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PORTRAIT/015: Robert Blum - Ein tragischer Held (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 84/2008
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Ich sterbe für die Freiheit!
Robert Blum: Ein tragischer Held

Von Michael Bauer


Oft sind die Spuren der Geschichte unscheinbar, auch wenn große Männer sie hinterlassen haben. Eine dieser Spuren, durch die die Vergangenheit wie durch ein kleines Fenster hindurch scheint, findet sich in unserem Grundgesetz wieder. Dort heißt es in Artikel 140: "Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen [...] gezwungen werden." Ein wichtiges Grundrecht, gerade für Humanistinnen und Humanisten. Wie kam es dazu?


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Es war der 3. Juni des Jahres 1848, als der Verfassungsausschuss der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt zu seiner 17. Sitzung zusammentrat. Auf der Tagesordnung stand das Verhältnis von Staat und Kirche. Robert Blum, Deputierter aus Sachsen, war zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem der Wortführer der gemäßigten Linken avanciert. Stimmgewaltig, mit wallendem rotblondem Bart und wuchtigen Locken galt er als einer der mitreißendsten Redner der Versammlung. In die fein ziselierten Ausführungen der anderen Redner, mal mehr für die eine Kirche, mal mehr für die andere Vorteile herausschlagend, mengte er sich nicht ein. Erst gegen Ende der Debatte meldete er sich zu Wort, mit wenigen, aber umso treffenderen Bemerkungen. Blum machte geltend, dass den Staat die religiösen Überzeugungen seiner Bürger zunächst einmal gar nichts angingen, einzig habe er die ungehinderte Ausübung oder Nicht-Ausübung eines selbst gewählten Glaubens zu schützen. Doch überall übe die Religion Zwang auf die Bürger aus - Tauf-, Schul-, Trau- und schließlich Begräbniszwang. Und so formulierte er kurz und bündig seinen Beschlussvorschlag für die neue Reichsverfassung: "Niemand kann zu irgendeiner kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden." Der Vorschlag wurde angenommen - und definiert nahezu unverändert bis heute ein Grundrecht aller Deutschen.


Ungestillter Bildungshunger

Am 10. November 1807 wurde Blum als Sohn eines Fassbinders und einer Bauerntochter in Köln geboren. Durch eine frühe Infektionskrankheit nahmen seine Augen dauerhaft Schaden. Der begabte Junge sollte dennoch eine gute Schulausbildung bei den Jesuiten erhalten. Auf der Ordensschule galt er rasch als der beste Schüler. Doch ein Stipendium für die höhere Schullaufbahn stand nicht zur rechten Zeit zur Verfügung und so musste er nach der Sexta abgehen. Er begann verschiedene Handwerksberufe, wurde schließlich als Gelbgießer freigesprochen, ein mäßig anspruchsvoller Metallberuf. Nach seiner kurzen Gesellenwalz heuerte er als Vertreter für Rüböl-Laternen an. Seinerzeit wurde das Nachtleben der Städte illuminiert, und so wurde Blum auch in diesem ganz handfesten Sinn zu einem der ersten Lichtbringer der modernen Zeiten. Er kam weit herum, doch sein Bildungshunger war noch immer ungestillt. In München und Berlin nahm er als Gasthörer an universitären Vorlesungen teil. Erste literarische Arbeiten entstanden, einige Gedichte wurden veröffentlicht. Die französische Juli-Revolution - Frankreich wieder eine Republik! - und die politische Gärung in Deutschland, der Freiheitskampf der Polen, Burschenschaftler und Hambacher Fest entflammten ihn.

Doch dann fanden die freien Jahre der Wanderschaft abrupt ihr Ende, als das Lampenunternehmen Pleite ging. Blum wandte sich zurück nach Köln, und 1830 wurde der belesene Dilettant beim dortigen Stadttheater angestellt - als Theaterdiener. Nach zwei Jahren folgte er dem Prinzipal Ringelhardt nach Leipzig. Hier entfaltete er seine Talente, wirkte wie ein Hansdampf in allen Gassen. Er schrieb eigene Theaterstücke, freilich ohne rechten Erfolg, publizierte Artikel zu Literatur und Politik und gab selbst Zeitschriften und auch Lexika heraus; sein "Theater-Lexikon" in sieben Bänden wurde zum Standardwerk. Die "Sächsischen Vaterlandsblätter" erschienen unter seiner Ägide, dann die "Constitutionelle Staatsbürger-Zeitung", und er produzierte unter dem Titel "Vorwärts!" ein jährliches Volkstaschenbuch mit Essays, biographischen Porträts, Gedichten und - von ihm selbst beigesteuert - Aufsätzen über Justizirrtümer und Prozessverbrechen. Seine Zielgruppe: das Volk, die freiheitshungrigen Bürger, oftmals die Handwerker und Arbeiter. Seine Themen immer wieder: Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit!

