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INTERVIEW/261: Botanik 2017 - Nahrungsquellen nicht grenzenlos ...     Prof. Dr. Andreas Graner im Gespräch (SB)



Es sei Tradition der Botanikertagungen, daß an einem der Abende ein öffentlicher Vortrag gehalten wird, sagte die Botanikprofessorin und Tagungsleiterin Karin Krupinska bei der Vorstellung des diesjährigen Referenten. Als Gastredner eingeladen war Prof. Dr. Andreas Graner, geschäftsführender Direktor und Leiter der Abteilung Genbank am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben.

Obschon das Vortragsthema, "Können wir mit unseren Nutzpflanzen in 20 Jahren noch die Welt ernähren?", von größter Wichtigkeit nicht nur für die gegenwärtig 815 Millionen hungernden und 1,2 Milliarden mangelernährten Menschen ist, sondern bei einer Verknappung der Nahrung auch sehr schnell die heutigen Wohlstandsregionen ereilen könnte, also letztlich alle Menschen betrifft, hatte "die Öffentlichkeit" an diesem Abend des 18. September 2017 offenbar etwas anderes vor. An Besucherinnen und Besuchern des Vortragssaals im Audimax mangelte es nicht, aber bei den allermeisten von ihnen handelte es sich augenscheinlich um Teilnehmende der Botanikertagung.

Prof. Graner war nach seinem Vortrag und der anschließenden Podiumsdiskussion bereit, dem Schattenblick noch einige vertiefende Fragen zum Themenkomplex Hunger und Welternährung zu beantworten.


Beim Interview - Foto: © 2017 by Schattenblick

Prof. Dr. Andreas Graner
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ihr Vortrag heute abend lautete: "Können wir mit unseren Nutzpflanzen in 20 Jahren noch die Welt ernähren?" Unsere Anschlußfrage: Können wir sie heute ernähren?

Prof. Dr. Andreas Graner (AG): Was die landwirtschaftliche Produktionsmenge betrifft, können wir die Welt ernähren. Das habe ich in meinen Ausführungen gezeigt. Wir können es uns sogar leisten, daß wir dreißig Prozent unserer Produktion wegwerfen oder schlechtwerden lassen. In bestimmten Bereichen gibt es natürlich Verteilungsprobleme, die dazu führen, daß immer noch zwischen 800 Millionen und einer Milliarde Menschen auf der Erde hungern und viele mehr an Mangelerscheinungen in Hinblick auf Vitamin A oder Spurenelementen leiden. Da gibt es sicherlich viel Verbesserungs- und Optimierungsbedarf. Aber im Grunde genommen können wir sagen, daß es möglich ist, die 7,4 Milliarden Menschen, die gegenwärtig auf der Erde leben, zu ernähren.

Vielleicht könnte man Ihre Frage erweitern und die Anschlußfrage so formulieren: Können wir die 7,4 Milliarden Menschen durch nachhaltige Nutzung unserer Erde ernähren, so daß wir unsere Felder und unsere Ökosysteme in einem Zustand hinterlassen, daß unsere Kinder sie wieder so vorfinden, wie wir sie vorgefunden haben? Diese Frage muß man eigentlich mit Nein beantworten. Die Nutzung ist nicht nachhaltig. Das ist sicherlich das Hauptproblem, mit dem wir auch in den kommenden Jahrzehnten noch kämpfen müssen: Wie können wir die Nachhaltigkeit verbessern? Ob es dann tatsächlich zu einem Zustand kommt, der sensu stricto als nachhaltig bezeichnet werden kann, sei dahingestellt.

SB: Wie schätzen Sie das Problem der Flächenkonkurrenz ein?

AG: Ich glaube, daß es zu einem heftigen Wettbewerb zwischen der Produktion von Nahrungsmitteln und von Energie kommen wird. Lassen Sie mal den Spritpreis auf fünf Euro steigen. Selbst in einem reichen Land wie Deutschland entsteht dann eine ganz andere Marktsituation. Für einen Landwirt wird es lukrativer, anstatt seinen Weizen in die nächste Mühle zum Brotbacken zu verkaufen, ihn in eine Bioethanol-Anlage zu geben. Zur Zeit freuen wir uns eigentlich alle ein bißchen darüber, daß Tanken wieder etwas günstiger ist. Aber die Wahrheit ist, daß es immer weniger fossile Ressourcen geben wird. Ich glaube, wir kommen jetzt in eine Phase, wo ein Umdenken erforderlich wird. Wo es wehtut, daß wir nicht mehr mit dem Auto ins Institut fahren, und ich dann mit dem Fahrrad fahren müßte. Aber das ist eine Alternative.

