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TOURTIP/940: Vogelartenvielfalt nahe Braunschweig erleben (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 8/2009

Europareservat Riddagshausen und die Rieselfelder in Braunschweig:
Vogelartenvielfalt stadtnah erleben

Von Thomas Brandt, Christoph Moning und Christian Wagner


Am Stadtrand von Braunschweig, der zweitgrößten niedersächsischen Stadt, liegen zwei interessante Feuchtgebiete, die das Beobachten vor allem von Wat- und Wasservögeln, aber auch von Waldvögeln ermöglichen. Dabei handelt es sich zum einen um das bereits 1936 ausgewiesene und heute 526 ha große Naturschutzgebiet (NSG) Riddagshausen im Osten Braunschweigs, das seit 1968 Bestandteil des Europareservates Riddagshausen/Weddeler Teichgebiet ist, und zum anderen um die Braunschweiger Rieselfelder (250 nordöstlich der Stadt zwischen BS-Watenbüttel und Wendeburg. Beide Gebiete wurden vom Menschen erschaffen, das Teichgebiet bereits vor 900 Jahren von Mönchen des Zisterzienserklosters Riddagshausen für die Karpfenzucht und die Rieselfelder 1895 zum Zweck der Abwasserklärung.

Reizvoll ist neben der überraschend hohen Artenvielfalt (ca. 135 Brutvogelarten allein im NSG Riddagshausen) auch, dass ein Großteil der Entenvögel - vor allem im NSG Riddagshausen - an Menschen gewöhnt sind. Das Verhalten vieler Arten, z. B. von Reiher- und Tafelenten, Graugänsen, Höckerschwänen und Lachmöwen, die aufgrund ihrer Häufigkeit Vogelbeobachter nicht gerade von weit her anziehen, kann hier genau studiert werden. Aber auch seltene oder scheuere Arten wie Schwarzhalstaucher, Silberreiher, Schwarzmilan und Mittelspecht gehören zu den regelmäßigen Bewohnern der Gebiete. In den Rieselfeldern tauchen vor allem zwischen den Wat- und Wasservögeln immer wieder Seltenheiten auf, so z. B. Stelzenläufer und Moorenten. Seit über 60 Jahren sammelt der Naturschutzbund (NABU) Braunschweig in beiden Gebieten Beobachtungsdaten. Aus den ausgewerteten Daten wurden bereits zahlreiche Beiträge in der vereinseigenen Schriftenreihe MILVUS veröffentlicht.

Das NSG Riddagshausen ist heute EU-Vogelschutzgebiet, die Braunschweiger Rieselfelder stehen auf der Liste der Important Bird Areas von BirdLife International (IBA).


Lebensräume

Riddagshausen
Das im Südosten der Stadt gelegene Naturschutzgebiet besteht aus drei größeren (Kreuz-, Mittel- und Schapenbruchteich) und zwölf kleinen Teichen. Während der Kreuzteich, abgesehen von drei kleinen bewachsenen Inseln, recht stadtparktypisch und naturfern aussieht, zeigt der Mittelteich, in dem sich ebenfalls eine kleine bewachsene Insel befindet, zumindest teilweise naturnahe Gewässerränder. Der wesentlich größere Schapenbruchteich mit seinen breiten Röhrichtzonen, angrenzenden Weidengebüschen und Erlenbrüchen wirkt dagegen sehr naturnah und ist vor allem von einem Beobachtungsturm aus einsehbar (s. u.). Der Teich gehört zur Kernzone des NSG und wird seit 1983 nicht mehr fischereiwirtschaftlich genutzt.

Die südliche Hälfte des Schutzgebietes besteht aus einer seit 1984 kleinen, birkendominierten Waldsukzessionsfläche und aus dem Buchhorst, einem laubholzdominierten Mischwald, in dem sich auch eine 33 ha große Naturwaldparzelle befindet (1984 ausgewiesen). Dazu gibt es mehr oder weniger feuchte Wiesen sowie kleinere Äcker. Von den Wegen aus kann man immer wieder alte Buchen und vor allem Eichen sehen, deren ausladende Kronen von der früher praktizierten Hudewaldwirtschaft zeugen und Mittelspechten als Lebensraum dienen.

