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TOURTIP/946: Storchendorf und Teichland Linum in Brandenburg (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2009

Storchendorf und Teichland Linum in Brandenburg
Artenvielfalt und Kranichrast im Oberen Rhinluch

Von Thomas Brandt, Christoph Moning und Christian Wagner


Das Rhinluch bildet den Nordteil des Havellands, einer ausgedehnten, in der letzten Eiszeit geformten Niederungslandschaft 45 km nordwestlich von Berlin. Wenig geläufig ist der Name Luch, der im Duden als Sumpf definiert wird und aus dem Urslawisch-Polabischen kommt (lucá = offenes Feuchtland). Die nach dem Rückzug der Eismassen entstandenen Seen verlandeten, es bildeten sich Sümpfe und Moore. Der Rhin durchfließt die Niederung und leiht dem Rhinluch seinen Namen. Im Gegensatz zum geheimnisvollen Namen, wissen viele Vogelbeobachter um die Schönheit, die Erlebnisqualität und um die vogelkundliche Besonderheit der weiten Landschaft. Nicht zuletzt beherbergt das Europäische Vogelschutzgebiet einen der größten Kranichrastplätze Mitteleuropas.


Lebensräume

Das Obere Rhinluch, in dem Linum und das Teichland liegen, war bis weit in das 18. Jahrhundert nicht erschlossen. Es dominierten Erlenbrüche, Weidengebüsche, Seggenrieder, Röhrichte und andere Verlandungsgesellschaften. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts nahm die Heu- und Streuwiesennutzung zu, es entstanden Pfeifengraswiesen und erste Weiden. Eine intensive Kultivierung der Niedermoorsenke begann mit dem Bau des Ruppiner Kanals 1786 bis 1788. Die inneren Bereiche des Luchs konnten damit abgetorft werden, was in den darauffolgenden hundert Jahren auf zirka 70 Prozent der Fläche auch geschah. 1880 war das Luch weitgehend abgetorft und versumpfte wieder. Es entstanden sekundäre Röhrichte und Seggenrieder und Teile des Luchs verbuschten. Anfang des 20. Jahrhunderts bildeten sich aus Torfbrachen auch die ersten 12 der heute 36 Teiche des Teichlands Linum. Die aktuellen 240 ha werden zur Karpfenzucht genutzt.

Die Teiche präsentieren sich heute mit einer reichen Verlandungsvegetation, die vor allem aus Schilf und Rohrkolben besteht und Lebensraum einer ausgeprägten Schilfbrütergemeinschaft ist. Erst ab 1925 etablierten sich dauerhafte Siedlungen, die Luchdörfer, im Moor. Bis 1990 wurde die Nutzung durch Entwässerung, hohe Düngergaben und die Anlage von Saatgrasland für eine intensive Tierhaltung mit großen Tierproduktionsanlangen verstärkt. Mit der Wende verringerte sich die Nutzungsintensität. Die heutige Vegetation ist durch extensives Grünland, Brachen und junge Nasswiesen geprägt. Im weiteren Umland, vor allem südlich der A24, ist Maisanbau weit verbreitet. Im Herbst liegen hier die Hauptnahrungsflächen für die Kraniche.


Besondere Vogelarten

Das Teichland wird von zahlreichen Vogelarten als Brutgebiet genutzt. Knäk-, Schnatter- und Kolbenenten brüten auf den Teichen, Schellenten bevorzugen die angebotenen Nistkästen und brüten selbst in den Höhlungen der Linden entlang der Dorfstraße. Rothalstaucher, Rohr- und Zwergdommeln, Rohrweihen, Bartmeisen, Rohrschwirle, Schilf- und Drosselrohrsänger nutzen die ausgedehnten Schilffelder zur Nestanlage und zur Jungenaufzucht. Die Gebüsche und Baumgruppen des Teichlands bieten Beutelmeisen, Neuntötern, Feldschwirlen, Sperbergrasmücken und Nachtigallen Lebensraum. Auch Eisvögel und Schlagschwirle lassen sich zur Brutzeit beobachten. Weißstörche kommen in Zahlen mit überregionaler Bedeutung in Linum vor, das sich deswegen auch als "Storchendorf Linum" bezeichnet. Jährlich finden ca. 10 bis 15 Paare in den Ort, um hier auf einer Dorflinde, auf aufgestellten Nistmasten, Schornsteinen oder auch auf der Dorfkirche ihre Jungen großzuziehen. Die Störche profitieren von den ausgedehnten, nahrungsreichen Wiesen im Rhinluch. Viele Greifvogelarten sind im Gebiet vertreten. So wird man im Laufe eines Tages Fischadler, Rot- und Schwarzmilane, Seeadler sowie Baumfalken bei der Jagd beobachten können. Etwas abseits - beispielsweise an der Straße Linum-Kremmen oder von Linum nach Kuhhorst und der Straße von Betzin nach Jahnberge - hat man auch gute Chancen Ortolane zu sehen.

