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BERICHT/151: Neue Hexen haben in der Esoterik-Szene Konjunktur (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 11/2008

Naturspiritualität, Heidenspaß und Kommerz
Neue Hexen haben in der Esoterik-Szene Konjunktur

Von Matthias Pöhlmann


Der seit alters ausgrenzende Begriff Hexe erlebt seit Ende des 20. Jahrhunderts als positive Selbstbezeichnung eine neue Konjunktur. Die Hexe dient jetzt als Identifikationsfigur für den Wunsch nach eigener Macht und Stärke, aber auch als Medium einer überzeugenden Selbstinszenierung. In einem modernen Hexenmythos ist zugleich der Hunger nach einer erfahrungsbezogenen Spiritualität jenseits christlicher Religiosität unübersehbar.


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Nicht im Märchenwald, sondern mitten im südlichen Berlin steht das "Hexen-Haus". Über der Eingangstür hängt ein Schild mit der Aufschrift "Café - Bar - Esoterik". Das Berliner "Hexen-Haus" versteht sich als "Treff- und Plauder-Punkt für Leute mit und auch ohne esoterisches Interesse bei einem guten Kaffee, Cocktail, Wein und Bier". Neben exotischen Teesorten wird auch Esoterik aller Art offeriert: So gibt es auch eine Ladenecke, in der Heilsteine, Hexenschmuck, Hexenkarten und Bücher für den individuellen Bedarf verkauft werden.

Es gibt Hexentreffen, bei denen sich Interessierte über Wahrsagen, Heilung und Astrologie austauschen können. Ein besonderer jährlicher Höhepunkt ist die Walpurgisnacht, die vom 30. April auf den 1. Mai mit einem großen Fest begangen wird. Und Ende Oktober war es wieder so weit: Landauf landab boten Veranstalter Halloween-Partys an - mit Hexenfolklore und gruseligen und zauberhaften Getränken. Die Hexen sind wieder im Kommen.

Die seit alters ausgrenzende und im Rahmen der historischen Hexenverfolgung für todeswürdig befundene Bezeichnung Hexe erlebt seit Ende des 20. Jahrhunderts als positive Selbstbezeichnung eine neue Konjunktur. Die neue Hexe des 21. Jahrhunderts ist nicht mehr düster und schreckensvoll. Sie gibt sich selbstbewusst, spirituell fortgeschritten und durchsetzungsstark. Der Markt einschlägiger Offerten hält für dieses Selbstwertgefühl vieles bereit: Hexenbücher, Ritualratgeber, Utensilien wie Kristallkugeln, Pendel und Witchboard, Harze, Kräuter und Steine - die Kommerzialisierung des neuen Hexentrends lässt sich kaum übersehen. Für den Beobachter bleibt unklar, ob es sich dabei um ernst gemeinte Angebote oder eher um kindlich-spielerischen Hexen-Schabernack handelt.


Geheimes Hexenwissen für alle

Auf Mittelaltermärkten sind Buden und Stände mit Hexen, die dem Publikum Beratungsdienste mit Astrologie, Tarotkarten und Handlesekunst anbieten, eine besondere Attraktion. Neben öffentlichem Hexenzauber und marktschreierischer Geschäftigkeit gibt es auch solche, die mit Ernst ihre magischen Kreise ziehen. Meist sind es Einzelpersonen, die sich "frei-fliegende Hexen" nennen, oder kleinere Zirkel, so genannte "Covens", Ritual- oder Arbeitsgruppen.

Darin geht es um mehr als bloßen Hexenspaß. Ihre Anhänger legen Wert auf Energie- und Ritualarbeit. Manche Kreise existieren im Verborgenen, andere knüpfen Kontakte über örtliche "Heidenstammtische" oder gehen mit Internetangeboten gezielt an die Öffentlichkeit. Diskussionsforen und Kontaktmöglichkeiten dienen dem gegenseitigem Austausch und vermitteln intern das Gefühl einer virtuellen Hexen-Gemeinschaft.

