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TOURTIP/978: Der Chiemsee in Bayern - das Bayerische Meer (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2011

Der Chiemsee in Bayern - das Bayerische Meer

Von Christian Wagner, Christopher König, Christoph Moning und Felix Weiß


Der Chiemsee, auch "Bayerisches Meer" genannt, ist der größte See Bayerns und nach dem Bodensee und der Müritz der flächenmäßig drittgrößte See in Deutschland. Zusammen mit den Mooren des Umlands und den nahen Bergen gehört der Chiemsee zu den artenreichsten Gebieten in Bayern und Deutschland. Bisher wurden über 300 Vogelarten registriert, gut 125 davon brüten im Gebiet. Im Winter rasten in diesem Ramsar-Gebiet regelmäßig 20000 bis 30000 Wasservögel.



Landschaftsgeschichte und Lebensräume

Der Chiemsee ist ein Kind der letzten Eiszeit. Damals reichte der Chiemseegletscher weit in das Alpenvorland hinaus. Er schürfte das mehrere Hundert Quadratkilometer große und bis zu 250 Meter tiefe Becken des Ur-Chiemsees aus. Nach dem Rückzug des Eises vor etwa 10000 Jahren füllte sich das Becken allmählich mit dem Wasser der weiter abschmelzenden Gletscher. Seitdem wird das "Bayerische Meer" von Jahr zu Jahr kleiner. Aktuell verliert der Chiemsee jährlich rund 1,3 Hektar Seefläche. Hauptverursacher sind die gewaltigen Schwebstoff- und Geschiebefrachten der Hauptzuflüsse, vor allem der Tiroler Achen, die jährlich 200000 m3 Feststoffe in den Chiemsee eintragen. Besonders im Mündungsbereich der Tiroler Achen ist ein Delta mit weit verzweigten Rinnen und Sand- oder Kiesbänken entstanden. Der natürliche Verlandungsprozess wurde vor etwa hundert Jahren durch Absenkung des Wasserspiegels um knapp einen Meter zur Landgewinnung beschleunigt. So liegt das ursprünglich am Seeufer gelegene Grabenstätt heute etwa zwei Kilometer vom nächstgelegenen Seeufer, der Hirschauer Bucht, entfernt. Geographen gehen davon aus, dass der Chiemsee in 8000 bis 10000 Jahren vollständig verschwunden sein wird.

Am Chiemsee finden sich in Abhängigkeit von Wassertiefe und Grundwasserpegel viele wertvolle Vegetationszonen. Ausgedehnte Niedermoorwiesen, sogenannte Streuwiesen, bedecken das Grabenstätter Moos. Der Name Moos bezeichnet ein Niedermoor. Ursprünglich wuchs hier Moorwald. Torfmoosreiche und ursprünglich waldfreie Hochmoore heißen im Bayerischen Filz - wie beispielsweise die nahe gelegenen Kendlmühlfilze. Am Aufbau der Pflanzengesellschaften in den Streuwiesen sind neben den Blütenpflanzen vor allem grobe und eiweißarme Gräser - insbesondere Sauergräser und Schilf, beteiligt, die sich kaum als Viehfutter eignen. Das Mähgut wurde früher getrocknet und zur Stalleinstreu verwendet, daher der Name "Streuwiese". Streuwiesen werden nicht gedüngt und nur einmal jährlich gemäht. Sie sind daher sehr artenreich.

Naturnahe Auwälder sind, wie überall in Mitteleuropa, auch am Chiemsee selten. Sie sind vor allem im Achendelta ausgebildet. Dort geht die überwiegend aus Silberweiden bestehende Weichholzaue in die äußerste Uferzone über. Diese ist je nach Wasserstand und Wasserverfügbarkeit unterschiedlich ausgeprägt. In den flach überschwemmten, gelegentlich trocken fallenden Uferbereichen herrschen Großseggenrieder vor. Die zunächst rasenartig wachsenden Pflanzenbestände werden zum Wasser hin lückig und bilden markante Bulten. Attraktiv blühende Pflanzenarten wie Blutweiderich und die Sumpf-Schwertlilie wachsen dazwischen. Im Übergang zwischen Wasser und Land bestimmen Röhrichtgürtel die Uferregion. Schilf bildet hier ausgedehnte Reinbestände. Die von Natur aus artenarme Schilf-Avifauna ist am Chiemsee nahezu vollständig ausgeprägt. Auch Jungfische wachsen im Schutz des Röhrichts heran. Eine Schwimmblattzone mit Weißer Seerose und Gelber Teichrose findet man im Irschener Winkel. Schwimmpflanzen benötigen Wassertiefen von einem bis vier Meter und geringe Wasserbewegungen. Im tieferen Wasser finden Laichkräuter optimale Bedingungen. Die Blätter sind von zahlreichen Schnecken und Insektenlarven bevölkert und auch einige Fischarten legen hier ihren Laich ab. Die unterste Vegetationszone, die bis in zehn Meter Tiefe reicht, wird von Armleuchteralgen dominiert. Diese urtümlichen Pflanzen kamen schon im Erdaltertum vor. Sie überziehen den Seeboden als moosartigen Teppich und bilden unterseeische Wiesen. Armleuchteralgen sind in der Regel auf sauberes Wasser angewiesen.



