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MASSNAHMEN/197: Neues Hochwasserschutzgesetz II - Massig Punktesammeln? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1088, vom 24. Juli 2016 - 35. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)


Neues Hochwasserschutzgesetz II: Massig Punktesammeln?

Für Deichrückverlegungen kann man nach herrschender Rechtslage keine Punkte auf dem Ökokonto (siehe Kasten) sammeln - auch wenn auf dem Deichrückverlegungsareal die wunderschönste Aue entstehen sollte. Denn Ökopunkte bekommt man nur gutgeschrieben, wenn die biotopverbessernden Maßnahmen ohne öffentliche Zuschüsse finanziert werden. Deichrückverlegungen sind aber derart teuer, dass der größte Teil der Kosten regelmäßig von der öffentlichen Hand finanziert wird. Wie im RUNDBR. 1087/2) berichtet worden ist, soll dieses Hemmnis für das Punktesammeln demnächst durch das Hochwasserschutzgesetz II beseitigt werden. Um den ökonomischen Anreiz für Deichrückverlegungen noch zu verstärken, haben wir am 12.07.16 einen Vorschlag in die Verbändeanhörung zum Hochwasserschutzgesetz II eingebracht, der auf eine der Begründungen des Gesetzentwurfes Bezug nimmt. Lt. Begründung soll die novellierte Hochwasserschutzgesetzgebung u.a. auch "Maßnahmen zur Steigerung der natürlichen Retention durch Aufweitung von Flussräumen" voranbringen. Um den ökonomischen Anreiz für Deichrückverlegungen zu fördern, schlagen wir vor, dass in sect; 16 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) Deichrückverlegungen nicht nur - wie im Gesetzentwurf vorgesehen - auf einem Ökokonto gutgeschrieben werden können. Darüber hinaus sollte die Erhöhung der Naturschutzwertigkeit auf Deichrückverlegungsarealen mit einer doppelten Punktzahl auf dem "Hochwasserökokonto" "belohnt" werden können. Eine mindestens doppelte Punktzahl erscheint uns gerechtfertigt, weil es im Gefolge einer Deichrückverlegung in der Regel zu einer Revitalisierung der ehemaligen Aue kommt. Nach dem Auen(vernichtungs)Atlas des Bundesamtes für Naturschutz - siehe [1] https://www.bfn.de/0324_auenzustand.html - gehören Auen zu dem Landschafts- und Naturtypus, der in Mitteleuropa am stärksten geschädigt worden ist. Maßnahmen zur Revitalisierung von Auen im Zuge von Deichrückverlegungsmaßnahmen sind deshalb von hoher ökologischer Dringlichkeit.

Was ist ein Ökokonto?

Für freiwillig durchgeführte Maßnahmen, die die Naturschutzwertigkeit eines Areals erhöhen, können sich Gemeinden Ökopunkte gutschreiben lassen. Wenn die Gemeinde an anderer Stelle - beispielsweise durch eine Baumaßnahme in einem Feuchtgebiet - die Natur platt macht, kann sie den Verlust an Biotopwertigkeit mit dem auf dem Ökokonto vorab angesammelten Punktestand verrechnen. Die Kommune kann Ökopunkte aber ggf. auch an Nachbargemeinden und private Bauinteressierte verkaufen. Diese Interessenten müssen dann selbst keine Ausgleichsmaßnahmen für ihre naturzerstörenden Bauprojekte durchführen. Mit dem Erwerb von Ökopunkten können sich die Bauinteressierten praktisch frei kaufen. Wikipedia gibt dafür unter [2] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96kokonto folgendes Beispiel an:
"In Groß-Gerau wurde der Nutzungsverzicht auf 20 Hektar Gemeindewald als naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahme anerkannt und auf dem Ökokonto der Gemeinde in Höhe von 1,6 Millionen sogenannte Ökopunkte verbucht. Die [benachbarte] Stadt Mörfelden-Walldorf hat 285.000 dieser Punkte für 100.000 Euro erworben, um einen Eingriff in die Natur auszugleichen."
Bei Wikipedia findet sich u.a. auch eine kurze Diskussion über Sinn und Unsinn des Ökokontos ("Bankrotterklärung des staatlichen Naturschutzes") und eine Auflistung der unterschiedlichen Ökokontoregelungen der Bundesländer.

Mit Ökopunkten die Flächen für den Hochwasserrückhalt akquirieren

Parallel zu unserem Vorschlag wird derzeit in BUND-Kreisen eine ähnliche Idee diskutiert, die im März 2016 in der Naturschutzszene von Sachsen-Anhalt geboren worden ist. Der Vorschlag basiert ebenfalls auf der Erkenntnis, dass es nur in seltenen Fällen gelingt, die Flächen binnenseitig vom bestehenden Deich für den Hochwasserrückhalt zu akquirieren. In der Regel sind dies Ackerflächen. Den dortigen Flächenbesitzern könnte von den Landesregierungen angeboten werden, das Ackerland zu Grünland umzuwandeln. "Dafür erhält er [der Landwirt] nach den Bilanzierungsrichtlinien Ökokonto der Länder etwa 10 Punkte/m², also 100.000 Punkte/ha gutgeschrieben. Im zweiten Schritt kauft das Bundesland dem Landwirt die Punkte ab (0,20/Punkt; 20.000/ha) und der Landwirt stimmt zu, dass nun die Fläche nicht mehr vor Hochwasser geschützt wird, sondern für Deichrückverlegungen dient."

