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GESCHICHTE/037: Verfolgung und Widerstand (ha)


humanismus aktuell - Hefte für Kultur und Weltanschauung - Nr. 20 - Frühjahr 2007

Verfolgung und Widerstand
Die sozialistische Freidenkerbewegung im Nationalsozialismus

Von Michael Schmidt


Vorbemerkung

Der Forschungsstand zu diesem Thema ist schlecht. Eine Vielzahl von Gruppen und Grüppchen aus dem breiten Spektrum des Widerstands gegen den NS ist mittlerweile untersucht, in Bezug auf die Freidenker fehlt das völlig. Das gesellschaftliche Interesse an diesem Thema fehlte in beiden deutschen Staaten und die in der Bundesrepublik einschließlich West-Berlin bestehenden Verbände waren zu schwach, dieses Thema in die eigene Hand zu nehmen. Entsprechend muss man auch bei vielen Widerstandskämpfern aus den Reihen der Arbeiterbewegung, deren Biographie relativ gut erforscht ist, lange suchen, um den Hinweis zu finden, dass sie auch bekennende Atheisten oder organisierte Freidenker waren. Oftmals fehlt ein solcher Hinweis. Überlegungen, inwieweit eine säkulare Weltanschauung eine Rolle für die Begründung ihres Widerstands gespielt haben könnte, sucht man vergebens. Die einzige Person, deren Widerstand in einem Freidenkerzusammenhang dargestellt wird, ist Max Sievers. [1]

Allerdings bildet die Abgrenzung, wer als Freidenker zu bezeichnen ist, ein Problem. In den Jahren der Weimarer Republik gehörte der überwiegende Teil der Funktionäre der Arbeiterparteien keiner Religionsgemeinschaft an. [2] Die Zahlen aus dem Reichstagshandbuch von 1928 belegen dies deutlich. Von den 152 Abgeordneten der SPD bezeichneten sich 98 als konfessionslos, 6 als freireligiös, 12 als evangelisch, 5 als katholisch und 2 als jüdisch. 29 machten keine Angabe über ihre Religionszugehörigkeit.

Noch eindeutiger ist die Situation bei der KPD. Von 54 Abgeordneten waren 46 konfessionslos, 8 machten keine Angabe. Da Religionslosigkeit in der Arbeiterbewegung also quasi die Regel war, müssen härtere Kriterien angewandt werden, um nicht den gesamten Widerstand von Seiten der Arbeiterbewegung für die Freidenker zu reklamieren, was sehr fragwürdig wäre.

Die Untersuchung von Freidenker Widerderstand muss sich also auf Personen beschränken, die sich öffentlich als "Ungläubige" hervortaten oder nachweisbar innerhalb der Freidenkerbewegung tätig waren. Das schränkt den Kreis der hier zu behandelnden Personen wiederum stark ein, denn für Aktivitäten im freidenkerischen Sinne bei Widerstandskämpfern hat sich bisher noch niemand wirklich interessiert. Es liegen nur einige lokale Studien vor, die über regionale Verbreitung nicht hinauskommen. Auch eine umfassende Verfolgungsgeschichte der Freidenkerbewegung steht noch aus. Am Besten dokumentiert scheint die Situation in Berlin, der Stadt, die gleichzeitig auch die Hauptstadt der Freidenkerei war (1929 hatte der Freidenkerverband 222.000 Mitglieder in Berlin, bei einer Gesamtmitgliederzahl von 590.000). In anderen Zusammenhängen entstandene Veröffentlichungen der Gedenkstätte deutscher Widerstand [3] und des Vereins Aktives Museum enthalten diverse Hinweise zu diesem Thema. [4]

Dabei kann festgestellt werden, dass ein erheblicher Teil der Aktivisten der Freidenkerbewegung Widerstand leistete. Das ist kaum überraschend, waren sie doch fest in den Strukturen der Arbeiterbewegung verankert, die ohnehin dem größten Verfolgungsdruck ausgesetzt, auch das größte Potential des antifaschistischen Widerstandes bildete.


Aufstieg in der Weimarer Republik

Nach dem 1. Weltkrieg gab es eine riesige Kirchenaustrittswelle, vor allem in den protestantisch geprägten Großstädten mit Berlin an der Spitze. Reichsweit traten in den ersten drei Jahren der Weimarer Republik 782.000 Menschen aus den evangelischen Kirchen aus. Maßgeblich dafür war, dass mit dem Ende des Krieges das protestantische Weltbild komplett und für alle sichtbar zusammen gebrochen war, die das so sehen wollten bzw. konnten. Der deutsche Protestantismus hatte sich völlig mit dem Kaiserreich identifiziert, was u.a. in der Parole "Ein Volk, ein Reich, ein Gott" zum Ausdruck kam, deren Abwandlung durch die Nationalsozialisten bekannter ist.

Während des 1. Weltkriegs hatte die Gleichsetzung der deutschen Sache mit dem Willen Gottes ein derartiges Ausmaß erreicht, das den deutschen Sieg geradezu als die Erfüllung der göttlichen Gerechtigkeit erscheinen ließ. Bis zuletzt hatten die protestantischen Kirchen unerschütterlich an einem expansiven Siegfrieden festgehalten. Vor diesem Hintergrund und angesichts der durch die Weimarer Verfassung erleichterten Möglichkeit aus der Kirche auszutreten, flüchteten nunmehr vor allem Arbeiter aus den evangelischen Kirchen.