Besondere Vogelarten und Reisezeit

Die vier häufigsten Vogelarten im Winterhalbjahr sind Stock-, Tafel- und Reiherente sowie das Blässhuhn. Auch Schellenten, die in der Chiemseeregion ihr wohl bedeutendstes Brutvorkommen in Bayern haben, sind im Winterhalbjahr in großer Zahl präsent. Singschwäne findet man vor allem in der Hirschauer Bucht, allerdings nicht jedes Jahr. Samt- und Eiderenten, Rothalstaucher sowie Stern- und Prachttaucher halten sich jährlich auf dem offenen Wasser auf, wenn auch der Chiemsee gegenüber den anderen beiden großen bayerischen Voralpenseen Starnberger- und Ammersee weniger verlässliche Beobachtungsmöglichkeiten bietet. Schwarzhals- und selten auch Ohrentaucher findet man bevorzugt in Ufernähe. Silberreiher sind ganzjährig anwesend. Oft überwintern bis zu einhundert Große Brachvögel. Bergpieper sind im Winter meistens entlang der Ufer anzutreffen.

Kolbenenten brüten vereinzelt im Gebiet und sind das ganze Jahr zu beobachten. Auch Wasserrallen können ganzjährig an den Schilfrändern beobachtet werden. Schwarzstörche brüten in wenigen Paaren im Umland des Chiemsees und werden manchmal auch aus den Mooren gemeldet. Im Aachendelta haben Kormorane und Lachmöwen ihre Brutkolonien. Mittelmeermöwen brüten in wenigen Paaren im Delta. Wasseramseln findet man vor allem an der Prien, am Überseer Bach und an anderen kleineren Zuflüssen. Rohrweihen, Blaukehlchen, Schilfrohrsänger, Rohrschwirle und Drosselrohrsänger besiedeln die naturnahen Uferbereiche, können aber auch im Grabenstätter Moos beobachtet werden, das ein guter Platz ist, um Karmingimpel zu entdecken.

Insgesamt 35 Limikolenarten wurden bisher nachgewiesen. Schwarzkopfmöwen finden sich am ehesten im April/Mai am See ein. Unter die gelegentlich mehr als 200 Mittelmeermöwen mischen sich regelmäßig auch Großmöwen anderer Arten. So ist beispielsweise die Steppenmöwe ein regelmäßiger Wintergast. Bis zu 200 Zwergmöwen können im April/Mai und in geringerer Zahl das ganze Jahr über beobachtet werden. Auch die Sumpfseeschwalben, darunter v.Trauerseeschwalben, erreichen ihr Maximum im Mai. Bevorzugte Orte dieser Arten sind Seebruck, die Schafwaschener und die Hirschauer Bucht. Regelmäßig können auch Exoten wie Schwarzkopf-Ruderenten, Moorenten (wohl meist Gefangenschaftsflüchtlinge), Chileflamingos und Heilige Ibisse beobachtet werden.



Beobachtungsmöglichkeiten

Ein Besuch der Buchten westlich und östlich des Achendeltas, also des Lachsgangs und der Hirschauer Bucht, ist zu jeder Jahreszeit ein Muss. Wenn man wenig Zeit hat, sollte man sich auf diesen Seeteil beschränken. Die Umfahrung des Sees lohnt sich vor allem im Winter. Im Winterhalbjahr ist die Parkplatzsituation entspannt, im Sommerhalbjahr wird man nicht umhin kommen, gebührenpflichtige Parkplätze und kleinere Fußmärsche in Kauf zu nehmen. Alle Beobachtungspunkte genau zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Weiterreichende Informationen sind auf der Internetseite von "Naturerlebnis Chiemsee" zusammengetragen.