In persönlichen Bekenntnissen ist meist die Rede davon, dass man einen alten Pfad gewählt und Zugang zu altem Hexenwissen habe. Wenngleich eine solche Kontinuität nie bestanden hat, sind sich neue Hexen eines "Urwissens" sicher, das sie mit Magie und Okkultismus identifizieren. Das "alte Geheimwissen" soll den neuen Hexen Zugang zu einer verschütteten authentischen Spiritualität verschaffen.


Girlie-Hexen und Hexentipps für Karrierefrauen ab 40

Andere legen sich jenseits des Alltagstrotts eine neue Identität in Gestalt eines persönlich gewählten Hexennamens zu. Im 20. Jahrhundert hat das Hexenbild eine tiefgreifende Wandlung erfahren. Wesentliche Impulse lieferten hierzu radikal-feministische Emanzipationsversuche, Einflüsse okkult-magischer Traditionen des späten 19. Jahrhunderts sowie Einzelaspekte der in den achtziger Jahren aufkommenden Esoterik-Bewegung. Seither erlebt der Hexenkult eine enorme Popularisierung, nicht erst seit TV-Serien wie "Sabrina - Total verhext" und "Charmed - Zauberhafte Hexen", einer seit 1998 produzierte US-Serie mit bislang 178 Folgen, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgestrahlt wurden.

In Jugendzeitschriften, Büchern und Comics wurde seit Ende der neunziger Jahre der Typ der Girlie-Hexe popularisiert. Begleitend zu diesen Serien veröffentlichen seither Buchverlage vielerlei Anleitungsbücher zu magischen Hexenritualen. Auch in Jugendzeitschriften wird auf den Hexentrend reagiert: mit Hintergrundberichten zu Glauben und Praktiken der neuen Hexen. Und für die Karrierefrau von heute gibt es "Hexentipps ab 40". Frauenzeitschriften greifen das Thema mit Erfahrungsberichten und "Hexen-Ratgebern" auf.

Besonders beliebt sind derzeit verschiedene Formen des Hexenkults, die im Gegensatz zu organisierten Formen des neuen Hexentums (zum Beispiel der Wicca-Bewegung) viel mehr ichzentriert und magisch-technisch ausgerichtet sind und sich damit Individualisierungsprozessen anpassen. Wurde das Interesse am Hexentum in den achtziger Jahren vor allem durch den Protest gegen eine als patriarchalisch empfundene Gesellschaft beziehungsweise durch die, auch ökologisch motivierte, Rückbesinnung auf die Natur ausgelöst, so zeichnet sich seit Ende der neunziger Jahre ein neuer Trend ab: Die Hexe dient jetzt als Identifikationsfigur für den Wunsch nach eigener Macht und Stärke, aber auch als Medium einer überzeugenden Selbstinszenierung.

Der anhaltende Esoterik-Trend reagiert auf individuelle und gesamtgesellschaftliche Bedürfnislagen. Erlebnisorientierte Spiritualität statt dogmatischer Religion, individualisiert, technisiert und möglichst unkompliziert - darauf reagieren okkult-magische Angebote, die dem einzelnen Macht und Erfolg verheißen. Voraussetzung dafür ist eine gehörige Portion Neugier, Freude am Experimentieren und die Bereitschaft, sich auf esoterische Energien und Kräfte einzulassen.

Über das Internet werden Glaubensauffassungen der neuen Hexen schnell verbreitet. Waren diese Ideen Jahrzehnte vorher auf kleine, meist überschaubare Zirkel beschränkt, so hat sich dies zu Beginn des 21. Jahrhunderts grundlegend geändert. Maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung haben das Internet oder audiovisuelle Medien, die zu "magischen Kanälen" umfunktioniert werden.

