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ETHIK/025: ... sich nicht mit dem Sterbewunsch zu beschäftigen (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 80/2007 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

"Es ist unethisch, sich nicht mit dem Sterbewunsch zu beschäftigen"

Gespräch mit Uwe-Christian Arnold


Schwer leidende Menschen mit unerträglichen Schmerzen wünschen sich manchmal nur noch den Tod. Dafür brauchen sie Unterstützung, die sie in der Schweiz zum Beispiel bei der Organisation "Dignitas" bekommen. Seit dem vergangenen Jahr gibt es diesen Verein unter dem Namen "Dignitate" auch in Deutschland. Diesseits sprach mit dem Urologen Uwe-Christian Arnold, dem zweiten Vorsitzenden dieser Organisation in Deutschland.


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DIESSEITS: In der diesseits veröffentlichten wir in Nummer 79 den Solidaritätsaufruf "Sterbehilfe". Sie werden darin als Verantwortlicher genannt. Wie kam es zu diesem Aufruf?

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Dazu gekommen ist es, weil sich in Frankreich mehrere tausend Ärzte dazu bekannt haben, schon einmal Sterbehilfe geleistet zu haben. Ich habe dann die Sendung bei Sabine Christiansen als Sprachrohr genutzt, um dies auch in Deutschland zu initiieren. Die Resonanz war im Prinzip gut, es ist erstaunlich, wer sich da alles eingetragen hat - Schauspieler, Bauarbeiter, Professoren, Hospizmitarbeiter - nur deutsche Ärzte haben so gut wie nicht reagiert. Es ist enttäuschend, wie wenig Solidarität unter deutschen Ärzten herrscht. Diese sehen nur, wie sie an ihre Honorare kommen.

Nur einige wenige wenden sich jetzt an mich, wenn sie sich einen ganz konkreten Rat zur Medikation beim Suizid erhoffen. Das kann ich zwar auch leisten, aber eine öffentliche Diskussion unter meinen Kollegen, die nicht mehr automatisch alles verteufelt, was an diese Bereiche rührt, wäre mir lieber. Dabei rufen wir ja nicht dazu auf, die Tötung auf Verlangen in Deutschland freizugeben.

DIESSEITS: Immerhin hat Ihnen die evangelische Kirche ein sehr unethisches Verhalten vorgeworfen.

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Ich empfinde es im Gegenteil als unethisch, sich nicht mit den Sterbewünschen von Menschen zu beschäftigen. Ich habe meinen eigenen ethischen Maßstab, das Genfer Gelöbnis mit seinen Geboten der Menschlickeit. Auch die Bundesärztekammer verurteilt mich und beruft sich dafür auf ihren ärztlichen Eid - den sollten sie erstmal genau lesen!

Der Hintergrund ist die immer wieder vorgebrachte besondere Situation in Deutschland in Bezug auf Euthanasie, die leider jedoch völlig falsch interpretiert wird. Ein weiterer Grund ist aus meiner Sicht ein unbewusstes Schuldgefühl der verfassten Ärzteschaft, die weiß, dass ihre Vorgängerin sich übel in der Nazizeit verstrickt hat in Mordtaten an Behinderten und Kranken. Nicht zu vergessen, einer davon, der Münchener Medizinprofessor Severing, schaffte es beispielsweise, lange Jahre als Präsident der Bundesärztekammer zu amtieren. Vor diesem Hintergrund wird gemauert.

DIESSEITS: Sie haben sich ja in der Presse geoutet, bei einem Suizid ärztlich assistiert zu haben. Erstaunlicherweise ist Ihnen gar nichts passiert.

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Man weiß ja nicht, was genau ich getan habe, wie weit es ging...

Als Gedankenexperiment spielen wir derzeit die Frage durch, was passiert, wenn wir einen ärztlich und anwaltlich begleiteten Suizid hier in Deutschland, der aufs sorgsamste vorbereitet und dokumentiert wird, in die Presse bringen?