Der Aufstieg des 1905 gegründeten Vereins der Freidenker für Feuerbestattung verlief parallel zu dieser Kirchenaustrittswelle, weil er eine, zudem preisgünstige, Alternative zum christlichen Begräbnis bot. So konnte der bis 1922 nur in Berlin tätige Verein seine Mitgliederzahl von 3.300 im Jahr 1918 auf 60.000 im Jahr 1920 steigern. 1922 dehnte er sich auf ganz Deutschland aus, da hatte er schon 262.000 Mitglieder.

Mit Max Sievers als Geschäftsführer entwickelte sich aus dem reinen Bestattungsverein eine politische Kultur- und Weltanschauungsorganisation. Folgerichtig kam es Mitte der 1920er Jahre zu Fusionsverhandlungen mit der 1908 gegründeten Gemeinschaft proletarischer Freidenker, die etwa 100.000 Mitglieder hatte. Die Fusionsverhandlungen zogen sich aufgrund von parteipolitischen Querelen zwischen SPD und KPD bis 1927 hin, dann entstand unter dem Namen Verband für Freidenkertum und Feuerbestattung eine, wenn auch nur für kurze Zeit einheitliche Kulturorganisation der Arbeiterbewegung. Ab 1928 gab es schon wieder erste Abspaltungen, dann entstand 1929 eine kommunistisch orientierte Freidenkerbewegung, die sich ab 1931 Verband proletarischer Freidenker nannte.

Der linkssozialdemokratisch ausgerichtete Deutsche Freidenkerverband (DFV), wie er sich seit 1930 nannte, trat auf politischem Feld vor allem durch Kritik an der Schul- und Kulturpolitik der SPD hervor, die durch die Koalition mit dem Zentrum bestimmt und damit gelähmt war. Nach 1930 gehörte er zu den schärfsten Kritikern der Tolerierung der Brüningschen Präsidialkabinette durch die SPD. In dieser Politik sahen die Freidenker eine Schwächung des Kampfeswillens der Arbeiterschaft und das Bereiten des Terrains für den Faschismus.


Kampf der Kirchen gegen die Freidenkerbewegung

Verbot und Verfolgung der Freidenkerbewegung durch den NS-Staat haben eine lange Vorgeschichte. Bereits während der Weimarer Republik haben die Kirchen versucht, die Freidenkerbewegung mit Hilfe des Staates auszuschalten.

Mit der Novemberrevolution 1918 wurde zwar die enge Verbindung zwischen Staat und Kirche beseitigt. An der ideologischen Ausrichtung der protestantischen Kirchen hatte jedoch der Umsturz nichts geändert. Die Leitungsgremien der evangelischen Kirchen waren, was Herkunft, geistige Prägung und politische Haltung ihrer Repräsentanten anbelangt, die konservativ-reaktionärsten aller gesellschaftlichen Großorganisationen und Institutionen. Entsprechend waren viele dieser Repräsentanten in der reaktionär-antidemokratischen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) aktiv, deren enge Verbindung mit dem Protestantismus sich u.a. darin zeigte, dass in Berlin die Ortsgruppen der DNVP nach den Grenzen der evangelischen Kirchengemeinden festgelegt wurden.

Beide Kirchen betrachteten die Tatsache, dass der Staat von Weimar sich nunmehr als religionsneutral definierte, als nicht hinnehmbar. Dies, obwohl der Staat alles andere als laizistisch war und den Kirchen weitgehende Rechte erhalten blieben. Zusätzlich sorgte die an allen Regierungen der Weimarer Republik beteiligte katholische Zentrumspartei dafür, dass kirchliche Belange genügende Berücksichtigung erhielten. Dennoch bezeichneten Kirchenvertreter die Weimarer Republik als religionslosen Staat. Sie kämpfen beständig darum, bestehende Privilegien zu erhalten und verloren gegangene zurück zu gewinnen. Die Existenz einer starken Freidenkerbewegung, die versuchte, das zu verhindern, empfanden sie daher als Bedrohung. Mit Hilfe des Zensurparagraphen 166 StGB gingen die Kirchen immer wieder gegen Religionskritik vor. Auch gelang es ihnen auf inoffiziellem Wege bei den Ländern, die Bestrebungen des Freidenkerverbandes, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erlangen, erfolgreich zu hintertreiben. Offiziell waren die Kirchen unpolitisch, aber Vorfeldorganisationen wie der Evangelische Bund zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen und der Volksverein für das katholische Deutschland sahen ihr Hauptziel in der Bekämpfung der Freidenkerbewegung. Ein wesentliches Konfliktfeld bildete die Schulpolitik. Die Kirchen gaben sich nicht damit zufrieden, dass aufgrund der Weimarer Verfassung in Preußen, das zwei Drittel des Reiches umfasste, der Religionsunterricht Pflichtfach blieb. Gegen Lehrer, die von ihrem Recht Gebrauch machten, keinen Religionsunterricht erteilen zu müssen, organisierten katholische Kreise im Rheinland schon mal einen Schulstreik und Schüler, die von ihren Eltern vom Religionsunterricht abgemeldet waren, wurden auf vielen konfessionellen Schulen regelrecht gemobbt. Und die der evangelischen Kirche verbundenen so genannten christlich-unpolitischen Elternbeiräte führten einen permanenten Kleinkrieg gegen die Weltlichen Schulen, die sich die Freidenkerbewegung mühsam erkämpft hatte.

Um die Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Strömungen zu führen, gründete der Central-Ausschuß der Inneren Mission der Deutschen Evangelischen Kirche 1921 die Apologetische Centrale (AC). Der Deutsche Evangelische Kirchenrat gab der AC speziell für den "Kampf gegen die Gottlosenbewegung" finanzielle Zuschüsse. Bereits seit 1926 wurden von der AC Flugblätter und Zeitschriften der Freidenker gesammelt und 1930 zu einem systematischen Freidenkerarchiv ausgebaut.

