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KIRCHE/032: Die Auslandsarbeit der Kirchen (MIZ)


MIZ - Materialien und Informationen zur Zeit
Politisches Magazin für Konfessionslose und AtheistInnen - Nr. 3/10

Die Auslandsarbeit der Kirchen

...und der staatliche Anteil daran

Von Carsten Frerk


Nicht nur innerhalb Deutschlands greift der Staat den Kirchen finanziell 'unter die Arme'. Auch die im Ausland operierenden Hilfs- und Missionswerke der beiden großen Kirchen werden mit "Festbeträgen" und "Projektgeldern" aus dem Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und dem Auswärtigen Amt mit rund 270 Mio. Euro gefördert - natürlich nur Entwicklungsprojekte und Humanitäre Hilfe.


Aus dem Etat des Auswärtigen Amtes wurden 2009 an die Evangelische und die Katholische Kirche "Festbeträge" gezahlt. Es sind zwar keine großen Zahlen, sie sind jedoch mehr als verwunderlich. Die ersten beiden Positionen für das Kirchliche Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Katholische Auslandssekretariat, mit jeweils exakt 740.000 Euro sind bereits erstaunlich. Was hat das Auswärtige Amt mit der "Auslandsarbeit" der Kirchen zu tun? Die beiden danach folgenden Positionen sind dann ein schlichter Skandal, denn für das Evangelische Missionswerk und den Deutschen Katholischen Missionsrat werden jeweils exakt 249.000 Euro ausbezahlt. Seit wann ist Missionierung oder zumindest die finanzielle Unterstützung einer christlichen Missionierung im Ausland eine Staatsaufgabe der Bundesrepublik Deutschland?


Hilfs- und Missionswerke

Christliche Hilfswerke haben immer einen Doppelpack von humanitärer Hilfe und bekenntnisgebundener Mission im Programm. Wenn sie sich nur die humanitäre Hilfe als Aufgabe und Ziel gesetzt hätten, wären sie keine christlichen Hilfswerke. Ihr "Proprium" (das, was ihr Eigentliches ist und was sie von anderen unterscheidet) ist die Glaubensverkündigung in Taten und Worten.

Ein einfaches Beispiel ist die Blindenmission, bei der nicht nur das Wort Mission stutzig macht, denn es geht doch vorgeblich darum, Blinden und Sehschwachen zu helfen. Warum gibt es dann eine katholische Blindenmission und auch eine evangelische Blindenmission? Und warum gibt es einen evangelischen Entwicklungsdienst und einen katholischen?


Evangelischer Entwicklungsdienst

Die Aufgabe des Evangelischen Entwicklungsdienstes formuliert das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland klar und unmissverständlich: "Der Evangelische Entwicklungsdienst unterstützt mit finanziellen Beiträgen, personeller Beteiligung und fachlicher Beratung Kirchen, christliche Organisationen und private Träger, die sich am Aufbau einer gerechten Gesellschaft beteiligen." [1]

Na prima, denken sich jetzt unbedarfte Leser, endlich einmal eine Einrichtung der evangelischen Kirche, die selbstlos für Partnerkirchen und christliche Organisationen im Ausland Gutes tut und nicht dem Staat auf der Tasche liegt. Nein, ganz so ist es dann doch nicht, denn wenn man etwas sucht, dann findet man auch etwas zu den Finanzen: "Der Evangelische Entwicklungsdienst setzt Kirchensteuermittel, staatliche Zuschüsse und Spendenmittel ein." Die Reihenfolge ist, wenn nicht alphabetisch, auch immer eine Abfolge der Wichtigkeit, also Kirchensteuermittel zuerst. Nein, das ist soweit auch nicht richtig, denn kurz darauf heißt es: "Aus dem Kirchentitel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) flossen dem EED-Haushalt über die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe 105,7 Millionen Euro zu. Darüber hinaus erhielt der EED für das Programm 'Ziviler Friedensdienst' weitere 2,1 Millionen Euro und aus dem Programm 'Weltwärts' 5,7 Millionen Euro vom BMZ. Insgesamt standen dem EED damit staatliche Mittel in Höhe von 113,5 Millionen Euro für die Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung." Wie bitte? Es gibt in einem Bundesministerium einen "Kirchentitel"? Ja so ist das. Nein, keine Privilegien, alles korrekt vereinbarte Verträge.

