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INTERVIEW/152: Klimarunde, Fragestunde - geteilte Not, dieselbe Not ...    Dr. Thomas Bruhn im Gespräch (SB)


Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions

Scandic Hotel, Berlin, 18. - 21. August 2014

Dr. Thomas Bruhn zum Blick über den Tellerrand bei nachhaltigen Entscheidungen des Klimaschutzes, zu erforderlichen Paradigmenwechseln in der Wissenschaft und zur Verantwortung der Öffentlichkeit



"Wenn sich ein Wissenschaftler bei mir um eine Assistentenstelle oder Doktorandenstelle bewirbt, dann muß er durch und durch das Klischee eines etwas entrückten Wissenschaftlers erfüllen, der sich durch nichts von seiner Forschung ablenken läßt. Wenn er morgens am Tisch sein Frühstücksei küßt und mit dem Löffel auf den Schädel seines Kindes klopft, weil er in Gedanken schon beim Experiment ist, dann ist er bei mir genau richtig ..." Diese nie vergessenen Worte aus dem Munde eines Professors bei der Bewerbung um eine wissenschaftliche Stelle an der Universität in Hamburg waren vor einer Wissenschaftlergeneration sicher kein Einzelfall. Die Qualifikation dieses obskuren Bildes, der verrückte Wissenschaftler schlechthin, der in seinem Labor auch vor Eigenversuchen nicht zurückschreckt und dabei zum Monster mutiert bzw. Monster erschafft, wurde bereits vor zwei Jahrhunderten, beginnend mit Robert Louis Stevensons Dr. Jekyll oder Mary Shelleys Frankenstein immer wieder in Literatur und Film thematisiert und hat sich der Öffentlichkeit mit einer nicht ganz unbegründeten Skepsis vor den Dingen, die hinter verschlossenen Türen in Laboratorien geschehen, eingeprägt und zu der irrigen Annahme geführt, daß Wissenschaftler, wenn überhaupt, eine ganz andere Spezies sein müssen. Auch die Tatsache, daß sich der Widerstand gegen riskante Technologien wie Atomwaffen oder auch die friedliche Nutzung der Kernkraft immer erst dann formieren konnte, wenn die Technologien bereits in der Erprobung oder schon längst implementiert waren, hat in der Vergangenheit nicht gerade zur Auflösung dieser Skepsis gegen Wissenschaft als Handlanger von politischen Interessen beigetragen.

Deshalb waren die Organisatoren der ersten Climate Engineering Conference 2014, die sich aus dem in Potsdam ansässigen Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) rekrutierten, zu Recht stolz darauf, daß diese Konferenz die erste sei, die bereits in einer so frühen Phase der Debatte über die vielen ungeklärten ethischen, philosophischen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und naturwissenschaftlichen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, auch die Zivilgesellschaft oder, besser gesagt, die Öffentlichkeit mit an der Diskussion beteiligte. Wissenschaftsgeschichte wie die der Kernkraft soll sich nicht noch einmal wiederholen.

Ob sich über eine Mitverantwortung der Öffentlichkeit an der Entscheidungsfindung eine riskante Technologie vielleicht noch widerstandsfreier durchsetzen läßt als je zuvor, weil jeder die Notwendigkeit zum Handeln einsieht, und inwieweit die Diskussion darum bereits ein Hinweis dafür ist, daß die Öffentlichkeit zumindest an den Begriff des Climate Engineering und seine Funktion als letzten Ausweg gewöhnt werden soll, waren Fragen und Gründe für den Besuch der Session von Thomas Bruhn zur Frage "How can Civil Society and the Scientific Community Jointly Adress Climate Engineering?" [Wie können Zivilgesellschaft und die Gemeinschaft der Wissenschaftler Climate-Engineering gemeinsam angehen?]. Denn die Frage nach einem "Wie" schien die Frage nach "ob überhaupt" schon im Vorfeld auszuschließen.