Bereitwillig stellten die Mitarbeiter der Apologetischen Centrale unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers dem Reichsinnen- und Propagandaministerium sowie der Geheimen Staatspolizei Material über die politische Haltung nicht nur der Freidenker, sondern auch von der Zentrale beobachteter religiöser Gemeinschaften, wie etwa der Zeugen Jehovas zur Verfügung. Damit machte sich die AC zur Erfüllungsgehilfin im Kampf des NS- Regimes gegen weltanschauliche Staatsfeinde. Der genaue Zusammenhang der AC-Auskünfte an das Berliner Polizeipräsidium und das Reichsinnenministerium, die Folgen der Übergabe von AC-Dossiers über Freidenker an die Gestapo, mit der anschließenden Verhaftungswelle des NS-Regimes gegen Freidenker, sind bislang leider noch nicht erforscht.


Zerschlagung des DFV

Schon im Zuge der Rechtsentwicklung am Ende der Weimarer Republik geriet das mit der Arbeiterbewegung verbundene organisierte Freidenkertum ins Visier des zunehmend autoritär agierenden Staates. Vordergründig mit dem Argument begründet, kommunistische Bestrebungen abzuwehren, wurden demokratische Rechte eingeschränkt. In diesem Rahmen gelang es den Kirchen, den Staat für die Bekämpfung des Freidenkertums zu gewinnen. Für diesen Zweck erhielten die Kirchen ab Juli 1931 heimlich staatliche Subventionen des Reichsinnenministeriums. Am 28. März 1931 erließ der Reichspräsident eine Notverordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen, die den besonderen Schutz der Religionsgemeinschaften vor öffentlicher Verunglimpfung regelte und unter Strafe stellte. Für die Zeitschriften, Flugblätter, Aktionen der Freidenkerbewegung bestand fortan Genehmigungspflicht. Damit unterlag auch die Arbeit des DFV erheblichen Einschränkungen.

Als sich der damalige Innenminister Groener im Dezember 1931 mit der Bitte an die Fuldaer Bischofskonferenz wandte, "über die Frage einer öffentlichen Kundmachung von kirchlicher Seite gegen den politischen Terror" zu beraten, erhielt er zur Antwort, dass die katholische Kirche über den aus ihrer Sicht mangelnden Einsatz des Staates gegen die Gottlosenbewegung viel mehr beunruhigt sei, das zu einer Zeit, als der Nazi-Terror auf den Straßen bereits erhebliche Ausmaße angenommen hatte.

Als im Frühjahr 1932 bekannt wurde, dass die SPD dem Vorsitzenden des DFV, Max Sievers, ein Landtagsmandat in Preußen angeboten hatte, begann sofort eine Pressekampagne gegen den vermeintlichen Kulturbolschewismus in der SPD. Daraufhin entschloss sich Sievers, von der Kandidatur zurückzutreten.

Am 3. Mai 1932 erfolgte per Notverordnung das Verbot der kommunistisch orientierten Proletarischen Freidenker als Versuch der Regierung Brüning, dem verstärkten Druck von Rechts entgegenzukommen. NSDAP und der Christlich Soziale Volksdienst, eine aus der DNVP hervorgegangene, protestantisch orientierte Partei, forderten im Preußischen Landtag die Ausdehnung dieser Notverordnung auf den DFV und erhielten im Hauptausschuss dafür eine Mehrheit, weil das Zentrum sich enthielt. Zur Abstimmung im Plenum kam es nicht mehr. Bei den Reichstagswahlen am 6. März 1933 rief dann der Evangelische Bund offen zur Wahl der NSDAP auf.

Die Zerschlagung des DVF erfolgte am 17. März 1933 als ein SA Trupp die Zentrale des DFV besetzte, das Vermögen beschlagnahmte und die Angestellten entließ. 14 Tage später wurde diese Aktion vom preußischen Innenministerium mit der Ernennung eines Staatskommissars legalisiert. Die politische und antireligiöse Betätigung des Verbands wurde verboten, nur die Bestattungsabteilung durfte weiterarbeiten. Im Juli 1933 überführte das NS-Regime den DFV in die Neue Deutsche Bestattungskasse, ab 1935 hieß er dann Vaterländische Volksversicherung.

Nach der Zerschlagung richtete im Mai die Berliner evangelische Kirche in Absprache mit dem NS-Zwangsverwalter Kaddatz im Gebäude des DFV in Berlin kurzzeitig eine Reichszentrale zur Bekämpfung des Gottlosentums ein. Hauptaufgabe war, den Wiedereintritt in die Kirche zu organisieren. Leiter war der Berliner Sozialpfarrer Karl Themel, Mitglied der NSDAP seit April 1932 sowie der Deutschen Christen, der sich schon lange dem Kampf gegen die "Gottlosen" verschrieben hatte und später als Leiter der Kirchenbuchstelle Alt- Berlin traurige Berühmtheit erlangte. Deren Aufgabe bestand darin, in Zusammenarbeit mit der NS-Reichsstelle für Sippenforschung, "Ariernachweise" zu liefern und natürlich auch das Gegenteil. Die Tatsache, dass über die Judentaufen ab 1800 Buch geführt worden war, ermöglichte es so, die "nichtarische Abstammung" vieler Mitglieder der Evangelischen Kirche zu ermitteln und damit die Betroffenen der NS- Verfolgung auszuliefern.

