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GESELLSCHAFT/018: Verwendung religiöser Symbole in der Werbung (diesseits)


diesseits 1. Quartal, Nr. 78/2007 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Welche Wäsche trägt die Nonne?
Die Verwendung religiöser Symbole in der Werbung

Von Corinna Telkamp


Was die Nonne unter ihrer hochgeschlossenen Ordenstracht trägt, erfahren wir aus einer Werbeanzeige: Unterwäsche der Modefirma Mey. Die junge, hübsche Frau schaut den Betrachter an, in den Händen einen Rosenkranz haltend. Daneben der Slogan: "Unsere Wäsche gefällt der Dame. Und dem Herrn." Immer wieder begegnen uns religiöse Motive in der Werbung. Produkte bekommen Engelsflügel, Adam und Eva sehen von Plakatwänden herab, Nonnen und Priester sollen die potenziellen Konsumenten zum Kauf animieren. Angesichts einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft stellt sich die Frage, warum die Werbung religiöse Anspielungen verwendet und welche Ergebnisse sie damit erzielt.


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Produkte mit Heiligenschein

Die Gründe lassen sich in zwei Kategorien zusammenfassen: "Spiritueller Mehrwert" und Aufmerksamkeit durch Provokation. Werber versuchen die mit Religion assoziierten positiven Aspekte mit bestimmten Marken in Verbindung zu bringen. Das Produkt wird so zusätzlich mit einer quasi-religiösen Bedeutung aufgeladen. Daniel Adolph, Geschäftsführer der Werbeagentur Jung von Matt/Neckar, erläutert diese These folgendermaßen: "Marken versuchen immer mehr Leitbild- oder Leuchtturmfunktionen für die Menschen einzunehmen. Sie wollen Halt und Orientierung bieten. Darum liegt es nahe, sich an religiösen Symboliken zu orientieren und zu versuchen, ihre Strahlkraft und die positiven Gefühle, die sie transportieren, auf die eigene Marke zu übertragen." Diese Deutung wird auch von Andreas Fuchs und Hagen Horoba geteilt. Die beiden Theologen haben auf ihrer Website www.glauben-und-kaufen.de eine riesige Anzahl an Werbungen mit religiösen Elementen zusammengestellt. In ihren sechs Thesen, mit denen sie das Phänomen religiöser Motive in der Werbung zu erklären versuchen, sprechen sie von einem "Spirituellen Mehrwert", den die Produkte durch den um eine Marke entstehenden Mythos erhalten. Dieser solle sie aus der Masse qualitativ gleichwertiger Konkurrenzprodukte herausheben.


Provokation als Hingucker

Damit sich das beworbene Produkt von der Masse abhebt, sucht die Werbung nach immer neuen Grenzüberschreitungen. "Werbung ringt in Zeiten der Informationsüberflutung um Aufmerksamkeit", so Daniel Adolph. Im Kampf um die Aufmerksamkeit werden die Grenzen stetig ein Stück nach vorne verschoben, Tabus aufgeweicht. Die Werbung setzt auf Provokation. "Sex sells" hieß es früher. Doch ganz so einfach ist es heute nicht mehr. Sex und Gewalt gelten unter Werbeprofis schon seit den 1980er-Jahren als enttabuisiert. Ein besonderer Provokationseffekt lässt sich mit sexuellen Anspielungen alleine kaum noch erzeugen. Religion hingegen gilt als letzte moralische Bastion, die die Werbewirtschaft noch stürmen kann. Mit der Verwendung von Symbolen, die manchen als "heilig" gelten, lässt sich provozieren. "Stellen Sie sich zwei Anzeigen für einen Unterwäschehersteller vor: Beides Mal ist eine nackte Frau zu sehen - nur einmal trägt sie Engelsflügel und ein Kreuz um den Hals. Erfahrungsgemäß wird dieses Motiv deutlich mehr Aufmerksamkeit erregen", so Werber Daniel Adolph.