"1962 trafen die Bundesrepublik Deutschland und die beiden großen christlichen Kirchen eine Vereinbarung. Hierin verpflichtete sich die Bundesregierung, die entwicklungspolitische Arbeit der Kirchen finanziell zu fördern. Um mit der Regierung zu kooperieren, brauchten die Kirchen eine rechtliche Basis. Sie gründeten zwei Zentralstellen für Entwicklungshilfe - eine katholisch (KZE), die andere evangelisch (EZE)." Da kann man jetzt mit Worten jonglieren. Was ist eine (verfassungsrechtlich nicht erlaubte) institutionelle Verbindung und was ist eine (erlaubte) Kooperation von Kirche und Staat?

Und nun die richtige Reihenfolge in der Finanzierung: Bundesrepublik Deutschland (67 %), Landeskirchen (28 %), Brot für die Welt (2,9 %) und weitere Spenden (1,9 %). Und die sachlich angemessene Beschreibung: Der Evangelische Entwicklungsdienst ist eine Missionseinrichtung der Bundesrepublik Deutschland, die weltweit in Projekten eingesetzt wird. Die evangelischen Landeskirchen leisten dazu kleinere finanzielle Zuschüsse.


Diakonie Katastrophenhilfe

In der künftigen Zusammenfassung der verschiedenen Aktivitäten der "evangelischen Entwicklungshilfe" wird die Diakonie Katastrophenhilfe mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst fusionieren. Der Ansatzpunkt, wofür die wichtigsten Geldgeber zu finden sind, ist etwas anders: "Die Diakonie Katastrophenhilfe, gegründet 1954, ist das humanitäre Hilfswerk der evangelischen Kirchen. Orientiert am christlichen Menschenbild und aus der Gesamtverantwortung für Gottes Schöpfung leistet sie gemeinsam mit der weltweiten Christenheit bedingungslos humanitäre Nothilfe, unabhängig von der politischen, religiösen und kulturellen Zugehörigkeit der Betroffenen." [2]

Das Gründungsmotto des ersten Koordinators der Diakonie Katastrophenhilfe, Ludwig Geißel, bringt es in seiner vortrefflichen Mehrdeutigkeit präzise auf den Punkt, worum es geht: "Fly now, pray later" (Fliege jetzt, bete später). Der Transport der Hilfsgüter per Flugzeug ist die schnellste Möglichkeit der Hilfe und dafür finanzieren die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Kommission rund die Hälfte der evangelischen Katastrophenhilfe: 12 Mio. Euro.


Misereor

Die katholische Kirche macht es nicht so kompliziert wie die evangelischen Kollegen, sie hat die staatliche Geldbeschaffungsverbindung, die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe, direkt bei dem Bischöflichen Hilfswerk Misereor angesiedelt, denn da soll das Steuergeld ja schließlich auch hin. Das Bischöfliche Hilfswerk Misereor, steht mit "Zorn und Zärtlichkeit an der Seite der Armen", leider aber kaum mit dem eigenen Geld.

Von den Gesamteinnahmen (im Jahr 2009) von 161,6 Mio. Euro kommen 101,2 Mio. (63 %) vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), 51,6 Mio. (32 %) sind Spenden und 8,8 Mio. (5 %) kirchliche Haushaltsmittel. Es steht aber trotzdem "Bischof" drauf und der Unbedarfte kann sich darauf verlassen, dass auch Kirche 'drin' ist - nur eben nicht ihr Geld.


Bundes-Missions-Zentrale?