Das Rhinluch hat sich in den letzten Jahren zum zeitweise bedeutendsten Kranichrastplatz in Mitteleuropa entwickelt und im Jahr 2008 hinsichtlich der Rastzahlen erstmals auch die Rügen-Bock-Region überholt. Am 14. Oktober 2008 wurden unglaubliche 80.500 Kraniche (bzw. 86.600 im gesamten Rastgebiet Rhin-Havelluch) gezählt. Wöchentlich aktualisierte Zahlen lassen sich auf der Internetseite des Landschaftsfördervereins Oberes Rhinluch e. V. nachlesen (siehe S. 368). Die Gründe für die hohe Anzahl von Kranichen sind vielfältig. Beispielsweise liegt das Linumer Teichgebiet zentral auf der westeuropäischen Zugroute der Kraniche. Auf dieser Zugroute ziehen die skandinavischen, baltischen, polnischen und westrussischen Brutvögel in die spanische Extremadura. Die Kraniche finden auf den Teichen und überstauten Wiesen, die extra so reguliert werden, dass die Vögel im flachen Wasser stehen können, optimale, ruhige und feindgeschützte Übernachtungsflächen. Weiterhin profitieren die Kraniche von den abgeernteten Maisfeldern der Region, wo sie Ernterückstände fressen können. Nicht zuletzt scheint das gute Kranichmanagement zu greifen. Auch für Besucher wurde Einiges getan; die Infrastruktur der Beobachtungseinrichtungen ist hervorragend. Bei dem Kranichspektakel vergisst man fast, dass alljährlich noch bis zu 70.000 nordische Bläss- und Saatgänse sowie viele verschiedene Entenarten hier rasten und im Teichgebiet in manchen Jahren auch gute Nahrungsflächen für Limikolen vorhanden sind.


Typische Vogelarten in Linum, deren Status und günstige Beobachtungszeit (in Klammern)

h = häufiger, r = regelmäßiger, s seltener
J = Jahresvogel, B = Brutvogel, W= Wintergast, D = Durchzügler, N = Nahrungsgast

Art
Status (beste Beobachtungszeit)
Singschwan
Zwergschwan
Saat- und Blässgans
Kräkente
Kolbenente
Schellente
Rothalstaucher
Rohrdommel
Zwergdommel
Silberreiher
Weißstorch
Fischadler
Rohrweihe
Rotmilan
Schwarzmilan
Seeadler
Kranich
Kiebitz
Bekassine
Kampfläufer
Bruchwasserläufer
Goldregenpfeifer
Flussseeschwalbe
Schleiereule
Eisvogel
Neuntöter
Beutelmeise
Bartmeise
Schlagschwirl
Rohrschwirl
Schilfrohrsänger
Drosselrohrsänger
Sperbergrasmücke
Nachtigal
Ortolan
rD (Okt.- März)
sD (Febr.)
hD, hW (Sep.- April)
sB, rD (Mitte März - Aug.)
sB, rD (Mitte April - Mitte Sept.)
sB, rD (März - Okt.)
sB (April - Aug.)
sB (ganzjährig)
sB (Mitte Mai - Aug.)
rJ (ganzjährig)
hB (April - Aug.(Sept.))
sB, rD (April - Sept,)
rB, rD (April - Sept,)
rB (März - Okt.)
rB (April - Aug.)
sB, rW (ganzjährig)
sB, hD, sW (ganzjährig)
rB, hD (Feb.- Nov.)
sB, rD (März - Okt.)
rD (April - Mai, Okt.)
rD (Mai, Aug.- Sept.)
rD (März, Okt.- Nov.)
rB (Mai - Juli)
rB (ganzjährig)
sB (ganzjährig)
hB (Mai - Aug.)
hB (April - Aug.)
rB (ganzjährig)
rB (Mai - Juli)
hB (Mitte April - Aug.)
rB (April - Aug.)
hB (April - Aug.)
rB (Mitte Mai - Aug.)
hB (April - Aug.)
rB (Mai - Aug.)

