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GESELLSCHAFT/020: Armut eine Herausforderung für den HVD? (diesseits)


diesseits 1. Quartal, Nr. 82/2008
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Zwischenruf
Armut - eine Herausforderung für den HVD?

Von Andrea Käthner


Am 2. Februar 2008 fand eine gemeinsame Tagung der Humanistischen Akademie Deutschlands und der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema "Werte, Armut und soziale Gerechtigkeit" statt.

Die dortige Diskussion um theoretische Prinzipien, aktuelle Phänomene und sozialpolitische Schlussfolgerungen verdeutlichte, dass auch die Humanisten dieses Landes aufgerufen sind, in einem eigenen humanistischen Sozialwort ihre Vorstellungen von einem selbstbestimmten und solidarischen Leben in unserer Gesellschaft zu formulieren. Und das, obwohl der Humanistische Verband von seinem Status her kein klassischer Wohlfahrtsverband ist.

Non-Profit-Organisationen wie der Humanistische Verband Deutschlands sind bestrebt, sich von anderen Organisationen durch Alleinstellungsmerkmale abzuheben, sich unterscheidbar, unverwechselbar zu machen. Der Humanistische Verband profitiert hier von seiner formellen Anerkennung als Weltanschauungsorganisation. Doch wir sind uns einig, eine theoretische Beschäftigung mit den Fragen nach dem Lebenssinn und den Wertvorstellungen des Menschen muss durch ein Angebot an praktischen Arbeitsfeldern ergänzt werden.

In diesem Sinne sehen wir es auch als Aufgabe, mit verschiedenen lebensbegleitenden Angeboten die Selbstverantwortung von Menschen zu fördern, sie dabei zu unterstützen, ihr eigenes emanzipatorisches Lebenskonzept zu finden und selbst verwirklichen zu können. Die weltliche Lebensauffassung bleibt dabei Basis für die professionelle praktische Arbeit in unseren Projekten und Einrichtungen. Ich will nicht verschweigen, dass wir dabei in unserem Projektalltag zunehmend zwischen den Widersprüchen unseres weltanschaulich begründeten sozialen Engagements und den Notwendigkeiten des Marktes bzw. wohlfahrtsstaatlicher Regulierungen balancieren müssen.

In allen Arbeitsbereichen werden unsere hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen mehr oder minder stark mit dem Thema Armut konfrontiert, obwohl Armutsbekämpfung in keinem Arbeitsfeld des HVD Kernaufgabe ist.

Ich weiß um die Notwendigkeit mildtätiger Projekte zur Lösung akuter Problemlagen, doch wir wollen nicht ausschließlich an den Symptomen von Armut arbeiten, sondern uns als Verband sozialpolitisch und als Dienstleister mit unseren praktischen Angeboten vorrangig der Verhinderung und Überwindung dieser prekären Lebenssituation widmen. Dafür müssen wir uns einerseits für notwendige gesellschaftliche Rahmenbedingungen einsetzen und andererseits, den Nutzern der Dienstleistungen des HVD zu ermöglichen, selbstbestimmt Lösungen in und aus dieser Lage zu finden. Das schließt die Verpflichtung zu solidarischer Unterstützung von Hilfebedürftigen, die dies aus eigener Kraft nicht vermögen, selbstverständlich ein.

Armut bedroht das Recht auf menschenwürdige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Folgen können Entwürdigung, Demütigung, Verlust der Selbstachtung, Stigmatisierung, Ausgrenzung sein. Hier ist unser ethisches und sozialpolitisches Engagement als humanistischer Verband gefordert.

Armutsbekämpfung und Prävention hat mindestens vier Voraussetzungen: die Gewährleistung gleicher Menschenrechte für alle, die Sicherung eines soziokulturellen Existenzminimums, die Schaffung einer sozialen Infrastruktur, die Unterstützung, Entlastung, Begleitung und Teilhabe ermöglicht und das Vorhandensein von Kompetenzen zur Lebensgestaltung.

Und hier wird es konkret. In der professionellen Praxis können wir die Betroffenen bei der Durchsetzung ihrer individuellen Ansprüche unterstützen, neue Initiativen gründen, uns für die Schaffung kommunaler Strukturen engagieren. Doch Schwerpunkt der Arbeit der HVD-Einrichtungen besteht in der Förderung und Entwicklung von Kompetenzen, die es ermöglichen den Anforderungen des Lebensalltags auch in schwierigen Situationen gerecht zu werden. Dies geschieht unter anderem im Rahmen der Bildungs- und Jugendarbeit und in unseren Gesundheits- und Sozialeinrichtungen.

All das hört sich leicht umsetzbar an. Möglich ist es nur mit den verantwortlich Handelnden, den Mitarbeitern und Ehrenamtlichen. Die Sensibilisierung für das Thema, das Bewusstmachen und die Überwindung eigener Vorurteile, die Vermeidung von Stigmatisierungen, die Anerkennung der Würdegleichheit aller Menschen, ihre Wertschätzung unabhängig des sozialen Status ist noch längst nicht immer gelebter Alltag. Wir dürfen das Thema nicht ausschalten. Ein den Rahmen der eigenen Fachverantwortung sprengendes Denken und Handeln muss meiner Auffassung nach stärker entwickelt werden - bei uns allen.

Andrea Käthner ist Abteilungsleiterin des Bereiches Soziales beim Humanistischen Verband Berlin.


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Quelle:
diesseits 1. Quartal, Nr. 82/März/08, S. 11
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Internet: http://www.humanismus.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2008