Schaut sich der Betrachter die Werbeanzeigen an, die sich einer religiösen Symbolik bedienen, so lässt sich der Schluss ziehen, dass es vor allem die Mischung verschiedener provokanter Elemente macht. Durch eine Kombination aus Sex und Religion oder Gewalt und Religion versucht die Werbung den Provokationseffekt noch zu steigern. Diese Strategie verfolgen zum Beispiel zwei von der Agentur Jung von Matt entworfene Printanzeigen. Die eingangs erwähnte Unterwäschewerbung der Firma Mey ist eine davon. Das Bild und der doppeldeutige Slogan verbinden bereits Erotik und Religion vortrefflich. Noch deutlicher wird der dazugehörige Werbetext: "Ob Dominik, Franz, August oder Benedikt - die Herren der Schöpfung sinken reihenweise in die Knie, wenn eine Frau in Mey erscheint. Das ist kein Wunder, sondern Soft Shape. Diese neuartigen Mikrofasern sind besonders fein und leicht und ganz nebenbei eine glänzende Versuchung für den Angebeteten. Hat das keinen Orden verdient? Eintreten auf www.mey.de." Der Orden geht hier vor allem an die Werbetexter. Der Text strotzt nur so vor religiösen und erotischen Anspielungen und vermag es zugleich, die Verbindung zum Produkt herzustellen.


Die Grenzen der Provokation

Die Kampagne gegen Tierversuche von "Noah Menschen für Tiere e.V." will mit der Kombination aus Gewalt und Religion Aufmerksamkeit erregen. Die Anzeige zeigt eine am Bauch aufgeschlitzte Ratte. Es sieht aus als sei sie an ein Kreuz gespannt. Daneben steht: "Nicht jedes Opfer hilft der Menschheit." Die Anzeige wirkt schockierend, die Provokation ist heftig, Aufmerksamkeit garantiert.

Doch Aufmerksamkeit ist nicht alles. Die Rechnung geht nur auf, wenn der Zusammenhang zwischen Anliegen und Botschaft für den Betrachter erkennbar und glaubhaft ist. Dies schafft die Tierschutzkampagne. Anders verhielt es sich bei Benetton. Der Modehersteller hatte in einer berüchtigten Kampagne auf stetige Provokation gesetzt. Die Anzeigen bestanden aus Bildern, die unter anderem den Kuss zwischen einer Nonne und einem Priester, einen Soldatenfriedhof, einen Aidskranken oder einen zum Tode Verurteilten zeigten. Das Produkt suchte der Betrachter vergeblich. Die Kampagne schaffte es nicht, den Sinnzusammenhang zwischen Marke und Markenbotschaft herzustellen. Am Ende zogen die Händler vor Gericht, da sie durch diese Werbung ihren Verkaufserfolg gefährdet sahen. Die Kampagne war alles andere als erfolgreich.

Sinnentstellende Zusammenhänge und die Verletzung der Gefühle von Glaubensgemeinschaften zeigen die Grenzen der Verwendung religiöser Motive in der Werbung auf. Auch wenn offenbar die Toleranzgrenzen der einzelnen Religionsgemeinschaften variieren - dieser Eindruck entstand zum Beispiel angesichts des Aufruhrs um die Mohammed-Karikaturen - und die Grenze zur Verletzung religiöser Gefühle individuell unterschiedlich empfunden wird, scheint es so etwas wie eine selbstregulative Kraft des Marktes zu geben. Dr. Henning von Vieregge, Geschäftsführer des Gesamtverbands der Kommunikationsagenturen, meint zu diesem Thema: "Der Konsument mag prinzipiell herausfordernde, überraschende, aber keine verletzende Werbung. Werbung, die Aufmerksamkeit um jeden Preis erreichen will, ist vielleicht aufmerksamkeitsstark, aber selten auch wirklich wirksam. Sie kann Bumerang-Effekte auslösen. (...) Insoweit regelt der Markt am Ende die moralische Frage verlässlich."