Reisezeit

Herausragende Anziehungspunkte für Vogelbeobachter sind die Störche im Ort, die Schilfbrüter im Teichland, die Wasservogel- und Limikolenrast auf den abgelassenen Teichen und natürlich der spektakuläre Kranichdurchzug im Spätherbst. So ist das Gebiet bis auf den Winter immer eine Reise wert. Die Schilfbrütergemeinschaft ist mit der spät ankommenden Zwergdommel ab Mitte bis Ende Mai komplett. Somit ist dies ein sehr guter Zeitpunkt für einen Besuch der Teiche. Dann brüten und füttern auch Weißstörche im Ort. Flussseeschwalben streiten sich um die Plätze auf den Brutflößen und Rotbauchunken rufen aus den Tümpeln. Ab Ende Juni beginnt der Limikolenrückzug aus den nordischen Brutgebieten und es sammeln sich im Verlauf des Spätsommers viele Enten und Gänse auf den Teichen, welche je nach aktuellem Wasserstand ganz unterschiedlich interessant sein können. Die meisten Besucher werden allerdings von der überaus spektakulären Kranichrast angezogen. Dieses Erlebnis ist besonders gut von Anfang Oktober bis Mitte November - am Besten bei einer der angebotenen Führungen - zu erleben. Danach wird es ruhiger, wobei Kraniche und nordische Gänse bis zum Zufrieren der Teiche im Gebiet bleiben.


Beobachtungsmöglichkeiten

Das Linumer Teichland ist nur in einem Teilbereich für die Öffentlichkeit zugänglich. Allerdings existieren vier lohnende Beobachtungstürme und zwei Beobachtungshütten, von denen man einen sehr guten Überblick über die Teiche erhält. Von Berlin kommend, die A24 bei der Ausfahrt Kremmen verlassend, findet man 900 m nach dem Ortseingangsschild auf der rechten Seite das NABU-Naturschutzzentrum Storchenschmiede Linum (1). Nach weiteren 500 m, weist ein Schild "Teichland" den Weg nach rechts zu den Teichen. Diese "Zu den Teichen" genannte Straße kann man 900 m bis zu einem Parkplatz (2) befahren. Der weitere Weg über den sogenannten "Schwarzen Damm" führt geradeaus mitten ins Gebiet und an einer von zwei Beobachtungshütten (3, 4) vorbei zu einem ersten Beobachtungsturm (5), von dem aus die Flussseeschwalbenkolonie einsehbar ist. Letztendlich gelangt man zum äußersten Aussichtsturm (6), von dem sich das Kranichspektakel sehr schön beobachten lässt, auch wenn die Schlafplätze nicht eingesehen werden können. Die Umrundung der kleinen Teiche bei (7) führt zu weiteren lohnenden Einblicken. Zwergdommel, Beutelmeise, Bartmeise, Drosselrohrsänger und Kolbenente sind hier zu beobachten. Von dem Beobachtungsturm bei (8) hat man am Mittag jedoch Gegenlicht. Ein Muss ist der Besuch des Beobachtungsturms bei (9) wenig südlich des Parkplatzes. Die beiden Teiche östlich davon sind Brutplatz von Zwergdommel, Rothalstaucher und Kranich. Auch der Schlagschwirl singt in der Umgebung. Rotbauchunke und Biber runden das Artenspektrum ab.

Die Arbeitsgemeinschaft Kranichschutz, die sich aus dem NABU, dem Landesumweltamt Brandenburg und dem Landschaftsförderverein "Oberes Rhinluch" zusammensetzt, plant im Rahmen der Besucherlenkung weitere Beobachtungstürme an sehr interessanten Stellen nordöstlich von Linum. Außerdem sollen weitere Ablenkfütterungen mit Beobachtungseinrichtungen etabliert werden. Die Storchenschmiede gibt Auskunft über den Planungsstand der Maßnahmen und bietet Führungen zu den Störchen und Kranichen an.