Das organisierte Freidenkertum war nach der KPD die zweite große Organisation, die von den Nationalsozialisten zerschlagen wurde, Wochen vor den Gewerkschaften oder der SPD. Untersucht worden ist dieser Vorgang bisher nicht. Ob außer Max Sievers, der zeitgleich mit der Einsetzung des Staatskommissars festgenommen worden war, noch andere führende Funktionäre des Freidenkerverbandes inhaftiert wurden, ist nicht bekannt.

Noch dringlicher als die Zerschlagung des DFV erschien den NS-Machthabern offenbar die Auflösung der Weltlichen Schulen. Bereits am 25.02.1933, also in einer für eine Ministerialbürokratie bemerkenswert kurzen Spanne, lag ein entsprechender Erlass des preußischen Kultusministeriums vor. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 07.04.1933 setzte dann eine Entlassungswelle ein, die auch die Rektoren und weitere führende Mitarbeiter der Weltlichen Schulen traf. Ziel der Berliner Schulverwaltung war es, noch im Laufe des Jahres 1933 alle Weltlichen Schulen aufzulösen. Teilweise, wie im Berliner Stadtteil Neukölln, einer Hochburg der Arbeiterbewegung, wurden die weltlichen Schulen sofort geschlossen. [5]


Verfolgung und Widerstand von Freidenkern

Im Folgenden stelle ich in alphabetischer Reihenfolge einige Freidenker vor, die gegen das NS-Regime Widerstand leisteten. Ihre Handlungen und Schicksale stehen stellvertretend für viele andere und decken das gesamte Spektrum des Widerstands und der Verfolgung ab. Manche hatten gar keine Wahl und gerieten allein aufgrund ihrer politischen Tätigkeit vor 1933 in das Räderwerk der Verfolgung. Viele praktizierten Verweigerung und stille Obstruktion, manche blieben ungeachtet des Risikos politisch aktiv.

Ein wesentliches Element des Widerstands bildeten die aus den alten, von den Nationalsozialisten zerschlagenen Organisationszusammenhängen herrührenden Beziehungen, darunter die freidenkerischen. Aus dieser Wahrung des Zusammenhalts, der sowohl eine politische, wie auch eine soziale Komponente beinhaltete, ergab sich fast zwangsläufig der nächste Schritt, die solidarische Hilfe für jene, die Opfer des Regimes geworden waren. Das Bemühen, die eigene politische Meinung zu bewahren und die entsprechenden Informationen zu erhalten, führte häufig dazu, sich diese Informationen, die auf legalem Wege nicht mehr zu erhalten waren, illegal zu besorgen. Sie dann auch weiter zu verbreiten, erforderte nur noch einen kleinen - aber nun gefährlichen - Schritt. Und es gab jene, die sich von Anfang an, zum Teil in extra zu diesem Zweck geschaffenen Organisationen, mit den Nazis auseinandersetzten. Alle diese Handlungsweisen finden wir in unterschiedlicher Weise bei den im Folgenden beschriebenen Personen wieder, die sich als Freidenker verstanden.


Wolfgang Abendroth (1906-1985)

Als Sohn überzeugter Sozialdemokraten engagiert sich Wolfgang Abendroth schon früh politisch. Im November 1920 tritt er dem Kommunistischen Jugendverband bei, später auch der KPD und der Roten Hilfe. Zugleich ist er im Freidenkerverband aktiv und führendes Mitglied des Bundes freier sozialistischer Jugend. Nachdem er aus der KPD ausgeschlossen worden war, weil er den Kurs der KPD und die damit verbundene "Sozialfaschismustheorie" kritisiert hatte, schließt er sich 1928 der Kommunistischen Partei-Opposition (KPO) an.

Wolfgang Abendroth studiert Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Tübingen, Münster und Frankfurt am Main, wo er 1930 die erste juristische Staatsprüfung ablegt. Von 1930 bis 1933 arbeitet er als Gerichtsreferendar.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird Abendroth weitere juristische Arbeit untersagt. Er muss in die Schweiz gehen, um dort mit einer völkerrechtlichen Arbeit zu promovieren (1935). Politisch ist er ab 1933 in verschiedenen illegalen Organisationen (KPO, Rote Hilfe, Neu Beginnen) aktiv und setzt sich vor allem für das Zusammenwirken, für die "Einheitsfront" zwischen SPD und KPD ein. Im Februar 1937 wird er von der Gestapo verhaftet und am 30. November desselben Jahres vom Oberlandesgericht Kassel wegen Hochverrats zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in Luckau verbüßt.

Ende 1943 wird er zum Strafbataillon 999 eingezogen und in Griechenland eingesetzt. Dort läuft er zur griechischen Widerstandsbewegung ELAS über. Im Oktober 1944 internieren ihn die Engländer in einem Lager für Kriegsgefangene in Ägypten. Dort beginnt er mit politischer Schulungsarbeit, die er später im britischen Umerziehungslager Wilton Park Training Centre weiterführt. Geeignet erscheinende Kriegsgefangene werden dort auf ihre Rückkehr nach Deutschland und die Mitarbeit am Aufbau der Demokratie vorbereitet.

Er geht zunächst in die SBZ, verlässt diese jedoch schon 1948, als für ihn die stalinistischen Tendenzen deutlich sichtbar wurden. Jedoch unterliegt der bekennende Marxist, der seit 1950 Professor für politische Wissenschaft in Marburg ist, auch in der Bundesrepublik starken politischen Anfeindungen. Abendroth stirbt am 15. September 1985 in Frankfurt am Main.