Auch sein auffälliges Talent als Redner und Veranstalter von vaterländisch-literarischen Festveranstaltungen und unermüdlicher Vereinsgründer sicherten ihm schnell einen prominenten Platz in der Leipziger Öffentlichkeit.


Stadtverordneter mit der höchsten Stimmenzahl

Blums politische Ambitionen waren ab den späten 1830er-Jahren unübersehbar. Seit 1839 gehörte er zum exquisiten "Hallgarren-Kreis", dem gesamtdeutschen Zentrum der liberalen Opposition. Das entscheidende Datum für seinen Aufstieg auch zum formal legitimierten Führungskreis des Vormärz ist der 12. August 1845. An diesem Tag besuchte der sächsische Prinz Johann, unbeliebt, katholisch, autokratisch, das bereits bürgerlich-unruhige Leipzig. Eine Volksmenge demonstrierte gegen ihn, Soldaten wurden gerufen, sie schossen in die Menge. Der schon stadtbekannte Blum beruhigte eine aufgebrachte Menge. "Verlasst den Boden des Gesetzes nicht!" rief er ihr donnernd zu. Dann führte er eine erhitzte Versammlung vors Rathaus, in beeindruckender Stille, und verkündete die Forderungen: Austausch der Garnison, Untersuchungskommission. Tags drauf sprach er die Trauerrede für die Gefallenen, viele Tausende hörten zu. Im Herbst darauf waren Stadtverordnetenwahlen: Blum erhielt die höchste Stimmzahl aller Bewerber.

Jetzt kamen die Dinge für Blum auch beruflich in Bewegung. Er folgte seinem Unternehmernaturell, die "Verlagsbuchhandlung Blum & Co." wurde gegründet. Doch blieb ihm dafür nur wenig Zeit. 1848 zog er als Leipziger Abgeordneter ins Parlament ein. Im Gepäck hatte er übrigens auch eine ausdrückliche Vollmacht der jüdischen Gemeinde Leipzigs, in der sie ihn ermächtigte, für die Gemeinde zu sprechen und sich für umfassende Glaubensfreiheit einzusetzen.

Hier nun ist Blums Bedeutung für die religiöse Reformbewegung des Vormärz nachzutragen. Verbunden war dieser Aufbruch vor allem mit der Person des schlesischen Pfarrers Johannes Ronge. Dessen offener Brief an den Trierer Bischof Arnoldi wurde 1842 zuerst von Blums Zeitung, den "Sächsischen Vaterlandsblättern", abgedruckt und fand rasch massenhafte Verbreitung. In diesem "Sendschreiben" geißelte der bis dahin unbekannte katholische Geistliche den Popanz, der um den "Trierer Rock", eine Reliquie zweifelhaften Ursprungs, getrieben wurde. Ronges Kritik schlug ein wie ein Bombe und erschütterte das religiös-politische Gefüge des Vormärz. In der Folge gründeten sich überall im Reich deutschkatholische und freie Gemeinden. Sie fanden ihre Klientel vor allem in der Arbeiterschaft und im Kleinbürgertum, oft mit einem Akademiker an der Spitze. Gemeinsam mit Ronge organisierte Blum in Sachsen den Deutschkatholizismus und stürzte sich in die örtliche Gemeindearbeit. Er übernahm dabei auch Pfarreraufgaben, predigte, hielt Leichenreden, nahm Trauungen vor. "Kirchenvater" nannte er sich scherzhaft, die ersten Blum-Portraits wurden verkauft. 1847 gab er ein "Gebet- und Gesangbuch für deutsch-katholische Christen" mit Choralmelodien heraus. Sein Bemühen, der Bewegung eine Form zu geben, ist nicht zu übersehen. Und in der Tat lag die eigentliche Pointe des Deutsch-Katholizismus weniger in seinen religiösen Inhalten im engeren Sinne. Viel mehr als um konfessionelle Nuancen ging es um die Freiheit schlechthin, im Glauben und auch in der Organisation der Gemeinde. 1846 ließ Blum in seinem "Vorwärts" schreiben, die religiöse Reformbewegung habe "sowohl ein nationales als ein demokratisches Moment", sie sei "die Verinnerung des Freiheitskrieges" und leite "eine gründliche Befreiung des deutschen Volkes nicht nur von den Resten der Fremdherrschaft, sondern auch von seiner Selbstentfremdung ein." Dies spiegle sich in der Verfasstheit der Gemeinden wieder: denn deutschkatholische Gemeinden hätten notwendigerweise eine "demokratische Verfassung".


