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TOURTIP/941: Kunstwanderung auf dem Hölderlinpfad (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 209, Juli 2009
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Kunstwanderung
Auf dem Weg des Dichters

Von Ulrike Brandenburg


Der Hölderlinpfad zwischen Frankfurt am Main und Bad Homburg vor der Höhe erinnert an den 'Romantiker' unter den Schriftstellern der Deutschen Klassik. Eröffnet wurde der Weg durch Frankfurts grünes Umland mit einem Mainzer Beitrag: Kunstwerke von Studierenden der Akademie für Bildende Künste der Johannes Gutenberg-Universität säumen den Wanderweg.

Er ist der eigentliche Star der deutschen Dichtung, ein Ausnahmetalent. Seine Texte sind so intensiv wie die Musik von Jimmy Hendrix und das Theater eines Christoph Schlingensief. Goethe hat ihm empfohlen, einfache Verse zu schreiben. Der Patriarch der Deutschen Klassik hat wohl gemerkt, hier wird ihm jemand gefährlich, hier kommt einer, der das Gedankengut des Idealismus lebt und schreibt, der Verse erfindet, die bis heute wie Extasy wirken.

Friedrich Hölderlin: Eigentlich hätte er Pfarrer werden sollen. Sein Credo aber lautete: "Nicht ist es gut, seellos von sterblichen Gedanken zu sein". Wer solche Sätze zu Papier bringt, kann sich nicht bescheiden. 'Beseelt und sterblich' - das heißt ja, konsequent das eigene Menschsein zu leben, das Denken, die Kunst, die Liebe. Helfen kann Hölderlin dabei nur die antike Götterwelt. Denn den Göttern gehörte einst die Erde, und auch der junge Dichter, der naturromantische Schwärmer, Wanderer, will seine Welt besitzen.

Geboren am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar. Seinen Vater lernt er kaum mehr kennen, auch der zweite Ehemann der Mutter stirbt bald. Da ist es verständlich, dass in diesem Haushalt nicht nur die Frömmigkeit, sondern auch der Wunsch nach materieller Sicherheit einzieht. 1790 schließt Hölderlin seine ersten beiden Studienjahre mit dem Magister ab. Eigentlich hätte dieses Examen nur der Vorbereitung des Theologiestudiums dienen sollen, aber die Schul- und Studienzeit hat Friedrich eine andere Richtung gewiesen. Wenn seine Lehrer geahnt hätten, wie viel revolutionärer Lebensdrang die Beschäftigung mit der Antike in ihrem Zögling auslöste! Das Altgriechische hat ihn begeistert, hier findet er die Vorlagen für seine Utopie echten Menschseins, für das Programm individueller Freiheit, das er zeit seiner Autorenschaft in emphatischer Sprache formuliert.

Geistige Prosperität, irdischer Mangel: Hölderlin braucht Geld und folglich eine Anstellung. Es gibt einen Job, den fast alle jungen Intellektuellen der damaligen Zeit ausgeführt haben: das Amt des so genannten Hofmeisters, sprich Hauslehrers. Die Vorteile liegen auf der Hand: Kost und Logis sind gesichert und Bar-Einkünfte sind ebenfalls zu erwarten.