Dass es einen Aufschrei gibt, ist mir klar, aber ob es ein juristisches Nachspiel gibt? Passieren kann das, wenn ein besonders eifriger Staatsanwalt seine Chance wittert. Nun, dann ginge es von einer gerichtlichen Instanz zur nächsten. Aber ich gehe davon aus, dass ich nicht mit einer Verurteilung rechnen muss, denn auch der Deutsche Juristentag hat ganz klar die Straffreiheit bei Sterbehilfe wie z. B. durch Suizid festgestellt, nur die direkte Tötung ist und bleibt strafbar.

DIESSEITS: Glauben Sie, dass viele Ihrer Kollegen auf ein solches Signal warten?

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Genau, das würde einige ermutigen, einfach nur ausreichend Morphium zu verabreichen. Oder wenn sie dies sowieso schon immer taten, sich dabei etwas sicherer zu fühlen. Selbstverständlich sind auch weiterhin sorgfältig alle medikamentösen Kriterien einzuhalten. Dann bräuchte es solche Fälle nicht mehr zu geben, wie ich neulich gerade erlebte: Ein Arzt weigerte sich, auch nur das nötigste Medikament zu geben, weil er Angst hatte, den Patienten umzubringen. Das ist doch nicht wahr, Palliativmedizin führt den Tod nicht herbei, sie begleitet nur den zu erwartenden Sterbeprozess auf menschenwürdige Weise.

DIESSEITS: Der Humanistische Verband hat 2003 in seinen Eckpunkten zur Regelung von Patientenrechten und Sterbehilfe für den assistierten Suizid durch Ärzte votiert. In der Schweiz übernehmen Laien diese Rolle. Wollen Sie das Schweizer Modell auch in Deutschland etablieren?

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Ich persönlich finde das Schweizer Modell nicht so gut, weil ich nicht einsehe, dass Menschen, die sterben wollen, in ein anderes Land fahren müssen. Ein Arzt aus meiner Region sollte dafür zu mir nach Hause kommen. Aber das ist alles Theorie, solange wir das schöne Schweizer Medikament nicht haben. Wenn wir Ärzte um eine Begleitung beim Suizid gebeten werden, müssen wir dafür über das zur Zeit beste Medikament verfügen dürfen, mit allen Kontrollen natürlich, meinetwegen noch viel strenger als in der Schweiz. Das liegt aber vollständig in der Verantwortung der Politik. Natürlich gibt es andere Methoden, nur sind die nicht so komplikationslos. Es herrschen ja auch unter deutschen Ärzten mitunter noch abenteuerliche Vorstellungen. Sie glauben, sie müssten nur mal eben in die Schweiz fahren und das Medikament für ihre Patienten abholen. Dabei wäre genau das unzulässig.

DIESSEITS: Die Schweizer Sterbehilfeorganisationen stehen derzeit sehr unter Druck. Der Vorsitzende des Vereins Suizidhilfe, Dr. Peter Baumann, ist zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Woher kommt plötzlich dieser Gegenwind in der Schweiz?

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Der kommt nicht plötzlich, auch in der Schweiz hat es immer Bestrebungen gegeben, diese Organisationen zu verbieten. Das Problem bei Baumann: Er hat ein heißes Eisen angefasst, die Frage psychisch kranker Patienten. Es ist schon ein Unterschied, bei einem unheilbar krebskranken Menschen, der vor Schmerz schreit, dessen Wunden bestialisch stinken, versteht man eher, dass dieser Mensch sterben will, aber der psychisch Kranke wirft natürlich ein ganz andere Problematik auf.

DIESSEITS: Es geht um die Einwilligungsfähigkeit?

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Ja, zwar sind auch diese Patienten einwilligungsfähig. Aber dies ist eine besonders heikle Problematik. Psychisch Kranke können genau so schwer leiden wie Krebskranke. Und auch diese Menschen finden keine adäquate Hilfe bei ihrem Psychiater.

