Schattenblick →INFOPOOL →UNTERHALTUNG → KOCHEN

MÄRCHENKOCH - TEIG/002: Großer Hans mit Waldbeerenkompott (SB)


DER SEELENSPIEGEL


Es war einmal eine Köhlerfamilie, die war sehr arm. Der Junge ging früh am Morgen mit dem Vater in der Wald hinaus, um Holz zu schlagen. Die Tochter half der Mutter, das Haus in Ordnung zu halten und machte sich dann auf in den Wald, wo sie Beeren und Pilze sammelte. Auch wenn sie manchmal nur wenig zu beißen hatten, litten sie doch keinen Hunger und hatten auch im Winter immer genug Kohle, die kleine Hütte damit zu heizen.

Eines Abends, es war im Altweibersommer, saß die Köhlerfamilie wieder nach getaner Arbeit zusammen auf der Holzbank unter dem Haselstrauch und alle lauschten der Mutter, die eine Geschichte aus längst vergangener Zeit erzählte:

"Vor vielen, vielen Jahren lebte einmal in einem Waldhaus eine alte Frau. Sie hatte ihr langes Leben nicht damit verbracht, Gut und Geld anzuhäufen, sondern hatte die Geheimnisse der Natur ergründet und den Menschen tief in ihre Herzen geblickt. Darüber war sie grauhaarig und weise geworden.

Als sie schließlich gewahr wurde, daß es mit ihr zu Ende ging, nahm sie aus einer Truhe eine silberne Halskette, die sie als einziges Vermächtnis ihrer Mutter aufgehoben hatte, und schmolz sie in einem Tiegel über dem Herdfeuer. Daraus formte sie unter Aufbietung all ihres Wissens einen Spiegel, der wundersame Kräfte besaß. Denn wer in den Spiegel hineinblickte, der blickte tief in seine eigene Seele hinab. Und ebenso, wie es darin aussah, gab der Spiegel es ihm zurück.

Kurz nachdem der Spiegel fertig war, starb die alte Frau, und das Waldhaus, in dem sie gelebt hatte, lag verlassen da. Eines Tages durchstreifte eine Räuberbande den Wald und sie stießen auf das einsame Haus. Und weil niemand mehr dort war, um es zu bewachen, stahlen sie alles, was sie finden konnten und schleppten es mit sich fort.

Der Räuberhauptmann aber war es, der den Zauberspiegel fand. Er war ein zornmütiger und habgieriger Kerl, der nichts dabei fand, den Armen auch noch ihre letzte Habe zu entreißen. So kam es denn auch, wie es kommen mußte. Er blickte in den Spiegel und sah darin seine ganze Bosheit und Niedertracht, die ihm wie ein gräßliches Ungeheuer entgegensprang. Kurz bevor das Entsetzen seinem Leben ein jähes Ende bereitete, warf er den Spiegel von sich, der in einen finsteren Weiher fiel und niemals mehr gefunden ward."

Nachdem die Mutter mit ihrer Geschichte geendet hatte, sprach lange Zeit niemand ein Wort. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und überlegte sich, was ihm der Spiegel wohl zeigen würde, sollte er jemals hineinblicken.

Schließlich erhob sich die Mutter von der Bank und sprach: "Kommt, wir wollen nun hineingehen und uns an den Tisch setzen, denn ich habe einen 'Großen Hans' auf dem Ofen stehen, den wollen wir uns mit einer Schale frischem Waldbeerenkompott schmecken lassen." Der "Große Hans" schmeckte denn auch vorzüglich, und als alle satt und zufrieden waren, wurden ihnen die Augenlider schwer. So gingen sie denn bald zu Bett und waren kurz darauf fest eingeschlafen.