Wenn das der Eindruck sei, der sich einem Beobachter der Tagung aufdränge, dann hätten sie etwas falsch gemacht, meinte Thomas Bruhn im Gespräch mit dem Schattenblick, denn die Diskussion sei noch vollkommen offen und das wollten sie auch gerade durch Sessions wie dieser verdeutlichen, in der es um Fragen ging, welche Motivation die Zivilgesellschaft braucht, um sich stärker zu beteiligen, welche Vorteile eine größere Transparenz für Wissenschaftler wie Öffentlichkeit hat und was die einen von den anderen lernen können. Dem jungen Wissenschaftler, der gemeinsam mit Prof. Mojib Latif, der an der Session als Referent teilnahm, auch im Think Tank 30 der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome aktiv ist, liegt das Brückenbauen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit am Herzen.

Dafür müßten allerdings die Wissenschaftler zunächst lernen, ihr angsteinflößendes Fachchinesisch in eine verständliche Sprache zu transformieren. Schmunzelnd erklärte er den SB-Redakteuren, er habe seine Stelle bei Professor Mark Lawrence, dem Hauptorganisator der Konferenz und dem wissenschaftlichen Leiter des SIWA-Clusters [1] am IASS, vermutlich nur deshalb erhalten, weil er dem Atmosphärenwissenschaftler das hochkomplexe Thema aus dem Bereich der Halbleiterphysik in wenigen Minuten verständlich machen konnte. Zumindest ist bei den Maßstäben für wissenschaftliche Mitarbeiter ein gewisser Paradigmenwechsel erkennbar.

Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß für den Erfahrungsaustausch in den Reihen der Wissenschaft eine möglicherweise stärkere Motivation vorherrscht als andersherum, denn zu der brisanten Diskussion waren nur zwei Vertreter der eingeladenen Zivilgesellschaft erschienen. Sie wünschten sich mehr Vertrauen von der Öffentlichkeit, damit sie in Ruhe ihre Arbeit machen könnten, die niemandem schaden, aber potentiellen Schaden oder auch Nutzen in Modelform abbilden würde, erklärte eine junge Wissenschaftlerin stellvertretend die Hoffnung vieler Forscher auf die Frage, was sich die Wissenschaftsgemeinschaft von einer stärkeren Einbindung der Zivilgesellschaft in die Debatte erhoffe. Denn nur, wenn der Nutzen und die Folgen von Climate Engineering wirklich grundlegend erforscht und bekannt sind, könne man dazu nachhaltige Entscheidungen treffen. Wichtig sei dafür eine differenzierte Bewertung aller Forschungsansätze.

Dies schließt die Möglichkeit, sich unter bestimmten Bedingungen doch einmal für Climate Engineering zu entscheiden, genauso wenig aus, wie die erste Äußerung Mojib Latifs in seinem Vortrag, er hoffe doch, daß es nie zu einem Climate-Engineering kommen möge, dem man gemeinsam mit der Zivilgesellschaft entgegentreten müsse, wie es die Titelfrage der Session andeutete. Warum also sollte diese an einem Gespräch mit der Wissenschaft interessiert sein?

Über weitere Gründe und Motive für ein gemeinsames Gespräch der Wissenschaftsgemeinschaft mit der Zivilgesellschaft, der Öffentlichkeit oder einfach nur von Mensch zu Mensch, sprach der Schattenblick im Anschluß an die Session mit Dr. Thomas Bruhn vom IASS.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Dr. Thomas Bruhn im Gespräch
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Die Diskussionsrunde, die Sie gerade geführt haben, stand unter der Frage: Wie können Zivilgesellschaft und die Gemeinschaft der Wissenschaftler Climate-Engineering gemeinsam angehen? In einer der ersten Fragen, die an die Pinnwand gesteckt wurden, ging es um einen besseren Austausch zwischen den beiden Interessengruppen. Ich habe mich dabei gefragt, warum der Wissenschaft gerade diese Fragestellung so wichtig ist. Darum noch einmal die Frage an Sie: Warum will die Wissenschaft bei der Diskussion um eine riskante Technologie wie das Geoengineering die Zivilgesellschaft einbinden?

