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WALD/017: Hambacher Forst - Untat, Tat und Heldentat (SB)


Hambacher Forst - 20. November 2012, 17.00 Uhr

Beschuldigungen


Gefällte Baumstämme im Hambacher Forst - Foto: © 2012 by Schattenblick

Keine Akzeptanz für das Sterben dieser Bäume
Foto: © 2012 by Schattenblick

Die insgesamt viertägige polizeiliche Räumung des von Umweltaktivistinnen und -aktivisten bzw. Braunkohlegegnerinnen und -gegnern seit April besetzt behaltenen Hambacher Forstes, die am vergangenen Freitag mit der Aufbringung des letzten Waldbesetzers aus einem unterhalb des Waldbodens angelegten Tunnel zu Ende ging, wird aller Voraussicht nach juristische Nachspiele haben. In der Schlußphase der heftig umstrittenen Räumungsmaßnahmen hatte die Rettung, so zumindest die Wortwahl der Polizei, des Tunnelaktivisten für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt und die Waldbesetzung insgesamt auch bundesweit in die Schlagzeilen gebracht.

In manchen Medien war während der Räumung die Behauptung wiederholt kolportiert worden, der letzte Waldbesetzer hätte die Einsatzkräfte gefährdet bzw. sogar in Lebensgefahr gebracht. Da er zu keinem Zeitpunkt um seine "Rettung" gebeten hatte und, im Gegenteil, sogar auch gegenüber der Polizei deutlich gemacht hatte, daß er nicht in Gefahr sei und seine Blockade fortsetzen möchte, ist die Behauptung, er hätte durch diese Protestaktion die (gegen seinen Willen tätigen) Bergungskräfte in Gefahr gebracht, wenig plausibel. Die gegen ihn herhobenen pauschalen Vorwürfen waren dann noch durch die Beschuldigung konkretisiert worden, er hätte in dem Moment, als die Sicherheitskräfte zu ihm vorgestoßen seien, Stützpfeiler umgetreten, um in den hinteren Bereich des Tunnels fliehen zu können, und dadurch die Bergungskräfte in Lebensgefahr gebracht.

Inzwischen soll die Grubenwehr Herne, die zur fraglichen Zeit unten im Tunnel gearbeitet hatte, erklärt haben, daß es nicht der Tunnelaktivist gewesen sei, der die Stützen umgetreten habe. Nach Angaben des WDR habe die Polizei nun bekanntgegeben, daß aufgrund von Ermittlungen des Staatsschutzes herausgekommen sei, daß diese Information falsch gewesen war. Dazu wurde seitens der Waldbesetzerinnen und -besetzer wie folgt Stellung genommen [1]:

Das alles riecht nach einer taktischen Fehlinformation der Polizei, um die öffentliche Stimmung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Am Montag haben in Kerpen-Buir einige der Aktivistinnen und Aktivisten und ein Anwohner eine Pressekonferenz abgehalten, auf der unter anderem auch eine Erklärung der persönlich nicht anwesenden Tunnelaktivisten verlesen wurde. Darin stellte dieser inzwischen als "Herr Zimmermann" in den Medien benannte Waldbesetzer noch einmal klar, daß er die von der Grubenwehr angebrachten Stützen im Tunnel nicht weggetreten habe, bevor er in den hinteren Tunnelbereich zurückgewichen sei. "Das war eine dreiste Behauptung und gezielte Falschinformation des Polizeisprechers", so einer der anderen Braunkohlegegner [2]. Auf Nachfrage des WDR habe der zuständige Polizeisprecher des Rhein-Erft-Kreises erklärt, er habe die Informationen, die er von der Einsatzleitung bekommen habe, an die Pressevertreter weitergegeben, um diese möglichst schnell mit Neuigkeiten zu versorgen.

Zu den juristischen Nachspielen der Räumung könnten nun auch rechtliche Schritte gehören, die gegen die verantwortlichen Polizeibeamten wegen bewußter Falschinformation der Öffentlichkeit einzuleiten der Anwalt der Aktivisten diesen geraten hat.

