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NACHLESE/002: Bagger fressen Erde auf - Interview mit Monika Schulz-Höpfner aus Atterwasch, Teil 1 (SB)


Interview mit Monika Schulz-Höpfner, CDU-Landtagsabgeordnete in Brandenburg, am 14. Juni in Atterwasch


Monika Schulz-Höpfner im seitlichen Porträt - Foto: © 2012 by Schattenblick

Monika Schulz-Höpfner
Foto: © 2012 by Schattenblick

Ausgerechnet für den Abbau von Braunkohle, den klimaschädlichsten Energieträger, sollen weiterhin Dörfer abgerissen und Menschen vertrieben werden. Im Tagebau werden dann riesige Löcher in die Landschaft gegraben, die nach der Ausbeutung teils mit dem Abraum, teils mit Wasser aufgefüllt werden. Renaturierung nennen das die Energiekonzerne und die zuständigen Behörden - ökologisches Katastrophengebiet für Jahrzehnte wäre der treffendere Ausdruck.

Im vergangenen Oktober war die SB-Redaktion ins Braunkohlenrevier Niederlausitz gefahren, um von einer Bürgerinitiative im Dorf Proschim aus erster Hand zu erfahren, welche sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen der Abbau von Braunkohle und ihre Verstromung haben. [1] Uns war schnell klar, daß wir diesen vielschichtigen Konflikt auch in Zukunft nicht aus den Augen verlieren würden, nur weil es gerade man wieder still um die Braunkohle geworden ist und es keinen aktuellen Landtagsdisput darüber gibt.

Wenn wir aber eine Nachlese "zu Proschim" machen, dann wollten wir unseren Blick gleichzeitig erweitern, und fragten uns, wo noch Protest, wo noch Handlungsbedarf ist. Am 14. Juni fuhren wir zunächst nach Atterwasch, das wie die Nachbardörfer Kerkwitz und Grabko für einen neuen Tagebauaufschluß Jänschwalde-Nord abgerissen werden soll. In dem nahe der polnischen Grenze gelegenen Dorf, das rund 230 Einwohner hat, sprachen wir zunächst mit Monika Schulz-Höpfner. Sie ist CDU-Landtagsabgeordnete in Brandenburg und engagierte Gegnerin des Braunkohletagebaus.

Weitere Interviews, die in den nächsten Tagen gesondert veröffentlicht werden, führten wir mit dem Pfarrer Mathias Berndt aus Atterwasch, der Bergbau-Betroffene seelsorgerisch begleitet und sich an den Protesten gegen den Tagebau beteiligt, mit der Landtagsabgeordneten Sabine Niels von den Brandenburger Grünen sowie mit Mona und Nelly, die das Lausitzer Klima- und Energiecamp mitorganisieren, das im August in Jänschwalde aufgebaut wird. Ein Bericht über die Nachlese-Reise wurde vor kurzem veröffentlicht. [2]

Monika Schulz-Höpfner ist Stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbandes der CDU Spree-Neiße und Sprecherin für Familien-, Frauen- und Seniorenpolitik der CDU-Fraktion im Landtag Brandenburg. Die Mutter dreier Kinder zog 1982 nach Atterwasch und war von 1990 bis 1993 Bürgermeisterin der Gemeinden Atterwasch und Kerkwitz. Im ersten Teil des Interviews berichtet sie unter anderem darüber, wie schwer sich der drohende Abriß der Dörfer auf deren Einwohner auswirkt, wie sie mit dem Konflikt umgeht, daß ihre Partei, die CDU, genauso wie die rot-rote Landesregierung den Braunkohle-Abbau befürwortet, und was sie unternimmt, um die Landespolitiker noch umzustimmen.

Braunkohletagebau und Kohlekraftwerk Jänschwalde - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ganze Landschaften werden bis zu 120 Meter tief abgegraben
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Gibt es in Atterwasch Einwohner, die sich damit abgefunden haben, daß der Ort keine Zukunft hat, und bereits weggehen?

