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WALD/028: Hambacher Forst - Spiegelgefechte (SB)


Hambacher Forst - 28. Dezember 2012

Drohende neue Zwangsmaßnahmen gegen die Wiesenbesetzung im Hambacher Forst


Hohe Bäume mit verdecktem Baumhaus im Hambacher Forst - Foto: © 2012 by Schattenblick

Hambacher Forst, Sommer 2012 - leben diese Bäume noch?
Foto: © 2012 by Schattenblick

"Naturvernichtung im großen Stil" - so überschrieb die Bürger- und Bürgerinnen-Initiative "Buirer für Buir" ihre jüngste Pressemitteilung zu den Vorgängen im Hambacher Forst [1], in der sie die in den zurückliegenden Wochen durchgeführte Zerstörung weiterer wertvoller Baumbestände kritisierte und klarstellte, daß die nach wie vor bevorstehenden Rodungsarbeiten nicht nur in "moralischer und ökologischer Sicht verwerflich, sondern auch juristisch anfechtbar" seien [1].

Wie die Bürger- und Bürgerinnen-Initiative desweiteren berichtete, wurden seit der Mitte November mit einem massiven Polizeieinsatz von über 600 Beamten durchgeführten Räumung des von Braunkohlegegnern und -gegnerinnen besetzten Waldstücks etwa 80 Hektar gerodet. Dadurch wurde ein weiteres großes Gebiet dieses in seiner Struktur mehrere tausend Jahre alten Waldes unwiederbringlich zerstört. "Und wären die Waldbesetzer nicht gewesen, wäre wohl noch ein viel größerer Baumbestand dem Braunkohletagebau zum Opfer gefallen", so Andreas Büttgen von der Buirer Initiative [1].

Blick auf den Braunkohletageabbau mit Kohleflöz, Kran und Fahrzeugen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die dem zur Rodung vorgesehenen Wald im Hambacher Forst zugedachte Zukunft
Foto: © 2012 by Schattenblick

In die Auseinandersetzungen zwischen den Gegnern und Gegnerinnen der Wald- und Landschaftszerstörungen zum Zwecke des Braunkohleabbaus und den kommerziellen Betreibern und deren politischen bzw. behördlichen Wegbereitern dieser euphemistisch mit "Energiegewinnung" titulierten Technologie war in den zurückliegenden Tagen und Wochen eine relative Ruhe eingekehrt, nachdem der Versuch der Ordnungskräfte, eine im Anschluß an die Räumung der Waldbesetzung auf einem in Privatbesitz befindlichen und an den Wald angrenzenden Grundstück durchgeführte "Wiesenbesetzung" aufzulösen, fehlgeschlagen war. Wie berichtet, hatte diese Polizeiaktion in der Festnahme des Grundstückseigentümers gegipfelt.

Gegen die Umweltschützer und -schützerinnen, die das nun zumindest in Ansätzen bereits gerodete Waldstück durch ihre im April 2012 begonnene Protestaktion beschützen wollten, wurden Strafanzeigen gestellt, die allerdings, wie der WDR unter Bezugnahme auf die zuständige Kölner Staatsanwaltschaft berichtete, noch nicht über den "Status der polizeilichen Bearbeitung" hinausgekommen seien [2]. Dies gibt Anlaß zu der Vermutung, daß die rechtliche Handhabe gegen die Aktivisten und Aktivistinnen des nicht nur in der Region, sondern bundesweit anwachsenden Braunkohlewiderstands im Zusammenhang mit den Ereignissen im Hambacher Forst selbst bei bereitwilligster staatsanwaltschaftlicher Auslegung mehr als dürftig zu sein scheint.

Ein Weg mit Gräsern und Gebüsch, weiter hinten Wald - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ein uralter Wald soll dem zerstörerischsten Aspekt der menschlichen Kultur weichen
Foto: © 2012 by Schattenblick

Nach Angaben der Buirer Bürger- und Bürgerinnen-Initiative ist der durch die Klage des BUND bewirkte Rodungsstop allerdings für etliche Baumriesen zu spät gekommen. Auf ihrer Webseite [1] wurde der Fall eines solchen Giganten im engsten Wortsinn fototechnisch dokumentiert.