Weitere Beobachtungs- und Freizeitmöglichkeiten

Linumhorst liegt inmitten extensiv genutzter Wiesen und Weiden des Rhinluchs östlich des Teichlands. Viele Wege in diesem Bereich sind gesperrt, die öffentlich befahrbaren allerdings lohnen sich fast ganzjährig zur Beobachtung von Kranichen. Im Winterhalbjahr lassen sich auf den Wiesen auch nordische Gänse und im Frühjahr Limikolen beobachten.

An der Straße Linum-Kuhhorst wird eine Ablenkfütterung für Kraniche mit Sichtschutz und Parkplatz betrieben.

Der Kremmener See und der Kremmener Rhin bilden den naturnahen Rest in einer ehemals weiträumigen Niedermoorlandschaft. Der See ist nur mit dem Boot adäquat zugänglich. Informationen gibt ein Faltblatt Wasserwandern, das bei der Gemeinde Fehrbellin erhältlich ist. Ein Bootsverleih bietet beispielsweise die Seelodge Kremmen an (7,50 Euro/Stunde, Stand 2007).



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Anfahrt

Mit Bahn und Bus:
Linum liegt nur 45 km nordwestlich des Zentrums von Berlin. Trotzdem benötigt man im Normalfall zweieinhalb bis drei Stunden für die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Der nächste Bahnhof liegt in Kremmen, 12 km von Linum entfernt. Von dort mit Bus nach Linum (nur wochentags).

Mit dem Auto:
Man verlässt die A24 Berlin-Hamburg von Berlin kommend an der ersten Abfahrt nach dem Dreieck Havelland - der Anschlussstelle "Kremmen" - und folgt der B273 zuerst Richtung Norden, um dann über Flatow nach ungefähr 11 km Linum zu erreichen. Von Hamburg kommend nimmt man die Ausfahrt "Fehrbellin" und erreicht Linum über Tarmow und Hakenberg.

Adressen

Storchenschmiede Linum: NABU-Naturschutzzentrum, Information, Öffentlichkeitsarbeit und ein umfangreiches Angebot an Veranstaltungen. Die Storchenschmiede ist Mitglied der AG Kranichschutz und sorgt in diesem Rahmen mit für die Besucherlenkung vor allem im Herbst während der Kranichrast. Außerdem ist das Naturschutzzentrum an Naturschutzprojekten in Linum und dem Linumer Teichland beteiligt.

Adresse: Storchenschmiede, Nauener Straße 54, 16833 Linum, Tel.: 033922-50500, storchenschmiede@nabu-berlin.de, www.nabu-berlin.de.
Öffnungszeiten sind von Ende März bis zum Ende der Kranichrast im November Dienstag bis Freitag von 10.00 bis 16.00 Uhr und Samstag, Sonn- & Feiertag von 10.00 bis 18.00 Uhr sowie nach Vereinbarung.

Landschaftsförderverein Oberes Rhinluch e. V.: Ziel des Vereins ist, Natur und Landschaft im Oberen Rhinluch zu erhalten oder zu entwickeln. Vorträge, Exkursionen, Ausstellungen, Arbeitseinsätze, Kranichzählungen.
Adresse: Nauener Str. 68, 16833 Linum, Tel.: 033055-22099, vorstand@oberes-rhinluch.de, www.oberes-rhinluch.de.


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Infomaterial/Literatur:

Fischer, S. (2002): Vogelkundlicher Jahresbericht für das Linumer Teichgebiet und Umgebung 2001. NABU Berlin, Berlin und Linum.

Wagner, C. & C. Moning (2009): Vögel beobachten in Ostdeutschland - Die besten Beobachtungsgebiete zwischen Rügen und dem Thüringer Wald. Kosmos, Stuttgart.

Wir danken Henrik Watzke herzlich für die Durchsicht des Textes.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Blick von einem Beobachtungsturm auf einen Teich mit Rothalstaucherbrutplatz.
- Drosselrohrsänger sind im Teichland weit verbreitet und sehr auffällig.
- Beutelmeisen brüten in den Büschen an den Teichufern.
- Einige Lachmöwen und Flussseeschwalben brüten auf bereitgestellten Flößen. Blick vom Beobachtungsturm (5).
- Storchendorf Linum: Die Jungstörche auf der Dorfkirche sind schon fast flügge.
- Abendlicher Kranicheinflug in die Linumer Teiche - Karte aus Moning Wagner (2009): Vögel beobachten in Ostdeutschland. Kosmos, Stuttgart.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2009
56. Jahrgang, Oktober 2009, S. 365 - 369
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
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Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2009