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METROPOL/002: London - Ein gutes Geschäft (SB)


Ein gutes Geschäft


CCTV is in operation at this station.

Meiner letzten Reise folgend müßte mir dieses Schild bei Manor House, einer Tube Station im Norden Londons, ins Auge springen. Das spielt in Anbetracht der weltbekannten, flächendeckenden Kameraüberwachung der Metropole allerdings keine Rolle, denn jede Station der Stadt ist mit nicht nur einem dieser Schilder ausgestattet.

Die Abkürzung steht für ein Kameraüberwachungssystem und bedeutet Closed Circuit Television. Dies umschreibt den geschlossenen Kreis von Menschen, die, im Verhältnis zum normalen Fernsehen, Einblick in die gemachten Aufnahmen haben.

Dies sind die Fakten. Es gibt auch erschreckende Zahlen und Statistiken darüber, wieviele der Kamerasysteme in der Stadt im Einsatz sind und wie oft ein Mensch im Schnitt gefilmt wird, wenn er sich einen Tag dort bewegt. Allerdings sind nicht die Zahlen an sich der springende Punkt im System, sondern die Tatsache, daß jeder an der einen oder anderen Stelle schon mal davon gehört haben wird. So funktioniert das System des großen Bruders. "Wo ist sie? Ich sehe keine Kamera." - "Sie wird schon irgendwo sein."

CCTV

CCTV

Einsatzgebiete erstrecken sich vom Public Transport (Busse und U-Bahnen) über die normalen Straßen bis hin zu Eingängen von Wohnanlagen sowie Hauseingängen. Man kann lange hier leben und sich davon nicht betroffen fühlen. Spätestens beim ersten Wohnungsbesichtigungstermin, bei dem man einen Hauseingang betritt und einem das sehr bekannte, jedoch eigentlich in der Tube vermutete Schild ins Auge springt, stellen sich einem unvermittelt bei dem Bild einer leeren Straße und vieler nicht sichtbarer Augen hinter Glas die Nackenhaare auf. Während man noch denkt: Ich nicht! und den Termin absagt, sieht man zeitgleich Menschen hier ein und ausgehen, die jenes Gebäude ihr Zuhause nennen. Das ist der Moment, in dem man CCTV persönlich die Hand geschüttelt hat.

In London angekommen, ist der erste Rat, den ich bekomme, ein sehr guter: 'Gehe nie nach Einbruch der Dunkelheit in den Park.' - Soweit wohl bekannt, was folgt, gibt den Ausschlag für mich, es auch nie vergessen und es fast immer berücksichtigt zu haben: 'Die Kameras sind überall, außer im Park. Alles, was passieren soll, versammelt sich nach Möglichkeit hier.' Dieser Teil war mir neu und sehr einleuchtend.

Nie habe ich nach Einbruch der Dunkelheit einen Park betreten, man würde wohl sagen: normal, eine grundlegende Vorsichtsmaßnahme. Die Sicherheit, mit der ich, sei es bei Licht oder Dunkelheit, dem Rest der Stadt begegne, könnte man als gesundes Selbstvertrauen und positive Einstellung bezeichnen. Nun weiß ich jedoch von den Kameras. Und ich weiß, daß die anderen davon wissen. Fast immer hab ich diesen ersten, guten Rat befolgt, bis vor einigen Wochen. Die Parkfläche, die ich durchqueren wollte, bestand aus freiem Feld, gut beleuchtet, und ich war nicht allein. Sie befand sich zwischen Whitechappel und Bethnal Green, es war Samstagnacht.

Wir betraten die Fläche, am anderen Ende sah ich Menschen. In Reihenfolge kam zuerst die Raumangst des freien Feldes: erschien sie zuerst als schützender Aspekt, fühlte ich mich jetzt wie ein Marzipanschwein auf dem Präsentierteller. Als Zweites dachte ich an Whithechappel als ein berüchtigtes Viertel der Stadt, nicht zuletzt bekannt für die Geschichten um Jack The Ripper. Dann kamen diese Leute am anderen Ende des Feldes in den Fokus meiner Aufmerksamkeit.

Was mich jedoch hatte rückwärts laufen und den Park auf demselben Wege verlassen ließ, wie ich ihn betreten hatte, war jener gute, nun schon eineinhalb Jahre alte Rat.

Denn ich weiß von den Kameras. Und ich weiß, daß die anderen davon wissen.

So funktioniert das System des großen Bruders. "Ey, du weißt Bescheid, ja?" - "Ähm, ich wollt' doch gar nichts."

Und so war dies der Moment, in dem ich CCTV persönlich die Hand geschüttelt und einen guten Tag gewünscht habe. Begrüßt wurde ich wie ein alter Freund, mit dem schon seit längerem gute Geschäfte gemacht werden. Die Währung: wie in vielen anderen Geschichten auch die nur allzu berechtige Angst und das Mißtrauen und die daraus folgende Kollaboration, in der ich nicht die Ausnahme, sondern die traurige Regel bilde.


















Ich ende hier vorerst
und grüße aus der Dunklen Stadt
BB


18. Juni 2009