Rieselfelder
Insgesamt ist das Gebiet sehr offen, größere Wälder fehlen weit und breit. Wie es für Rieselfelder typisch ist, gibt es hier eine Vielzahl unterschiedlichster Gewässer mit differenzierter und vor allem auch jährlich wechselnder Wasserführung. Nebeneinander existieren tiefere Teiche, vor allem im nördlichen Streifen, und sehr flach angestaute, aus denen zeitweise vor allem für Limikolen attraktive Schlammbänke herausschauen. Einige Teiche haben breite Röhrichtgürtel, andere eher gehölzbestandene Ufer. Zwischen ihnen liegen Gräben, Grünlandstreifen (darunter auch Wiesenflächen), Hecken und Baumreihen. Im Kernbereich stockt ein kleiner Bruchwald.

In Jahr 2009 wurde das Gebiet zudem durch eine Ausgleichsfläche östlich der B 214 erweitert. Hier wurde angrenzend eine weiträumige Schilfzone und, umgeben von mehreren Grünlandflächen, eine große Flachwasserfläche geschaffen, die sehr attraktiv auf eine Vielzahl wassergebundener Vogelarten wirkt.


Besondere Vogelarten

Riddagshausen
Auf den Wasserflächen kann man eine breite Palette von Wasservogelarten beobachten. Höckerschwäne, Stock-, Reiher- und Tafelenten sowie Kormorane und Graureiher sind hier ganzjährig zu sehen, ebenso wie die Ende der 1960er Jahre wieder angesiedelten Graugänse. Zwerg- und Haubentaucher gehören wie Bläss- und Teichhühner zum Arteninventar. Als Besonderheit brüten seit einigen Jahren Kolbenenten, deren Nachkommen ein ähnlich zutrauliches Verhalten an den Tag legen wie die meisten Stockenten. Der vielfältig strukturierte Schapenbruchteich mit seiner Verlandungszone beherbergt eine Lachmöwenkolonie, der sich jährlich auch einige Schwarzhalstaucher anschließen. Hier sind immer wieder auch Silberreiher zu sehen, außerdem Schellenten und Gänsesäger im Winter sowie Spieß-, Krick- und Löffelenten zur Zugzeit. Reiherenten und Knäkenten hingegen sind regelmäßige, wenn auch seltene Brutvögel des Schapenbruchteiches. Dessen Wasserfläche wird auch von durchziehenden Seeschwalben, vor allem Trauerseeschwalben, zur Nahrungssuche genutzt. Eisvögel sind an den vielen kleineren, unbenannten Teichen - oftmals nah an den Wegen - zu sehen und vor allem zu hören. An den Ufern kann man gelegentlich Watvögel, wie z. B. Flussregenpfeifer, Waldwasser- und Flussuferläufer beobachten. Bekassinen und Kiebitze, die vereinzelt auch im Gebiet brüten, sieht man ab und an auf den überschwemmten oder nassen Wiesen. Dies gilt auch für die 2008 erstmals seit Jahren wieder brütenden Weißstörche.

Im Röhricht des Schapenbruchteiches singen bis zu sieben Rohrschwirle und fast hundert Teichrohrsänger, manchmal auch Schilf- und Drosselrohrsänger sowie Blaukehlchen. Neben der häufigen Wasserralle kann man jedes Jahr auch vereinzelt Tüpfelsumpfhühner hören, seltener gelingt hingegen die Beobachtung von Rohrdommeln und Bartmeisen. Rohrweihen brüten im Röhricht. Bewohner der Waldbereiche sind Hohltauben, Mittel-, Grün-, Schwarz- und Kleinspechte, Trauerschnäpper sowie Pirole.

Rieselfelder
Entsprechend der Vielfalt unterschiedlicher Gewässer ist zur jeweiligen Jahreszeit eine große Vielfalt an Wasser- und Watvogelarten zu sehen. Annähernd die gesamte Palette an Entenvögeln kann hier im Jahreslauf beobachtet werden. Besonders auffällig ist das große Vorkommen von Brandgänsen, mit einem Maximum von über 100 Tieren Mitte/Ende März! Zur Brutzeit sind es dann zwischen 10 und 20 Paare, was für ein so weit im Binnenland liegendes Gebiet äußerst ungewöhnlich ist. In den Teichen brüten außerdem Graugänse, Nilgänse, Schnatter-, Stock-, Knäk-, Tafel- und Reiherenten, Zwerg- und Haubentaucher sowie Teich- und Blässhühner. In den Schilfgürteln kann man Rohrweihen, Wasserrallen, Teichrohrsänger, sporadisch auch Schilfrohrsänger sowie Blaukehlchen, in den Büschen und Bäumen außer Nachtigallen und Beutelmeisen auch Wacholderdrosseln und Pirole beobachten. In den Wiesen kommen Feldschwirle und vereinzelt Schlagschwirle hinzu. Hier bekommt man zudem tagsüber Braun- und Schwarzkehlchen zu sehen.