Dr. Thomas Bruhn (TB): Für mich ist das Einbinden der Zivilgesellschaft in die Wissenschaft ein grundsätzlicheres Anliegen, das sich nicht spezifisch auf das Geoengineering bezieht. Es geht eigentlich um die grundlegende Frage, wie wollen wir in der Zukunft globale Herausforderungen adressieren. Und da haben wir Wissenschaftler meines Erachtens bisher vielleicht zu wenig Demokratieverständnis gezeigt, wenn in der Vergangenheit an solchen Entscheidungsfindungsprozessen nur kleine Teile der Gesellschaft beteiligt waren. Und gerade in der Diskussion um Climate Engineering ist die wissenschafltiche Community sehr heterogen, d.h. die Wissenschaftler haben dazu unterschiedliche Ansichten, und sie wollen dieses Thema, gerade weil ihm große Skepsis entgegengebracht wird, möglichst früh ganzheitlich verstehen. Wie es bisher bei den Diskursen um den Klimawandel gelaufen ist, soll sich nicht noch einmal wiederholen, darüber herrscht insgesamt großes Verständnis. Daher will man eben so früh wie möglich holistische Perspektiven mit an Bord holen. Das schließt die Zivilgesellschaft mit ein. Das wäre ein Weg, um den Horizont zu erweitern und so ein Thema in seiner ganzen Komplexität zu erfassen, und eben nicht - wie den Wissenschaftlern oft vorgeworfen wurde -, den Elfenbeinturm am Leben zu erhalten und zu sagen, wir basteln uns unsere eigene kleine Wissenschaftlerwelt mit den passenden Lösungen.

SB: Gibt es denn außer dem Klimawandel noch andere Negativbeispiele, wo es vielleicht nicht so gut gelaufen ist mit der Kommunikation und aus denen die wissenschaftliche Gemeinschaft gelernt haben könnte?

TB: Das alles aufzuzählen, ergäbe schon eine recht lange Liste. Ein weiteres gutes Negativbeispiel wäre das Thema Ressourcen-Management. Unser ganzer Lebensstil basiert auf Ressourcen. Die meisten davon sind nicht regenerativ. Aber wie diese Ressourcen bisher reguliert wurden, kann man nicht als einen global-demokratischen Entscheidungsprozeß bezeichnen. Ich meine hier den unverantwortlichen Umgang mit der Atmosphäre durch Luftverschmutzung mit Schadstoffen, zusätzlich zu den Treibhausgasemissionen, die zur Klimaerwärmung führen. Man überlege mal, wenn gesundheitsschädliche Stoffe von einem Land emittiert werden und die Folgen ein anderes Land zu tragen hat, wo hat denn dort ein demokratischer Entscheidungsprozeß stattgefunden?

Ein anderes Beispiel, an das ich spontan denken würde, ist Phosphor. Auch das ist eine wichtige, sehr knappe Ressource und ein globales Gut, dessen gerechte Verteilung eigentlich global-demokratisch reguliert werden müßte. Wird es aber nicht, wie die Praxis bislang zeigt. Also was die schlechten Erfahrungen angeht, weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Die Liste wird lang.

SB: Eine meines Erachtens wichtige Anmerkung in der Diskussionsrunde war die Erweiterung der Fragestellung zum Austausch zwischen Zivilgesellschaft und Wissenschaftsgemeinschaft, die zusammengefaßt als "exchange is not enough, it ought to be engagement", also "Austausch ist nicht genug, es sollte Engagement sein" an die Wand gepinnt wurde. Können Sie das näher erläutern?

TB: Diesen Punkt könnte man eigentlich als mein Herzensanliegen bezeichnen. Denn meines Erachtens hat die akademische Landschaft den sogenannten Austausch mit der Gesellschaft lange Zeit so verstanden, daß man zunächst eine Forschungsfrage formuliert, darin etwas adressiert, es dann versteht und mit anderen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen darüber redet. Das daraus hervorgehende Ergebnis wird dann final in der Gesellschaft kommuniziert, die dadurch gewissermaßen vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Die kann dann nur noch sagen, ob sie das Ergebnis gut findet oder nicht, hat aber überhaupt keine Gelegenheit mehr, den Wissenschaftler noch im Forschungsprozeß auf die eine oder andere Problemstellung aufmerksam zu machen, die er nicht in der Adressierung seiner Frage berücksichtigt hat. Wird das Problem nachträglich an ihn herangetragen, indem einer fragt, könntest du das nicht bitte noch mit adressieren, dann ist der Wissenschaftler gewöhnlich sehr unwillig, noch etwas zu ändern. Die Modelle sind alle durchgelaufen, die Ergebnisse stehen fest. Und das ist eigentlich das, was der Begriff "Exchange" gemeinhin ausdrückt, ich kommuniziere etwas als Wissenschaftler, und der andere hört zu. Der Begriff Engagement steht für mich dagegen für das gemeinsame Beteiligen an einem Lernprozeß. Die Wissenschaftler sind dabei meines Erachtens genauso Lernende in diesem Globalisierungsprozeß und sie sollen eben nicht nur Lehrer sein, die alle Lösungen alleine austüfteln und dann der Gesellschaft verkaufen, sondern wir Wissenschaftler tragen nur einen gewissen Teil zu dem gemeinsamen Lernen von Lösungen bei. Und weitere Beiträge steuern dann die zivilgesellschaftlichen Organisationen bei, die oftmals ein gewaltiges Know How haben, zu dem die akademische Landschaft sonst gar keinen Zugang hat.