Georg Buchmann (1883-1947)

Georg Buchmann, Sohn eines Malers, kann aus Geldmangel keine Lehre machen. Als Hilfsarbeiter tritt er 1905 in die SPD und die Gewerkschaft ein. 1920 wird er Vorsitzender der SPD in Berlin-Friedrichshain. Ab 1929 arbeitet er als SPD-Parteisekretär für Betriebsagitation. Er ist auch Kreisleiter des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold und Freidenker. "Am 1. Februar 09 traten wir beide vor unserer Eheschließung aus der Landeskirche aus, weil die Kirche und ihre Einrichtung nichts mehr mit der Lehre des Nazareners gemein hatte. Der Sozialismus ist und muss die neue Religion werden."

Am 12. März 1933 wird Buchmann zum Berliner Stadtverordneten gewählt. Im Zusammenhang mit dem Verbot der SPD wird er im Juni 1933 verhaftet, nach 14 Tagen ohne Anklage wieder entlassen, steht aber noch ein halbes Jahr unter Polizeiaufsicht und muss sich täglich bei der Polizei melden. Er hält Kontakt zu Genossen und sammelt Geld für die Familien der Verhafteten. Mit Kriegsbeginn am 01.09.1939 in "Schutzhaft" im KZ-Sachsenhausen, kommt er nach einem Gestapoverhör im Oktober wieder frei. Nach dem Ende der NS-Herrschaft engagiert er sich erneut in der SPD.


Kurt Gärtner (1879-1944)

Der gelernte Tischler tritt 1898 in Guben der SPD bei. Weil er aufgrund seiner gewerkschaftlichen Aktivitäten dort keine Arbeit mehr findet, geht er nach Berlin. 1918 aus dem Krieg heimgekehrt, schließt er sich der USPD an, kehrt 1922 zur SPD zurück. In den folgenden Jahren wird er Hauptkassierer und Grundbesitzverwalter des DFV. Für die SPD sitzt er seit 1925 in der Berliner Stadtverordnetenversammlung.

Am 30.06.1933 im Zuge der Zerschlagung des DFV entlassen, macht er eine Umschulung zum Heilpraktiker. Er gehört zu denjenigen Politikern der Weimarer Republik, die nach dem 20. Juli als potenziell gefährlich im Zuge der so genannten Aktion Gewitter als "Schutzhäftlinge" ins KZ eingeliefert werden. Im KZ Sachsenhausen stirbt er am 15. Dezember 1945 an den Folgen der Haft.


Siegfried Kawerau (1886-1936)

Der Gymnasiallehrer wird aufgrund von traumatischen eigenen Kriegserlebnissen zum entschiedenen Kriegsgegner und findet nach dem Ende des Kaiserreichs zur SPD. Gleichzeitig tritt er aus der evangelischen Kirche aus, denn "Sie saß wie eine Witwe und trauerte um Wilhelm II". Er wird Mitbegründer des Bundes der entschiedenen Schulreformer und engagiert sich für ein demokratisches Schulwesen mit Chancengleichheit und gegen Standes- und Konfessionsschulen.

1927 wird er Schulleiter des Köllnischen Gymnasiums in Berlin, einer Modellschule, die nach sieben Jahren Volksschule begabte Kinder aus Arbeiterfamilien in sechs Jahren zum Abitur führte. Von 1925-1930 ist er auch Stadtverordneter.

Er gehört zu jenen exponierten Schulreformern, die bereits im Februar 1933 beurlaubt werden. Um Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten zu vermeiden, zieht sich Kawerau daraufhin in sein Sommerhaus an der Ostsee zurück. Vergebens, er wird dort verhaftet und im Gefängnis Stettin schwer misshandelt. Zwar wird er nach elf Wochen entlassen, aber seine Gesundheit ist ruiniert. Körperlich und seelisch schwer angeschlagen, stirbt Siegfried Kawerau am 17.12.1936 an den Folgen der Misshandlungen.


Otto Köhn (1888-1976)

Der Sohn eines Landarbeiters wird Drechsler und tritt 1906 in die SPD und die Gewerkschaft ein. Aus der Kriegsgefangenschaft in Russland zurück, schließt er sich 1918 der USPD an, 1920 wird er Mitglied der KPD. Im Berliner Arbeiterbezirk Wedding ist Otto Köhn Vorsitzender der Freidenker und Bezirksleiter des Holzarbeiterverbandes, der ihn allerdings 1930 ausschließt. Für die KPD sitzt er seit 1929 in der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Bereits im Februar 1933 verhaftet, verbringt er zehn Monate im KZ Sonnenburg. Er macht sich selbständig, seine Werkstatt wird zum Treffpunkt für kommunistische Widerstandsgruppen.

Er wird mehrfach zu Verhören vorgeladen, unter Polizeiaufsicht gestellt, doch die Gestapo kann ihm nichts nachweisen. Dass er im Juli 1944 mit fast 56 Jahren zur Wehrmacht eingezogen wird, bewahrt ihn vor weiteren Verfolgungen.

Nach 1945 schloss er sich wieder der KPD, dann der SED an.


Fritz Lamm (1911-1977)

Als Sohn jüdischer Kaufleute in der Herrenkonfektionsbranche in Stettin am 30. Juni 1911 geboren, ist er noch als Schüler 1927/29 zunächst in der jüdischen Jugendbewegung aktiv. Dort kommt er in Berührung mit sozialistischen Ideen. In der Folge tritt er 1930 aus der Jüdischen Gemeinde aus. Er wird Mitglied der SPD, SAJ, Freidenkerjugend, Gewerkschaft und der Deutsche Friedensgesellschaft (DFG). Unter anderem wegen seines Engagements in der DFG wird Lamm im August 1931 aus der SPD ausgeschlossen.