In Österreich gibt es seit dem Jahr 2000 die monatlich über einen Wiener Lokalsender ausgestrahlte Sendung "Witches on Air". Seit 2006 wird von einem Wiener Privatsender das Magazin "Hagazussa TV" ausgestrahlt. Moderatorin der mehrstündigen Sendung ist "Lady Purple", die mit bürgerlichem Namen Tanja Kozak heißt und zuvor für "Witches on Air" verantwortlich zeichnete. Schon während ihrer Schulzeit befasste sie sich mit dem Hexenthema. Sie ist Psychologin und arbeitet hauptberuflich mit psychisch erkrankten Menschen. Nebenbei schreibt Kozak an einer ethnologischen Dissertation über Voodoo- und Hexenpriesterinnen. Seit 1998 betreibt sie als bekennende "neue Hexe" Öffentlichkeitsarbeit. Sie hat den Verein "Wurzelwerk" mitbegründet und organisiert alljährlich das internationale "Merry-Meet-Festival", bei dem sich Neuheiden, Hexen und Druiden zu Vorträgen und Austausch treffen. Ihre eigentliche Aufgabe erblickt die Moderatorin darin, die Bevölkerung für "Heidentum, Magie, modernes Hexentum und alles, was in diesen Dunstkreis noch hineinfällt", zu sensibilisieren.


Eine neue Hexenreligion?

Vielen der neuen Hexen ist diese Popularisierung fremd und bisweilen peinlich. So wird intern die Kommerzialisierung und die Inszenierung modischer Hexenangebote heftig kritisiert. Andere hingegen deuten diese Entwicklung viel positiver, weil sie sich damit eine größere gesellschaftliche Akzeptanz für ihre "Hexenreligion" erhoffen. Sie berufen sich dabei auf eine Naturspiritualität, womit sich auch neuheidnische Auffassungen zu erkennen geben.

So erschien im letzten Jahr in dem spirituellen Szenemagazin "connection spirit" (Nr. 2/2007, 40f.) ein Artikel mit dem selbstbewussten Bekenntnis einer 29-Jährigen: "Ich bin eine Heidin!" Sie hat Englische Literaturwissenschaft studiert und absolviert ein Volontariat bei einer alternativ-religiösen Zeitschrift. Nach einer "atheistischen Phase", die durch vielerlei Zweifel an überkommenen christlichen Glaubensvorstellungen ausgelöst wurde, wandte sie sich dem Neopaganismus (Neuheidentum) zu. Mit Anfang 20 kam sie mit einer Gruppe von "Heiden" in Kontakt. Darunter waren Schamanen, Druiden, Hexen und andere. Besonders fasziniert habe sie, dass von ihnen allen die Natur als etwas Religiöses betrachtet wurde. Hinzu kam die Vorstellung, dass es letztlich egal sei, ob man "keltische, nordische oder griechische Götter verehrt", ob man Heide, Christ, Moslem, Buddhist oder Hindu sei. Letztlich fand sie für sich einen Glauben, der keine Dogmen, keine Regeln kennt und - so ihr Eindruck - tolerant und offen ist. Jeder soll sein eigener Priester sein. Die junge Frau fühlte sich als Hexe, genauer gesagt als "freifliegende Hexe", da sie sich nicht mit anderen zusammenschloss. Abschließend berichtet sie, dass sie viele Hexen als "warmherzige, starke Frauen" kennen gelernt habe.

In diesem sehr persönlichen Bekenntnis treten typische Motive hervor, aus denen deutlich wird, warum sich Menschen von dieser neuen Hexen-Spiritualität angezogen fühlen. Es geht um Protest und Abgrenzung gegenüber traditioneller christlicher Religiosität. Erkennbar wird auch der Trend der Esoterik-Szene zu einem erlebnisintensiven, undogmatischen, individualisierten, naturnahen Weg, der sich gegen jede Form religiöser Hierarchien wendet und letztlich die Selbstermächtigung des Individuums anstrebt, wonach jeder sein eigener Priester sein könne.

An anderer Stelle kommt die bekennende "Heidin" offen auf Widersprüchliches innerhalb der Szene der neuen Hexen zu sprechen. So beklagt sie die mangelnde Toleranz, aber auch die Illusion Einzelner, die meinten, ihre Probleme "einfach wegzaubern" zu können. Andere hingegen erhofften, über Magie mehr Macht und Stärke über andere gewinnen zu können. Die Preisgabe der Eigenverantwortung sei deshalb besonders negativ. Damit ist bereits angedeutet, welche Probleme mit einer okkult-magischen Weltsicht, wie sie die Bewegung der neuen Hexen vertritt, einhergehen können.