In den Gehölzen im Gebiet und in dessen Nähe brüten Rot- und Schwarzmilane, Mäusebussarde, Turmfalken, in manchen Jahren auch Baumfalken und regelmäßig Hohltauben. Hin und wieder sind Seeadler und Wanderfalken Nahrungsgäste sowie regelmäßig auf dem Durchzug Fischadler.

Besonders spannend sind für Vogelbeobachter die Schlammflächen. Hier kann man zur Zugzeit Grün- und Rotschenkel, Dunkelwasserläufer, Wald- und Bruchwasserläufer, Flussuferläufer, Kampfläufer, Bekassinen, Alpen-, Zwerg- und Temminckstrandläufer sowie verschiedene Möwenarten sehen, seltener Trauerseeschwalben. Kiebitze und Flussregenpfeifer brüten auf den Schlammflächen, Austernfischer auf Kiesdächern in der Umgebung.


Reisezeit

Riddagshausen
Im Winter sind neben Schellenten und Gänsesägern eher die überall häufigen Vogelarten zu sehen. Manchmal verweilen dann Rohrdommeln im Gebiet, in den letzten Jahren zunehmend auch Silberreiher. Mittelspechte sind vor allem im Spätwinter auffällig und dann aufgrund ihrer Rufe vergleichsweise leicht zu finden. Im März sind viele Gründelenten anwesend. Dann hört man die Wasserrallen im Schilf rufen. Die Blaukehlchen und Lachmöwen kommen Ende März an, die Schwarzhalstaucher im April. Ab Mitte April kann man auch Teichrohrsänger und Rohrschwirle hören. Pirol, Gelbspötter und Sumpfrohrsänger bilden im Mai die Schlusslichter unter den heimziehenden Vögeln. Der Mai wartet aber gelegentlich mit (für stadtnahe Verhältnisse) Überraschungen unter den Zugvögeln auf, z. B. mit Fluss- und Trauerseeschwalben. Spätsommer und Herbst bringen dann wiederum Zugvögel in das Gebiet, wobei das Europareservat für Löffelenten ein Rastplatz von bundesweiter Bedeutung ist.

Rieselfelder
Die Rieselfelder sind vor allem im Frühling und zur Zugzeit im Spätsommer interessant. Dann sind mit Abstand die meisten Arten im Gebiet. Die Brandenten verlassen die Rieselfelder im Sommer und ziehen in ihre Mausergebiete. Erst ab Ende Januar kommen sie wieder zurück. Die meisten Limikolen sind von Mitte April bis Ende Mai und von Ende Juli bis Mitte Oktober zu sehen, sofern geeignete Flächen vorhanden sind. Rotmilane treffen ab Ende Februar, Schwarzmilane ab April im Gebiet ein. Kiebitze besetzen ihre Reviere meist Ende März, Flussregenpfeifer im Laufe des Aprils.


Beobachtungsmöglichkeiten

Riddagshausen
Durch das Gebiet führen zahlreiche Wege, an denen eine Vielzahl von Schautafeln und Schildern Hinweise auf die einzelnen Lebensräume geben. Das Highlight für Vogelbeobachter ist der überdachte Beobachtungsturm zwischen dem Mittel- und dem Schapenbruchteich, der einen guten Überblick über das letztgenannte Gewässer bietet. Am erlebnisreichsten ist es, nach einem Besuch des Turmes (Übersichtstafel hier) den Schapenbruchteich zu umrunden (1 bis 2 Stunden). Der Weg führt durch unterschiedliche Lebensräume und überall stehen Bänke, von denen aus man gemütlich Vögel beobachten kann. Wenn man mehr Zeit hat, dann hilft einem das dichte Wegenetz weitere Bereiche zu erschließen.

Rieselfelder
Auch durch dieses Gebiet führen zahlreiche Wege. Von denen aus sind die meisten Teiche gut einsehbar. Da die Gewässer je nach Wasserführung und Jahreszeit ein komplett unterschiedliches Arteninventar anziehen, kann man nicht sagen, welche Bereiche die interessantesten sind. Deswegen ist es am sinnvollsten, zunächst den vom Parkplatz (Eingang) nach Westen führenden Weg zu gehen und dann nach Belieben einen Weg nach rechts abzubiegen und im Uhrzeigersinn auf dem Weg am Kanal zum Eingang zurückkehren. Zwischendrin kann man noch kleinere Stichwege nutzen. Man sollte aber unbedingt auf den Wegen bleiben und nicht die Dämme betreten.


