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INTERVIEW/184: Endspiel - erst die Bäume, dann der Mensch ...    Jörg Andreas Krüger im Gespräch (SB)


"Endspiel - Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können"

Internationale Buchpremiere am 21. Mai 2015 im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin

Jörg Andreas Krüger über den Schutz des tropischen Regenwalds, den waldverbrauchenden westlichen Konsumstil und die Kooperation des WWF mit Indigenen und ihren Organisationen


"In einer Welt, in der die Tropenwälder weiter massiv unter Druck geraten, in der eben nicht nur Arten, sondern auch die gesamten Ökosystemdienstleistungen dieses Waldes verschwinden - von der Klimawirkung über die Bodenfunktion bis zu den Wasserkreisläufen -, in so einer Welt werden sich die Lebensbedingungen auch für viele Menschen in den Regionen des Südens dramatisch verschlechtern." Das erklärte Jörg Andreas Krüger, Leiter des Fachbereichs Biodiversität beim WWF Deutschland, bei seinem Inputvortrag am 21. Mai 2015 in Berlin aus Anlaß der internationalen Premiere des Buchs "Endspiel - Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können" von Claude Martin. [1]


Krüger beim Input-Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Wir müssen aufpassen, daß wir mit unseren Konsum nicht noch ein zusätzlicher Treiber werden."
(Jörg Andreas Krüger, 21. Mai 2015, Berlin)
Foto: © 2015 by Schattenblick

Es sei wichtig dafür zu sorgen, daß erstens für den tropischen Regenwald noch mehr Schutzsysteme geschaffen werden und daß zweitens das bisher Erreichte nicht wieder verlorengeht, mahnte Krüger. In Brasilien hingen jedoch mehrere Gesetzgebungsverfahren in der Luft, die dazu führen könnten, daß viele Schutzgebiete, die mit deutscher Unterstützung und jahrzehntelanger Aufbauarbeit eingerichtet wurden, geschwächt oder eventuell sogar wieder aufgelöst werden.

Es lägen momentan allein 27.000 Anträge für Bergbauvorhaben in brasilianischen Schutzgebieten vor, die eine Fläche von 200.000 Quadratkilometern umfassen. Da ginge es unter anderem um den Goldabbau, bei dem dann auch Chemikalien eingesetzt, Infrastruktur angelegt und Siedlungen inmitten der Wälder angelegt würden. "Wo letztlich eine Wirtschaftstätigkeit anfängt, gerät hiervon ausgehend der Wald mehr und mehr unter Streß", führte Krüger aus.

Auch der tropische Regenwald von Indonesien, das sogar eine deutlich höhere Entwaldungsrate aufweist als zur Zeit noch Brasilien, ist gefährdet: "Wir haben mit Schrecken gehört, daß in der nächsten Zeit weitere zwei Millionen Hektar Palmölplantagen geschaffen werden sollen. Das können sehr, sehr leicht wieder zwei Millionen Hektar zu Lasten des Regenwalds werden und damit auch zu Lasten von Biodiversität und den Menschen, die bisher von den Wäldern gelebt haben."

Was kann man machen? An die Adresse der EU geht die Aufforderung Krügers, die Standards für Importe von Agrokraftstoffen zu hinterfragen. An die deutsche Regierung appelliert er, endlich eine Beschaffungsregelung für Holz zu verabschieden, um Raubbau zu verhindern. Und der deutsche Verbraucher wird von ihm aufgefordert, seinen Fleischkonsum zu überprüfen, denn allein für die deutsche Nutztierhaltung wird in anderen Ländern hauptsächlich Südamerikas auf 2,2 Mio. Hektar Soja angebaut, was der Fläche des Bundeslands Hessen entspricht.

Im Anschluß an die Buchpremiere stellte sich Jörg Andreas Krüger dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Schattenblick (SB): Läßt sich jetzt bei Halbzeit der Umsetzung der sogenannten Aichi-Ziele zur Biodiversitätskonvention bis 2020 [2] erkennen, daß die Ziele eingehalten werden? Wie ist da der Stand der Dinge?

