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KULTUR/049: Gedanken zur weltlichen Bestattungskultur (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 88/2009 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Kännchen, Kerzen, Friedhofsbilder
Gedanken zur weltlichen Bestattungskultur aus ethnologischer Sicht

Von Jane Redlin


Lassen Sie mich mit einer kleinen Geschichte beginnen: Eines Tages übergab mir ein junger Mann ein kleines braunes, emalliertes Kännchen, verziert mit kleinen farbigen Blüten. Es ist wohl nicht untertrieben, es als außerordentlich schlicht zu bezeichnen. Er überbrachte es mit der Bitte der Mutter, diesen Topf in der Sammlung des Museums Europäischer Kulturen zu bewahren, weil es das letzte übrig gebliebene Hochzeitsgeschenk war. Was hier passierte, war nicht die übliche Übergabe eines Objekts in eine museale Sammlung. Es war eine symbolische Handlung, der Versuch, eine Form des Umgangs mit dem Tod, dem Verlust eines sehr vertrauten Menschen zu finden. Es war für die Witwe, aber auch für den Sohn ein Akt des Festhaltens, des für immer Bewahrens von etwas, was durch den Tod im Verschwinden begriffen war.


Neuorientierung zwingend

Denkt ein Ethnologe also über säkulare Totenkultur nach, dann stellt er sich u.a. folgende Fragen: Welcher Rituale bedient sich der säkulare Mensch im Todesfall? Woher kommen die Rituale und welche Funktion erfüllen sie - oder auch nicht? Was bilden sie ab hinsichtlich der inneren Konstitution der Gesellschaft und der Position des Einzelnen und der Gruppe in ihr?

Im Folgenden möchte ich kurz einige Gedanken zu diesen Fragen formulieren. Bei den Überlegungen zu Notwendigkeit und Funktion säkularer Bestattungsrituale sollte zunächst die Tatsache reflektiert werden, dass für den Menschen, unabhängig davon, ob er an ein Leben nach dem Tod glaubt oder nicht, der Tod eines nahestehenden Menschen immer eine Veränderung und Irritation darstellt. Er ist ein Bruch, ein entscheidender Einschnitt in das gewohnte Leben, dem eine Neuorientierung zwingend folgen muss. Solche emotionalen und sozialen Übergänge und Veränderungen gibt es in der Biografie eines Menschen häufig. Zu den klassischen Übergängen gehören neben dem Tod die Geburt, der Eintritt in das Erwachsenenalter und die Hochzeit. Um diese Sprünge in der Biographie zu kennzeichnen, die ja etwas Besonderes darstellen, haben sich die Menschen, die kulturellen und religiösen Gruppen etwas Besonderes einfallen lassen. Sie haben Rituale des Übergangs geschaffen.


Was sind Übergangsrituale?

Übergangsrituale markieren zeitliche, soziale und biografische Übergänge und bedienen sich dabei ritueller Formen, das heißt vorgeschriebener, aber nicht unveränderlicher Handlungsabläufe, die als symbolische Handlungen charakterisiert sind. Zu den wichtigsten Aufgaben des Übergangsrituals gehört neben der Kennzeichnung des sozialen Statuswechsels die stabilisierende Begleitung zeitweise instabiler Zustände des Individuums und der Gesellschaft. Säkulare Übergangsrituale sind aber nicht nur "symbolisches Krisenmanagement", wie Wolfgang Kaschuba es formulierte. Sie verweisen in ihrer kulturhistorischen Betrachtung auch auf den engen Kontext von Ritus und Kultur.

Totenrituale kennzeichnen also die eingetretene Veränderung nach Außen. Sie begleiten den Menschen und die Gemeinschaft in der Zeit dazwischen. Viele kennen dieses Gefühl, irgendwo dazwischen zu stehen, das alte Leben rückt auf Abstand. Man schaut auf es zurück und empfindet es als unwirklich. In der neuen Wirklichkeit ist man aber noch nicht angekommen. Es gibt noch keine neue Selbstverständlichkeit im Lebensgefühl.

In dieser Zeit braucht der Mensch zusätzliche Stabilität. Er kann sie durch die Menschen erhalten, die um ihn sind, aber auch durch Handlungen, denen er einen besonderen Sinn gibt oder die ihm als Abläufe für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden. Bedarf es beim Bewahrungsakt durch das Emaillekännchen der Kreativität der Betroffenen, gibt es andere Formen der Totenrituale und Trauerkultur, denen man lediglich folgen muss, weil sie bekannt und tradiert sind. Dazu gehören die Rituale der Bestattung, insbesondere die Bestattungsfeier.


Säkulare Totenrituale noch im Anfangsstadium

Auch die weltliche Totenkultur kennt diese rituelle Form. Im Vergleich zur Jahrhunderte währenden Geschichte religiöser Rituale befinden sich die säkularen Totenrituale aber noch im Stadium der frühkindlichen Entwicklung. Ihre Anfänge liegen in Deutschland in der politischen Kultur antikirchlicher, freireligiöser und politischer Bewegungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem aber im 20. Jahrhundert. Bei ihrer Geburt hat sich insbesondere die organisierte Arbeiterschaft, aber auch das emanzipierte Bürgertum hervorgetan.

Säkulare Totenrituale waren zunächst durch einen hohen Grad an Öffentlichkeit geprägt. Sie boten die Möglichkeit, im öffentlichen Raum antikirchliche, antireligiöse Haltungen zu propagieren und zu artikulieren. Die Fortsetzung dieser politisch inspirierten Tradition findet sich in der staatlichen Trauerkultur seit der Weimarer Republik bis heute. Die säkulare Totenkultur wurde vor allem in den Gesellschaften vorangetrieben, die nicht nur formal, sondern real eine Trennung zwischen staatlicher und religiöser, in Europa zumeist kirchlicher Macht vollzogen. In Staaten mit einer starken antikirchlichen Regierungspolitik wie beispielsweise in der DDR, wurden sie sogar zum Fundament staatspolitischer Identität und Legitimation.