*


Am anderen Morgen ging der Vater wieder mit seinem Sohn in den Wald, Holz zu schlagen. Und das Mädchen, nachdem es seine Pflichten im Haus getan hatte, nahm den Korb über den Arm und ging zum Beerensammeln in den Wald hinein. Weil sie aber die Tage zuvor in der Nähe der Hütte schon alle Sträucher abgesammelt hatte, mußte sie viel tiefer als sonst in den Wald vordringen. Sie sammelte und sammelte und vergaß darüber die Zeit, bis sie auf einmal vor einem finsteren Weiher stand. Erstaunt blickte sie sich um, konnte sich aber nicht darauf besinnen, schon einmal an diesem Ort gewesen zu sein. Sie wollte schon umkehren und sich auf den Heimweg machen, als sie zu ihren Füßen am Rande des Weihers etwas silbern aufblinken sah. Und als sich sich danach bückte und es aufhob, da war es ein zierlicher, silberner Spiegel.

Ohne sich lange zu besinnen, blickte das Mädchen hinein. Da wurde ihr ganz wunderlich zumute, denn ihr war, als hätte ihr jemand zugelächelt, der ihr von ganzem Herzen zugetan war und sie wurde von einer großen Freude und Leichtigkeit erfüllt. Da erst besann sie sich auf die Geschichte, die die Mutter am Abend zuvor erzählt hatte. Sollte es gar der Seelenspiegel der weisen Frau sein, den sie am Ufer des Weiher gefunden hatte? Sorgsam wickelte sie den Spiegel in ihr Taschentuch und steckte ihn in ihre Schürze. Und wie sie so dahinschritt, dachte sie darüber nach, was sie mit dem Spiegel nun wohl beginnen solle.

Als sie zu Hause angelangt war, erzählte sie sogleich der Mutter, was sich zugetragen hatte, und zeigte ihr den Spiegel. Die Mutter blickte hinein und was sie dort sah, erhellte auf ganz wunderbare Weise ihre Züge. "Nun wird unser Haus niemand mehr betreten, der es fürchten muß, in diesen Spiegel zu blicken. Und das ist ein größeres Glück, als hätte der König uns einen Palast gebaut. Denn so bleiben wir von menschlicher Bosheit und Niedertracht verschont."

So wie die Mutter gesagt hatte, so war es auch. Denn die Kunde von dem Seelenspiegel verbreitete sich bald in der ganzen Gegend. Und wer es wagte, das Haus der Köhlersleute zu betreten, fürchtete den Blick in den Spiegel nicht. Hader und Zwietracht aber blieben draußen vor der Tür und so lebten sie glücklich zusammen bis ans Ende ihrer Tage.


*


GROSSER HANS MIT WALDBEERENKOMPOTT
(Zutaten für 3 Personen)

500 g Mehl
1 Päckchen Hefe
125 ml lauwarme Milch
2 EL Zucker
3 Eier
3 EL Rosinen
½ TL Zimt
Zitronenschale (von ½ unbehandelten Zitrone)
1 Messerspitze Salz
(Margarine und 1 geh. EL Semmelbrösel für die Form)


*


Die Hefe in der lauwarmen Milch auflösen.

Dann sämtliche Zutaten in eine Schüssel geben und gründlich zu einem Teig verkneten.

Den Teig an einem warmen, zugfreien Ort aufgehen lassen.

Eine Gugelhupf-Form gut mit Margarine fetten und die Semmelbrösel hineinstreuen.

Den Teig in die Form füllen und nochmals aufgehen lassen.

Nun die Form in einem Wasserbad auf den Herd setzen und erhitzen, bis das Wasser kocht. Dann die Hitze verringern, so daß das Wasser gerade nicht mehr siedet und den "Großen Hans" eine Stunde lang garen.

Den "Großen Hans" auf einen Teller stürzen und mit Waldbeerenkompott oder Kirschsauce servieren.

(Übrigens: In manchen Gegenden wird der "Große Hans" auch in einem Leinentuch gegart und "süßer Mehlbeutel" genannt.)


Erstveröffentlichung am 18.12.1997

19. April 2007