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INTERVIEW/107: Wohnstube Meer - Mitgeschöpfe ... Tharaka Sriram im Gespräch (SB)


"Ein anderes Meer ist möglich!"

Zur Konferenz "über die Grenzen des Blauen Wachstums und die Zukunft der Meere" eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Tharaka Sriram über Tierrechte und ihr Anliegen, Kindern und Jugendlichen ein Bewußtsein fürs Meer beizubringen



Wer gedacht hatte, daß die zivilgesellschaftliche Konferenz "Ein anderes Meer ist möglich!" thematisch so breit aufgestellt ist, daß der Wunsch nach einer weiteren Fragestellung gar nicht erst aufkommt, sah sich bereits am ersten Abend des dreitägigen Treffens eines Besseren belehrt. Unter dem Titel "Die Grenzen des Blauen Wachstums" diskutierten auf dem Podium Francisco Mari (Brot für die Welt), Thilo Maack (Greenpeace), Antje Boetius (AWI - Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung) und Nicole Franz (FAO - Food and Agriculture Organization), moderiert von Cornelia Wilß, unter anderem über Meeresschutz, handwerkliche versus industrielle Fischerei und die Rolle der Wissenschaft als Wegbereiter für die wirtschaftliche Nutzung der Meere. Gegen Ende der Podiumsdiskussion, an der sich zunehmend das Publikum beteiligte, wurde eine Frage aufgeworfen, deren Unvermitteltheit die Beteiligten im ersten Moment zu irritieren schien. Eine junge Frau, Tharaka Sriram, stellte die Frage: "Was mir immer auffällt an der ganzen Diskussion, ist, daß es ein sehr menschenzentrierter Ansatz ist. Wie sieht es denn bei Ihren diversen Bereichen mit dem Thema Tierrechte aus?"

Wohlgemerkt, es war bei den Debatten um die Einrichtung von Schutzgebieten, ein Ende der "Über"fischung, um nachhaltigen Fischfang, also alles in allem um Bestandssicherung und ein Fortschreiben des Fischfangs gegangen und nicht um ein generelles Ende des Fischfangs.

Man durfte gespannt sein, wie sich die auf so unerwartete Weise Angesprochenen zu dieser Frage stellten. Antje Boetius erwiderte, sie mache unter anderem auch "Kinderuniversität", und das sei eine typische Frage, die da ganz oft gestellt werde: "Wieso hat der Mensch überhaupt das Recht, darüber zu entscheiden, wo ein Fisch entlangschwimmen darf?" Man könne sich diese Frage schon stellen, räumte sie ein, der Fisch könne ja nicht zur FAO gehen und sagen, "jetzt schütz' mich!" Die Tiere haben keine Möglichkeit, sich einzumischen, das sei letztendlich den Menschen überlassen. Natürlich kann man immer sagen, man möchte so gerne so wenig wie möglich von der Erde verbrauchen. Ihr Vater, der Schriftsteller ist, gebe immer den guten Rat: "Die ökologischste Handlung, die ein Mensch vornehmen kann, ist Selbstmord."

Der Greenpeace-Kampaigner Thilo Maack hatte die Frage eher so verstanden, daß sie auf den Wert abhebt. Bei der Eröffnung des Ozeaneums in Stralsund habe Bundeskanzlerin Angela Merkel - und er zitiere sie beileibe nicht oft - von dem Wert der Meere an sich gesprochen, ohne irgendeinen ökonomischen Grund, sondern nur, weil sie da sind. Das halte er für wichtig. So, wie die Antarktis zum Erbe der Menschheit erklärt worden sei und bewahrt werde, könne er sich das auch für die Arktis und die Tiefsee vorstellen.

Aus dem Publikum wurde dann die Verbindung zwischen der Frage nach den Tierrechten und dem sogenannten Beifang hergestellt: Da werden junge Fische gefangen und tot einfach wieder über Bord geworfen, weil sie nicht so viel wert sind, sagte eine andere Frau und fuhr fort, die Fische hätten ja noch länger leben können. Das halte sie durchaus für ein ethisches Problem.

Im unmittelbaren Anschluß an die Podiumsdiskussion beantwortete Tharaka Sriram dem Schattenblick einige Fragen:

Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Fragt nach den Tierrechten: Tharaka Sriram
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie hatten vorhin die ethische Frage, was eigentlich mit den Tierrechten sei, angesprochen. Haben Sie in der Diskussion eine Antwort darauf erhalten?