Monika Schulz-Höpfner: Nein, das nicht. Die Bevölkerung dezimiert sich aber, weil wir hier viele sehr alte Menschen haben, die irgendwann sterben. Auf der anderen Seite gehen die jungen Leute weg, weil sie eine Lehre machen. Das ist auch gar nicht schlecht, wenn sie sich mal den Wind um die Nase wehen lassen. Aber ob die Option lukrativ für sie ist, in ein Gebiet zurückzukehren, in dem der Kohlebagger Löcher gräbt, wage ich zu bezweifeln.

SB: Wir haben auf der Fahrt hierher in Atterwasch ein Schild gesehen: "Zu verkaufen". Verkaufen die Leute im Dorf ihre Häuser bereits?

MSH: Das kann ich mir nicht vorstellen. Wer jetzt verkauft, hat sicher ganz pragmatische Gründe. Auf der anderen Seite sind natürlich auch schon Glücksritter unterwegs, die hier möglichst billig etwas aufkaufen wollen, in der Hoffnung, wenn hier abgebaggert wird, ein Schnäppchen zu machen.

SB: Wollen die eine Entschädigungssumme rausschlagen? Fiele die dann höher als der Kaufpreis aus?

MSH: Darauf könnte man spekulieren.

SB: Werden da schon Summen genannt?

MSH: Nicht daß ich wüßte. Wenn ein Grundstück leer steht, wird man schon mal von Fremden darauf angesprochen, die fragen, ob es zum Verkauf steht. Es wäre ja schön, wenn manches Grundstück wieder bewirtschaftet werden würde. Aber man sieht den Leuten manchmal an, was die für Hintergründe haben. Für so etwas ist der Blick mittlerweile geschärft.

SB: Ist eigentlich Vattenfall schon mal auf Sie zugekommen und hat Ihnen einen Kaufpreis für Ihr Grundstück genannt?

MSH: Ich glaube, das würde sich Vattenfall bei mir dreimal überlegen, weil, wenn die einer Landtagsabgeordneten mit so einer Frage kämen, wüßten die, daß das am nächsten Tag in der Zeitung stünde.

SB: Und auch sonst bei niemandem im Dorf?

MSH: Es hat Bürgerversammlungen gegeben, wo man uns das alles schmackhaft machen wollte. Da werden dann aber nur unterschwellige Angebote gemacht wie: 'Wir werden im Dorf natürlich alles aufrecht erhalten und schön machen bis zum Schluß.' Das ist so, als wenn mir jemand den Sarg ausstattet. Das muß ich nicht haben. Solche Versuche hat es gegeben. Ob einzelne Bürger Angebote erhalten haben, kann ich nicht sagen. Manchmal habe ich den Eindruck, daß solche Gespräche geführt werden, aber sicher sagen kann ich das nicht.

Die Situation hier im Dorf ist unterschiedlich. Die meisten Einwohner wollen, daß es erhalten bleibt. Aber sie haben Angst davor, daß sie am Ende an der Tagebaukante stehen und es ihnen ergeht wie den Einwohnern vieler anderer Orte, denen das passiert ist. Hier leben einige, die sind wie ich in den Fünfzigern. Die sagen, das möchte ich nicht erleben, ich möchte meinen Lebensabend nicht so gestalten, daß vor der Haustür der Bagger quietscht. Wir haben das Beispiel ja vor der Tür, und das wollen die Leute nicht. Da ist auch ein Großteil Resignation.

Außerdem ist der soziale Frieden massiv gestört. Wenn wir eine Familienfeier haben oder im örtlichen Freundeskreis zusammenkommen, treffen wir vorher immer eine Vereinbarung: 'Wir reden heute abend nicht über Kohle.' Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig es ist, das dann einzuhalten! Wir kommen natürlich irgendwie immer zu dem Thema, und das geht nicht gut, selbst im Kreis von vierzehn, fünfzehn Leuten gibt es schon unterschiedliche Meinungen.

SB: Im Oktober letzten Jahres waren wir in Proschim, deren Bewohner ebenfalls von der Abbaggerung bedroht sind. Wir haben uns dort umgeschaut und gesehen, was da auch an Werten der Erneuerbaren Energien gegen die Braunkohle steht. Das Dorf wäre sogar noch vor dem Ihren dran. Das ist ein Prozeß, der durch das Planungsverfahren lange Wege nimmt und den Betroffenen auf die Nerven geht.