SB: Vor kurzem ist der "Global Land Outlook" der UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung erschienen. Darin wird berichtet, daß rund 30 Prozent der globalen Landfläche degradiert sind und daß dieser Trend in den letzten beiden Jahrzehnten extrem zugenommen hat. Hat die Pflanzenzüchtung bereits auf diese zunehmende Degradierung reagiert?

AG: Teilweise ja. Ich kenne den Bericht nicht und weiß daher nicht, über welche Form der Degradierung darin gesprochen wird. In den letzten zwanzig Jahren wurden in der Pflanzenzüchtung und auch im Vorfeld entsprechende Forschungsanstrengungen unternommen, um Pflanzen zu züchten, die beispielsweise auf aluminiumverseuchten Böden gedeihen können. Aluminiumtoxizität ist in Polen und anderen osteuropäischen Ländern, aber weltweit auch in vielen anderen Ländern, ein Problem.

Aluminium wird im Boden als normaler Prozeß der Bodenentwicklung freigesetzt, ausgelöst letztlich durch CO2-Einträge oder die Anregung säurebildender Prozesse. Noch später in der Bodenentwicklung wird Eisen freigesetzt. Typisch dafür sind die tropischen Böden. In denen ist gar kein Aluminium mehr vorhanden. Das ist dann schon ausgewaschen. Es gibt mittlerweile Pflanzensorten, die relativ gut mit Aluminiumstreß umgehen können.

Das gleiche gilt auch für Australien hinsichtlich des chemischen Elements Bor. In Australien besteht eine Bortoxizität, dort gedeihen keine normalen Getreidepflanzen. Erst wenn aufgrund natürlicher Diversität eine Bortoleranz auftritt oder wenn sie eingezüchtet wird, dann können auch dort Pflanzen gedeihen.

SB: Wenn der CO2-Anteil in der Atmosphäre steigt, würde das dann die Bor-Bildung in den Böden beschleunigen und wäre das ein Problem?

AG: Bei Bor geht es um die mineralische Zusammensetzung eines Bodenkörpers und den Zustand der Verwitterung. Ob der Klimawandel das beschleunigt, bin ich überfragt. In Australien ist das Ausgangsgestein stark verwittert, die Böden sind sehr alt. Das liegt daran, daß der Kontinent keine Eiszeit erlebt hat. Wohingegen beispielsweise hier in Schleswig-Holstein die vorletzte Eiszeit durchgezogen ist und alles abgeschrubbt und umgedreht hat. Das, was wir an Böden haben, ist erst danach entstanden. Die Böden Australiens, die niemals eine Eiszeit gesehen haben, sind seit Millionen Jahren da und verwittern und verwittern und verwittern.

SB: In Ihrem Vortrag sprachen Sie von Innovationen, die erforderlich sind, um die Produktivität in der Landwirtschaft zu erhöhen. Gibt es für die Steigerung der Ernteerträge eine natürliche Grenze, die auch die Züchtungsforschung nicht überschreiten kann?

AG: Ich denke, es gibt eine natürliche Grenze, aber wir kennen sie nicht.

SB: Ist da Ihrer Einschätzung nach noch einige Luft nach oben?

AG: Ja, das würde ich sagen. Die FAO hat berechnet, daß die Getreideproduktion bis zum Jahr 2050, wenn neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, um 49 Prozent steigen muß, damit alle genügend zu essen haben. Pro Jahr wäre es eine Steigerung um durchschnittlich ein Prozent, was machbar sei.

Ausgehend vom letzten Jahrzehnt wird da extrapoliert. Nur, die Tatsache, daß es diese Steigerung gab, heißt noch lange nicht, daß sie in den nächsten zehn Jahren ebenfalls bei einem Prozent liegt. Dafür muß hart gearbeitet werden. So wie ein Sportler oder eine Sportlerin permanent trainieren muß, um das eigene Leistungsniveau zu halten. Deshalb sehe ich es als Gefahr an, wenn von der Politik irgendwelche Trends extrapoliert werden und man zu Lösungen kommt, die eigentlich gar nicht erreichbar sind.

Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel: Wenn man das Bevölkerungswachstum als gegeben annimmt, weiß ich nicht, was passiert wäre, wenn es die Ertragssteigerungen durch die von Norman Borlaug initiierte Grüne Revolution nicht gegeben hätte. Wenn nicht diese kurzstrohigen Weizensorten und kein ertragreicher Reis gezüchtet worden wären und man nicht zusätzlich noch Resistenzen gegen Rostpilze eingebracht hätte. Ohne die Grüne Revolution wäre hier eine wahnsinnige Hungerkatastrophe ausgebrochen. Insofern kam es zu einer Entwicklung, die von vielen Leuten als gegeben hingenommen und in ihrer Tragweite gar nicht ausreichend gewürdigt wird.

SB: Der Weizenrost mit der Bezeichnung Ug99, der 1999 erstmals in Uganda entdeckt wurde, hat anscheinend in der Fachwelt eine gewisse Unruhe ausgelöst. So hat die FAO im vergangenen Jahr eine Warnung für den Mittelmeerraum vor Ug99 ausgesprochen. Für wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, daß so ein Pilz die Erntemengen schmälert, da er auch Pflanzen befällt, die bisher als resistent galten? Könnte das einen Knick geben, so daß jenes ein Prozent Produktionssteigerung nicht erreicht wird?

AG: Ja, wobei man ganz klar sagen muß, daß Resistenzbildung und das Durchbrechen von Resistenzen ständig ablaufen. Wenn Sie schauen, wie viele Mehltauresistenzen von Pflanzenzüchtungen schon eingelagert und drei, vier Jahre später wieder durchbrochen wurden. Das ist ein permanenter Prozeß, und auch bei Ug99 hat man Resistenzen gefunden, die man jetzt wiederum einlagert.

Das ist dieser sogenannte Boom-and-Bust-Zyklus: Der Pflanzenzüchter züchtet die Resistenz, die er irgendwo findet, ein. Dann werden diese neuen Sorten gekauft und im großen Stil angebaut. Nun paßt sich der Pilz erneut an und nach einigen Jahren ist die Resistenz wieder futsch. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Form der Resistenz, die Hypersensitivität genannt wird und besonders anfällig für das Durchbrechen durch den Pilz bzw. für die Rassenbildung durch den Pilz ist.

Es zählt zu den Forschungsarbeiten unseres Instituts, daß wir versuchen, die Resistenz und den Resistenzmechanismus als solches zu ergründen und auf zellulärer Ebene zu verstehen. Natürlich mit dem Hintergedanken, daß das später einmal genutzt wird. Wir stellen uns Fragen wie, warum der Weizenmehltau die Gerste nicht befällt und umgekehrt der Gerstenmehltau nicht den Weizen. Das liegt nicht daran, daß der Gerstenmehltau irgendwie keine Lust hätte, auf den Weizen zu gehen, sondern daß der Weizen tatsächlich eine Abwehrreaktion macht, die so subtil und effizient ist, daß der Gerstenmehltau überhaupt nicht zum Zug kommt. Und zwar dauerhaft nicht. Ansonsten würde nämlich der Mehltau irgendwann mal überspringen. Dieses Phänomen wird Nichtwirtsresistenz genannt.

So eine Nichtwirtsresistenz gibt es bei Gerste und Weizen bereits und sie wird auch in der Züchtung erfolgreich genutzt. Die Eigenschaft ist seit Jahrzehnten stabil. Bei Gerste ist das die sogenannte Mlo-Resistenz. Dabei handelt es sich um eine rezessive Mutation in dem Gen, das ganz anders ist als typische Resistenzgene, die permanent überkommen werden. Den Wirkungsmechanismus dieser Resistenz zu untersuchen und zu verstehen könnte helfen, den Mechanismus auch bei anderen Nutzpflanzenarten einzusetzen. Man ist jetzt dabei, das auch auf den Weizen anzuwenden.


Nahaufnahme von pilzbefallenen Blättern und Stengeln - Foto: Liang Qu / IAEA, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/] Parzellen mit reifenden Weizenpflanzen. Im Vordergrund ein Schild mit der Beschriftung 'BW 4', im Hintergrund eine Person - Foto: Greg Webb / IAEA, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Links: Weizenpflanzen einer Kontrollgruppe weisen Befall von Weizenrost auf. Eldoret Universität, Kenia, 4. September 2013.
Foto: Liang Qu / IAEA, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]
Rechts: Versuchsfeld mit rostresistenten Weizenpflanzen der Eldoret Universität in Kenia, 5. September 2013.
Foto: Greg Webb / IAEA, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

SB: Hätte aus Ihrer Sicht die Grüne Gentechnik noch am ehesten das Potential, in Zukunft genügend Nahrung für alle Menschen zu produzieren, und sind deshalb, wie man es schon mal bei sehr zugespitzten Diskussionen hört, die sogenannten Gentechnikgegner aus Ihrer Sicht mitverantwortlich am vermeidbaren Hungertod von Millionen Menschen?