Die säkularen Totenrituale entwickelten sich aber nicht nur auf der politischen Ebene. Parallel zu ihr entstanden auch für die privaten säkularen Bestattungen eigene Formen. Die Notwendigkeit der Entwicklung weltlicher Trauerfeiern hatte bereits die Freidenkerbewegung erkannt. Sie wollte damit nicht nur das Monopol religiöser, kirchlicher Institutionen hinsichtlich der kulturellen Betreuung der Übergangsrituale brechen. Sie sah auch, dass die Übergangsrituale einem Grundbedürfnis der Menschen entsprangen, das viele Menschen länger an die Kirche band, als es mit ihrem geschwundenen Glauben zusammenpasste. Seitdem hat sich der Anteil der säkularen Bevölkerung ständig erhöht. Es sind bereits mehrere Generationen "Nichtgläubiger" herangewachsen, die außerhalb jeglicher Erfahrungen mit konfessioneller Sozialisation stehen. Die Bedeutung der säkularen Totenkultur und der Umfang ihres Gebrauchs sind also ständig gestiegen.


Vorbilder aus dem Christentum

Bei der Entwicklung der säkularen Trauerkultur, der öffentlichen wie der privaten, taten ihre Protagonisten das, was man üblicher Weise in solchen Situationen tut. Sie bedienten sich vertrauter Muster ritueller Feierabläufe und symbolischer Handlungen aus der sie umgebenden Kultur, passten diese ihren neuen Bedürfnissen an und füllten sie mit neuen Inhalten. In Deutschland stammten diese Vorbilder überwiegend aus der christlich-protestantisch geprägten Trauerkultur. Religiöse Inhalte wurden in diesem Prozess durch säkulare Aussagen ersetzt, wie die Predigt durch die weltliche Rede. Formen, bei denen dies nicht möglich war, verschwanden, wie die Psalmlesung und der Gemeindegesang. Andere Ritualteile wurden hingegen formal weitergeführt, ohne eine explizite atheistische Interpretation zu erfahren, wie der Erdwurf, insbesondere aber auch die klassische Trauermusik, der Blumenschmuck und die Kerzen. Was aus diesem Vorgehen entstand, ist die klassische Grundform säkularer Bestattungsfeiern wie wir sie heute kennen, erleben und selber praktizieren. Sie setzt sich aus dem funeralen Dreiklang Musik - Rede - Musik zusammen, ergänzt durch das Abschiedswort und den Erdwurf am Grab.

Diese Grundstruktur findet sich auch bei den Staatsbegräbnissen. Hier allerdings quantitativ erweitert und ergänzt durch die Symbolkultur nationalstaatlicher Totenehrung, wie die Staatstrauer, die Staatsflagge und die Präsenz des Militärs, manchmal zusätzlich erweitert durch die Symbolkultur der herrschenden politischen Bewegung, etwa durch deren Fahnen und Musik.


Forum der Abschiednahme

Aus Sicht der Ethnologie stellt sich bei der Neuentwicklung der säkularen Bestattungsrituale die Frage nach deren Funktionserhalt als Übergangsritual. Die Funktion als Übergangsritual hat sich teilweise erhalten, zum anderen Teil ist sie aber verloren gegangen. Konkret: Die säkularen Bestattungsrituale kennzeichnen weiterhin den veränderten Status der Verstorbenen und der Hinterbliebenen in der Gemeinschaft. Die Trauerfeier, so sie stattfindet, ist das Forum der Abschiednahme vom Toten geblieben, in welcher der Tote eine persönliche Würdigung erfährt. In dieser Hinsicht kann man durchaus von einem Funktionserhalt sprechen. Dieser bleibt allerdings im Wesentlichen auf den Akt der Trauerfeier als Gedenkfeier beschränkt.

In der Zeit zwischen Tod und Trauerfeier und in der nachfolgenden Trauerzeit hat die Begleitung der Hinterbliebenen bisher allerdings noch keine verbindliche Ritualisierung erfahren. Hier bewegt sich der Trauernde zwangläufig auf einem Experimentierfeld, manchmal unterstützt durch Vereine und Selbsthilfegruppen, besonders in der Trauerzeit nach der Beisetzung.

Eine persönliche Form praktizierten Trauerrituals ist der "Altar" im privaten Raum, ausgestattet mit dem Bild des Verstorbenen, dekoriert mit Blumen und Kerzen. Diese auch säkulare Form des Trauerrituals wird manchmal parallel zur Trauerkultur am Grab praktiziert. Oft steht sie aber allein, denn es ist unverkennbar, dass die Trauer zunehmend auf die Privatsphäre beschränkt ist und parallel dazu das Grab seine Funktion als Ort der Trauer verliert. Deutlich wird dies an der starken Zunahme der Beisetzungen in Urnengemeinschaftsanlagen, welche die individuelle Kennzeichnung des Einzelgrabs aufgeben. Möglicherweise bedarf es erst der persönlichen Erfahrung mit dieser Grabform, um eine rituelle Kehrtwende vorzunehmen und dem Grab als Ort der Trauer wieder einen größeren Raum zu geben. Wenn nicht, bleibt sie Symbol des veränderten Umgangs mit Tod und Trauer in der säkularen Gesellschaft.


Zum Weiterlesen:
Redlin, Jane: Säkulare Totenrituale:
Totenehrung, Staatsbegräbnis und private Bestattung in der DDR.
Münster; New York: Waxmann, 2009


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Quelle:
diesseits 3. Quartal, Nr. 88 3/2009, S. 26-27
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2009