MSH: Ja, ich kenne viele derjenigen, die sich gegen den Tagebau engagieren, wir unterstützen uns gegenseitig. Beispielsweise legen sie mir Fragen und Fakten ans Herz, damit ich das verarbeiten und als Landtagsabgeordnete in Redebeiträgen oder Anträgen einbringen kann. Denn man müßte, wenn man das ganze Verfahren, mit dem Planungs- und Braunkohleverfahren, durchschauen wollte, ein super Experte sein. Dann müßte man wirklich in Hydrologie Bescheid wissen, ebenso in der Tagebautechnik, man müßte technisch und wissenschaftlich auf dem neusten Stand sein. Das kann man nicht. Ich versuche immer, die Fragen aufzunehmen und mit Hydrologen oder Technikern zu besprechen, um daraus Landtagsfragen oder -anträge zu entwickeln. Ich traue mich allerdings auch, irgendwelche laienhaften Fragen zu stellen, das sind meistens die schönsten. Dann sitzt mein Gegenüber oftmals ratlos da und meint: Das hat uns noch keiner gefragt, darauf sind wir noch gar nicht gekommen.

SB: Sie leben in Atterwasch, waren hier und auch in Kerkwitz Bürgermeisterin. Jetzt sind beide Orte von der Devastierung bedroht. Einmal abgesehen von dem großen politischen Fenster, das man an der Stelle aufstoßen kann und muß, was bedeutet das für Sie persönlich?

MSH: Das hat mich 2007, als mir diese Entscheidung mitgeteilt wurde, wie ein Schlag ins Gesicht getroffen. Viele denken, ich hätte da mehr Hintergrundwissen gehabt als andere. Das habe ich nicht. Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, daß jemand auf die Idee kommt, den Kohlentagebau so weiterzuführen. Es war für mich genauso überraschend, das zu erfahren. Das einzige Vorwissen bestand darin, daß mich der zuständige Minister von der CDU am Abend vor der Pressemitteilung über diese Clausthal-Studie [3] anrief und sagte: 'Monika, ich muß dir was sagen, da kommt morgen was, sei nicht überrascht. Ihr steht doch wieder zur Disposition. Die Kohlepläne, die Clausthal-Studie, da ist was durchgestochen worden.' Im ersten Moment war ich völlig sprachlos, dann bin ich hochgegangen wie eine Rakete und habe gesagt: 'Ihr habt sie wohl nicht mehr alle! Ihr seid doch nicht mehr normal, das kann doch nicht euer Ernst sein!' Sagte er: 'Es ist ja nicht alles durch, das ist nur eine Studie.' Darauf ich: 'Erzählt mir doch keine Märchen, ihr macht doch nicht nur eine Studie nur um der Studie willen oder was!' Und weiter: 'Ihr brauchtet keine Studie zu machen, kommt einfach in die Dörfer, guckt euch die alten Pläne aus der DDR an, die sind fast genau identisch!' Dann war das Gespräch beendet. Ich wußte nicht, was tun, und war völlig neben der Spur. Ich habe dann überlegt, ob ich am nächsten Tag zur Pressekonferenz hingehe. Doch ich wußte genau, meine Emotionen hätte ich an dem Tag nicht im Zaum halten können. Vielleicht hätte ich mit Gegenständen geschmissen.

SB: War es nicht so, daß im März 2009 bei der 71. Landtagssitzung das Braunkohleverfahren für Jänschwalde-Nord eröffnet wurde, zu einem Zeitpunkt, an dem auch Sie im Landtag waren? War das nicht gleichbedeutend mit: 'Jetzt wollen die meinem Heimatdorf an den Kragen?'