Seebruck und Chieming sind im Winter ein guter Startpunkt. In Seebruck kann man vom Strandbad direkt westlich der Alzmündung und von einem Beobachtungsturm cirka 300estlich des Strandbads beobachten. Der Beobachtungsturm ist ab Mitte Mai eine gute Stelle für Zwergdommeln. In den meisten Beobachtungstürmen um den Chiemsee herum sind recht gute Spektive fest installiert. Am Nordrand von Chieming, an der Straße nach Stöttham, parkt man beim Müttergenesungsheim und kann von einer Plattform auf den Chiemsee und eine lange Steinbuhne blicken. Hier sollte man auf Seetaucher und Meeresenten, aber auch auf Reiher, Großmöwen und Kormorane achten. Seebruck ist im Mai zusätzlich eine gute Stelle für Sumpfseeschwalben.

Die Hirschauer Bucht mit Blick auf die Ostseite des Achendeltas ist die vielleicht beste Beobachtungsstelle am See. Die Abfahrt von der Staatsstraße 2096 Chieming - Grabenstätt ist mit "Gaststätte Hirschauer Bucht" ausgeschildert. Man fährt den Schotterweg bis zur Gaststätte und geht wenige Meter bis zum Beobachtungsturm. Im Sommer ist die Bucht der größte Enten-Mauserplatz am gesamten See. Schwarzhalstaucher können das ganze Jahr über beobachtet werden. Im Frühjahr sollte man hier auch die Wanderstiefel schnüren und den Weg entlang des Kanals 400 m östlich der Gaststätte in das Grabenstätter Moos gehen. Er führt 900 m nach Süden und dann 700 m nach Osten bis zur alten Kläranlage von Grabenstätt. Wachtelkönige, Schilfrohrsänger, Rohr- und Feldschwirle, Blaukehlchen, Schwarz- und Braunkehlchen sowie Karmingimpel brüten entlang des Wegs. Der Durchzug von Baum- und Rotfußfalken im Mai ist hier und am Lachsgang am auffälligsten.

Der Beobachtungsturm Lachsgang ist kaum weniger interessant als die Hirschauer Bucht. Man sieht hier von Westen auf die Achenmündung. Der kürzeste Zugang erfolgt über Heinrichswinkel. Das Auto stellt man am Wegrand ab und geht die 1,2 km am alten Lachsganghof vorbei zum ausgeschilderten Beobachtungsturm. Hier können bis zu 100 Große Brachvögel und während der Zugzeiten zahlreiche Limikolenarten beobachtet werden. In den Wiesen rasten Baumfalken, Schafstelzen, Braunkehlchen und Steinschmätzer.

Die Feldwieser Bucht, ein Winterbeobachtungspunkt, kann man zum Beispiel vom Parkplatz der Seewirtschaft überblicken. An der Autobahnraststätte Chiemsee werden Möwen und Enten gefüttert. Sie lassen sich hervorragend beobachten und fotografieren. Der Rastplatz ist nur in Richtung München erreichbar. Im Irschener Winkel brüten Zwerg-, Hauben- und Schwarzhalstaucher, sowie Mittelmeermöwen (meist erfolglos), verschiedene Entenarten, Wasserrallen, Schwarzkehlchen und Blaukehlchen. Zu den Zugzeiten suchen Sumpfseeschwalben die Wasseroberflächen nach Nahrung ab. Die Zufahrt erfolgt über die Autobahn-Ausfahrt Felden, Richtung Medical Park, wo man parkt und in 200 m zwischen Klinik und Strandbad hindurch den Beobachtungsturm erreicht. An der Mündung der Prien in die Schafwaschener Bucht, am Ende der Strandanlage Rimsting-Westernach, steht eine weitere Beobachtungshütte. Sie ist außer an guten Badetagen ganzjährig interessant. Der Hafen Gstadt ist vor allem in Eiswintern einen Besuch wert, wenn nur noch die Fahrrinnen der Passagierschiffe eisfrei sind. Vom Beobachtungsturm Ganszipfel eröffnet sich der schönste Ausblick auf die Frauen-, Kraut- und Herreninsel sowie die Bergketten im Hintergrund.



Weitere Freizeitmöglichkeiten

Der Chiemgau ist eines der beliebtesten Erholungsgebiete Bayerns. Auf der Fraueninsel befindet sich ein Nonnenkloster, auf der Herreninsel zwei Schlösser, wovon eines von König Ludwig II. begonnen und nie vollendet worden ist. Zum 125sten Todestag von König Ludwig II. bilden die unausgebauten Zimmerfluchten im Nordflügel die Bühne zu der spektakulären Landesausstellung "Götterdämmerung. König Ludwig II. und seine Zeit". Die Landesausstellung will die Geschichte des Märchenkönigs auf dem Rundgang durch das Schloss "nach dem Muster der klassischen Tragödie" erzählen: Prolog, Vorspiel, drei Hauptakte und der abschließende Epilog zeigen Ludwigs Aufstieg zum König, sein Wirken als Monarch und schließlich seinen Untergang. Die Landesausstellung öffnet am 16. Mai ihre Pforten und kann bis zum 16. Oktober 2011 besucht werden.