Im Oktober war er Gründungsmitglied der linken SPD-Abspaltung Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) und Mitglied in deren Ortsvorstand Stettin, Stettiner Vorsitzender Bezirksleiter Pommern im Sozialistischen Jugendverband (SJV). Der engagierte junge Multifunktionär wird nach dem Reichstagsbrand (27.02.1933) fünf Tage von den Nazis in "Schutzhaft" genommen. Am 3. Mai 1933 wird er erneut verhaftet und angeklagt, weil er illegale Schriften hergestellt und verbreitet hat.

Am 2. Januar 1934 verurteilt ihn der 4. Strafsenat des Reichsgerichts in Leipzig wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis. Ende Oktober 1935 aus der Haft entlassen, wird er unter Polizeiaufsicht gestellt, setzt dennoch seine antifaschistische Tätigkeit fort. 1936 kommt er mit Hilfe der SAP nach Stuttgart, von hier aus über ein gut funktionierendes illegales Netz, das politische Flüchtlinge mit gefälschten Papieren ausstattet, in die Schweiz.

Lamm wird jedoch von der Schweizer Polizei erwischt und nach Österreich abgeschoben. Im klerikal-faschistischen Österreich ist der Sozialist und Freidenker jedoch alles andere als sicher. Er flieht in die Tschechoslowakei. Dort arbeitet er für die SAP und ist an der Gründung der Freien Deutschen Jugend als Zusammenschluss linker Jugendverbände beteiligt. Im Sommer 1938 reist er nach Paris weiter, dem zentralen Ort der deutschen politischen Emigration und setzt dort seine Tätigkeit für die SAP fort. Mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 wird er als "feindlicher Ausländer" verhaftet. Nach sechs Wochen im Pariser Zentralgefängnis, folgt die Internierung im Lager Vernet d'Aridge in den Pyrenäen.

Im Oktober 1940 misslingt ein Fluchtversuch. Erst ein weiterer im Dezember 1941, bei einer Gesundheitsuntersuchung, ist mit Hilfe einer SAP-Genossin erfolgreich. Fritz Lamm lebt drei Monate illegal in Marseille, dann gelingt es ihm mit gefälschten Papieren über Casablanca nach Havanna auf Kuba ausreisen. Nach einem halben Jahr Internierungslager kann er eine Tätigkeit als Teildiamantenschleifer aufnehmen. Er hat engen Kontakt zu den oppositionellen Kommunisten Thalheimer und Brandler. Am 31. Oktober 1948 kehrt er nach Deutschland zurück und lässt sich in Stuttgart nieder. Er wird wieder in die SPD aufgenommen, die ihn allerdings 1963 erneut ausschließt. Er ist der Gewerkschaft, den Naturfreunden und den Freidenkern aktiv. Überregional bekannt wird er als Herausgeber der Zeitschrift Funken - Aussprachehefte für sozialistische Politik. Fritz Lamm stirbt am 15. März 1977.


Fritz Naujoks (1896-1952)

Der gelernte Steindrucker wird früh Sozialdemokrat und Freidenker. Bis 1933 ist er Vorsitzender der Bezirksgruppe Berlin-Neukölln des DFV. Im Zusammenhang mit der Zerschlagung der SPD wird Naujoks wie viele andere sozialdemokratische Funktionäre im Juni 1933 erstmals inhaftiert. Danach schließt er sich der Gruppe Parole an, benannt nach der illegalen Zeitschrift, die von der Gruppe herausgegeben wird. Sie besteht ausschließlich aus Neuköllner Sozialdemokraten, die sich für die Einheitsfront mit der KPD einsetzen.

Im September 1934 gelingt es der Gestapo, die Gruppe zu zerschlagen. Der Prozess findet im März 1935 statt. Hier wird Naujoks wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Obwohl er danach unter Beobachtung der Gestapo steht und 1936 noch einmal kurzzeitig inhaftiert wird, setzt Naujoks seine Widerstandstätigkeit unbeirrt fort. Ab 1941 organisiert er gemeinsam mit anderen Freidenkern und Sozialdemokraten eine Gruppe, die Hilfe für untergetauchte Juden leistet. Als gelernter Drucker fälscht Naujoks Lebensmittelkarten und sicherte so u.a. die Versorgung der Untergetauchten.

Sein Wochenendgrundstück in Klein-Köris dient oftmals als Versteck. Offenbar im Zusammenhang mit der Aktion Gewitter kommt Naujoks im August 1944 in "Schutzhaft". Nach vier Monaten entlassen, taucht er dann selbst bis zur Befreiung unter. Danach wird Naujoks wieder in der SPD aktiv, schließt sich 1946 der SED an, kehrt aber 1948 voll enttäuschter Hoffnungen wieder zur SPD zurück. Er ist auch maßgeblich am Wiederaufbau des DFV in Berlin beteiligt.


Max Aschenbrenner (1886-1948)

Er gehörte zum gleichen Widerstandskreis. Wie Naujoks war Aschenbrenner Freidenker und Sozialdemokrat, bis 1933 Stadtverordneter und Neuköllner Bezirksstadtrat.

Aschenbrenner steht ebenfalls unter Aufsicht der Gestapo, weil sie den Metallarbeiter (zu Recht) verdächtigt, eine illegale Gewerkschaftsgruppe in seiner Firma zu leiten, ohne das beweisen zu können. Zu Kriegsbeginn kommt er acht Wochen in "Schutzhaft" im KZ Sachsenhausen. Im August 1944 sollte er ebenfalls wieder in "Schutzhaft" kommen, wird jedoch gewarnt und versteckt sich mehrere Wochen lang. Nach 1945 wird er wieder in der SPD aktiv.