MSH: Die Clausthal-Studie wurde schon im September 2007 veröffentlicht, und danach lief das ganze natürlich schon an. Im übrigen beschließt der Landtag den Tagebau gar nicht, sondern das machen nur die Landesregierung und das Kabinett. Es ist ein verbreiteter Irrtum zu glauben, daß der Landtag das beschließt. Nein, der Landtag bekommt das nur zur Kenntnis. Aber natürlich hat er die Möglichkeit, sich das auf den Tisch zu ziehen und das in die Ausschüsse zu bringen. Das nutzen wir natürlich und sagen: Wir holen uns den Ausschuß hierher und versuchen zu erreichen, daß die Regierungsmitglieder mit den Leuten vor Ort die Diskussion führen. Manchmal gelingt das, manchmal nicht. Alle, die da waren, sind immer tief beeindruckt wieder weggefahren. Leider hält der Eindruck nicht so lange an, wie man sich das wünscht. Aus der Ferne läßt sich dann vieles leicht beschließen. Das ist anders, als wenn man vor Ort ist und sagen muß: der Baum, das Haus, dieser kulturhistorische Wert, das alles wird in die Grube fallen. Dann fällt es den Leute sehr viel schwerer zu sagen, daß der Abriß unbedingt notwendig ist.

Monika Schulz-Höpfner beim Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

Aufschluß neuer Tagebauen - 'Das hat mich 2007, als mir diese Entscheidung mitgeteilt wurde, wie ein Schlag ins Gesicht getroffen.'
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Die Landtagsfraktion der CDU hat nach der Energiestrategie 2030 [4] der rot-roten Landesregierung ein eigenes Energiekonzept [5] vorgelegt, von dem ich sagen würde, daß das noch schlimmer ist als das, was die Landesregierung an den Start gebracht hat. In dem CDU-Papier ist das Bekenntnis zur Braunkohle sowas von eindeutig. Wie geht es Ihnen damit?

MSH: Nicht besonders gut, wie Sie sich vorstellen können. Ich versuche immer Überzeugungsarbeit zu leisten, doch das Bekenntnis zur Braunkohle konnte ich nicht verhindern. Da ist man in Potsdam durchgängig einer Meinung, ob das in der SPD oder in der CDU ist, selbst in Teilen der Linken. Da sollte man sich nicht täuschen. Da gibt es diese Denke. Natürlich wurde der ganze Braunkohlenabbau auch noch durch die Sachsen forciert. Es besteht eine Zusammenarbeit zwischen der sächsischen und der Brandenburger CDU, und die sächsische treibt das noch vehementer voran. Mein Eindruck war, daß die Brandenburger sich davon ein bißchen hat mitreißen lassen.

Ich habe natürlich gegen das Energiekonzept gestimmt. Aber bei näherer Betrachtung des Papiers, wenn Sie es richtig gelesen haben, dann wird Ihnen aufgefallen sein, daß da zum Beispiel an einer Stelle steht: "möglichst ohne die Dörfer anzutasten". Ich meine, das sind ja schon heldenhafte Gedanken der CDU! Dazu hätte sich eine CDU-Fraktion vor ein paar Jahren noch gar nicht durchringen können.

SB: Ich würde gerne auf ein Detail des Energiekonzepts zu sprechen kommen. Darin ist auch formuliert, daß man in Bezug auf die erneuerbaren Energien darauf achten muß, daß man keine Mitnahmeeffekte beispielsweise beim Bau von Solaranlagen unterstützt; deshalb wäre es notwendig, die entsprechende Gesetzeslage zu klären. Da habe ich als erstes gedacht: Wie verhält sich das eigentlich hinsichtlich der Braunkohle? Davon steht in dem Konzept nichts. Was sagt denn Ihre Fraktion dazu, daß kein Förderzins erhoben wird? Oder daß es günstigerweise für Vattenfall möglich ist, Wasser, Erden, Sande, Kiese zu nutzen? Das könnte man doch als einen inzwischen schon sehr lang andauernden Mitnahmeeffekt bezeichnen. Was sagen Sie persönlich dazu, und was ist die Position Ihrer Partei dazu?

MSH: Ich bin natürlich für eine Gleichbehandlung der Energieträger. Wenn es Mitnahmeeffekte gibt wie zum Beispiel beim Wasser, was ja allgemein bekannt ist, dann möchte ich das in den Mittelpunkt der Debatte gestellt sehen. Aber darüber redet man nicht so gerne. Wir sammeln dazu immer wieder Daten und Fakten, was sehr schwierig ist, da sich die Landesregierung gerne auf die Position zurückzieht, das falle alles unter den Datenschutz, das seien konzerninterne Dinge. Beispielsweise als ich einmal nach Steuern gefragt hatte.