Jörg Andreas Krüger (JAK): Der ist sehr unterschiedlich. Es gibt ein paar Ziele, die werden wir wahrscheinlich schaffen, zum Beispiel hinsichtlich der Erweiterung der Fläche der Schutzgebiete auf dem Land, also im terrestrischen Bereich; es gibt aber andere Ziele, gerade was den Abbau umweltschädlicher Subventionen angeht, was die Finanzierung von Schutzgebietsnetzen angeht, da sind wir weit davon entfernt.

SB: Vor kurzem hat der WWF das Kapitel fünf des "Living Forests Report" mit dem Titel "Saving the Forest" [3] herausgegeben. Inwiefern decken sich die Forderungen darin mit denen im Bericht Claude Martins an den Club of Rome, und in welchen Punkten weichen die beiden Berichte voneinander ab?

JAK: Die Forderungen sind bei uns öfter etwas stärker an der Tagespolitik orientiert, aber es sind genau dieselben Dinge, die wir ansprechen. Es geht um den Aufbau eines robusten Schutzsystems, eines vernünftigen Planungssystems, um die Integration und Partizipation der Menschen vor Ort und um Gouvernance-Strukturen, die mit den Ländern insgesamt entwickelt werden müssen. Das betrifft die jeweilige internationale und nationale Politikebene und innerhalb der Länder auch die Distrikte und Provinzen. Wenn man die 17 Kernforderungen aus dem Buch "Endspiel" zusammenfaßt und sich dann die fünf Schlußfolgerungen, die wir am Ende unseres Reports ziehen, anschaut, dann findet sich das zwar anders formuliert, aber mit genau der gleichen inhaltlichen Intention wieder.


Blattschneideameisen schleppen Laubblatt - Foto: Hans Hillewaer, freigegeben als CC-BY-SA-4.0 [thttp://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Biodiversität im tropischen Regenwald - Blattschneideameisen bei der "Arbeit". Playa Blanca, Cahuita, Costa Rica, 15. August 2009.
Foto: Hans Hillewaer, freigegeben als CC-BY-SA-4.0 [thttp://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en] via Wikimedia Commons

SB: Wenn heute weltweit Aufforstungsprogramme aufgelegt werden, lassen sich da Trends ablesen, daß man es dann überwiegend mit einem forstwirtschaftlichen Anliegen zu tun hat, oder wird auch angestrebt, eine höhere Biodiversität herzustellen?

JAK: Wenn wir über die ganzen Wiederbewaldungsprogramme reden, dann ist es tatsächlich so, daß das nach heutigem Stand überwiegend plantagenorientierte Systeme sind. Die werden wir zum Teil ja auch brauchen, um die Nachfrage nach Biomasse zu befriedigen. Der WWF hat dazu ein neues Modell entwickelt, bei dem gesagt wird, wenn es um den Aufbau großflächiger Plantagen geht, dann sollten 20 bis 25 Prozent der Fläche entweder als Primärwald erhalten bleiben oder für die Entstehung eines Sekundärwalds freigehalten werden. Wir streben eine Kopplung aus Wertschöpfung in der Region, Ressourcenversorgung für die Welt, nachhaltig betriebener Plantage plus 25 Prozent Fläche für tatsächliche Sekundärwaldsysteme, wenn der Primärwald schon verschwunden ist, an. Das ist unser Anliegen, das allerdings noch nicht überall angekommen und akzeptiert ist.

SB: Gibt es denn Beispiele dafür, daß man einen ursprünglichen Wald wieder herstellen kann?

JAK: Das ist eine fast philosophische Frage, denn ein so reifes Ökosystem wie ein tropischer Regenwald war über Jahrtausende stabil und unbeeinflußt. Allein schon durch die globale Erwärmung, durch Stoffkreisläufe im Stickstoffbereich und all die verschiedenen anderen Faktoren wird man nicht mehr denselben Wald haben. Von daher würde es nie mehr ein ganz ursprünglicher Primärwald werden, aber nach 100, 200 Jahren käme man ihm sicherlich wieder nahe.