Man denke beispielsweise an einen Bauern in Indien und sein Wissen über die Bodenqualität seines Landes, das ein Akademiker irgendwo im Labor seines Institutes gar nicht haben kann. Von daher ist es für den Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin sehr wertvoll, sich frühzeitig an die zivilgesellschaftlichen Vertreter zu wenden, um sie mit einem 'Hilf mir doch, damit ich mein Thema so adressiere, daß es auch deine Interessen berücksichtigt' einzubeziehen. Dann muß er oder sie nicht hinterher etwas verkaufen, was vielleicht für keinen Menschen relevant ist. Das ist so ein bißchen die zugrundeliegende Philosophie daran.

SB: Dann hatten Sie sich sicher auch eine größere Beteiligung von Vertretern der Zivilgesellschaft erhofft, als Sie zu dem Panel eingeladen haben?

TB: Also ehrlich gesagt, war ich am Anfang der Session schon etwas enttäuscht und auch ein bißchen baff, ...

SB: ... als Sie die teilnehmenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen baten, aufzustehen und es blieben nur drei Leute sitzen ... Das zeigt aber auch ein großes Interesse dieser Fraktion an einer Verständigung. Können Sie sich das erklären, warum der Zuspruch von der anderen Seite so gering war? Es sind ja einige Vertreter von Zivilgesellschaften hier auf der Tagung anwesend.

TB: Ich erkläre mir das hauptsächlich damit, daß parallel eine ausgesprochen spannende Session stattgefunden hat, die mich auch selbst sehr interessiert hätte, über eine Solar Radiation Management Governance Initiative von Andy Parker [2], der es um die Perspektive der Entwicklungsländer und natürlich auch um die Beteiligung von Zivilgesellschaften geht. Das ist natürlich ein wesentlicher Aspekt in der ganzen Diskussion. Andy Parker ist ein sehr engagierter Experte, ein richtig toller Typ, und dieses Thema ist auch sehr wichtig. Da kann ich gut verstehen, warum sich die Vertreter der Zivilgesellschaft schwer getan haben mit der Entscheidung.

Darüber hinaus sollten wir vielleicht als Wissenschaftler in der Zivilgesellschaft mit noch mehr Engagement für dieses interaktive Gespräch werben und die Einladungen stärker formulieren. Da ich selbst im ThinkTank 30 aktiv bin, der so etwas wie das Jugendnetzwerk der deutschen Gesellschaft Club of Rome ist, in dem immer auch eine zivilgesellschaftliche Perspektive enthalten ist, so daß er eine Art Hybrid zwischen Zivilgesellschaft und Forschung darstellt, könnte ich mir vorstellen, daß es gut wäre, wenn man bei künftigen Projekten dieser Art bereits in den Vorbereitungsprozeß zivilgesellschaftliche Organisationen mit einbezieht. Es würde sicherlich helfen, wenn man so eine Session beispielsweise mit jemandem von German Watch oder Friends of the Earth bereits gemeinsam organisiert.

SB: Könnte es vielleicht sein, daß die Personen, die in den sogenannten ziviligesellschaftlichen Organisationen engagiert sind, diese Zuordnung in "Zivilgesellschaft" bereits als eine Abgrenzung oder Ausgrenzung verstehen?