Auch die CDU, das muß ich zugeben, diskutiert darüber nicht gerne und versucht das möglichst zu umgehen. Es wird nicht so bewertet, wie ich es tue, und es kommt dann das Totschlagargument 'Arbeitsplätze', 'das sind unsere Arbeitsplätze'. Das gleiche auch in der Kreisentwicklungskonzeption, da steht genau das gleiche drin: Wir brauchen diese Arbeitsplätze, ansonsten geht die Lausitz unter.

Wenn ich so argumentiere wie Herr Platzeck kürzlich in seiner Rede vor dem Landtag - 'wenn wir aus der Braunkohle aussteigen, dann geht das Licht in der Lausitz aus' - wenn ich also heute sage, ich steige morgen aus, dann geht natürlich das Licht aus. Aber das hat ja niemand vor! Er verschweigt den Leuten, daß das ein Prozeß über 20 , 25 Jahre wäre. Das ist diese Brücke [6] - nur, eine Brücke muß auch mal ein Ende haben. An so einer Stelle sage ich dann immer: Unter der Brücke würde ich doch nicht auch noch die Gemeinden und die Bevölkerung, die Bürgerinnen dieser Gemeinde, seine Einwohner, seine Landeskinder, begraben. Das ist immer eine schwierige Diskussion, die ich da zu führen habe.

SB: Ich könnte mir vorstellen, daß die politische Auseinandersetzung mit Ministerpräsident Platzeck zumindest noch einfacher zu führen ist als mit den eigenen Parteifreunden, oder?

MSH: Ja, allerdings sind die Argumentationen dieselben. Da kann ich genauso mit Platzeck reden wie mit meinen Leuten. Ihn versuche ich dann ein bißchen an seinem sozialen Gewissen zu kitzeln, weil er ja vom Sozialstaat sowie den sozialen und psychologischen Folgen der Devastierung spricht. Über die Folgen einer jahrelangen Planfeststellung für die Menschen spricht hingegen niemand. Auch nicht innerhalb unseres Scoping-Verfahrens.

SB: Könnten Sie den Begriff Scoping näher erklären?

MSH: Beim Scoping wird der Rahmen der Untersuchung festgelegt. Ich bin der Meinung, es darf nicht nur das, was die Umwelt betrifft, also die Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, das Klima, die Tiere, etc., untersucht werden, sondern man muß auch alle Folgen, die den Menschen betreffen, die psychosozialen Folgen einer solchen Devastierung, berücksichtigen. Da weigert man sich vehement.

Ich will auch erreichen, daß die gesundheitlichen Folgen vorher und nachher untersucht werden. Aber nein, da weigert man sich vehement! Das sind Diskussionen, die ich auch in der eigenen Fraktion führe und mit Nachdruck nach vorne zu tragen versuche, weil man dafür weit weg im Potsdamer Landtag so gar kein Verständnis hat. 'Was will die eigentlich', fragt man sich dort. Ja, Leute, das hat doch Auswirkungen, wenn ich zehn, zwanzig Jahre hier lebe und immer dieses Schwert über mir habe! Ich überlege mir doch bei jeder Investition, mache ich sie noch oder nicht mehr. Steht morgen einer vor der Tür, der hier schon zu vermessen anfängt? Man hat das Gefühl, das ist schon gar nicht mehr so richtig mein Eigentum. Und Eigentum, so war meine Vorstellung mal, hat in der Bundesrepublik einen ganz hohen Stellenwert. Das scheint aber im Kohleverfahren nicht der Fall zu sein.

SB: Wurden bei einem Scoping-Verfahren im Zusammenhang mit dem Braunkohletagebau jemals solche Fragen aufgenommen?