Das neue Hexentum hat einen eigenen Neomythos entwickelt. Demzufolge geht das eigene Geheimwissen auf die während der Hexenverfolgungen Getöteten zurück. Neue Hexen erblicken in ihnen weise Frauen, die über besondere Kenntnisse des Heilens verfügten und Vertreterinnen einer naturnahen matriarchalischen Hexenreligion waren, die von Staat und Kirche ausgerottet wurde.

Diese historisch freilich nicht haltbare These wird von Vertretern des modernen Hexenkultes immer wieder präsentiert. So liest man in einem neueren Einführungsbuch über die Welt der Hexen: "In einer Gesellschaft, wo der Kontakt zu den Naturkräften gestört und das magische Bewusstsein weitestgehend verschwunden ist, haben es Hexen sehr schwer. Viel Wissen ist verloren gegangen, da die Ketten geheimer Überlieferungen in der Inquisitionszeit oft durchbrochen wurden, indem man die weisen Frauen und Männer töten ließ."

Diese Form eines modernen Hexenmythos liefert die Legitimation für die eigene Hexenpraxis und suggeriert zugleich, dass die modernen Anhänger des Hexenkults in einer direkten Kontinuität zu den Glaubensvorstellungen der damals Verfolgten stünden. Die Motivation dafür liegt in einer stark emotionalen Identifikation mit den Opfern beziehungsweise darin, sich als Einzelner in einem größeren geschichtlichen und kosmischen Zusammenhang zu begreifen. Hinzu kommt das Unbehagen an der Moderne sowie ein Krisengefühl, das die Gegenwart einem zunehmenden Verfall der geistigen Werte und dem Verlust der natürlichen Lebensgrundlagen ausgesetzt sieht.


Hexe sein ist kein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung

Wenngleich in der Szene umstritten ist, ob Hexenwissen und die dazugehörige Praxis als Religion zu bezeichnen sind, so ist dabei der Hunger nach einer erfahrungsbezogenen Spiritualität jenseits christlicher Religiosität unübersehbar. Stets wiederkehrende Motive in den Ritualratgebern - vom Liebeszauber bis hin zu regelmäßigen magischen Anrufungen in der freien Natur - sind die Suche nach individueller Wunscherfüllung und erlebnisintensiver Sinnorientierung.

Repräsentativ dafür ist auch eine persönliche Einschätzung, die eine neue Hexe im Internet präsentiert: "Also für mich sind Hexen Frauen, die ihr Leben selbst gestalten. Das heißt für mich, dass sie es verstehen natürlicherweise vorhandene Energien für sich zu nutzen und zu lenken (mit Magie arbeiten). Sie beherrschen mindestens eine Divinationstechnik (beispielsweise Tarot oder Runen), beschäftigen sich mit Kräutern und Heilen. Weiterhin respektieren sie die Natur, versuchen ihren Rhythmen zu folgen und mit ihr im Einklang zu leben. Zumindest soweit, wie das in unserer heutigen Welt möglich ist. Hexe sein ist kein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung."

Diese "Lebenseinstellung" drückt sich für viele in einem neuen spirituellen Weg aus, den neue Hexen für sich gefunden haben. Im Vordergrund steht eine naturbezogene Spiritualität, die in einer eigenen Ritualpraxis ihren Ausdruck findet, wie bei den Jahreskreisfesten, die achtmal im Jahr zu den keltischen Feuerfesten und den Solarfesten gefeiert, oder - bei Vollmond - in Gestalt von Mondfesten ("Esbate") abgehalten werden. Der Mond soll, so die Überzeugung, eine besonders intensive magische Wirkung auf den Menschen haben. Neue Hexen tauchen in die geheimnisvolle Welt von Magie und Okkultismus ein. Sie wollen sich von einer christlich überformten Gesellschaft abwenden und für ihre Spiritualität naturreligiöse Wege beschreiten.