TB: Das ist natürlich eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Es wäre spannend, wenn genau so etwas aus der weiteren Diskussion hervorgeht. Ich muß gestehen, diese Zuordnungen fallen mir selbst auch schwer. Ich bin Wissenschaftler, fühle mich aber auch irgendwie ein bißchen als Zivilgesellschaft. Ich bin auch ein Stakeholder [3], und schließlich auch ein Mensch, ein Bürger, und habe Ziele in meinem Leben und in der Gesellschaft, das heißt ich bin auch ein Vertreter der Zivilgesellschaft. Sobald ich mit jemandem ein Gespräch führe, in dem ich nicht nur über den Kaffee spreche, bin ich "aktiv".

Auf der anderen Seite gibt es natürlich eindeutig organisierte Gruppierungen, und ich halte es für wichtig, solche als Repräsentanten der Zivilgesellschaft zu verstehen und auch zu etablieren und entsprechend zu fördern. Wenn ich an Entscheidungsfindungsprozesse denke, dann werden die meiner persönlichen Einschätzung nach von verschiedenen Kräften wie denen aus der Politik, der Industrie und von Informationen aus der Wissenschaft beeinflußt. Die Organisationen der Zivilgesellschaft werden hier meiner Ansicht nach viel zu wenig integriert. Von daher halte ich es für gut, sie als einen eigenständigen, nicht an Industrie-Interessen oder politischen Interessen gekoppelten Sektor anzusprechen, und auch zu stärken.

Der Vorschlag von Prof. Held [4] hat mir deshalb auch gut gefallen, es müsse eigentlich ein größeres Forum geschaffen werden, in dem zivilgesellschaftliche Aktive, wie verstreut oder organisiert die auch sein mögen, sich stärker einbringen könnten. Doch das ist noch eine lange Reise. Bis wir dort angekommen sind, habe ich persönlich nichts gegen diese Zuordnung, der wir dann ein "Label" geben, auf dem zivilgesellschaftliche Interessenvertretung steht.

SB: Wäre es denn vorstellbar, daß für die sogenannte Zivilgesellschaft diese Zuordnung den Beigeschmack einer Ausgrenzung haben könnte? So wie es auch vielen aus dem Ausland kommenden Mitbürgern geht?

TB: Ich hoffe nicht. Wenn ich darüber spreche, ist es keinesfalls so gemeint. Aber wenn dem so wäre, wäre es wichtig, daß diejenigen, denen es so geht, das auch formulieren und in den Diskurs miteinbringen. Gründet sich denn Ihre Frage auf Äußerungen, die Sie von zivilgesellschaftlichen Vertretern gehört haben?

SB: Nein, das nicht. Aber wenn man mitverfolgt, inwieweit die Öffentlichkeit an einigen der aktuellen Debatten überhaupt beteiligt wird, ergeben sich daraus auch für uns als Medium und Berichterstatter häufiger Fragen bezüglich der Partizipation. Könnte es beispielsweise sein, daß die sogenannte Zivilgesellschaft aus ihrer bisherigen Erfahrung heraus eine Beteiligung an dieser speziellen Debatte vielleicht als Einbettungsstrategie verstehen könnte, die letztlich beinhaltet, daß sie, wenn es zu den eigentlichen wissenschaftlichen Entscheidungen oder politischen Konsequenzen kommt, doch wieder aus dem Prozeß herausfällt? Dieser Verdacht könnte doch zumindest aufkommen?

TB: Diesen Verdacht habe ich persönlich eigentlich auch immer. Ganz gleich, um welche Prozesse es geht, wird doch auf die Interessen, hinter denen nicht genug Macht steht, am Ende meist verzichtet. Man könnte auch sagen, sie werden aus dem Entscheidungfindungsprozeß wieder rausgekickt. Die Sorge ist nicht ganz unberechtigt. Sie ist jedoch im Bezug auf die wissenschaftliche Gemeinschaft unbegründet. Ich glaube, sie gilt auch eher den anderen Interessenvertretungen in diesem Entscheidungsprozeß. Natürlich werden die ihre Interessen ganz massiv verteidigen. Und die wünschen auch gar keine Partizipation oder daß sich da andere einmischen. Das ist leider so. Ich fürchte, das ist ein Teil unserer Realität. Aber das muß natürlich unbedingt verhindert werden. Das ist ja das Ziel.