Otto Ostrowski (1883-1963)

Der promovierte Lehrer schließt sich nach der Novemberrevolution der SPD, später auch dem Freidenkerverband an. Von 1926-1933 ist er Bürgermeister des Berliner Bezirks Prenzlauer Berg. Am 10.03.1933 wird er von der SA verhaftet, in ein "wildes KZ" verschleppt und misshandelt. Nach seiner Freilassung verschwindet er zunächst aus Berlin. Er ist ohne Ruhegehalt entlassen. 1934 zurück, wird er mit einem Disziplinarverfahren wegen angeblicher Vetternwirtschaft belegt. Der Vorwurf lautet, er habe Stellen im Bezirksamt bevorzugt an sozialdemokratische, kommunistische, religionsfeindliche und jüdische Bewerber vergeben. Das Verfahren wird 1937 eingestellt.

Ostrowski hilft verfolgten Sozialdemokraten. Als sich der Sozialdemokrat jüdischer Herkunft Martin Deutschkron am 10. November 1938 verstecken muss, um seiner Verhaftung zu entgehen, besorgt ihm Ostrowski ein Versteck und bringt auch seine Familie woanders unter, um die Nachforschungen der Gestapo ins Leere laufen zu lassen. Martin Deutschkron gelingt es im April 1939 nach England zu emigrieren, seine Familie muss er aber zurück lassen. Seine Frau und seine Tochter Inge, die spätere bekannte Autorin, unterstützt Ostrowski weiterhin, auch als sie 1942 beschließen, illegal zu leben, um der Deportation zu entgehen. Unter anderem besorgte er ihnen mehrere Quartiere bei sozialdemokratischen Freunden. Als Ostrowski 1944 befürchten muss, wegen seiner jüdischen Frau zur Zwangsarbeit verpflichtet zu werden, lässt er sich offiziell scheiden, sorgt aber dafür, dass seine Frau ebenfalls untertauchen kann und nicht deportiert wird. Nach den Wahlen vom November 1946 wird Ostrowski Oberbürgermeister von Berlin, tritt aber im April 1947 zurück, als ihm die SPD aufgrund seiner zu konzilianten Haltung gegenüber der SED das Vertrauen entzieht. Von 1950-1953 ist Ostrowski Vorsitzender des DFV in Berlin.


Willi Schubring (1897-1958)

Als Mitglied eines Soldatenrates in Berlin tritt Schubring 1918 in die SPD ein. 1920 wechselt er zur USPD, im gleichen Jahr schließt er seine Ausbildung als Lehrer ab. Er erhält eine Anstellung an der weltlichen Rütli-Schule in Berlin-Neukölln, einer bekannten Reformschule. 1923 tritt er in die KPD ein. Er engagiert sich bei den Freidenkern. Dort betreibt er aktiv die Abspaltung des kommunistisch orientierten Teils. Nach 1930 als Kommunist in den einstweiligen Ruhestand versetzt, auch in hauptamtlicher Funktion, als Sekretär des Verbandes der proletarischen Freidenker. Von 1929 bis 1933 sitzt er für die KPD in der Berliner Stadtverordnetenversammlung.

Noch in der Nacht des Reichstagsbrands wird Schubring festgenommen und bleibt bis Mitte Mai 1933 in Haft. Wenige Wochen später wird er erneut verhaftet, bei der aus diesem Anlass brutal durchgeführten Hausdurchsuchung erleidet seine Frau einen Schock und bleibt bis zu ihrem Tod 1945 gelähmt. Am 01.10.1933 endgültig aus dem Schuldienst entlassen steht Schubring bis 1937 unter Gestapoaufsicht. Er arbeitet nunmehr bei der Deutschen Buchgemeinschaft als Werbeleiter, sein Chef ist ebenfalls Antifaschist.

Im Rahmen der Aktion Gewitter kommt Schubring wieder in "Schutzhaft" ins KZ Sachsenhausen. Dort kann er verhindern, dass Max Kreuziger, bis 1933 Referent im preußischen Kultusministerium und SPD-Fraktionsvorsitzender in der Berliner Stadtverordnetenversammlung, ebenfalls ein Häftling der Aktion Gewitter, angesichts der quälenden Situation im KZ seinem Leben ein Ende setzt. Ende September entlassen, wird Schubring aufgrund einer Denunziation im Betrieb kurz darauf erneut verhaftet. Sein Chef rettet ihm das Leben. Er besticht den Zeugen, einen Lehrling, der daraufhin die Anschuldigung widerruft. Im Mai 1945 ernennt die sowjetische Kommandantur Schubring zum Stadtrat im Bezirk Tempelhof. 1948 zieht er in den Ostteil Berlins und arbeitet zuletzt bei der Reichsbahn.


Max Sievers (1887-1944)

Sievers stammt aus einer Berliner Arbeiterfamilie. Zunächst in der SPD aktiv, führen ihn die Erfahrungen des 1. Weltkriegs über die USPD zur KPD, die er jedoch schon 1921 wieder verlässt, um am Ende wieder zur SPD zurückzukehren. Seit 1922 ist er Sekretär des Vereins der Freidenker für Feuerbestattung. 1927 wird Sievers Vorsitzender der Organisation, die nunmehr Verband für Freidenkertum und Feuerbestattung und ab 1930 Deutscher Freidenkerverband heißt.