Allem Anschein nach ist das Ansehen des Energieriesen RWE, der als Besitzer und Betreiber des Braunkohletageabbaus verantwortlich zeichnet für all das, was immer mehr Menschen nicht nur in dieser Region aufbringt, durch die jüngsten Ereignisse in Verknüpfung mit dem nicht nur von Umweltschützern, Anwohnern und Unterstützern als rabiat empfundenen Vorgehen der Polizei noch weiter gesunken. So erklärte Andreas Büttgen von der Buirer Initiative [1]:

Wir sind tief erschüttert über die Gnadenlosigkeit, mit der hier vor Ort Menschen und Natur Gewalt angetan wird. Für uns Bürger ist es schon längst nicht mehr nachvollziehbar, dass RWE sich einfach so über Recht und Gesetz stellen kann und keiner den Konzern daran hindert oder dafür belangt. Mit solchen Aktionen und den immer wiederkehrenden Störmaßnahmen gegen die friedlichen Demonstranten auf der besetzten Wiese verspielt RWE letztes Vertrauen und Akzeptanz.
Wald nach Sommerregen im Hambacher Forst 2012 - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die gesellschaftliche Akzeptanz der Zerstörung eines solchen Waldes schwindet
Foto: © 2012 by Schattenblick

Wie die Bewohner und Bewohnerinnen des aktuellen Wiesencamps gegenüber dem WDR freimütig berichteten, hätten nicht alle Menschen in der Umgebung Verständnis für ihre nach wie vor nicht aufgegebenen Bemühungen, das weitere Abholzen der Bäume im Hambacher Forst zu verhindern. Viele hätten bereits resigniert, weshalb die Campierenden viel Mühe darauf verwendeten, mit den Menschen zu sprechen und zu argumentieren und sie zu ermutigen. Praktisch seien sie zudem vollauf damit beschäftigt, sich in dem Wiesencamp einen möglichst witterungsgeschützten Unterschlupf herzurichten, weshalb sie damit begonnen hätten, Gruben auszuheben, um sich einen Windschutz zu schaffen. Viele Menschen aus der Nachbarschaft zeigten ihre Solidarität auch auf ganz praktische Weise, spendeten Nahrungsmittel, Baumaterialen oder einfach nur Geld. "Sogar kleine Geschenke hatten sie für uns", berichtete einer der Aktivisten, Moritz, gegenüber dem WDR [2].

Ungemach droht den der Kälte und weiteren Unwägsamkeiten trotzenden zumeist jungen Leuten auf dem Wiesencamp jedoch noch von ganz anderer Seite. Sie hatten den zunächst gescheiterten polizeilichen Räumungsversuch als Erfolg gewertet, doch nun scheint eine abermalige Eskalation bevorzustehen. Auch wenn derzeit keine Aktionen im Wald unternommen werden, scheint dieses Widerstandscamp den Betreibern und Behörden ein Dorn im Auge zu sein. Allem Anschein nach wurde nun, nach womöglich längerem Suchen, eine rechtliche Handhabe gefunden, um ein abermaliges polizeiliches Vorgehen, sei es direkt gegen die Wiesenbesetzung oder den Grundstücksbesitzer, zu ermöglichen bzw. zu rechtfertigen.

Kurz vor Weihnachten, mit einem Schreiben der zuständigen Kreisverwaltung Düren vom 20. Dezember 2012, wurde dem Grundstücksbesitzer eine Ordnungsverfügung angekündigt, in der er "unter Androhung eines Zwangsmittels" aufgefordert werden würde, "für die Räumung Ihrer Parzelle von baulichen Anlagen, die zum Aufenthalt geeignet sind, Sorge zu tragen" sowie "die Errichtung derartiger baulicher Anlagen auf Ihrem Grundstück zukünftig zu unterbinden." [3] Bis zum 10. Januar 2012 wurde diesem die Gelegenheit eingeräumt, sich zu dem ihm drohenden Erlaß einer solchen Ordnungsverfügung zu äußern.

Der Dürener Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) nahm umgehend zu dieser behördlichen Ankündigung, der er die Verhältnismäßigkeit absprach, wie folgt Stellung [4]:

Da der Eigentümer das Camp auf seinem Grundstück billigt, begründet der Kreis Düren die Räumungsandrohung mit einem Verstoß gegen das Baugesetz. Mit einer solchen Androhung einer Ordnungsverfügung zwei Tage vor Weihnachten macht Landrat Spelthahn sich lächerlich. Die Androhung mag formal korrekt sein, aber mit Sicherheit ist sie nicht verhältnismäßig.