Zur Unterstützung der Ethik in der Werbung hat der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft 1972 den Deutschen Werberat ins Leben gerufen. Die selbstdisziplinarische Institution der Werbeschaffenden nimmt Beschwerden aus der Bevölkerung entgegen. Um einen Beschwerdevorgang in die Wege zu leiten, reichen der Grund und ein Hinweis auf die konkrete Werbemaßnahme. Der Werberat fordert die betroffene Firma zu einer Stellungnahme auf und entscheidet dann, ob der Beschwerde stattgegeben wird. Ist das der Fall, wird die Firma aufgefordert, die Werbung zurückzuziehen. Ansonsten spricht der Werberat eine Rüge aus. Beschwerden wegen Verletzung religiöser Gefühle machen im Schnitt etwa vier bis fünf Prozent der Klagen aus. Der Großteil der Beschwerden geht wegen Frauenfeindlichkeit ein (ca. 34 Prozent). Der Fernsehsender MTV löste letztes Jahr mit der Werbung zum Start seiner Serie "Popetown" eine ganze Beschwerdeflut aus. Die Printanzeige zeigte den gerade vom Kreuz herabgestiegenen Jesus mit Fernbedienung in der Hand vorm Fernseher sitzend. Er krümmt sich vor Lachen. Dazu der Slogan "Lachen statt rumhängen". Der Werberat forderte daraufhin MTV auf, die Werbung zu unterlassen. Der Sender zog die Anzeige zurück.


Bedeutungsverlust der Religion in der Werbung

Insgesamt stellt Agenturchef Adolph einen leichten Rückgang religiöser Symboliken in der Werbung fest. Dies begründet er mit einer Übersättigung durch religiöse Motive: "Die Vielzahl von Kampagnen mit religiösen Symbolen der Vergangenheit führt dazu, dass sich Werbekreative in ihrem Drang neues zu schaffen, anderen Mechaniken zuwenden." Hinzu kommt, dass die meisten Versuche nicht sonderlich fruchtbar gewesen seien. Die Grenze der Provokation war oft überschritten oder Motive wie Paradies, Engel, Teufel, Heiligenschein und Wolken seien so austauschbar, dass sie kaum eine Wirkung erzielen. In diese seichte Kategorie fällt eine Werbung für die Marke Brunch. Neben der gekreuzigten Ratte und der von Mey eingekleideten Nonne wirkt diese vergleichsweise harmlos. Im Sommer letzten Jahres brachte Brunch zwei Sorten Brotaufstrich auf den Markt. Die leichte Variante mit Schnittlauch und Buttermilch hieß Himmel, die scharfe mit Chili taufte man Hölle. Mit dem Spruch "Nur für kurze Zeit auf Erden erhältlich" wurden die Konsumenten zum Kauf angeregt. Von Vieregge macht in solchen Werbungen noch ein humoriges Element aus. Dem Käufer würde vermittelt: "Diese Versuchung ist zwar süß, aber noch im statthaften Bereich." Vermutlich lässt sich so mit zeitlicher Begrenzung noch ein Werbeeffekt erzielen.

Als Grund für ein leichtes Abnehmen religiöser Symbolik in der Werbung nennt Adolph auch den Bedeutungsverlust von Glaube und Religion gerade bei jungen Menschen. Damit ließe auch die Zugkraft religiöser Symbole nach. Religionswissenschaftler bemühen sich im Zusammenhang von Bedeutung der Religion und der Verwendung religiöser Symbole in der Werbung einen positiven Zusammenhang zu sehen: "Es wäre bezeichnend, wenn Religion in der Werbung überhaupt nicht mehr vorkäme, weil das zugleich bedeuten würde, dass sie in der Lebenswelt der Menschen keine Bedeutung mehr hätte", meinen die Theologen von "glauben und kaufen". Die Gleichung, dass Religion in der Werbung für die Bedeutung von Religion in der Gesellschaft spricht, geht jedoch nicht ganz auf. Um den Werbeeffekt wahrzunehmen reicht schließlich allein das Wissen um religiöse Symbole. Und das besteht selbst bei den meisten Atheisten. Noch.


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Quelle:
diesseits 1. Quartal, Nr. 78/2007, S. 25-27
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2007