Sievers ist politisch weitsichtig und deutet die Entwicklung am Ende der Weimarer Republik richtig. Bereits 1931, als die ersten gesetzlichen Einschränkungen gegenüber der Freidenkerbewegung ergriffen werden, beginnt er, Teile des Verbandsvermögens ins Ausland zu schaffen. Im Zusammenhang mit Auflösung des Verbandes wird er verhaftet, aber nach etwa drei Wochen wieder freigelassen. Gemeinsam mit seiner belgischen Frau Denise flieht er in deren Heimat und beginnt seinen Kampf gegen die Nazis. Von Saarbrücken aus erscheint Der Freidenker weiter.

Nach dem Sieg der Nazis in der Volksabstimmung 1935 gibt er von Brüssel aus die Sievers Korrespondenz (SIKO) und ab Anfang 1937 die Wochenzeitung Freies Deutschland heraus. Alle diese Publikationen werden illegal in Deutschland verbreitet. Sievers und seine Mitarbeiter agitieren gegen die Gewaltherrschaft der Nazis, wobei das Bündnis der Kirchen mit dem Faschismus natürlich eine wichtige Rolle spielt. Er beklagt auch die Anbiederung der Freireligiösen Bewegung an den Nationalsozialismus.

Mit seinem Konzept des Kampfes gegen den Faschismus steht Sievers jetzt links von der nunmehr an der Volksfront orientierten Position der Kommunisten. Nach seiner Auffassung kann eine Volksfront nur "die bürgerliche Demokratie gegen den eindringenden Faschismus" verteidigen. Den Faschismus an der Macht könne aber nur eine sozialistische Einheitsfront stürzen. Deren Ziel sollte sein: "Sturz der nazistischen Diktatur - Überwindung des kapitalistischen Systems - Aufbau der sozialistischen deutschen Republik." Nach Sievers Überzeugung muss dem Nationalsozialismus eine sozialistisch-demokratische Ordnung in Form einer Rätedemokratie folgen. Er übt auch scharfe Kritik an der Politik von SPD und KPD in den Jahren vor 1933.

In der 1939 in erschienenen Schrift Das antifaschistische Kriegsziel schreibt er die prophetischen Worte: "Er (Hitler) hat den Krieg provoziert, er ist der Schuldige für alles, was jetzt hereinbricht." Nach der Besetzung Belgiens lebten Denise und Max Sievers im Untergrund. Am 03.06.1942 fällt er der Gestapo in die Hände. Der Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler verurteilt ihn wegen Hochverrats zum Tode.

Am 17. Januar 1944 wird er im Zuchthaus Brandenburg mit dem Fallbeil hingerichtet.


Paul Winzen (1911-1942)

Sein Vater ist Kommunist und aktiver Freidenker. Winzen besucht eine Weltliche Schule, 1928 tritt er in die Freidenkerjugend ein, deren Vorsitz in Dortmund er schon bald übernimmt. In den Jahren nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bemüht er sich, den alten Zusammenhalt zu bewahren. Die Gruppe trifft sich illegal in verschiedenen Wohnungen. Sie gründet zur Tarnung den Freien Wanderbund in dem Winzen offiziell keine Rolle spielt, aber Winzen hält die Fäden in der Hand. Der Schreibwarenladen, den er 1934 bis 1937 betreibt, erleichtert es, unauffällig Material zur Herstellung von Flugblättern zu besorgen. Jedoch hat die Gruppe um Winzen lange Zeit mehr den Charakter eines politischen Freundeskreises. Als sie mit dem Beginn des Krieges stärker nach außen aktiv wird, versucht neue Mitglieder zu gewinnen und die Widerstandsaktivitäten auszuweiten, gerät sie schnell ins Visier der Gestapo. Ein Spitzel schleicht sich ein, die Gruppe fliegt auf. In der Zeit von Juni bis August 1940 werden sämtliche Mitglieder der Gruppe festgenommen.

Am 07. Juni 1941 verhängt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm gegen vierzehn Angehörige der Winzen-Gruppe sehr hohe Zuchthausstrafen. Der Prozess gegen Paul Winzen und zwei weitere Hauptangeklagte, findet am 21. Februar 1942 in Berlin vor dem Volksgerichtshof statt. Paul Winzen und ein weiterer Mitstreiter werden wegen "Zersetzung der Wehrkraft" in Verbindung mit "Vorbereitung zum Hochverrat", im Fall Winzen noch in Verbindung mit einem "Rundfunkverbrechen", zum Tode verurteilt. Das Urteil wird am 12. Juni 1942 in Berlin-Plötzensee vollstreckt. In Dortmund ist eine Straße nach Paul Winzen benannt.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Jochen-Christoph Kaiser: Max Sievers in der Emigration 1933-1944. In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 16(1980)1, S.33ff.

[2] Aus sprachlichen Gründen beschränke ich mich jeweils auf die männlichen Formen. Die Leserinnen und Leser mögen die weiblichen Formen jeweils mitdenken.

[3] Vgl. die Veröffentlichungen der Reihe Widerstand 1933-1945. Berlin. Hier Verweise zu den Berliner einzelnen Bezirken.

[4] Verein Aktives Museum: Vor die Tür gesetzt. Im Nationalsozialismus verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder. Berlin 2006.

[5] Vgl. dazu meinen Beitrag über die Auflösung der weltlichen Schulen in: humanismus aktuell, H. 8, Berlin 2001.


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Quelle:
humanismus aktuell, Heft 20 - Frühjahr 2007, Seite 55-66
Hefte für Kultur und Weltanschauung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2007