Über Letzteres ließe sich juristisch streiten, unterliegt doch jeder Eingriff einer öffentlichen Gewalt dem Übermaßverbot, was nichts anderes bedeutet, als daß er nicht unverhältnismäßig sein darf. Juristisch gesprochen kann es also keine rechtmäßige, aber unverhältnismäßige Verwaltungsanordnung geben. Da die Entscheidungskompetenz für eine solche Verhältnismäßigkeitsentscheidung jedoch ihrerseits bei einer staatlichen Gewalt, nämlich im Klagefall der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegt, steht zu erwarten, daß der Stärkere sich so oder so Recht zu verschaffen versteht - auch wenn dies dem Empfinden der Betroffenen und all jener Menschen, die davon überzeugt sind, daß ein friedlicher Protest gegen die auch in rechtlicher Hinsicht höchst umstrittene Abholzung eines so wertvollen und großen Waldes kein Unrecht sein könne, nicht entspricht.

Qualm überm Wald, im Vordergrund ein grünes Feld - Foto: © 2012 by Schattenblick

Braunkohleverstromung - was da brennt, ist nicht der Wald... Foto: © 2012 by Schattenblick

Oliver Krischer schloß seine Pressemitteilung mit der an den Landrat gerichteten Empfehlung, anstatt mit Ordnungsverfügungen zu arbeiten, sich dem politischen Hintergrund dieses Konfliktes zu stellen, den der Bundestagsabgeordnete folgendermaßen formulierte [4]:

Ist es im 21. Jahrhundert vor dem Hintergrund des Klimawandels noch verantwortbar, ganze Landschaften und Wälder zu zerstören einschließlich aller Folgen wie Bergschäden, Feinstaub etc., um die Kohle in Kraftwerken mit Wirkungsgraden deutlich unter 50% ineffizient zu verbrennen, obwohl die Energieversorgung heute auch anders organisiert werden könnte?
Grauer Himmel, Kraftwerkstürme mit Ausstoßwolken, vorne Getreidefeld - Foto: © 2012 by Schattenblick

Katastrophenbeschleuniger im ungebremsten Einsatz
Foto: © 2012 by Schattenblick

Die unmittelbare Lebensgefahr für die Bäume scheint, wenn auch zunächst nur vorübergehend, abgewendet worden zu sein durch die Klage des BUND gegen die Rechtmäßigkeit der erteilten Rodungsgenehmigungen. Nach Angaben eines RWE-Sprechers würden deshalb die Rodungsarbeiten ruhen [2].

Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, um nicht zu sagen Kämpfe um diese Frage ruhen jedoch keineswegs, sondern scheinen, ganz im Gegenteil, vor einer weiteren Eskalationsstufe zu stehen. Ausgelöst wurde dies, wie zu vermuten steht, durch die Unbeugsamkeit der zumeist jungen Braunkohlegegner und -gegnerinnen, die ein ermutigendes Beispiel geben für die vielen, nicht minder mit der derzeitigen Energie- und Umweltpolitik zutiefst unzufriedenden Mitbürger und Mitbürgerinnen.

Aufgestapelte dicke Stämme gefällter Bäume im Hambacher Forst - Foto: © 2012 by Schattenblick

Wem nützt noch, wenn der Wald stirbt, ...
Foto: © 2012 by Schattenblick

Am Wegesrand aufgestapeltes Geäst gefällter Bäume - Foto: © 2012 by Schattenblick

... die Verwertung der letzten Ästchen getöteter Bäume?
Foto: © 2012 by Schattenblick

Weitere Informationen:
http://hambacherforst.blogsport.de/

Fußnoten:
[1] Naturvernichtung im großen Stil. RWE vernichtete ohne geltende Rechtsgrundlage weitere große Teile des Hambacher Forstes. Pressemitteilung der Bürger_inneninitiative "Buirer für Buir" vom 27. Dezember 2012
http://www.buirerfuerbuir.de/frame.html

[2] Aktivisten kämpfen weiter gegen Rodung: Im neuen Camp der Waldbesetzer. Bericht von Robert Franz, WDR, 27.12.2012,
http://www1.wdr.de/themen/politik/hambacherforst212.html

[3] Die diesen Vorfall betreffenden Dokumente können im PDF-Format auf der Webseite der Bürger_inneninitiative "Buirer für Buir" heruntergeladen werden
http://www.buirerfuerbuir.de

[4] Ordnungsverfügung gegen Camp der Tagebaugegner: Landrat Spelthahn macht sich lächerlich. Pressemitteilung von Oliver Krischer, Mitglied des Deutschen Bundestages, Bündnis 90/Die Grünen, vom 23. Dezember 2012


Zum Hambacher Forst siehe im Schattenblick auch:

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR:
RAUB/1047: Helden der Zerstörung gegen Outlaws der Utopie (SB) (18.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1047.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNGEN:
LAIRE/209: Waldgrenze, Ödfraß und Profit ... (SB) (13.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/meinunge/umme0207.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml
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28. Dezember 2012