Ein weiterer Punkt, der während und nach der Räumung vielfach in der Presse kolportiert wurde, betrifft die hohe Zahl von Straftaten, die die Waldbesetzerinnen und -besetzer angeblich begangen hätten bzw. die ihnen zum Vorwurf gemacht werden würden. Nach Angaben des Besetzer-Blogs "Hambacher Forst" wird bei der Staatsanwaltschaft ein einziges Ermittlungsverfahren geführt wegen einer im Sommer von Aktivisten durchgeführten Schienenblockade. [1]

Über die Gründe, die zu den vorzugsweise über die Medien in Stellung gebrachten Anschuldigungen, Vorwürfe und strafrechtlich relevanten Bezichtungen sowohl an die Adresse der Besetzerinnen und -besetzer als auch der Räumungskräfte geführt haben, könnte viel spekuliert werden, stehen diese doch in einem auffälligen Mißverhältnis. Aus manchen Sätzen schimmert in augenfälligster Weise die an die Waldbesetzer gerichtete Botschaft durch, doch eher früher als später aufzugeben - was diese zu der begründeten wie rhetorischen Frage veranlaßte, in wessen Interesse derartige Veröffentlichungen wohl stehen würden. Im Kölner Stadtanzeiger hieß es beispielsweise in einem Kommentar zum Thema [3]:

Vor allem der Mann im Tunnel hat den Kohlekritikern einen Bärendienst erwiesen. Selbst den Bürgern, die dem Protest eigentlich wohlwollend gegenübergestanden haben, ging das Versteckspiel irgendwann gewaltig auf die Nerven. Anfangs hatte man noch Mitgefühl mit dem jungen Mann, der da in der engen Röhre ausharrte - später nur noch mit den Rettungskräften, die er zum Narren hielt. Für die Waldbesetzer wäre jetzt ein guter Zeitpunkt aufzuhören. Bevor sie auch noch die letzten Sympathien verspielen. Und bevor sie sich und die Sache, für die sie kämpfen, der Lächerlichkeit preisgeben.

In manchen Medien wird offen Stimmung gegen die Angehörigen einer Protest- und Widerstandsbewegung geschürt unter Zuhilfenahme von Vorwürfen, die mit gleicher Münze auch in umgekehrter Richtung erhoben werden könnten und erhoben werden, wobei die Frage, wer denn dann, wenn nicht, wie die Grubenwehr inzwischen bestätigte, der Tunnelaktivist, die Stützpfeiler weggetreten haben könnte, noch gar nicht öffentlich gestellt und diskutiert wird.

Foto: © 2012 by Schattenblick

Bäume, Wald und Unterholz - der Hambacher Forst im Sommer 2012
Foto: © 2012 by Schattenblick

Aktuelle Informationen auf folgenden Seiten:
http://hambacherforst.blogsport.de/
https://stopptrwe.crowdmap.com/

Zum Hambacher Forst siehe im Schattenblick auch:

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR:
RAUB/1047: Helden der Zerstörung gegen Outlaws der Utopie (SB) (18.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1047.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNG:
LAIRE/209: Waldgrenze, Ödfraß und Profit ... (SB) (13.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/meinunge/umme0207.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml
BERICHT/019: Bagger fressen Erde auf - Kraftwerksneubau BoAplus verhindern! (SB) (20.06.2012)
BERICHT/021: Bagger fressen Erde auf - Basisaktivismus gegen Braunkohletagebau (SB) (10.07.2012)
BERICHT/022: Bagger fressen Erde auf - Erkundungen in RWE-Land (SB) (24.07.2012)
INTERVIEW/021: Bagger fressen Erde auf - Perspektiven der Antikohlebewegung (SB) (12.07.2012)
INTERVIEW/022: Bagger fressen Erde auf - Zeph über die Arbeit des Beehive Design Collective (SB) (13.07.2012)
INTERVIEW/024: Bagger fressen Erde auf - Alfred Weinberg über Kontinuität im Umweltaktivismus (SB) (20.07.2012)
INTERVIEW/025: Bagger fressen Erde auf - Waldbesetzer "Erde" im Hambacher Forst (SB) (24.07.2012)

Fußnote:

[1] Meldungen vom 19./20. November 2012
http://hambacherforst.blogsport.de/

[2] Nach den Protesten am Hambacher Forst: Waldbesetzer beschuldigen die Polizei, von Nina Magoley, wdr.de, 19.11.2012
http://www1.wdr.de/themen/panorama/hambacherforst170.html

[3] Es ist Zeit aufzuhören, Kölner Stadtanzeiger, Kommentar vom 20.11.2012
http://www.ksta.de/kerpen/kommentar-es-ist-zeit-aufzuhoeren,15189188,20912398.html

20. November 2012