Außer im Winter lohnt ein Besuch der Kendlmühlfilze, einem intakten Hochmoor, das in großen Bereichen wiedervernässt wurde. Hier findet erneut eine Moorentwicklung statt. Es existiert ein Beobachtungsturm. Wespenbussarde, Baumfalken, Schwarzkehlchen sowie Baum- und Wiesenpieper kann man mit etwas Glück beobachten. Für ambitionierte Bergwanderer hält das Chiemgau eine Vielzahl an ornithologisch interessanten Bergwäldern und Gipfeln bereit. Wer es ruhig angehen lassen möchte, kann sich von der Kampenwandseilbahn auf 1467 m hochfahren lassen. Von dort ist es nur eine kleine Wanderung über einen zum Schluss gesicherten Steig auf die Kampenwand. Ein Erlebnis, das man sich an einem schönen Tag nicht entgehen lassen sollte.


Anfahrt

Mit Bahn und Bus:
Bahnhöfe um den Chiemsee befinden sich in Prien, Bernau und Übersee. Die Orte rund um den Chiemsee sind gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Es gibt im Sommerhalbjahr zusätzlich zum regulären öffentlichen Nahverkehr die Chiemsee-Ringlinie, eine Rad- und Wanderbuslinie, die alle Chiemseeanrainer miteinander verbindet. Die Schiffe der Chiemsee-Schifffahrt fahren die Chiemseeinseln und einige Orte am Ufer im Kursbetrieb an. Das Fahrrad ist eine sehr gute Alternative zum Auto. Der Chiemsee Uferweg ist 57 km lang und durchgehend gekennzeichnet. Er verbindet alle Exkursionsziele. Dank der zahlreichen Unterkunftsmöglichkeiten entlang des Wegs kann man sich mehrere Tage Zeit lassen. Für die Ostseite des Deltas (Hirschauer Bucht) und das Grabenstätter Moos ist besonders das Hotel "Chiemsee- Fischer" in Grabenstätt zu empfehlen.

Mit dem Auto:
Die A8 (München-Salzburg) führt direkt südlich am Gebiet vorbei. Je nach Exkursionsziel verlässt man die Autobahn in Prien, Übersee oder Grabenstätt.



Adressen

Kampenwandseilbahn GmbH, An der Bergbahn 8, 83229 Aschau im Chiemgau, Tel.: 08052/4411, www.kampenwandbahn.de. Die erste Bergfahrt findet im Normalfall um 9.00 Uhr statt. Betriebszeiten zur Sicherheit auf der Internetseite nachschauen oder per Telefon erfragen.

Chiemsee Schifffahrt, Seestraße 108, 83209 Prien am Chiemsee, Tel.: 08051/6090, Mail: info@chiemsee-schifffahrt.de, www.chiemsee-schifffahrt.com.

Weitere Informationen zur Landesaustellung: Haus der Bayerischen Geschichte, Postfach 101751, 86007 Augsburg, Tel.: 0821/32950, E-Mail: poststelle@hdbg.bayern.de, www.hdbg.de/ludwig.



Infomaterial/Literatur

Moning C, Wagner C 2005: Vögel beob­achten in Süddeutschland. Kosmos, Stuttgart.

Lohmann M 2006: Chiemsee-Naturführer. Pflanzen - Tiere - Lebensräume - Wandervorschläge - Naturschutz. Columba, Übersee.

UK L7 Chiemsee, Chiemgauer Alpen: Bayerisches Landesvermessungsamt.

ADAC Freizeitkarte, Blatt 29: Chiemsee, Berchtesgadener Land, Chiemgauer Alpen.

www.naturerlebnis-chiemsee.de/nec: ausführliche Informationen zu den Exkursionszielen, zur Landschaftsgeschichte und zu den vorkommenden Vogelarten. Alle Beobachtungseinrichtungen werden auf einer eigenen Seite vorgestellt und können jeweils als Faltblatt ausgedruckt werden. Naturerlebnis Chiemsee bietet auch ornithologische und naturkundliche Führungen an.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2011
58. Jahrgang, April 2011, S. 125-128
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2011