Sehnsucht nach einer Wiederverzauberung der Welt

Bei den "neuen Hexen" handelt es sich um eine positive Selbstbezeichnung von Frauen und Männern, die mithilfe okkult-magischer Rituale innerhalb eines am Jahreskreislauf ausgerichteten "Festkalenders" ihre Spiritualität möglichst naturbezogen leben wollen. Der Begriff Hexe, der für Frauen und Männer verwendet wird, stammt aus dem mittelhochdeutschen "hagazussa", was "Zaunreiterin" bedeutet. Ursprünglich bezeichnete das Wort ein mythisches Wesen, das auf der Grenze zwischen dem umzäunten, "umhegten" und damit geschützten Innenbereich als Symbol für Ordnung, Kultur und Verstand und dem wilden, chaotisch-intuitiven Außenbereich existierte. So erhielt der Begriff Hexe wahrscheinlich auch seine negative Bedeutung, da er auf die Bedrohung des umhegten Lebens anspielte.

Gegenwärtig gibt es innerhalb des neuen Hexentums vielfältige Richtungen, Ansätze und Organisationsgrade. Darunter findet sich das individualisierte Hexesein (die "freifliegende Hexe"), aber auch das magisch-rituell in so genannten "Coven" organisierte Hexentum, der so genannte Wicca-Kult. Die Bezeichnung geht auf das altenglische Wort "wicca" für Hexe zurück. Der Wicca-Kult umfasst verschiedene Richtungen und "Traditionsbildungen" und zusätzlich etliche Mischformen und individuelle Erweiterungen dieses "Traditionsbestandes".

Ursprünglich hat sich Wicca als Okkult-Bewegung im eigentlichen Sinn verstanden: Die Lehren und Geheimnisse sollten nur auf den jeweiligen "Coven" (Hexenzirkel) beschränkt und der Außenwelt verborgen bleiben. Doch gerade das hat sich in den letzten zehn Jahren drastisch verändert. Es gibt eine Vielzahl von Büchern, Anleitungsbüchern und Praxishilfen - selbst für Teenager.

"Wicca-Magie für Junghexen" heißt ein neuerer Titel. Die Autorin, die Diplom-Psychologin Monika Molitor (eigentlich Müller-Herrmann, geb. 1966), möchte Jugendliche dazu anleiten, die Welt der Magie wirklich zu entdecken und einen Einstieg in die Wicca-Religion zu finden. Dementsprechend befasst sich ihr Buch mit Ritualzubehör, Ritualgestaltung, Visualisieren, Kontakt zu anderen Bewusstseinsebenen, Orakel, Grundlagen der "alten Religion" und den Jahreskreisfesten. Molitor betreibt im Internet sogar eine Seite für Junghexen und bietet Kurse und Seminare zu Wicca, Tarot und Astrologie an. Darüber hinaus empfiehlt sich die Wicca-Priesterin für Vorträge, Kurse und Beratungen im schulischen und im kirchlichen (!) Bereich.

Entgegen der Behauptung neuer Hexen, an ein verschüttetes oder verloren gegangenes Hexenwissen anknüpfen zu wollen, handelt es sich beim Aufkommen des neuen Hexenkults um ein modernes Phänomen. Die Entwicklung innerhalb der letzten 30 Jahre verlief in mehreren Schüben, wobei es auch zu einem Ineinander der verschiedenen Anliegen kommen konnte. Verschiedene Aspekte lassen sich rückblickend für das Wiederaufleben des Hexentums in Deutschland geltend machen. Anfangs waren es radikalfeministische Impulse, die gegen Ende der siebziger Jahre die Hexenbewegung auslösten. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff Hexe als Protestmittel positiv.

Mit Beginn des 21. Jahrhunderts hat der neue Hexenkult im Rahmen der modernen Esoterik eine starke Popularisierung und Kommerzialisierung erfahren. Weiteren Einfluss gewannen die ohnehin in der Mitte des 20. Jahrhunderts aufkommenden Vorstellungen der britischen Wicca-Bewegung mit ihren dezidiert okkult-magischen und neopaganen (neuheidnischen) Orientierungen. Damit sollte an ein keltisches Erbe angeknüpft werden.