Tharaka Sriram (TS): Ich habe die Antwort auf meine Frage dadurch erhalten, daß ich an der Reaktion der Podiumsteilnehmer gesehen habe, wie sehr sie irritiert waren. Wahrscheinlich haben sie nicht mit dieser Frage gerechnet oder sich darüber schon mal Gedanken gemacht, aber noch keine Lösung gefunden; vielleicht waren sie aber auch irritiert, weil es sie beschäftigt und dies eine unangenehme Frage ist. Ja, insofern war das für mich eine Antwort.

Meiner Meinung nach geht man immer davon aus, daß Räume leer sind - ob das jetzt das Meer ist oder das Land - und daß diese etwas sind, das man bearbeiten kann. Seien es Tiere, Pflanzen oder Menschen, die Vorstellung ist verbreitet, daß man einfach Entscheidungen für sie treffen kann. Spricht man wie vorhin bei der Podiumsdiskussion von "Betroffenen", dann geht man nur von den Menschen aus. Sicherlich kann der Fisch nicht irgendwo hingehen und irgendwelche Rechte einfordern, aber wenn man schon sagt, der Mensch ist die Krone der Schöpfung - wovon ich nicht ausgehe -, aber wenn man diese Argumentation fährt, dann muß doch der Mensch in der Lage sein, für diesen Fisch auch mit zu entscheiden oder eine Entscheidung zu treffen, die auch in dessen Interesse liegt.

SB: Leben Sie selbst nach dieser Einstellung?

TS: Ja, ich bin Vegetarierin und auf dem Weg, Veganerin zu werden. Ich sehe das nicht dogmatisch, das ist für mich eine ganz bewußte Entscheidung, auch aus ökologischem Grund. Das ist für mich keine allein ethische Frage, aber ich sehe das auch in der Verantwortung, ein Mensch zu sein. Ich würde jetzt nicht so weit gehen und sagen, man muß Selbstmord begehen - damit ist niemandem geholfen. Weil man in dem Leben, das einem gegeben ist, auch andere davon überzeugen kann, so zu leben.

Ein weiterer wichtiger Aspekt zur Ernährungsfrage ist die Umwelt- und Familienplanung. Ich halte es für eine ganz interessante Frage, warum in einigen Ländern die Einwohnerzahl stetig zunimmt. Die nimmt nicht nur zu, weil es dort keine Familienplanung gibt, sondern auch weil es vorgefertigte bzw. industriell hergestellte Produkte gibt wie Zucker, Weizen und Fette. Die ermöglichen es, große Bevölkerungen zu ernähren, die man nicht ernähren könnte, wenn es diese Produkte nicht gäbe. Nochmals eine andere Debatte ist dann, daß die Produkte nicht für den Menschen ausgelegt und somit ungesund sind.

SB: Sind Sie über eine bestimmte Organisation hiergekommen?

TS: Ich interessiere mich privat für das Thema Meeresschutz und bin eigens deswegen aus Mannheim angereist.

Thilo Maack bei der Podiumsdiskussion - Foto: © 2014 by Schattenblick

Meeresschutz als Wert an sich: Thilo Maack
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Sie sprachen Bevölkerungswachstum und Ernährungsfragen an. Sind Sie der Ansicht, daß man die Fragestellung erweitern und vielleicht auch einen anderen gesellschaftlichen Ansatz machen müßte, damit das Problem des Nahrungsmangels nicht vom Meer aufs Land oder umgekehrt verlagert wird?

TS: Auf jeden Fall, ich bin ein großer Anhänger der holistischen Gedankenwelt. Das meine ich nicht esoterisch, sondern ich meine damit eher den ökosystemischen Ansatz. Man muß immer alles miteinander kombinieren, was eine schwierige Aufgabe ist, aber ich denke, man muß von dem Spezialistentum und den Experten, die immer mehr von immer weniger wissen, wegkommen. Das ist zu schaffen und geht über das interdisziplinäre Arbeiten hinaus. In diesem Sinn stimme ich Ihnen zu, ging die Diskussion nicht weit genug.