MSH: Mir ist jetzt nur das Braunkohlenverfahren im Zusammenhang mit Horno näher bekannt, aber Horno war schon so weit im Verfahren fortgeschritten, daß das nicht mehr der Fall war. Soweit ich das weiß, wurde das in der Breite, in der wird das jetzt machen, mit der Öffentlichkeit, von vielen der Scoping-Terminen nicht wahrgenommen. Wir hatten eine richtige Arbeitsgruppe und haben reichlich Gehirnschmalz darauf verwendet zu überlegen, was untersucht werden muß.

Man muß sich das mal vergegenwärtigen: Wir sind eine winzig kleine Gemeinde, und Vattenfall ist ein riesiger Konzern, und zudem haben wir noch die Landesregierung mit ihrem Bürokratenapparat. Nun sollen wir bis ins Detail genau sagen, was wir eigentlich untersucht haben wollen. Da muß man aufpassen, daß man gar nichts vergißt, weil uns das später bitter auf die Füße fallen kann, indem bestimmte Dinge vor Gericht gegen unsere Gemeinde verwendet werden. Das haben wir in Horno erlebt, denn die hatten nie gefordert, was wir jetzt fordern. Das ist ein ungleicher Kampf, David gegen Goliath.

Altes, renovierungswürdiges Haus mit Protestplakaten zum Erhalt Atterwaschs - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Das hat doch Auswirkungen, wenn ich zehn, zwanzig Jahre hier lebe und immer dieses Schwert über mir habe! Ich überlege mir doch bei jeder Investition, mache ich sie noch oder nicht mehr.'
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Sie sprechen die psychosozialen Aspekte an. Wie macht sich das im Alltagsleben des Dorfes bemerkbar? Könnten Sie uns am Beispiel illustrieren, wie sich die drohende Devastierung auswirkt?

MSH: Schon innerhalb der Familien kann es zu Problemen kommen, weil das ein Dauerthema ist, bei Feiern etwa, wie ich vorhin schon sagte. Da muß man ganz genau aufpassen, daß Worte nicht falsch gewichtet werden. Daß die Leute nicht laut werden und sich anbrüllen, wenn es um das Thema geht. Denn da ist der eine, der Heimatverbundene, der Verwurzelte, und da der andere, der schon den Prospekt für ein neues Haus auf dem Tisch hat. Dann kracht's da richtig. Wobei ich ehrlich sagen muß, das sind wirklich nur Einzelbeispiele. Insgesamt ist es immer noch so, und das ich erlebe ich rundum, daß wir uns einig sind: Wir wollen, daß die Dörfer erhalten bleiben.

Aber dieses Unterschwellige, dieses stetige Aushöhlen, das ist natürlich da. Die Leute sind einfach entnervt. Ich mußte vorhin schmunzeln, als Sie sagten, sie kamen hier ins Dorf, es sei so still gewesen. Ja, das ist auch eines der Dinge. Die Leute sind mittlerweile so müde, ständig die gleichen Fragen beantworten zu müssen, und, ja, die Hoffnung, daß wir tatsächlich Erfolg haben könnten, ist sehr vage. Wenn die Leute von der Arbeit kommen, machen sie die Tür zu und wollen nichts mehr hören, nichts mehr sehen, ihre Ruhe haben. Es ist selbst innerhalb der Gemeinde ganz schwierig, alle zusammenzubringen und zu sagen, wir machen jetzt mal einen fröhlichen Abend.

Das ist jetzt immer so, als wenn sie eine Wolke drüber malen. Das war früher nicht so. Wir waren unbeschwert, hatten unsere Bauernolympiade - wir hatten auch Probleme, wie sie jeder Ort hat, aber es war nicht immer diese Wolke drüber. Die würde wir gerne wegschieben, aber man bekommt sie nicht weg. Das ist auch emotional sehr belastend.

SB: Zumal es faktisch keinen Grund mehr für diese Wolke geben müßte. Wenn ich daran denke, daß das Braunkohleplanverfahren für Jänschwalde-Nord an ein neues Kraftwerk mit CCS-Technik [7] gekoppelt war, was nun vom Tisch ist, denn Vattenfall hat die Investitionserklärung zurückgezogen. Wenn man das zugrunde legt und sich die Arbeitsplatzzahlen anschaut, dann wird selbst im CDU-Energiekonzept Ihrer Fraktion deutlich, daß die angesprochenen Unterschiede zwischen erneuerbarer Energie und Braunkohlewirtschaft gar nicht so groß sind. Man könnte sich dem Thema tatsächlich argumentativ auch anders nähern und mit den gleichen Fakten anders umgehen. Haben Sie irgendein Indiz dafür, daß es eine Möglichkeit gibt, dieses Verfahren zugunsten von Atterwasch zu stoppen?