Einzelne Elemente der Glaubensvorstellungen und Rituale haben inzwischen den festen Kreis der Anhänger verlassen und sich in Angeboten des Esoterik-Marktes einen festen Platz sichern können. Mit Ritualen, Zauberbüchern und dem notwendigen - mittlerweile freilich popularisierten und kommerzialisierten - "Geheimwissen" taucht der Einzelne in eine magische Gegenwelt ein, um sich einer Alltagswirklichkeit zu entziehen, die er von Rationalität, Leere und Naturfeindlichkeit beherrscht sieht. Eine bedeutende Rolle spielt die Sehnsucht nach einer Wiederverzauberung der Welt. An die Stelle einer "verkopften", rein rationalen Weltsicht oder "dogmatisch erstarrten Religionsform" wie das Christentum soll ein erfahrungsorientiertes, erlebnisintensives magisches Naturbewusstsein treten.


Okkult-magische Gegenwelten

Wurde das Interesse am Hexentum in den achtziger Jahren vor allem durch die - auch ökologisch motivierte - Rückbesinnung auf die Natur ausgelöst, so zeichnet sich seit Ende der neunziger Jahre ein neuer Trend ab: Die Hexe dient jetzt als Medium für eine eskapistische Selbstinszenierung. In der Esoterik-Szene hat sich die Selbstbezeichnung Hexe mittlerweile zum Container-Begriff für verschiedene Vorstellungen und Praktiken etabliert. Das Spektrum reicht von Angeboten zu Kartenlegen, Lebenshilfe und Heilung bis hin zu magischem Liebeszauber für den ersehnten Traumpartner. Es gibt eine Vielzahl von Büchern, Anleitungsbüchern und Praxishilfen - besonders für Jugendliche, die zu "Junghexen" werden wollen. Mit Ritualen, Zauberbüchern und dem notwendigen "Geheimwissen" taucht der Einzelne in eine magische Gegenwelt ein, um sich einer Alltagswirklichkeit zu entziehen, die er von Rationalität, Leere und Naturfeindlichkeit beherrscht sieht. Selbstüberschätzung, Narzissmus und Realitätsverlust sind Gefahren, die mit dieser Flucht aus der Wirklichkeit einhergehen können. Das neue Hexentum versucht mit einem ökologischen wie auch okkult-magischen Ansatz naturreligiöse Anliegen wiederzubeleben.

Kritik aus christlicher Sicht richtet sich auch gegen die neuheidnisch motivierte Vergötzung der Natur, die sie zwar zur obersten Instanz erhebt und als Folie für individuell gebastelte Rituale benutzt, die Mühen ihrer tatsächlichen Bewahrung allerdings scheut. Ebenso wenig sind polytheistische Vorstellungen mit dem christlichen Glauben vereinbar. Okkult-magische Vorstellungen und Rituale können den Einzelnen in Sonderwelten führen und ihn letztlich isolieren. Gleichwohl sollten sich Theologie und Kirche - bei aller berechtigter Kritik an vielerlei problematischen neuheidnischen Vorstellungen - auch an vergessene Themen der christlichen Botschaft, etwa den ersten Glaubensartikel und damit an das Schöpfungshandeln Gottes, erinnern lassen.

Gegenwärtig scheinen spirituelle Konzepte zur Selbstermächtigung durch Magie und Okkultismus nach wie vor günstig zu sein. Sie treffen offensichtlich den Nerv der Zeit - angesichts von Individualisierungs- und religiösen Pluralisierungsprozessen bei gleichzeitig nachlassender Bindungskraft der Kirchen. In vielen der neuen Hexen-Anleitungsbüchern ist nicht ersichtlich, wo bloßer Unterhaltungsspaß endet und okkult-magischer Ernst anfängt. Auf die zunehmend verschwimmenden Grenzen wird in Zukunft zu achten sein.


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Matthias Pöhlmann (geb. 1963), promovierter Theologe und Pfarrer der Evangelisch Lutherischen Kirche in Bayern, ist seit 1999 wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Religions- und Weltanschauungsfragen, zuletzt: Freimaurer (Freiburg 2008), Esoterik als Trend (mit Reinhard Hempelmann, EZW-Texte 198, Berlin 2008); www.ezw-berlin.de.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 11, November 2008, S. 573-578
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2009