Aber das liegt nicht an der Diskussion, auch nicht an der Veranstaltung, sondern daran, wie die Gesellschaft aufgebaut ist, weil dieses ganzheitliche Denken auch in der Gesellschaft noch nicht so vermittelt wird und auch nicht in der Schule. Das ist, glaube ich, eine zentrale Lösung, um Probleme oder überhaupt Lösungswege anzugehen für die Zukunft, das holistische Denken.

SB: Haben Sie dazu schon Ideen?

TS: Ich überlege, wie man vor allem Kindern und Jugendlichen nahebringen kann, sich mit dem Thema Meer zu beschäftigen. Ich komme aus Mannheim, bin viel in der Entwicklungszusammenarbeit tätig gewesen und verreise viel. So sehe ich, je weiter die Leute vom Meer weg sind, desto weniger Sensibilität gibt es dafür. Das gleiche gilt auch für Informationen zum Thema "ocean literacy", der Bildung zum Thema Meer, was vorhin genannt wurde. In Mannheim zum Beispiel gibt es zwei Flüsse, und die meisten Dinge, die das Meer verschmutzen, kommen vom Land. Wenn ich das richtig erinnere, stammen rund 70 Prozent der Schadstoffe im Meer aus den Flüssen. Die Leute, die im Landesinneren leben, denken: 'Okay, ich esse zwar Fisch, aber was hat das Meer mit mir zu tun?' Das muß man ändern und dazu möchte ich gerne meinen Beitrag leisten.

SB: In der Diskussion wurde auch die Frage der Fangmethoden angesprochen und ob Fische Schmerzen empfinden. Wie sollte man Ihrer Meinung nach damit umgehen, wenn Fische Schmerzen empfinden?

TS: Ich will das so beantworten: Das ist eigentlich nicht wichtig, ob etwas Schmerz empfindet oder nicht. Na klar, auch Tiere empfinden Schmerz, da muß man nichts forschen, das ist einfach so. Ich würde mir die Frage andersherum stellen: Ist denn irgend etwas erst dann schützenswert, wenn es Schmerz empfindet? Wenn ich den Regenwald rode, muß ich mir dann vorher überlegen, ob der Baum, wenn ich ihn abholze, Schmerz empfindet? Er wird dann trotzdem abgeholzt. Um das mal auf diese Ebene zu führen.

Ohne daß das jetzt als religiös oder esoterisch angesehen wird, denke ich, haben Lebewesen einen Wert an sich. Und wenn der Mensch so weit entwickelt ist, wie er immer von sich behauptet, dann sollte er auch in der Lage sein, das mit einzubeziehen, ohne zu sagen, wir beschäftigen uns nur mit etwas, weil es ein Schmerzempfinden hat oder weil es ihm weh tut. Das ist nicht meine Perspektive. Man liest ja in Zeitschriften oder es wird in Dokumentarfilmen berichtet, daß manche Tiere genauso intelligent sind wie Menschen oder daß die Organe von Schweinen Ähnlichkeiten zu denen der Menschen haben. Ich überlege mir dann immer: Und was interessiert das? Bloß weil es jetzt ähnlicher ist, ist es deswegen schützenswerter?

Auf jeden Fall sind es Lebewesen, ob das jetzt Pflanzen oder Tiere sind. Sie sind genauso da, wie wir es sind. Das geht alles in die Richtung, daß man sich überhaupt mit dem Mensch-Natur-Begriff auseinandersetzen muß, was ja eine ganz große Debatte ist. Darüber zu diskutieren, fände ich durchaus interessant. Durch den Naturbegriff wird implizit der Mensch getrennt von der Natur angenommen.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.

Antje Boetius bei der Podiumsdiskussion - Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Fisch kann keine Forderung stellen, das würde letztendlich dem Menschen überlassen bleiben: Antje Boetius
Foto: © 2014 by Schattenblick


Zur Konferenz "Ein anderes Meer ist möglich!" ist bisher in den Pools
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unter dem kategorischen Titel "Wohnstube Meer" erschienen:

BERICHT/073: Wohnstube Meer - verletzt man nicht ... (SB)

INTERVIEW/104: Wohnstube Meer - Messies, Müll und Therapien ... Kai Kaschinski im Gespräch (SB)
INTERVIEW/105: Wohnstube Meer - Pflege, Sorge, Schutz und Leben ... Thilo Maack im Gespräch (SB)
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27. Mai 2014