SB: Was ist für Sie ein Primärwald? Muß man Jahrmillionen bis zu der Zeit zurückgehen, da das Plankton im Meer irgendwann an Land gespült wurde?

JAK: Nein, sicherlich nicht bis zum Plankton als Keimzelle von allen terrestrischen Pflanzen. Zum primären Wald gehören auf jeden Fall Waldökosysteme mit Strauch- und Baumstrukturen. Ich würde auch die Wälder beispielsweise in Afrika, wo sehr, sehr kleinflächig über Jahrtausende immer Wanderfeldwirtschaft betrieben und nur hier und da ein kleines Loch von vielleicht 50 Quadratmeter in den Wald geschlagen wurde, dazurechnen. Weil diese Fläche ungefähr der Schneise entspricht, die ein Baumriese schlägt, wenn er umfällt. Danach schließt sich der Wald eben wieder. Wenn wir natürlich diese "Slash-and-burn"-Kulturen [Anm. d. SB-Red.: Brandrodung] nehmen, die jetzt, wie es Claude Martin gerade beschrieben hat, überall auch in die Tiefen der Wälder mit neuen Bevölkerungsgruppen eindringen, wenn also die Dichte der wirtschaftenden Menschen höher wird, dann verlieren wir diesen Primärwaldcharakter sehr, sehr schnell.


Lange Rauchfahnen steigen von entwaldeten Flächen auf - Foto: Earth Science and Remote Sensing Unit, NASA Johnson Space Center

Brandrodung im Amazonas-Regenwald, brasilianischer Bundesstaat Pará, aufgenommen am 19. August 2014 von der Expedition 40-Crew der Internationalen Raumstation ISS.
Foto: Earth Science and Remote Sensing Unit, NASA Johnson Space Center

SB: Ist die Artenvielfalt in einem Primärwald grundsätzlich höher als in einem sogenannten Sekundärwald, oder kann man das so nicht sagen?

JAK: Das kann man so nicht sagen. Für die tropischen Wälder gilt das sicherlich, aber im Grunde muß man sich die Ökosysteme immer ganz genau anschauen, besonders wenn es sich um ein spezielles Ökosystem wie zum Beispiel das Hochmoor handelt. Das ist grundsätzlich eher artenarm, hat aber hochspezialisierte Arten. Wenn dort die Artenvielfalt zunimmt, dann in der Regel, weil das Ökosystem gestört wurde, beispielsweise weil eine erste Drainage gelegt oder ein Weg hineingebaut wurde und über diese neuen Strukturen plötzlich neue Arten in dieses Moor einwandern. Artenvielfalt an sich ist kein Zeichen für Naturnähe.

SB: Warum ist Biodiversität wichtig? Warum sollte sich ein Stadtbewohner in Deutschland Sorgen über den Biodiversitätsverlust des tropischen Regenwalds in Brasilien oder Indonesien machen?

JAK: Wir sind mittelbar und unmittelbar betroffen. Zum einen muß man aufpassen, daß man Biodiversität nicht auf Artenvielfalt verkürzt. Biodiversität ist die Gesamtheit der ökologisch ablaufenden Prozesse und Stoffkreisläufe. Das heißt, wenn wir auf großer Fläche diese Kreisläufe verlieren, und auch das wird in diesem Buch sehr sauber rausgearbeitet, dann wird sich beispielsweise der Wasserkreislauf verändern, dann wird sich der CO2-Kreislauf verändern, es wird mehr CO2 in die Atmosphäre freigesetzt, es kommt zum Klimawandel.

Auch wenn der Klimawandel es für uns in Deutschland, die wir als Ausgangsbasis ein gemäßigtes Klima haben, nur bedingt unbequemer macht, ist es doch so, daß die Folgen wie weltweite politische Instabilitäten, Völkerwanderungen und Ausweichsbewegungen, bei denen die Menschen die sich entwickelnden semiariden oder ariden Gebiete verlassen müssen, da sie dort nicht mehr für ihr Überleben sorgen können, auch uns betreffen. Deswegen muß der Verlust der Biodiversität auch die Bürger in irgendeiner deutschen Großstadt interessieren. Selbst wenn die Verluste weit entfernt eintreten, ihre Folgen schlagen zurück und erreichen uns sehr, sehr schnell.