Ich fürchte zwar, daß wir noch ziemlich weit davon entfernt sind, eine gleichberechtigte Einbettung der zivilgesellschaftlichen Stimmen auf die Beine zu stellen. Aber wir haben gar keine Alternative, als uns in dieser Richtung zu entwickeln. Und deshalb sagte ich auch zu Beginn der Session, daß dies für mich als Wissenschaftler - ich bin von Hause aus Physiker und nicht Sozialwissenschaftler - ebenfalls ein Lernprozeß ist.

Wenn man den geschichtlichen Kontext mit bedenkt, wo wir vor 500 Jahren und dann vor 200 Jahren standen, und in welche Richtung das weiter fortschreiten wird, dann sehe ich, daß man die Entwicklung zu einer immer stärkeren Beteiligung der Zivilgesellschaft und ihrer Institutionen unbedingt auf eine Weise fördern sollte, die nicht nur auf einem Goodwill [hier: Wohlwollen] basiert - wir hören euch an und reden mit euch, ein Industrievertreter trifft den Naturschutzreferenten vom NABU und die verstehen sich, und hinterher entscheidet die Industrie doch, was sie will -, sondern auf einer ernsthaften und faktischen Einbeziehung in die eigentlichen Entscheidungsfindungsprozesse, in der auch die einzelne Stimme etwas gilt und etwas an der Gesamtorganisation ändern kann. Da sehe noch sehr viel Handlungsbedarf. Aber zunächst sollten wir es nicht dazu kommen lassen, daß bei Vertretern der Zivilgesellschaft das Gefühl aufkommt, sie würden nicht ernst genommen.

SB: Eine sehr gute Wahl war sicherlich, Professor Mojib Latif vom GEOMAR für die Session als Referenten zu gewinnen, der sich ja bereits seit vielen Jahren durch Sendungen in Funk und Fernsehen um eine verständliche Vermittlung wissenschaftlicher Fragestellungen an die breite Öffentlichkeit bemüht. Etwas irritiert hat mich sein Vorstoß, daß man Kinder aus der Diskussion mit der Öffentlichkeit ganz rausnehmen müßte, beziehungsweise, daß man sie nicht mit Problemen wie den Klimawandel oder auch Überlegungen zu Climate Engineering belasten sollte. Da steht man wieder vor der Frage, wer gehört denn zur Zivilgesellschaft? Gehören Kinder nicht dazu? Dabei handelt es sich doch gerade um die Generation, die mit den Folgen dieser Entscheidungen irgendwann konfrontiert werden wird.

TB: Ich muß gestehen, dieses Argument habe ich selbst nicht so ganz verstanden. Ich sehe das nämlich ganz ähnlich wie Sie. Ich mache selbst sehr gerne Outreach [hier: Öffentlichkeitsarbeit] mit Kindern, beispielsweise Workshops mit Schulklassen, und bin von daher der Meinung, daß Kinder die Komplexität und Zusammenhänge in der Welt kennen und erkennen lernen sollten, mit denen sie im Verlauf ihres Lebens noch konfrontiert sein werden, und man sie durchaus an Probleme heranführen sollte. Daß man das nicht immer gleich mit diesen sehr konkreten Themen wie Klimawandel oder Geoengineering "framen" muß, mag wohl sein. Aber damit, ein grundsätzliches Bewußtsein für die Herausforderungen zu schaffen, die aus der Globalisierung und aus den globalen Auswirkungen unseres Handelns erwachsen, kann man nicht früh genug anfangen. Ein ganz wesentlicher Teil der notwendigen Transformation hin zu einer nachhaltigen Lebensweise auf der Erde ist nicht nur Wissen, sondern 'Bewußtsein'. Das ist ein innerer Prozeß, der die eigene Grundhaltung betrifft und hat konkret etwas mit einer größeren Empathie [einem größeren Einfühlungsvermögen] zu tun. Das heißt, inwieweit jeder einzelne in der Lage ist, sich mit den Auswirkungen seines Tuns außerhalb dessen zu identifizieren, was man direkt sehen und anfassen kann, also wie weit man über den eigenen Tellerrand hinaus blicken kann.