DIESSEITS: Angeblich fuhren 120 Deutsche im Jahr 2006 zum Sterben in die Schweiz. Gab es auch Patienten, die Sie nach ausführlichen Gesprächen davon abhalten konnten, denen Sie Perspektiven aufzeigen konnten? Und gab es Patienten, bei denen Sie nicht hundertprozentig überzeugt waren, dass es keinen anderen Ausweg als den Tod gibt?

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Bei denen, die ich begleitet habe, war ich immer hundertprozentig überzeugt, das waren ja nicht so viele, im vergangenen Jahr gerade mal sechs Menschen, bei denen ich auch die Gutachten geschrieben habe.

Es ist ja nicht so bekannt, mit welch bürokratischem Aufwand ein Sterben in der Schweiz verbunden ist. Das halten nur Menschen durch, die tatsächlich nicht mehr weiterkönnen und zum Sterben ganz fest entschlossen sind. Sie müssen ein Sterbegesuch stellen, sie müssen von Ärzten Gutachten bringen, die ihnen das in der Regel verweigern. Das geht nur mit einem Trick, sie müssen von ihren Ärzten ein Attest verlangen zur Vorlage bei den Behörden zwecks Ausstellung eines Behindertenausweises oder zur Beantragung einer Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit. Dazu kommt, dass deutsche Patienten ja in keinem Schweizer Computer verzeichnet sind, daher muss die Identifizierung der Person eindeutig sein. Das dauert ewig, bis die entsprechenden Beglaubigungen aus Deutschland eingeholt wurden. Das Argument vom schnellen Tod in der Schweiz ist einfach so falsch! Sie können keinen schnellen Tod in der Schweiz haben, schon wegen der schweizerischen Bürokratie.

DIESSEITS: Aber grundsätzlich befürworten Sie doch die Praxis der Gutachten?

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Unbedingt, nur muss man daran denken, Menschen, die sterben wollen, möchten daraus keine Publicity-Aktion machen. Sie möchten diese Prozedur mit dem allein abwickeln, der sie dabei unterstützen wird, sie möchten nicht vor einem Komitee sitzen. Natürlich sollte es auch eine Zweitmeinung geben, auch vor Operationen empfehlen die Krankenkassen, sich eine Zweitdiagnose einzuholen. Dieser Gedankengang ist ja Patienten völlig vertraut. Nur sollte der Sterbewillige nicht zum Spielball divergierender Meinungen werden.

DIESSEITS: Welche Gesetzesänderungen sind Ihrer Meinung nach jetzt dringend geboten?

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Noch existiert das Gesetz über die Garantenpflicht. Im Falle von Suizidhilfe müsste dies ersatzlos gestrichen werden.

Wenn wir in der Gesellschaft erreichen, dass es eine vernünftige Einstellung zur Suizidhilfe gibt, dann brauchen wir keine neuen Gesetze, weil es in der Verantwortung des Arztes läge, dem todkranken Patienten dieses Menschenrecht zu gewähren.

DIESSEITS: Welche Rolle kann der Humanistische Verband dabei übernehmen?

UWE-CHRISTIAN ARNOLD: Er könnte anregen, dass jeder, ob im Bedarfsfall oder auch allgemein, seinen Arzt auf dieses Thema hin anspricht. Wenn er merkt, dass dem ärztlicherseits nicht ausgewichen oder sogar Aufgeschlossenheit und Informationsbedürfnis signalisiert wird, kann man gut auf Fortbildungsangebote des HVD hinweisen oder zunächst auf die Möglichkeit einer vertraulichen kollegialen Kontaktaufnahme. Das könnte viel zu Aufklärung und zum Erfahrungsaustausch beitragen, was wir so dringend brauchen. Und vielleicht auch zu mehr Unterschriften für unseren Aufruf unter www.prosterbehilfe.de.


Das Gespräch führten Gita Neumann und Patricia Block


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Quelle:
diesseits 3. Quartal, Nr. 80/2007, S. 26-27
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2007