AG: Ich würde keine Wichtung vornehmen, ob Grüne Gentechnik potenter ist als andere konventionelle genetische Methoden oder Züchtungsmethoden. Ich glaube, die Grüne Gentechnik bietet Optionen und Möglichkeiten, die man sich offenhalten muß. Genauso wie die konventionelle Züchtung sie auch bietet. Es ist Aufgabe der Forschung und später der Pflanzenzüchter zu beweisen, welche Methoden von beiden, konventionell oder gentechnisch, sich besser eignet. Wahrscheinlich liefe es auf eine Kombination von beidem hinaus.

Aber zu sagen, daß man durch Gentechnik den Hunger in der Welt ein für alle Mal beheben könnte, halte ich für vermessen, und es war sicherlich ein großer Fehler, sollten vor zehn oder zwanzig Jahren einige Leute so eine Behauptung in die Welt gesetzt haben.

Sie kennen ja sicherlich die Diskussion um den Goldenen Reis. Ich meine, das ist eigentlich eine sinnvolle Form der Grünen Gentechnik, die aus meiner Sichtweise und nach meinem Verständnis das Leid von jährlich 250.000 bis 500.000 Menschen, die aufgrund von Vitamin-A-Mangel erblinden - und die Hälfte davon stirbt später auch -, zumindest zu lindern. Wieso sich viele Menschen gegen die Nutzung und den Anbau des Goldenen Reises wenden und sperren, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar.

SB: Im Internet wird ein Film gezeigt, demzufolge philippinische Bauern den Goldenen Reis aus einem Versuchsfeld ausreißen. An Ihrem Forschungsstandort in Gatersleben wurden vor knapp zehn Jahren gentechnisch veränderte Weizenpflanzen ausgerissen. Zu diesem Vorgang hat vor wenigen Tagen das Oberlandesgerichts Naumburg ein Urteil gesprochen, wonach eine Schadensersatzklage Ihres Instituts abgewiesen wurde. Wie bewerten Sie das Urteil?

AG: Es läuft noch ein Einspruch, wir sind noch mal in der allerletzten Instanz, aber ich wäre nicht überrascht, wenn das Urteil in Naumburg bestätigt werden würde. Ich muß sagen, wir können die richterliche Entscheidung nur mit völligem Unverständnis hinnehmen. Denn wenn man in Deutschland oder irgendwo anders auf der Welt Felder zerstören kann, in denen wissenschaftliche Versuche durchgeführt wurden, die nachweislich keinen Schaden für Mensch, Tier oder Umwelt verursacht haben, und ein Gericht einem dafür keinerlei Schadenersatz zubilligt, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Dann ist das eine proprietäre Auslegung von Recht, die sich meinem Verständnis völlig entzieht.

SB: In der Züchtungsforschung besteht das Problem, daß die Entwicklung neuer Pflanzen mindestens zehn Jahre dauert und diese Pflanzen hohe Erträge unter zukünftigen Bedingungen liefern sollen, bei denen der CO2-Anteil in der Atmosphäre deutlich höher liegt als unter heutigen Entwicklungsbedingungen. Es gibt allerdings Versuche, zukünftige Klimate mit entsprechend hohen CO2-Gehalten zu simulieren. Sind solche Versuche so marginal, daß man sie vernachlässigen kann, oder gibt es dazu schon nennenswerte Forschungen, die eine CO2-Welt mit 450 ppm oder noch höheren CO2-Werten simulieren?

AG: Dazu gibt es Forschungsarbeiten. Ich habe mich allerdings nur am Rande damit befaßt. Das Interessante jedoch ist, es scheint sehr unterschiedliche Ergebnisse zu geben. Grundsätzlich würde man sagen, daß eine Erhöhung des CO2-Gehalts eigentlich gut für eine Pflanze sein sollte. Die liebt ja CO2 regelrecht. Doch es treten zusätzliche Effekte auf, wonach sich die Spaltöffnungen der Blätter, wenn genügend CO2 vorhanden ist, schließen. Daraufhin werden Sekundärprozesse verlangsamt oder beschleunigt und unterschiedliche Pflanzenarten reagieren darauf unterschiedlich. Außerdem ist zu erwarten, daß der CO2-Anstieg mit einem Temperaturanstieg einhergeht. Dieser kann unter Umständen negative Effekte haben, die gravierender sind als die positiven Effekte durch den höheren CO2-Gehalt.