Durch Streitereien zermürbt

Der Linkshegelianer Bruno Bauer war es, der als einer der ersten auf die geistigen Zusammenhänge zwischen der freireligiösen "Reformation" und dem späteren Scheitern des Paulskirchen-Parlaments aufmerksam machte. Bauer, nicht ohne Ärger, sah in beidem den gleichen verhängnisvollen Geist wirken: die Unentschlossenheit, den mangelnden Willen, vom Räsonnieren zur Tat zu schreiten, das Zurückschrecken vor dem Ziehen der notwendigen Konsequenzen. Ebenso wenig wie die "Reformatoren" bereit waren, den Boden des christlichen Glaubens zu verlassen und zu einer wirklich nur auf der Vernunft gegründeten Weltanschauung zu gelangen, und von dort aus die Befreiung der Gemeindemitglieder nicht nur aus religiösen Schranken, sondern auch zu mündigen Staatsbürgern einer demokratischen Republik zu bewerkstelligen, so wenig wollte sich das Frankfurter Parlament an die Spitze der Volksbewegung für echte Demokratie setzen und die allerorts gärende Hefe in seinem Sinne ausnutzen. Auf der Klaviatur des Umsturzes wollte man hier wie dort nicht spielen - oder vermochte es nicht.

So sah es im Herbst des Jahres 1848 wohl auch Robert Blum. Verschlissen und zermürbt von kleinlichen Streitereien versuchte der Abgeordnete Blum in der Paulskirche seine Ideale durchzusetzen. Und es ging nur wenig, sehr wenig voran. Weitsichtiger als andere ahnt er bereits das Scheitern der Revolution. Da kommt ein Hilferuf aus der Stadt Wien gerade recht. Dort hat man das Reden hinter sich und ist zur Tat geschritten, zur offenen Rebellion. Die Paulskirche soll und will eine Delegation an die Donau schicken, in diplomatischer Mission, aber auch um ihre Unterstützung zumindest symbolisch zu zeigen. Blum ist sofort dabei und ergreift so die Chance, aus dem mühevollen Gehäuse der Parlamentsarbeit auszubrechen sich durch die Reise auch ein wenig von ihr zu erholen.


Blum verdient "Alles"

Im 17. Oktober trifft er in Wien ein. Die revolutionäre Stimmung begeistert ihn, so hätte er es sich auch anderswo gewünscht. Doch schon drei Tage darauf ist die Libertinage vorbei. Kaiserliches Militär ist vor der Stadt in Stellung gegangen, geführt vom Feldmarschall Alfred Fürst zu Windischgrätz. Am 22. Oktober verhängt dieser den Belagerungszustand über Wien, die Stimmung in der Stadt erhitzt sich. Dann verlangt der Fürst die Unterwerfung. Undenkbar! Am 25. Oktober treten Blum und sein Mitdelegierter, der Abgeordnete Julius Fröbel, als Hauptleute in die Wiener Nationalgarde ein. Nun herrscht offener Bürgerkrieg. Drei Tage verteidigt Blum nicht ohne Geschick und militärischen Erfolg eine strategisch wichtige Brücke, dann ist es vorbei. Wien kapituliert. Die Frankfurter Delegation bereitet sich auf die Abreise vor, meint sich im Schutz der parlamentarischen Immunität. Am 4. November schreibt Blum - wie auch Fröbel - an den Stadtkommandanten, man möge ihm Ausreisepapiere zukommen lassen. Ein naiver Fehler - da erst werden sie auf ihn aufmerksam, er wird sofort verhaftet. Windischgrätz will ihn zunächst einfach abschieben, aber sein Schwager Schwarzenberg, designierter Ministerpräsident, erkennt die unverhoffte Chance, ein Zeichen zu setzen gegen die Demokratenpest. So schreibt Schwarzenberg nach Wien: Blum "verdient Alles".

