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METROPOL/006: London - London, Du bist kalt (SB)


London, Du bist kalt.


Kalt, so fühlte ich mich damals, als ich mich abends in dieses schwarze Loch aufmachte. Gerade in Großbritannien angekommen, mit Sack und Pack, inklusive dem Überlebenselixier - meinem neuen Laptop - hatte ich feststellen müssen, daß es mir am Essenziellsten fehlte: Strom. Nicht etwa, weil mein Zimmer keinen gehabt hätte. Allein, ich konnte ihn nicht nutzen. Denn, wie ich vollkommen verdrängt hatte, die Engländer sind nahezu die einzigen Europäer mit einem anderen Steckersystem. Dieses war weder kompatibel mit meinen Geräten, noch hatte ich einen sogenannten 'converter', also ein Zwischenteil, das die Stecksysteme wieder passend macht. So ging es raus in die Fremde. Die Fremde der Öffnungszeiten, die Fremde der Stadtteile, die Fremde der Geschäfte. Es goß in Strömen und auf meiner Suche nach einem Laden, der Sonntagabend noch geöffnet hat - mit dem ausgestattet, was ich brauche - entwickelten sich Müdigkeit, Überforderung und Angst gemischt mit Heimweh zu einer Eiszeit in meinem Inneren.

Das ist die eine Kälte. Die Kälte des Heimwehs, die der Überforderung. Zumeist vergänglich und mit ein wenig Schlaf und Tee linderbar. Soviel zur Theorie. Die Praxis konfrontiert mit der Leere des Weltraums. "When you're alone and life is making you lonely you can always go - " Jeder, der diesem Rat einmal gefolgt ist - und das gilt für jede Stadt von Frankfurt bis Los Angeles -, fand einiges, bestimmt auch Trost und Licht. Doch jeder fand, da bin ich mir sicher - ob im Rausch oder nüchtern, auch das 'Where?.' ... you can always go where? Denn die Stadt ist eine Ansammlung, das auf jeden Fall. Jedoch zumeist, und wenn man ehrlich ist, eine Ansammlung von Millionen verschiedener Realitäten. Es liegen Ehrgeiz und Träume in der Luft. Als Aufforderung, oft stagniert oder gar stehengeblieben, verbreiten diese zumeist einen nicht erwarteten Geruch.

Kalt, das war es immernoch, als ich in meinem Zimmer angekommen war und den errungenen 'converter' betrachtete. Der Strom und die Musik ließen die Panik schwinden und schraubten den Alarmzustand meiner Überlebensinstinkte runter, der Haß auf die Stadt jedoch wuchs. Das waren der Schmerz, das Heimweh.

Kalt - nach zwei Jahren ändert sich einiges, die Frage nach dem '..., where?' bleibt. Und während innerhalb dieser Zeit Freunde zu Besuch kommen und Mary Poppins Schornsteine sehen, sehe ich '...downtown.' Dieses Wort spricht vom Traum - geplatzt. Ich entdecke noch mehr, dahinter und auch woanders. Es ist die Kälte des Weltraums. Ich sehe Menschen so nah aufeinander, daß die Entwicklungen und Entgleisungen ihrer Abgründe nicht nur ungewöhnlich klar umrissen sind, sondern sich Qualitäten daraus entwickeln, von denen ich zuvor nur geahnt habe, zuvor, als ich dachte, mich schreckt nichts mehr. Es schreckt mich; nicht die Größe der Stadt, nicht die Massen. Es ist das paradoxe Gefühl des leeren Raums und des Echos in ihm, der Raum in dem man das Licht anschaltet und feststellt, daß er ja voll mit Menschen ist. Oder war das umgekehrt??

Eine wunderschöne Wohnung im East End - meine liebste Gegend - ein Freund, der zu mir hält, eine Aufgabe und ein riesiger Park um die Ecke. Dann bieg ich um die Ecke und stolpere ohne Vorwarnung in diesen Raum. Noch immer bin ich hier, London.

'Kalt ist es', denke ich und öffne die Augen. Ich sitze auf einem Kantstein, blicke nach oben. Über mir ist der blaue Sommerhimmel, vor mir Häuser mit hohen Decken, wie sie in der Stadt an der Themse nicht zu finden wären. Ich bin in Kopenhagen. Diese Stadt, habe ich mir gedacht, seit ich in London aufschlug, die ist richtig. Also beschloss ich, sie mal länger als drei Tage zu besuchen.
Was ich hier fand war nicht, London hinter mir lassen zu können. Es war das Wissen von der Kälte, welches ich von dort mitgenommen hatte. Das Wissen von der Kälte. Und auf einmal erinnerte ich mich daran, wie ich meine Heimatstadt vor London verlassen hatte.

Ich schließe die Augen wieder und es entsteht ein grauer Himmel, vor welchem sich rostbraune Mary Poppins Schornsteine hinter der Silhouette des Victoria Parks abzeichnen. Dicke Rauchschwaden schweben gen Himmel.



















Grüße aus Dark City
BB


2. September 2009