SB: Wenn in den Medien über die Erderwärmung berichtet wird, dann werden in dem Zusammenhang häufig Meeresspiegelanstieg, Gletscherschmelze und intensivere Stürme genannt. Doch weder die verstärkte Ausbreitung von Pflanzenkrankheiten noch die Möglichkeit von Ernteverlusten werden allzu häufig erwähnt. Würden Sie sagen, daß das ein Manko ist und daß das den Menschen noch mal auf die Füße fällt?

AG: Ich bin mir sicher, daß uns das auf die Füße fallen kann. Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Klimawandel ergeben, bestehen sowohl für den Pflanzenzüchter als auch den Landwirt darin, sich auf das veränderte Klima einzustellen, weil dann das Wetter derart schwankt. Wenn so ein Wirbelsturm kommt, dann macht er alles kaputt, doch zehn Kilometer weiter ist vielleicht alles in Ordnung. Man kann mit diesen Extremwetterereignissen schwer umgehen.

Wenn nur die durchschnittliche Temperatur ein Grad höher wäre und es ansonsten alles ruhig bliebe, könnte man leicht darauf reagieren. Selbst auf den Anstieg des Meeres könnte man sich einstellen und entweder Land aufgeben oder Land noch höher eindeichen. Aber diese unvorhersagbaren Naturkatastrophen wie Wirbelstürme oder Hagelschlag stellen eine Schwierigkeit dar, mit der wir umgehen müssen und wozu wir weitere Daten brauchen. Wir müssen wissen, ob das noch im statistischen Schwankungsbereich liegt oder ob das klare Abweichungen der Extremereignisse der letzten 50 Jahre waren.

Im Moment sieht es ja so aus, daß nach dem schweren Wirbelsturm in der Karibik jeder sagt, das sei eine Folge des "global warming". Ich erinnere mich - das ist jetzt fünf, sechs Jahre her -, da war ich parallel zur Grünen Woche in Berlin auf einer Veranstaltung, bei der es auch um Landwirtschaft ging. Da hat ein Vertreter der Münchner Rückversicherung berichtet, daß es laut ihrer Statistik keine signifikanten Veränderungen bei Extremwetterereignissen gibt. Und er wäre der letzte, der das schönreden würde, denn für die Münchner Rück ist das eindeutig geschäftsfördernd. Je mehr es solche Extremwetterereignisse gibt, desto überproportional mehr Versicherungen werden abgeschlossen. Natürlich gibt es auch mehr Schadensfälle, das ist klar. Aber im Endeffekt ist das für so eine Versicherung ein Geschäftsfeld. Insofern fand ich es interessant, daß er gesagt hat, man könne da bislang statistisch noch nichts nachweisen.

SB: Wurde aus Ihrer Sicht beim heutigen Diskussionsabend noch etwas ausgelassen an Dingen, die in 20 Jahren mit den Pflanzen geschehen können, daß sie uns vielleicht nicht mehr ernähren? In welche Richtung muß die Pflanzenforschung gehen?

AG: Pflanzenzüchtung ist weitaus mehr, als den Ertrag zu erhöhen. Das kam in der Diskussion nicht wirklich rüber. Die Pflanzenzüchtung muß viele wichtige Ziele ansprechen und sie macht das auch. Sie muß Starkwetterereignisse wie Überflutungen oder starke Trockenheit, also Ausbleiben von Regen, Hitzestreß in Folge hoher Sommertemperaturen behandeln, und das auch noch gemeinsam mit der Frage der Nährstoffeffizienz. Werden Pflanzen übermäßig gedüngt, wird wiederum das Grundwasser mit Stickstoff und Nitrat belastet.

Krankheitsresistenzen sind ebenfalls ein ganz wichtiger Aspekt. Wenn Sie sich die Eigenschaften zugelassener Sorten anschauen und eine Zeitreihe der letzten fünfzig Jahre machen, können Sie feststellen, daß die neu zugelassenen Getreidesorten zunehmend resistenter gegen Mehltau, Rostpilze und Virusbefall wurden. Meines Erachtens ist es ein weit verbreiteter Irrtum zu glauben, daß alte Sorten irgendwie besser sind als moderne, hochgezüchtete Sorten. Das ist völliger Unfug.