Weitere Beobachtungs- und Freizeitmöglichkeiten

Ein interessantes Gebiet, mit dem PKW nur eine halbe Stunde südwestlich von Braunschweig, ist das Europareservat Heerter See (Klärteich III Salzgitter Heerte). Besonders in der Zugzeit nutzen viele wassergebunde Arten diesen Trittsteinbiotop. Außerdem gibt es hier seltene Brutvögel wie Bartmeisen und manchmal sogar Zwerg- oder Rohrdommeln. Am Nordufer steht eine Beobachtungshütte (Zufahrt über die L 670, Parkplatz östlich der Ortschaft Heerte nutzen) und am Südufer ein Beobachtungsturm (Zufahrt über die K 21, Parkplatz etwa 1 km westlich der Bahnbrücke bei Gebhardshagen). Man kann den See auch auf einem Weg gut umrunden. Im südlichen Bereich ist die Wegeführung etwas kniffelig.

Das Artenschutzzentrum des Naturschutzbundes (NABU) Niedersachsen liegt etwa 20 km nördlich von Braunschweig und ist über die B 214 in Richtung Celle zu erreichen (10nördlich der A 2 nach Osten abbiegen und über Hillerse nach Leiferde, Beschilderung folgen - Achtung, nicht verwechseln, denn im Süden von Braunschweig gibt es auch einen Ortsteil Leiferde!). Das Zentrum ist Auffangstation für artengeschützte Tiere und Naturerlebniszentrum. (Öffnungszeiten siehe www.nabuzentrum-leiferde.de).


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Infomaterial/Literatur:
Lohmann, M. & K. Haarmann (1989): Vogelparadiese,
Band 1, Norddeutschland. Paul Parey, Berlin. Moning. C. & F. Weiß (2007): Vögel beobachten in Norddeutschland.
Kosmos Verlag, Stuttgart (nur für Heerter See Salzgitter
und weitere Ziele in der Nähe von Braunschweig).


Anfahrt:

Mit Bahn und Bus:
Vom Bahnhof Braunschweig fahren die Buslinien 13 und 18 nach Riddagshausen, mit dem Rad ist man auch sehr schnell dort (ca. 5 km). Zu den Rieselfeldern muss man umständlicher über Buslinien nach Watenbüttel fahren. Die Rieselfelder findet man dann ca. 2 km weiter nordöstlich.
Beide Ziele sind auf ebenem Gelände gut mit dem Rad zu erreichen (Anfahrt s. u.). In den Gebieten selbst dürften Räder eher hinderlich sein. Beide sind nicht so groß, dass man auf ein Rad angewiesen ist. Also Räder besser zu Beginn einer Exkursion abstellen.

Mit dem Auto:
Die Riddagshäuser Teiche erreicht man über die Autobahnabfahrt 57 (Braunschweig Ost) der A 2, durchquert Dibbesdorf und Volkmarode und biegt an der Straße "Messeweg" links ab Richtung Riddagshausen. Am Südrand des Gebietes entlang des Kreuzteiches gibt es Parkmöglichkeiten. Von dort aus ist es nicht weit zum Beobachtungsturm mitten im Teichgebiet. Es gibt aber auch Zugangsmöglichkeiten aus allen anderen Richtungen, die aufgrund der Streckenführung weniger zu empfehlen sind.
Die Rieselfelder liegen zwischen dem Ortsteil BS-Watenbüttel und Wendeburg. Man erreicht sie beispielsweise über die B 214 (Autobahnabfahrt 53 Watenbüttel von der An Richtung Braunschweig oder von Braunschweig über die A 392 in Richtung Norden auf die B 214). Am Eingang der Rieselfelder gibt es einen Parkplatz (zwischen Autobahnabfahrt und Watenbüttel).


Adresse:
Führungen Riddagshäuser Teiche und Rieselfelder
Naturschutzbund (NABU) Braunschweig,
Hochstraße 18, 38102 Braunschweig, Tel.: 0531/798649,
E-Mail: nabu.braunschweig@t-online.de, www.nabu-braunschweig.de


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 8/2009
56. Jahrgang, August 2009, S. 285-288
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2009