Bei den Einnahmen des Evangelischen Entwicklungsdienstes ist schon deutlich geworden, dass die Hilfs- und Missionsarbeit aus verschiedenen Titeln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wird. Die Beschreibung der Kirchen als "Akteure" der deutschen Entwicklungspolitik durch das BMZ ist recht lyrisch: "Die Kirchen spielen eine herausragende Rolle in der deutschen Entwicklungspolitik. Gemeinsam mit ihren Partnern in den Entwicklungsländern engagieren sie sich seit mehr als 40 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik. Sie konnten in vielen Teilen der Welt die Armut der Menschen lindern und ihre Lebensbedingungen verbessern. Kirchen sind in der Lage, weltweit einen Teil der Zivilgesellschaft zu mobilisieren und können dadurch gezielt Einfluss auf die politische Bewusstseinsbildung nehmen." [3] Ist das BMZ - in dieser herausragenden Rolle der Kirchen in der deutschen Entwicklungspolitik - eine B(undes)M(issions)Z(entrale)?

Der bereits erwähnte "Kirchentitel" - dessen Volumen in den letzten Jahren mit schöner Kontinuität von Jahr zu Jahr um 7 % steigt - hat im Haushaltsplan die Erläuterung "Seelsorgerische Maßnahmen werden aus den Ausgaben nicht finanziert". Das ist nun vermutlich eine sehr altbackene Vorstellung von "Seelsorge", die darunter wohl so etwas wie Beichten, Beten, Kirchenlieder singen versteht.

Von 168 Mio. Euro (in 2007) ist der "Kirchentitel" mittlerweile auf 205 Mio. Euro (in 2009) angestiegen und bei den Hilfs- und Missionswerken hat sich das auch darin bemerkbar gemacht, dass die eigenen religiösen Anteile sinken - in den Finanzen.


Humanitäre Hilfe

Neben dem BMZ lässt sich auch das Auswärtige Amt nicht lumpen. Für "Maßnahmen und Leistungen zur Sicherung von Frieden und Stabilität einschließlich humanitärer Hilfsmaßnahmen" sind im Etat des Auswärtigen Amtes für 2009 insgesamt 418 Mio. Euro bereitgestellt. Für "humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland" sind es 102 Mio. Euro. Schaut man sich diese humanitären Hilfen einmal beispielsweise vor Ort genauer an, zeigt sich Eigentümliches.

Bei der "Nothilfe der Bundesregierung im Sudan" handelt es sich vorrangig um Hilfen für die Opfer des so genannten Darfur-Konflikts, in dem im Kampf zwischen Rebellen und Regierung mehr als 2,5 Millionen Menschen innerhalb des Sudans vertrieben wurden. Man kann diesen Konflikt auch als Bürgerkrieg zwischen dem muslimischen Norden und dem "animistisch-katholischen" Süden betrachten. Die englischen Kolonialherren hatten seinerzeit das Missionieren im muslimischen Norden untersagt, so dass die katholische Kirche die 'heidnischen' Stämme des Südens missionierte. Der Katholikenanteil beträgt heute etwa 20 Prozent.

Für die deutsche Nothilfe im Sudan sind im Jahr 2008 17,6 Mio. Euro an Hilfs-Organisationen ausbezahlt worden. Das Technische Hilfswerk (THW), die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNCHR) und andere neutrale Organisationen erhielten davon 5,8 Mio. Euro (33 %). Die anderen 11,8 Mio. Euro (67 %) gingen an christliche Organisationen. Die größten 'Brocken' (9,2 Mio.) bekamen proportional die beiden Großen (sechs Projekte der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe und des Deutschen Caritasverbands). Ebenfalls sechs Projekte wickelte aber eine einzige der kleineren Organisationen ab, namens Humedia, die dafür 1,8 Mio. Euro bekam. Was macht diese Organisation? In ihrer Selbstdarstellung heißt es dazu: "Humedia arbeitet vor Ort jeweils mit lokalen und humanitären NGO's (Nicht-Regierungsorganisationen) zusammen. Es sind oft auch einheimische Kirchen und Gemeinden, Krankenhäuser und Missionsstationen, die dafür sorgen, dass die Hilfe auch bei den Bedürftigen ankommt."