Außerdem bleibt Zeit für die eigene Arbeit, das Schreiben. Bald erhält Hölderlin eine Offerte: Eine Hauslehrerstelle bei der Frankfurter Familie Gontard, äußerst wohlhabend, dabei liberal und aufgeklärt, so lautete die Empfehlung eines Freundes. Einzug in das palastähnliche Anwesen der Gontards im Januar 1796. Der Hausherr, Jakobus Gontard, Bankier und Tuchhändler, ist oft unterwegs. Seine Frau Susette, ein Jahr älter nur als Hölderlin, fungiert als Stern am Himmel der Frankfurter Gesellschaft. Das Paar hat vier Kinder, Sohn Henry ist ein begabter Schüler. Hölderlins Briefe dokumentieren Glücksgefühle, Höhenflüge. Beim Anblick Susettes hat den Dichter der 'coup de foudre', der Blitzschlag der Liebe, getroffen. Er stilisiert die Geliebte zur Diotima seines "Hyperion"-Romans. Susette wird zur tragischen Garantin der Utopie vom wahren, vom befreiten Leben, zur Verkörperung von Hölderlins griechischem Traum. Im September 1798 ist die Situation im Hause Gontard unhaltbar geworden. Hölderlin flieht nach Homburg. Homburg - Frankfurt und zurück, vermutlich 24 Mal. Susette, verzweifelt, hat Hölderlin gebeten, einmal im Monat zu ihr zu kommen. Zwei Jahre währen diese heimlichen Treffen. Im Winter sieht man sich in der Komödie, im Sommer tauscht man Briefe durch die Hecke des Adlerflychtschen Hofes, dem Feriensitz der Gontards. Vermutlich beflügelt hat der Dichter die Strecke in die Großstadt zurückgelegt, vermutlich herzbeschwert hat sich der Rückweg gestaltet.

Wo genau Hölderlin entlang eilte, ist nicht dokumentiert. Doch seit einem Jahr gibt es ihn trotzdem, den Hölderlinpfad. Am Goethehaus und also in der Nähe des ehemaligen Gontardschen Anwesens beginnt der mit einem Logo Hans Traxlers gekennzeichnete Weg, hinter Eckenheim folgt der Pfad der alten Römerstraße, dann geht es über Kalbach weiter bis zum Homburger Sinclair-Haus.

Mitinitiator und Ideengeber dieses Projektes ist Peter Lieser. Der ehemalige Leiter der Frankfurter GrünGürtel GmbH und jetzige Professor für Umweltgestaltung an der Akademie für Bildende Künste der Johannes Gutenberg-Universität begleitete die Realisation des Weges mit seinen Mainzer Kunststudierenden: Als der Hölderlinpfad am achten Juni 2008 eröffnet wurde, geschah das unter der Mitwirkung von 15 jungen Künstlerinnen und Künstlern aus sechs Klassen der Mainzer Kunstakademie und einer Gaststudentin aus Danzig. Die Studierenden hatten sich mit dem Leben und Werk Hölderlins lesend, wandernd und reisend befasst. Sieben ortsgebundene Kunstwerke konnten bereits im Sommer des vergangenen Jahres umgesetzt werden, drei Arbeiten befinden sich gegenwärtig im Stadium der Realisation.

Hölderlin in der zeitgenössischen Kunst: Doch die Kartenblätter der Martina Hils gibt es kaum mehr, ihre Papiere, geheftet an Häuserwände und Lampenmaste am Adlerflychtplatz, ihre Zeichnungen des Wegenetzes, der Nerven- und der Sehnsuchtsbahnen sind in Wind und Wetter fast schon vergangen. Ein subtiler Reflex auf einen letztlich unhaltbaren Lebensentwurf: 1800 ist Hölderlins Zeitschriftenprojekt gescheitert, ist seine Bewerbung um eine Professur zurückgewiesen worden, der Dichter wird Hauslehrer in der Schweiz und nachfolgend in Bordeaux. 1802 stirbt Susette. Von der Todesnachricht wird sich Hölderlin nie wieder erholen. Sensibilität steigert sich zur psychischen Destabilität. Die Diagnose der Ärzte lautet auf unheilbaren Wahnsinn. Noch 37 Jahre wird der Dichter leben, in Tübingen, in einem Turmzimmer im Hause des Schreinermeisters Ernst Zimmer - eines Lesers, eines Fans des "Hyperion". Das endgültige Ende einer Seelen-Wanderung, die auf den Wegen zwischen Homburg und Frankfurt ihre Klimax erreichte.