MSH: Aus unserer Sicht gäbe es eine ganze Reihe von Argumenten, das Planverfahren zu stoppen, aber von der anderen Seite, von denen, die das durchdrücken wollen, die behaupten, es sprächen reichlich Argumente dafür. Es gibt also pro und contra, das geht völlig aneinander vorbei. Man muß dazu sagen, daß sich sowohl die Kohlelobby als auch Vattenfall regelmäßig zu dem Thema äußern. Mal so, mal so, das ist ständig in Bewegung.

Die ausgerufene Energiewende spricht eher für uns - am nächsten Tag kann aber wieder etwas ganz anderes veröffentlicht werden. Dann geht das, zack!, runter in den Keller und man hat das Gefühl, es wendet sich wieder alles gegen uns. Es gibt ein ständiges Auf und Ab. Die Kunst besteht im Moment darin, damit umzugehen und damit zu leben. Ich behaupte trotzdem, daß die Zeit für uns arbeitet, weil ich denke, diese Energiewende kann doch nicht einfach eine Wende hin zur Kohle sein. Zudem schreitet die wissenschaftliche Entwicklung auf diesem Gebiet weiter voran, es gibt Ergebnisse. Als ich vor 30 Jahren hierher gezogen bin, war das völlig anders. Selbst vor 20 Jahren in der Wendezeit hätte ich nicht gedacht, daß ich jemals eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach haben würde.

Gehen Sie heute mal durchs Dorf, dann sehen sie, daß wir viele Photovoltaikanlagen haben. Wir denken auch darüber nach, Windräder aufzustellen. Ich wünsche mir, daß die Menschen nicht jedes Windrad und jede Photovoltaikanlage für eine Bedrohung halten. Leute, das ist Zukunft! Ich bin davon überzeugt, wenn man sich in die Energiewende richtig reinkniet und wirklich sagt, wir wollen das und wir forcieren wissenschaftliche Entwicklung auf dem Gebiet, dann können wir Spitzenreiter in der Welt sein und einen richtig großen Beitrag für das Weltklima leisten. Aber man muß es wollen. Und ich sage mal, ich kann doch nicht nur von der Brücke reden, dann muß ich auch sagen, wohin die Brücke führen soll.

SB: Bekommen Sie darüber einen politischen Hebel in die Hand?

MSH: Ja, was wir als kleine Initiative vor Ort machen, sind auf der politischen Ebene beispielsweise diese Landtagsanfragen. Im Kreistag mit seiner großen Braunkohlenlobby legen wir dann schon mal entsprechende Sachargumente auf den Tisch. Außerdem sammeln wir Argumente für den Braunkohleausschuß. Mit Herren Schuster [8] zusammen, den Sie ja auch schon interviewt haben. Wir versuchen, viele Sachen zu organisieren.

Darüber hinaus bemühen wir uns hier, eine Tradition des Protestes zu entwickeln. Das ist nicht einfach. Jedes Jahr Anfang Januar machen wir unseren Sternmarsch. Den wollen wir beibehalten. Voriges Jahr haben wir das Bündnis "Heimat und Zukunft" [9] gegründet. Es soll jetzt zur Tradition werden, daß wir jedes Jahr am Reformationstag hier in Atterwasch eine Veranstaltung machen.

Ohne daß wir groß Werbung machen, ruft so etwas Reaktionen hervor. Kaum daß wir das Bündnis Heimat und Zukunft gegründet hatten, bildete sich ein Bündnis "Pro Braunkohle", das angeblich die große schweigende Mehrheit der Kohlebefürworter hier in der Lausitz vertritt. Darin waren Leute wie der Landrat und der Oberbürgermeister vertreten, die natürlich alle nur als "Privatperson" daran teilnehmen. Da habe ich mir gesagt - du hast immer das Gefühl, du kannst machen, was du willst, davon kommt draußen nichts an -, doch es kommt schon an. Das war mir in dem Moment richtig deutlich geworden.