Sowohl für den Hochwasserrückhalt als auch für den Naturschutz würden "die Vorteile auf der Hand liegen": Der Landwirt/Flächenbesitzer könne weiterhin seine Flächen bewirtschaften, müsste nun aber extensive Grünlandwirtschaft statt Ackerbau betreiben. Die Flächen würden in seinem Besitz bleiben. Das Bundesland habe zwar Geld für die Flächen ausgegeben, muss sich aber nicht um diese kümmern, denn allein durch den Kauf der Ökopunkte werde das Bundesland nicht zum Besitzer der künftigen Deichrückverlegungsflächen. Durch den Erwerb der Ökopunkte gelange das jeweilige Bundes-land zu "einem riesigen Vorrat an Ökopunkten", den das Land zur Kompensation von Eingriffen der öffentlichen Hand ausgegeben könne.

"Bei 100.000 ha, die auf diese Weise gewonnen werden, hätte das Bundesland auf einen Schlag 10.000.000.000 Punkte zu einem Preis von 2 Milliarden Euro. Klingt viel, aber allein 2013 gab es in Sachsen-Anhalt nicht versicherte [Hochwasser-]Schäden in dieser Größenordnung, die der Staat aufgebracht hat, deutschlandweit sogar 8 Milliarden Euro. Das Geld ist also da",
heißt es in dem "Hochwasserökopunkte-Vorschlag" aus Sachsen-Anhalt. Hinzu käme für das Bundesland der Vorteil, dass das Land in Zukunft bei Eingriffen Finanzmittel sparen könne, da beispielsweise mit einer Million Punkte auf lange Sicht Eingriffe kompensiert wären. Denn über kurz oder lange hätte das Land ohnehin in Kompensationsmaßnahmen oder in den Erwerb von Ökopunkten investieren müssen. Mit der Umsetzung der Idee könnten die EU-Richtlinien zu Natura 2000 ("riesiges Verbundprogramm!"), die Hochwasserrisikomanagementrichtlinie und die EG-Wasserrahmenrichtlinie nach vorn gebracht werden. Und nicht zu verachten sei auch der Vorteil für die Regionen an den Flüssen:
"Der Geldsegen trifft zwar zuerst die Flächenbesitzer, im Nachgang aber die Regionen selbst, denn das Geld wird ja auch ausgegeben."

Um den Vorschlag umsetzen zu können, müsste nicht nur sect; 16 BNatSchG geändert werden, was im Entwurf des Hochwasserschutzgesetzes II vorgesehen ist. Darüber hinaus müssten auch die Ökokontoverordnungen der Länder angepasst werden. Denn heute muss der Ausgleich in dem Landkreis stattfinden, in dem der Eingriff stattfand. Für das Hochwasserschutz-Ökokonto müsste also die "Landkreisklausel" geöffnet werden.

Weitere Auskunft zu dem Vorschlag aus Sachsen-Anhalt:
Iris Brunar, BUND Elbeprojekt
06846 Dessau-Roßlau
Tel.: 0340 - 850 7978, Mobil: 0178 - 163 0204
E-Mail: i.brunar[at]gmx.de


Was spricht gegen den "Hochwasser-Ökopunktevorschlag"?

Man kann annehmen, dass die Bundesländer mit dem angehäuften Ökopunkten Eingriffe ausgleichen, die aus Naturschutzsicht einem Frevel gleichkommen. Solange man das Plattmachen der Natur aber nicht verhindern könne, würden die Eingriffe "ohnehin irgendwie ausgeglichen". Durch den Erwerb von Ökopunkten für die Ermöglichung von Deichrückverlegungen würde der Ausgleich aber "konzentriert und sinnvoll" erfolgen, wird in dem Vorschlag aus Sachsen-Anhalt argumentiert. Juristisch bedeutungsvoll könnte folgender Einwand sein, der ebenfalls in BUND-Kreisen diskutiert wird: Die zu vergütenden Nutzungänderungen in extensive Grünlandbewirtschaftung bzw. zur Etablierung von Auewald würden "nicht der reinen Lehre" entsprechen:
"Wenn ein Acker (bisher hinter dem Deich) durch eine Deichrückverlegung vor den neuen Deich gerät, liegt er im Überschwemmungsgebiet. Dort ist Ackerbau keine gute fachliche landwirtschaftliche Praxis. D. h. er müsste beendet werden. Schon aus diesem Grund ist die Nutzungsänderung erforderlich. Daher dürfte sie eigentlich nicht vergütet werden." Es müsse deshalb geklärt werden, ob die Naturschutzverbände "hier pragmatischer oder formalistischer argumentieren" wollten.

[1] https://www.bfn.de/0324_auenzustand.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96kokonto

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1088
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
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E-Mail: nik[at]akwasser.de
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2016

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