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BERICHT/192: "... hier bekommen sie mehr als nur zu essen" (diesseits)


diesseits 2. Quartal, Nr. 83/2008
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

"... hier bekommen sie mehr als nur zu essen"

Von Patricia Block


Nauen/Havelland - Der Humanistische Freidenkerbund Havelland eröffnete ein Restaurant für Kinder aus sozial schwachen Familien.


Abgesehen von Champignonscheiben und Spargelspitzen ist Dustin (Name geändert) hochzufrieden mit seinem heutigen Mittagessen. Er hatte die Wahl zwischen Gemüsepfanne mit Reis für 80 Cent oder Hackbraten für 1,20 Euro, beides frisch gekocht in der hauseigenen Restaurantküche.

So wie Dustin kommen seit Anfang März täglich ca. 20 Kinder in die Kinderoase in Nauen, eine neue Einrichtung des Humanistischen Freidenkerbundes Havelland e.V. Neben Suppenküche, Kleiderkammer und vielfältigen Beratungs- und Hilfsangeboten ist dies ein weiteres Projekt in der umfangreichen sozialen Arbeit dieses Regionalverbandes.

Die ersten stehen schon um 6.30 Uhr vor der Tür um zu frühstücken. Das kostet 40 Cent und enthält alles, was ein gesundes Frühstück ausmacht. Dann schnell noch ein paar Pausenbrote geschmiert und der Schultag kann beginnen. Dass dies auch pünktlich geschieht, gehört mit zu den Aufgaben der vier Mitarbeiterinnen, die die unterschiedlichen Anfangszeiten der umliegenden Grundschulen im Kopf haben. Richtig los geht es jedoch erst nach Schulschluss. Ab 11.00 Uhr stehen täglich zwei Essen zur Auswahl. Ein Salatbüfett, Obst und ein kleines Leckerli zum Abschluss gehören selbstverständlich dazu. Es braucht ein wenig Fingerspitzengefühl um einzuschätzen, wie viel Kinder heute wohl kommen werden. Es gibt keine Anmeldung im Voraus. Durch möglichst wenig bürokratische Hürden sollen alle Kinder aus sozial schwachen Familien die Möglichkeit haben, ein warmes Mittagessen zu bekommen. Und wenn es dann doch mal knapp wird, dann improvisieren die kreativen Küchenfrauen eben, dann wird wenigstens ein Spiegelei gebraten oder ein Würstchen warm gemacht. Hungrig geht hier keiner wieder raus.

Ganz bewusst hat sich das Team um Volker Mueller, Vorsitzender des Humanistischen Freidenkerbundes, für ein Kinderrestaurant mit Herz entschieden. Die Kinder sollten nicht mittags in die Suppenküche gehen müssen. In der Kinderoase erwartet sie eine schönere altersgerechte Atmosphäre, liebevoll gedeckte Tische mit gefalteten Servietten, Tischdecken und Blumen, Personal in langen Kellnerschürzen - ein Restaurant eben, indem man seine Bestellung aufgibt, bedient wird und am Ende bezahlen muss - auch wenn es nicht immer am gleichen Tag ist. Dass dies möglich ist, verdankt die Kinderoase der Nauener Tafel, ebenfalls eine Einrichtung der rührigen Havelländer Humanisten. Diese aquirieren Lebensmittel im großen Stil. Enge Kooperationspartner wie die Metrogruppe, aber auch der in letzter Zeit wiederholt in die Kritik geratene Lidl-Konzern, sind seit Jahren verlässliche Spender. Aber auch regionale Kleinbetriebe tragen zur stets gedeckten "Tafel" bei. So stellt zum Beispiel die alteingesessene Nauener Bäckereifamilie Nickel ausreichend Brot bereit, dass Kinder, die sich nur mal schnell Pausenbrote schmieren wollen, dafür gar nichts bezahlen müssen. Besonders berührt sind die Mitarbeiterinnen von einer älteren Dame. Diese las von dem Projekt in der Zeitung und fühlte sich an eigene Hungerjahre in der Kindheit erinnert. Jetzt kommt sie regelmäßig und steuert etwas bei, mal ein Toastbrot, mal eine Tüte Gummibärchen. Viel hat sie auch nicht zu vergeben.

Geöffnet ist bis 16.00 Uhr, der eine oder andere bleibt gern noch ein wenig in den gemütlichen Räumen. Hier gibt es mehr als nur etwas Warmes für den Magen. Auch mit Wertschätzung wurden einige der kleinen Kunden bisher nicht überhäuft. Ziel ist es, dass die jetzt nur gelegentlich anwesende Sozialarbeiterin ebenfalls hier ständig vor Ort sein kann. Landrat und Bürgermeister stehen dem Projekt aufgeschlossen gegenüber, das lässt hoffen. Doch soll es kein Jugendclub werden, der Restaurantcharakter soll erhalten bleiben. Lediglich Kochkurse wollen die Mitarbeiterinnen in Zukunft verstärkt anbieten, ein erster Versuch lief hervorragend und die nächsten Ferien stehen vor der Tür. Für viele Kinder ist es eben auch wichtig kennenzulernen, wie viel Mühe mitunter in einer fertigen Mahlzeit steckt. Dass gesunde Ernährung Arbeit macht, erleben nicht alle zu Hause. Und auch bei den Tischsitten hapert es manchmal noch, da müsse dann "ein wenig nachgeholfen werden". Die vier Küchenfeen machen nicht den Eindruck, als würden sie vor dieser Aufgabe kapitulieren.

Dustins Tellerrand ist mittlerweile reich dekoriert. Ganz charmant bittet er darum, dass abgeräumt wird. Dann widmet er sich seinem Rohkostteller, da gilt es auch noch etwas zu verändern. Der noch fein säuberlich in rot und weiß getrennte Salat muss vermischt werden, verrät der kleine Feinschmecker, dann schmeckt es besser und sieht bunter aus. Bei allem Verständnis für ein gepflegtes Tischgespräch muss Martina jetzt doch ein wenig drängeln. Sie weiß, welchen Bus er schaffen muss. Noch mal drücken und dann: "Tschüss Dustin, bis morgen."


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Quelle:
diesseits 2. Quartal, Nr. 83/Juni/08, S. 8-9
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 13,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,25 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2008