Allenfalls ließe sich zum Gemüse sagen, daß es weniger schmackhaft geworden ist. Wir alle wissen, Tomaten und Gurken schmecken nicht mehr so gut. Für die Pflanzenzüchtung wäre es jedoch einfach, das zu ändern, wenn nur der Markt sich entschiede, daß wieder mehr Inhaltsstoffe, mehr Geschmack gefragt sind. Dann gehen vielleicht die Erträge ein bißchen zurück, aber es sind die Landwirte und Anbauer, welche die hohen Erträge haben möchten.

Pflanzenzüchter sagen immer, und das sagen sie zurecht: Sagt uns, was ihr wollt, und wir richten unser Zuchtprogramm danach aus. Ob dann das Problem sofort gelöst wird, ist wieder ein andere Frage, aber der Pflanzenzüchter würde das dann als Ziel seiner Kreuzung und Selektionsarbeit berücksichtigen.

Eine Sache, die mir persönlich immer am Herzen liegt: Es wird oftmals angedeutet - in der Diskussion war es am Beispiel Südamerika -, daß den Farmern nicht mehr die alten Sorten zur Verfügung stehen. Es hieß, Unternehmen wie Monsanto und Bayer würden ihre Sorten auf den Markt drücken, obschon die Kleinbauern in bestimmten Regionen eigentlich die regional viel besser angepaßten Sorten benötigen. Ich denke, das ist eine Frage des Marktverhaltens. Man kritisiert da das Geschäftsgebaren von Firmen - ich spreche jetzt gar nicht speziell von Monsanto oder Bayer -, sondern allgemein von Landhändlern.

Das ist jedoch kein generisches Problem der Pflanzenzüchtung. Das Gros der alten Sorten wird in Genbanken aufbewahrt. Wenn ein Landwirt oder ein Züchter eine alte Sorte haben will, kann er die für wenig Geld oder umsonst in einer Genbank anfordern. Dann bekommt er dreißig Körner und muß die zwei, drei Jahre hochvermehren. Anschließend könnte er sie anbauen. Niemand hindert ihn daran, eine alte Sorte anzubauen.

SB: Sie halten auch die alten Sorten laufend "fit"?

AG: Das ist unsere Aufgabe in den Genbanken. Auch in Gatersleben werden mit sehr großem Aufwand alte Sorten und ebenso Wildformen erhalten. Es gibt sehr viele Gräserarten, die mit dem Weizen verwandt sind, das sind die sogenannten Aegilops-Arten. Einige von ihnen weisen sehr interessante Krankheitsresistenzen auf. Die kann man aber nur sehr schwer mit dem Weizen kreuzen. Da wäre Gentechnik ein hervorragender Ansatz, die entsprechenden Resistenzgene aus der Wildform in die Kulturform oder in den Weizen überzuführen. Aber das will ja keiner und an dieser Einstellung wird sich wohl kurzfristig auch nichts ändern.

Umgekehrt finde ich es interessant, daß so viele Leute zu uns in die Genbank kommen und sagen: "Mensch, das ist ja toll, was ihr da habt. Diese ganzen Wildformen und dieses exotische Material!" Aber daß man das überhaupt nicht verwenden kann, um den Brotweizen zu verbessern, weil es sich nicht ordentlich kreuzen läßt, das wird in der Regel ignoriert. Da steckt für mich ein bißchen "wishful thinking" drin. Biodiversität ist nicht einfach nur gut, man muß sie auch nutzen.

SB: Herr Graner, vielen Dank für das Gespräch.


Zwei Personen stehen ein einer Ansammlung von rund einem halben Dutzend Scheunen und Häusern. Von hinten nähert sich auf ganzer Front eine riesige Staubwolkenwalze - Foto: NOAA George E. Marsh Album

18. April 1935: Ein Staubsturm nähert sich Stratford, US-Bundesstaat Texas.
In den 1930er hat die Urbarmachung von Land in den Great Plains der USA verheerende Staubstürme ausgelöst, durch die die oberste Bodenschicht vom Wind weggetragen wurde. Auf den erodierten Flächen war Landwirtschaft kaum mehr möglich.
Foto: NOAA George E. Marsh Album

Bisher zur öffentlichen Abendveranstaltung der Botanikertagung 2017 in Kiel im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:
BERICHT/127: Botanik 2017 - Agrarpfründe, Agrarsünde ... (SB)


25. September 2017


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