Wohin mit dem eigenen Leben und Lieben, diese Frage stellen denn auch alle Arbeiten der Mainzer Studierenden. Hölderlin, der seiner Berufung folgte und am Beruf verzweifelte, der erfolgreiche Erfolglose, dessen Existenzgründung in der Vorstellungswelt und nur dort gelang, ist vor allem den Künstlern nahe. Jan Stürzbecher hat einen Wegweiser in alle Richtungen gestaltet, Nikolaus Thomas eine eiserne Himmelsleiter. Den auch im Wortsinn ver-rückten, den entrückten langen letzten Tübinger Jahren setzt Kerstin Hummes Pappel-Turm ein Denkmal. Die Installation von Volha Kobak verwandelt eine Grau-Wand der Frankfurter Stadtbücherei in ein Aquarellgezeichnetes Kompendium der Befindlichkeiten aus der Zeit der Zurückgezogenheit: Körpersilhouetten als Seelenschatten.

"Die Mauern stehn sprachlos und kalt, im Winde/Klirren die Fahnen" - die Schlusszeile aus "Hälfte des Lebens", sie verwehen mit den farbigen Leinwänden, die Barbara Hess auf dem Adlerflychtplatz spannte.

Die Schilder Brigitte Ritters hingegen stemmen sich kontinuierlich gegen die lärmende Geschwindigkeit des 21. Jahrhunderts: "gegenredend" montierte sie das Hölderlin-typische Wort Brücken-hoch über der Frankfurter Autobahn. Als Zeichen gegen Entseelung, gegen wirtschaftliches Diktat, gegen das persönliche Scheitern an den Forderungen des Alltags.

Gegenwelten: Bei Anna Koban fixieren mit Spiegelfolie beschichtete Polycarbonatplatten die Erinnerung: Luftigblaue Taunusberge werden als Spiegelbild in die von Schnellwegen durchzogene Landschaft hinein collagiert. Patrycja Swiderska führt die Vernetzung von Natur und Artefakt weiter, verleibt Hölderlins Dichtung dem Land, nein, dem Fluss versinn(bild)lichend ein. Diesem geradezu mythologischen Prozess ging eine virtuose Arbeitsleistung voraus: In Danzig fertigte die junge Künstlerin zusammen mit Freunden Schablonen an; dann brachte sie das Hölderlin-Fragment "Andenken" auf den unteren Bogen der Robert Gernhardt Brücke über die Nidda auf. Jetzt zeigt das Wasser die Worte, stellt den Text richtig, indem es die Spiegelschrift des Urtextes flüchtig lesbar macht; zugleich nimmt der Fluss sich des Poems an, trägt seine Essenz bis in die Meeresweiten.

Bei der Lektüre von Hölderlintexten ist auch Judit Hölzle mit ihrer Vorlesebank behilflich, und - temporär - zu hören ist des Dichters selbst erfundenes Deutsch, sind auch Diotimas Sprachgewordene Emotionen kraft Sabrina Ayorindes Audioinstallation in der S-Bahn-Unterführung am Frankfurter Berg, und, dank Anna Hoffmann, im Fahrstuhl des Maintowers. Die jungen Mainzer Künstler verlebendigen nicht nur Hölderlin, sondern auch uns Kunstwanderer neu - denn "nicht ist es gut, seellos von sterblichen Gedanken zu sein".

Information: Unter dem Titelgebenden Hölderlin-Zitat "Komm! Ins Offene, Freund!" wurden die Kunstwerke beziehungsweise die vorbereitenden Konzepte bereits in Ausstellungen am Alten Flughafen Bonames/FfM und im September 2008 in der Frankfurter Stadtbücherei gezeigt. Für den kommenden Winter ist eine Präsentation in der Allgemeinen Fachbereichsbibliothek des Mainzer Philosophikums in Planung.

Ein Katalog existiert bereits. Allen, die Freude am Wandern haben, sei für diesen Sommer ausdrücklich der Hölderlinpfad empfohlen, den weniger Sportlichen die S-Bahn-Fahrt nach Bad Homburg zwecks Besichtigung des Hölderlin-Museums.

Weitere Infos unter: www.klasse-umweltgestaltung.de


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 209, Juli 2009, Seite 32-33
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2009