Wenn ich beispielsweise hier einen Stecker in die Steckdose stecke, dann ist die Tatsache, daß dafür ein Kohlekraftwerk tätig sein muß, dessen Schwefeldioxid- oder Kohlendioxid-Emissionen irgendwo irgendetwas und irgendwen belasten, für mich unglaublich abstrakt. Je früher wir anfangen, Bewußtsein für die Wirkung des eigenen Tuns zu wecken, werden auch die Folgen dieses Tuns selbst in weiter Entfernung für uns relevant und wie sie umgekehrt auf uns zurückwirken. Das sind durchaus Dinge, für die auch Kinder Verständnis haben. Man muß ja nur mal überlegen, was einen selbst alles bewegt hat, als man fünfzehn war. Wieviel Bewußtsein ich da für die globalen Zusammenhänge hatte oder auch nicht hatte. Und wenn ich das dann beispielsweise mit Kindern heutzutage vergleiche, was die alles über die Verantwortung ihres eigenen Handelns verstehen, wissen und begreifen und, mehr noch, verinnerlicht haben, dann bin ich platt und denke, cool, da verändert sich doch was. Ich neige sehr zu der Hoffnung, daß dies bereits ein großer Hebel für die Entwicklung einer insgesamt nachhaltigeren Lebensweise sein könnte. Deshalb finde ich, kleine Kinder sollten frühzeitig mit den komplexen Zusammenhängen der Erde in Kontakt gebracht werden.

Ob die dann gleich mit "Mitigation" und "Policy implications" und so weiter konfrontiert werden müssen, das mag auf einem anderen Blatt stehen.

SB: Dies war die einzige Session, die ich besucht habe, in der von vornherein darum gebeten wurde, keine Audio-Mitschnitte oder Photos zu machen. Gleichzeitig ging es thematisch um eine größere Transparenz, Offenheit, Vertrauen und darum, wissenschaftliche Themen gemeinsam mit einer breiteren Öffentlichkeit anzugehen. Gab es einen besonderen Grund für diese Entscheidung?

TB: Ich habe gestern kurz darüber nachgedacht und das ganz kurzfristig zugunsten des freien Sprechens so entschieden. Aus verschiedenen anderen Dialogen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, in denen das so gehandhabt wird, hatte ich den Eindruck gewonnen, daß die Gesprächsatmosphäre positiv verändert wird, wenn jeder weiß, daß er einfach frei seine Meinung äußern kann. Daß man auch Fehler machen darf, daß man auch Sachen ins Unreine sprechen kann und nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden muß, kann für ein offenes Gespräch nur förderlich sein. Und da mir ein entspannter und offener Diskurs wichtig ist, der auch vom Format her integrativ sein soll, das heißt, an dem sich möglichst alle beteiligen sollen, wollte ich gar nicht erst den unbehaglichen Gedanken aufkommen lassen, daß jemand vielleicht etwas mitschneidet.

SB: Die engagierte Diskussionsrunde, in der, wenn ich das richtig gesehen habe, jeder zu Wort gekommen ist, spricht auf jeden Fall für diese Entscheidung. Vielen Dank, Herr Dr. Bruhn, daß Sie sich für uns die Zeit genommen haben.


Anmerkungen:

[1] SIWA - Sustainable Interactions with the Atmosphere - Nachhaltige Interaktionen mit der Atmosphäre

[2] Andy Parker (Harvard University) leitete die Session "Developing Countries and Solar Radiation Management" am 21. August 2014 von 11:00 bis 12:30 Uhr, an der viele zivilgesellschaftliche Vertreter teilnahmen.

[3] Als "Stakeholder" (Interessenvertreter) wird eine Person oder Gruppe bezeichnet, die ein berechtigtes Interesse am Verlauf oder Ergebnis eines Prozesses oder Projektes hat.

[4] Prof. Dr. Hermann Held, Universität Hamburg, Forschungsstelle Nachhaltige Umweltentwicklung der Universität Hamburg (Chair Sustainability and Global Change)


Zur "Climate Engineering Conference 2014" sind bisher in
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und
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unter dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" erschienen:

BERICHT/088: Klimarunde, Fragestunde - für und wider und voran ... (SB) Ein Einführungsbericht

INTERVIEW/149: Klimarunde, Fragestunde - Hört den Wind ...    Pene Lefale im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimarunde, Fragestunde - defensiv zur Sicherheit ...    Prof. Jürgen Scheffran im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimarunde, Fragestunde - Folgen kaum absehbar ...    Prof. Mark Lawrence im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimarunde, Fragestunde - Fortschritt in falscher Hand ...    Prof. Clive Hamilton im Gespräch (SB)

5. September 2014