Robert Blum starb am 9. November 1848. Er wurde auf der Wiener Brigittenau auf Betreiben des habsburgischen Establishments standrechtlich erschossen, will heißen: ermordet. Das Schnellgericht hatte nicht viel auf eine solche Petitesse wie parlamentarische Immunität gegeben. Politische Bedenken - schließlich hatte man einen prominenten und einflussreichen Mann vor sich - wurden zwar erwogen, aber rasch beiseite geschoben. Nicht einmal die Ehre eines ordentlichen Begräbnisses haben sie ihm erwiesen; sein Leichnam wurde namenlos verscharrt.

Blums letzte Worte sollen gewesen sein: "Ich sterbe für die Freiheit. Möge das Vaterland meiner Eingedenk sein." Nach einer langen Schrecksekunde war es das auch. Man konnte die Schandtat zunächst nicht glauben. "So weit würden sie nicht gehen!", hieß es allerorten. Doch die Reaktion war so weit gegangen, auch - und vielleicht vor allem - um dem Parlament und den Demokraten insgesamt zu zeigen, dass die reale Macht allein bei den herrschenden Adelshäusern und ihren Regierungen war, und nicht etwa mit den Volksvertretern in Frankfurt. Insofern markiert die Ermordung Blums symbolisch das Scheitern der deutschen Revolution im Ganzen. Einige Zeit lebte Blum noch als Erinnerungsikone, als "Märtyrer" fort. Eine Sammlung zur Unterstützung seiner Familie - er hatte vier Kinder - erbrachte immerhin gewaltige Summen, und sein Konterfei oder Szenen aus seinem Leben und Sterben zierten Pfeifen, Standuhren, Porzellanteller. Porträts wurden mit schwatz-rot-goldenem Trauerflor verkauft, Gedichte besangen sein Ende, am bekanntesten wohl das des Revolutionsdichters Freiligrath.


Letzte Konsequenz: bewaffneter Kampf

Was bleibt? Die Tragödie. Blum, der eigentlich nichts falsch gemacht hat, hatte zu büßen für die Lauheit der anderen. Auch er selbst war eher ein Mann des Ausgleichs, nicht der gewaltsamen Entscheidung; der Debatte, nicht der Barrikaden. Doch mit den Mitteln des schnell verhallenden Wortes und eines unvollkommenen Rechts ließen sich keine Regime stürzen, die im vollen Saft ihrer militärisch gesicherten, dynastischen Arroganz standen. Erst am Schluss - den er freilich nicht als solchen ahnen konnte - zog Blum auch die letzte Konsequenz und wählte den bewaffneten Kampf gegen die verhasste Unterdrückung. Das versöhnte postum die kommunistisch-sozialistischen Revolutionäre mit ihm. Was auch für Otto von Bismarck gilt, der Blum später in nun wirklich atemberaubender Unverschämtheit als einen seiner Fraktion ausgeben wollte. Schließlich nahm sich die Arbeiterbewegung seiner an. Kein geringerer als Wilhelm Liebknecht gliederte ihn mit einer Biographie und der Herausgabe seiner Schriften in die Frühgeschichte der Sozialdemokratie ein - zu Recht, wie es scheint, denn in seinem Wirken und Denken finden sich wichtige Elemente des sozialdemokratischen Politikverständnisses. Das freilich braucht, um wirken zu können, andere Voraussetzungen als Blum sie vorfinden durfte.


Zum Weiterlesen:
Robert Blum - ein Demokrat, Revolutionär und Freigeist.
Neustadt: Angelika Lenz Verlag, 2007. - 8,90 Euro
Das Buch beleuchtet sein Wirken für die Entstehung der neuen Religionsbewegung als Opposition zur katholischen Kirche.


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Quelle:
diesseits 3. Quartal, Nr. 84/September/08, S. 29-31
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E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 13,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,25 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2009