(wird fortgesetzt)

Gedenkplakat - 'Die Menschen an den Rand gedrängt, Natur gekränkt und Leben erhängt! Atterwasch 1294 -abgebaggert 2025? Von Beileidsbekundungen bitten wir abzusehen. Spenden Sie bitte zu Gunsten klimarettender Maßnahmen!' - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Es liegt ständig eine Wolke über dem Dorf. Die würde wir gerne wegschieben, aber man bekommt sie nicht weg. Das ist emotional sehr belastend.'
Foto: © 2012 by Schattenblick


Fußnoten:
[1] BERICHT/012: Bagger fressen Erde auf - Gegen Landraub und Vertreibung (SB), Aus der Mitte der Gesellschaft - Kampf gegen geplanten Braunkohle-Tagebau Welzow-Süd II, 7. November 2011
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0012.html

INTERVIEW/009: Bagger fressen Erde auf - Proschim streut Sand ins Getriebe (SB), Gespräch mit Mitgliedern der Bürgerinitiative gegen den geplanten Braunkohletagebau Welzow-Süd II am 28. Oktober 2011 in Proschim, 12. November 2011
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0009.html
und
INTERVIEW/010: Bagger fressen Erde auf - Widerstand braucht langen Atem (SB), Gespräch mit René Schuster am 28. Oktober 2011 in Cottbus, 15. November 2011
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0010.html

sowie zwei Audio-Beiträge:
MIT DEM SCHATTENBLICK UNTERWEGS/0004: Bagger fressen Erde auf - Teil 1 "Verheizte Heimat" (SB), 18. November 2011
http://schattenblick.com/ton/albatros/report/armd0004.html
und
MIT DEM SCHATTENBLICK UNTERWEGS/0005: Bagger fressen Erde auf - Teil 2 "Verbrannte Seelen" (SB), 11. Januar 2012
http://schattenblick.com/ton/albatros/report/armd0005.html

[2] NACHLESE/001: Bagger fressen Erde auf - Bericht aus Atterwasch, Horno und Berlin (SB), 25. Juni 2012
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrn0001.html

[3] Clausthal-Studie - Die TU Clausthal hat untersucht, wo überall in Brandenburg Kohle lagert und wie sinnvoll der Abbau weiterer Lagerstätten ist. In der Studie wird dem geplanten Tagebau Jänschwalde-Nord (Kerkwitz, Atterwasch, Taubendorf, Grabko) die Bonität A zugesprochen.

[4] http://www.energie.brandenburg.de/media/bb1.a.2865.de/Energiestrategie_2030.pdf

[5] http://www.cdu-fraktion-brandenburg.de/themen/initiativen/energiepapier?file=tl_files/cdu/data/downloads/Energiepapier/Energiepapier_CDU-Fraktion%20Brandenburg.pdf

[6] In der Energiestrategie 2030 Brandenburgs wird Braunkohle als "Brückentechnologie" hin zu einer vollständigen elektrischen Energieversorgung mit sogenannten Erneuerbaren Energien bezeichnet. Dennoch sollen für diese Brücke noch Dörfer abgerissen werden.

[7] CCS - (engl. Carbon Dioxide Capture and Storage) Die Abscheidung und -Speicherung von Kohlendioxid beispielsweise in Kohlekraftwerken. Das Verfahren dient der Verringerung des Treibhausgases CO2, allerdings ist das Verfahren ziemlich energieaufwendig, so daß mehr Braunkohle verbrannt werden müßte, um CO2-Emissionen zu verringern. Außerdem ist die Lagerung des verflüssigten Gases noch nicht erforscht und wird als potentiell gefährlich für Mensch und Umwelt angesehen.

[8] René Schuster, Mitglied der Grünen Liga, Mitglied des Braunkohlenausschusses und umtriebiger Streiter gegen die Tagebauen.

[9] http://www.heimatzukunft.de/

28. Juni 2012