Das bezieht sich auf die Behauptung, dass die örtlichen Autoritäten westlicher Hilfe misstrauen würden und die christlichen Organisationen über ihre christlichen Kirchennetzwerke einen besseren Zugang hätten. Im Süd-Sudan gibt es jedoch kaum evangelische Kirchen oder Krankenhäuser, also bleiben nur die Missionsstationen. Humedia arbeitet unter dem Motto "Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! Jesus Christus in der Bibel (Johannes 14,1)". Christliche Hilfs- und Missionswerke als Unterstützung katholischer Strukturen im Kampf gegen eine muslimische Zentralregierung?

Aber das geht regierungsamtlich schon in Ordnung. So hat der frühere Menschenrechts- und jetzige Afrikabeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, auf dem ökumenischen Kirchentag 2010 in München religiöse Mission als ein Menschenrecht bezeichnet. "Der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 zufolge beinhaltet die Religionsfreiheit auch das Recht, über seinen Glauben zu reden und ihn zu lehren. Religion ist keine Privatangelegenheit, wie manche meinen." [4]


Staatsquoten

Betrug die "Staatsquote" bei dem Bischöflichen Hilfswerk Misereor im Jahr 2000 noch 49 % der Einnahmen (73,2 Mio. Euro), so sind es 2009 bereits 63 % der Einnahmen (101,2 Mio.). Der kirchliche Eigenanteil sank im gleichen Zeitraum von 8 % (12,1 Mio.) auf 5 % (8,8 Mio.). Bei den Finanzquellen des Evangelischen Entwicklungsdienstes verläuft der Trend parallel. Betrug die Staatsquote im Jahr 2000 noch 58,6 % (80,6 Mio. Euro), ist sie 2009 auf 67,5 % (113,5 Mio.) gestiegen und im gleichen Zeitraum verringerte sich der Anteil der Landeskirchen von 37,7 % (51,9 Mio.) auf 28 % (47,3 Mio.).

Im Bereich der Entwicklungshilfe gibt es in Deutschland rund 120 Organisationen, die sich größtenteils um die öffentlichen 'Töpfe' scharen. So schreibt die Christoffel-Blindenmission im Jahresbericht 2009: "Bei den Erträgen aus öffentlichen Mitteln (EU/BMZ) konnte die geplante Steigerung auch im Jahr 2009 fortgesetzt werden. Die personellen Investitionen der Vergangenheit in diesem Bereich beginnen sich positiv auszuwirken."

Der "Ertrag" des Projekt-Lobbyismus (2.959.327,58 Euro) kam vom BMZ und der EU, im Jahresbericht unter "Erträge aus Kofinanzierung" genannt. Dabei bräuchte es diese missionierenden Organisationen gar nicht, da es mit der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, den Ärzten ohne Grenzen, der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, dem Technischen Hilfswerk u. v. a. m. eine hinreichende Anzahl tatsächlich humanitär tätiger Organisationen gibt.


Carsten Frerk ist Chefredakteur des Humanistischen Pressedienstes. In seinem in Kürze erscheinenden Violettbuch Kirchenfinanzen setzt er sich mit den vielfältigen Vorgehensweisen auseinander, wie der Staat die Kirchen finanziert.


Anmerkungen:

[1] http://www.ekd.de/statistik/entwicklungshilfe.html
[2] http://www.diakonie-katastrophenhilfe.de/ueber-uns/174_222_DEU_HTML.php
[3] http://www.bmz.de/de/was_wir_machen/wege/bilaterale_ez/akteure_ez/polstiftungen/index.html
[4] http://www.oekt.de/service/presse/presseservice/nachrichten.html


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Quelle:
MIZ - Materialien und Informationen zur Zeit
Nr. 3/10, S. 17-20 , 39. Jahrgang
Herausgeber: Internationaler Bund der Konfessionslosen
und Atheisten (IBKA e.V.), Postfach 1745, 58017 Hagen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2010