SB: Zumindest was den Aspekt der internationalen Finanzierung anbelangt, ist Ecuadors Yasuní-Initiative gescheitert. Gibt es andere Hotspots der Biodiversität, in denen die Grundidee hinter diesem Konzepts der Bewahrung artenreicher Naturgebiete betrieben wird?

JAK: Der WWF verfolgt das Konzept der "priority places". Wir haben uns angeschaut, was eigentlich die 200 ökologisch wertvollsten und wichtigsten Regionen dieser Erde sind. Die haben wir dann geclustert. Allein im Kongobecken beispielsweise sind zwölf oder dreizehn verschiedene solcher Hotspots, die wir zusammengefaßt haben. Und wir arbeiten momentan in über 30 dieser ökologischen Hotspots und versuchen überall, robuste Schutzgebietssysteme auf den Weg zu bringen sowie in den dortigen Gesellschaften Verständnis dafür wachsen zu lassen, daß die Hotspots etwas sind, auf das man stolz sein kann, die wichtig sind und daß man sie auf keinen Fall kurzfristigen Interessen opfern darf.

SB: Der WWF ist in letzter Zeit in die Kritik geraten, da anscheinend sein Interesse an Naturschutz und am Schutz des legitimen Rechts indigener Völker auf ihre ursprüngliche Lebensweise nicht immer miteinander vereinbar sind. Wird eine Nichtregierungsorganisation wie der WWF, der die Nähe der Regierungen sucht, um sie zum Waldschutz zu bewegen, jemals vollständig vermeiden können, mit der Vertreibung von Indigenen in welcher Form auch immer in Verbindung gebracht zu werden?

JAK: Das denke ich schon, da würde ich auch die These, die Sie mit Ihrer Frage implizieren, nicht unterschreiben. Denn was ich sehe, ist, daß wir sehr eng mit Indigenen zusammenarbeiten. Und das nicht nur mit den Völkern direkt, sondern auch mit Dachorganisationen. Wenn ich mir COICA [4] im Amazonasgebiet oder andere Organisationen im Bereich des Kongobeckens anschaue, dann sind gerade wir es, die denen helfen, ihre Stimme zu erheben. Wo wir also auch über unsere Internationalität das ganze ein bißchen unangreifbarer machen, weil man dann nicht eben schnell mal per Dekret und "par ordre du mufti" Dinge abstellen kann. Das würde ich so nicht unterschreiben, was Sie da als These formuliert haben.

SB: Herr Krüger, vielen Dank für das Gespräch.


Der Interviewte vor WWF-Plakat mit tropischem Regenwald - Foto: © 2015 by Schattenblick

Jörg Andreas Krüger, Leiter des Fachbereichs Biodiversität beim WWF Deutschland
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Ein aktuelles SB-Interview mit Claude Martin unter:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0183.html

[2] Die Aichi-Ziele sind nach der Provinz in Japan benannt, in der sich die Staaten bei der 10. Vertragsstaatenkonferenz 2010 (COP 10) auf einen strategischen Plan mit 20 Zielen zum Erhalt der Biodiversität, die bis 2020 erreicht werden sollen, geeinigt hatten. Zu den Zielen gehört unter anderem eine Ausdehnung der terrestrischen und marinen Schutzgebiete, die Reduzierung der Verluste an natürlichem Lebensraum und ein Ende der Überfischung. Näheres zu den Aichi-Zielen unter:
http://biodiv.de/biodiversitaet-infos/konvention-ueber-die-biologische-vielfalt/aichi-biodiversitaets-ziele-2020.html

[3] http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF-Living-Forests-Report-Chapter-5.pdf

[4] COICA steht für Coordinadora de las Organizaciones Indigenas de la Cuenca Amazónica, einen Dachverband der indigenen Organisationen des Amazonasgebiets.

27. Mai 2015


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