zu Pius XII., die im Auftrag des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften auf ausdrücklichen Wunsch von Benedikt XVI. entstanden war. Die Schau, ohne jede kritische Distanz beherbergt von einer deutschen öffentlich-rechtlichen Institution (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg), vermittelte denn auch eine moralische Makellosigkeit von Pius XII., die einem Heiligenbild gleichkam. Dazu passt bestens der jetzt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendete Pius-Film. Produziert wurde er von der italienischen Firma Lux Vide, die dem Vatikan nahe steht und zudem beste Beziehungen zum ultrakatholischen Orden »Opus Dei« pflegt.

Anders, als der Titel verheißt, geht es nicht um das gesamte Pontifikat von Pius XII., sondern nur um die Zeit 1943/44, als Rom von deutschen Truppen besetzt war. Gezeigt wird ein Kirchenoberhaupt, das, gequält von Selbstzweifeln, nach Wegen sucht, die Integrität seiner Institution zu bewahren und zugleich den von Deportation und Tod bedrohten Menschen in der Ewigen Stadt zu helfen.

Zweifellos lässt die historische Forschung das Schwarz-Weiß-Bild von 1963 heute weit differenzierter aussehen. Die Hilfe, die katholische Einrichtungen und der Vatikan selbst gegenüber verfolgten Juden leisteten und die viele von ihnen vor der Vernichtung rettete, gehört ebenso zur historischen Wahrheit wie die Tatsache, dass die Welt auf ein Wort des Mannes gewartet hatte, der immerhin eine Weltkirche leitete. Ein Wort, dass den Zerstörern der Zivilisation gewiss nicht Einhalt geboten hätte, das aber allen, die sich diesen Zerstörern in den Weg stellen wollten, ein nicht zu unterschätzender moralischer Impetus gewesen wäre. Dass dieses Wort nicht kam, machen die Kritiker Pius bis heute zum Vorwurf. Dieses fundamentale Manko scheint auch durch alle cineastischen Bonbonfarben.

Pacellis Verteidiger nennen als Gegenargument stets die päpstliche Weihnachtsbotschaft vom 24. Dezember 1942, in der verwiesen wird auf die »Hunderttausenden, die persönlich schuldlos bisweilen nur um ihrer Volkszugehörigkeit oder Abstammung willen dem Tode geweiht oder fortschreitender Verelendung preisgegeben sind«. Nach Ansicht des Pacelli-Biografen John Cornwell hätte Hitler sich »keine gewundenere, harmlosere und bedeutungslosere Reaktion des Stellvertreters Christi auf das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte wünschen können«. In der Tat, von einer der »entscheidenden Gestalten der Geschichte des 20. Jahrhunderts«, wie die Berliner Ausstellung von 2009 postulierte, hätte man eine klarere Sprache erwarten können.

Diese Weihnachtsbotschaft ist kein Bestandteil des Films. Es gibt eine andere Schlüsselszene, in der Pius XII. in Anwesenheit seiner Haushälterin, der Nonne Pascalina (gespielt von Christine Neubauer) Papiere in einem Ofen verbrennt. Dabei, so der Papst, handele es sich um seinen Protest gegen die Judenverfolgung, der im Vatikanblatt »Osservatore Romano« erscheinen sollte. Doch er könne es nicht verantworten, dass dann möglicherweise Hunderttausende Menschen von den deutschen Besatzern getötet werden. Er bezog sich damit auf Deportationen von Juden in den Niederlanden nach der Veröffentlichung eines Protestes der dortigen Bischöfe. Diese Szene basiert auf einer von Schwester Pascalina überlieferten Episode, die - so der Kirchenhistoriker Jean Mathieu-Rosay - »einen äußerst verdächtigen Beigeschmack von Verherrlichung« hat.

Dass der gesamte Film einen solchen Beigeschmack enthält, ist vermutlich auch den Verantwortlichen des Deutschen Fernsehens nicht entgangen. Vielleicht spulte man deshalb beide Teile zwar zur sogenannten Primetime, aber - einigermaßen lieblos - in einem Durchlauf ab. Und schob am Dienstagabend auf dem Kulturkanal ARTE mit »Der Stellvertreter« von Costa-Gavras aus dem Jahr 2002 sogleich einen Film nach, der inhaltlich wie künstlerisch das veritable Gegenstück darstellt - zu allen frommen Pius-Legenden.


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Quelle:
Ingolf Bossenz, November 2010
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel
mit der freundlichen Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 3.11.2010
http://www.neues-deutschland.de/artikel/183291.ein-beigeschmack-von-verherrlichung.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2010