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SCHLUCKAUF/0107: Hüter der Demokratie - Nachtisch & Satire (SB)


Hüter der Demokratie



Im kürzlich wegen einer Gebührenauskunft in die Schlagzeilen geratenen Schweriner Amt für Landwirtschaft und Umwelt (ein Rentner wollte gegen den Bau eines Legehennenstalls Nachbarwiderspruch einlegen) soll auf einer behördeninternen Versammlung von einem Rostocker Verwaltungspolitiker die folgende Rede gehalten worden sein. Allerdings behaupten die Behördenangestellten unisono, eine solche Rede nie gehört zu haben:

Sehr verehrte Damen und Herren!

Ein kluger deutscher Beamter, seinen Namen behalte ich lieber für mich, hat einmal gesagt, daß Demokratie nur funktioniert, solange es gelingt, den unliebsamen Einfluß unkooperativer Bürger durch diskret errichtete administrative Barrieren so weit einzuschränken, daß die Eliten ungestört ihren Führungsaufgaben nachgehen können.

Dies zu ermöglichen, meine Damen und Herren, ist von jeher Sache des behördlichen Verwaltungsapparats, also deshalb auch immer Ihre Sache gewesen. Und gerade jetzt ist es meiner Meinung nach an der Zeit, einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Hut ab! Sie leisten hervorragende Arbeit!

Gebühren in Höhe von bis zu 8.625 Euro im Falle eines abgelehnten Nachbarwiderspruchs? Bravo! Ein kühner Vorstoß, an dem sich viele allzu zaghaft vorgehende Kollegen in anderen Bundesländern ein Beispiel nehmen können. Die Kosten für die Herstellung der Unterschriftenformulare für ein Volksbegehren hat der Initiator zu tragen? Recht so! Wer begehrt, soll erstmal zahlen. Auch die Vorgehensweise in Bayern, nach der behördlichen Anmeldung einer Demonstration einen KOSTENPFLICHTIGEN Demonstrationsbescheid zu verschicken, ist lobens- und nachahmenswert. Nur weiter so!

Solche administrativen Regularien, mittels derer Sie, jawohl Sie, meine Damen und Herren, unsere Demokratie vor Bürgerunvernunft und Bürgeregoismus schützen, müssen dringend verbreitet werden. Ihre Initiative und Ihr Einfallsreichtum sind gefragt! Zwar arbeiten wir bereits daran, sämtliche Kosten für die Polizeieinsätze bei Demonstrationen vollständig den Initiatoren zuzulasten, zuzüglich des Verdienstausfall der an der Demonstrationsstrecke liegenden Geschäfte, aber das reicht bei weitem nicht aus.

Meine Damen und Herren, Sie sind die Zerberusse unserer demokratischen Rechtsordnung. Fürchten Sie den Nörgelbürger nicht! Sorgen Sie dafür, daß er sich totläuft in den langen Fluren Ihrer Behördengebäude und Anordnungen. Lassen Sie ihn in endlosen Telefon-Warteschleifen verdorren. Hungern Sie ihn aus im Labyrinth Ihrer ausgeklügelten Behördensoftware.

Hat der Nörgelbürger dann endlich einen Termin bei Ihnen bekommen und hockt stundenlang in dem speziell zu diesem Zweck konstruierten, schallisolierten Warteraum, der ihm zwingend vermittelt, mit seinem Anliegen vollkommen allein dazustehen, dann wird er Ihnen schließlich dankbar sein, daß Sie ihm gestatten, sich gegen eine vergleichsweise geringe Gebühr für seine demokratiefeindliche Widerborstigkeit zu entschuldigen. So, meine Damen und Herren, muß es sein, wenn Demokratie funktionieren soll. Wir wissen das, und glauben Sie mir, der vernünftige Bürger weiß das auch!

22. Juni 2012