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INTERVIEW/106: Wohnstube Meer - erst sterben die Fische ... David Pfender (WDC) im Gespräch (SB)


"Ein anderes Meer ist möglich!"

Zur Konferenz "über die Grenzen des Blauen Wachstums und die Zukunft der Meere" eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Walhelfer David Pfender über die fahrlässige Verletzung der Würde von Meeresbewohnern



Die Fahrt beginnt an einem Weihnachtstag im Jahr 1841. Kapitän Ahab, vor dem sie der alte Elias warnte, läßt sich anfangs nicht an Deck blicken. Von ihm ist nur das monotone Klacken seiner Beinprothese zu hören, die aus dem Kieferknochen eines Pottwals angefertigt wurde. Erst auf offener See erklärt er der Mannschaft das wahre Ziel der Fahrt: Ahab will Moby Dick, den weißen Wal, der ihm das Bein abgerissen hat, jagen und erlegen. Er verfolgt das Tier in seiner Rache um die ganze Welt. Dabei ist er kaltblütig bereit, das Leben seiner gesamten Schiffsmannschaft aufs Spiel zu setzen - auch das des gutgläubigen Ismael, der zum ersten Mal auf einem Walfänger angeheuert hat, um das Leben an Land gegen die Abenteuer einer jahrelangen Seereise einzutauschen. Als der Wal gesichtet wird, dauert die Jagd noch drei Tage. Doch anders als erwartet geht der Wal als Sieger aus dem dramatischen Showdown hervor: Er rammt den Walfänger und bringt ihn dadurch zum Sinken. [1] Dabei wird Ahab in seinem Walboot von einer Bucht der auslaufenden Harpunenleine erfaßt und von dem abtauchenden Wal unter Wasser gezogen...

Die 1851 von Herman Melville beschriebene Fiktion geht glimpflich für den großen, weißen Meeressäuger aus, im Widerspruch zum wahren Meeresleben, in dem aufgrund seiner Bejagung in der Vergangenheit die Bestände so gering sind, daß der Pottwal, neben einigen seiner kleineren Verwandten (wie Schweinswal, Zwergwal, Weißschnauzendelfine, Große Tümmler, Grindwale etc.) laut Weltnaturschutzunion (IUCN) in der Roten Liste gefährdeter Arten geführt werden. Während der eigentliche Held des Romans, Moby Dick, in den zeitgenössischen Illustrationen oft als menschenfressende, Schiffe versenkende Bestie dargestellt wurde, mit der man vielleicht indirekt den kommerziellen Walfang rechtfertigen wollte - vor allem Pottwale (Physeter catodon oder Physeter macrocephalus) wurden von der Haut bis zum letzten Knochen verwertet [2] -, verbirgt sich in dem Roman durchaus auch ein anderer Zugang zu einem Lebewesen, über das der Mensch kaum etwas weiß und das der Autor den Erzähler Ismael als eine mächtige Kreatur voller "Kraft, Schönheit, Unschuld, Ehre, Güte und Gerechtigkeit" schildern läßt. Warum sollte man nicht auch die Belange und Interessen eines Wesens respektieren, zu denen mit Sicherheit nicht gehört, von einer anderen Spezies gefangen und verwertet zu werden? Und warum sollte es nicht, wie es letztere Spezies für selbstverständlich erachtet und der eigenen Intelligenz zuschreibt, sein Leben auch verteidigen, wenn ihm diese Achtung versagt wird?

Die Zeichnung zeigt einen riesigen Walkopf, der ein verhältnismäßig kleines Walboot verschlingt - Zeichnung: 1892 by A. Burnham Shute (Public domain), via Wikimedia Commons

Hat das Image des Killerwals zur kommerziellen Ausbeutung und beinahe vollständigen Ausrottung einer hochintelligenten Tierart beigetragen?
Zeichnung: 1892 by A. Burnham Shute (Public domain), via Wikimedia Commons

Ein achtungsvoller Umgang des Menschen mit dem Meereslebensraum und seinen Bewohnern, um nicht nur das Überleben, sondern auch die Lebensqualität der Meerestiere zu sichern, wäre ein Teil der Vision, die die WDC (Whale and Dolphin Conservation) auch in die gemeinsame Abschlußerklärung der 20 NGOs, die vom 15. bis 17. Mai in Bremen unter dem Motto "Ein anderes Meer ist möglich!" tagten, einbringen will. Sie heben sich damit vom Schutzgedanken der Europäischen Union ab, der sich vor allem in der sogenannten Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie [3] widerspiegelt. Diese zielt aber mit der Einrichtung von Schutzgebieten vor allem auf die Sicherung der Nahrungsressource Fisch ab, wie es die neue Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) einfordert, unterstützt von ihrem Finanzierungsinstrument, dem Europäischen Meeres- und Fischereifond (EMFF) zur Förderung der blauen Wirtschaft oder des "Blue growth" in Europa. [4] Da das Meerwasser aber ein Medium ist, das Schutz- mit Wirtschaftsräumen wie die AWZ (ausschließliche Wirtschaftszonen) [5] verbindet, reichen Schutzgebiete allein nicht aus, meinte David Pfender in seinem Vortrag "Walheimat - Marine Ökosysteme verlangen Schutz!" Sie würden heute immer noch allzugern als Rechtfertigung verstanden, irgendwo sonst im Meer weiterzumachen wie bisher. Doch das Meer müsse insgesamt in einen guten Zustand versetzt werden. Dafür sei das Rückwurfverbot, nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Unter diesem Begriff wird geregelt, daß der Beifang, d.h. Fische, die sich nicht verwerten lassen und normalerweise einfach ins Meer zurückgeworfen, gewissermaßen verklappt wurden, da sie dadurch kaum eine Überlebenschance hatten, zu den Fangquoten gerechnet werden soll. Damit wird zwar das Überleben dieser Fische auch nicht gewährleistet, aber die Fangmenge insgesamt verkleinert sich. Allerdings wird die Durchsetzung des Verbots in den verschiedenen Gewässern der EU noch bis 2019 dauern.

Am Beispiel der Schweinswale, die einzige heimische Walart, die in Nord- und Ostsee zuhause ist, machte der Referent deutlich, daß Schutzzonen keinen großen Wert haben, wenn das ungestörte Leben nicht zumindest in den besonders wichtigen Lebensräumen, den "Critical habitats", wie es die Biologen nennen, gewährleistet ist. Schweinswale findet man vor allem am Sylter Außenriff, wo die Mütter ihre Kälber aufziehen. Laut David Pfender, der sich auf seinem T-Shirt als "Walhelfer" auswies, sind aber auch Räume zu schützen, in denen der Schweinswal am Meeresboden Jagd auf Plattfische macht, weil seine bevorzugte Nahrung Hering, Kabeljau und Dorsch bereits von den Menschen "leergegessen" wurde, wie Meeresökologe Rainer Froese den Zustand der Überfischung in einem anderen Forum bezeichnete. Diese sind jedoch nicht unbedingt bekannt und verändern sich.

Wie der englische Ausdruck "critical" andeutet, sind diese Wal-Lebensräume besonders empfindlich, können aber nach heutiger Rechtslage auch als ausgewiesenes Schutzgebiet noch genutzt werden. Das wirkt sich beispielsweise in der deutschen AWZ auf die Dezimierung der Bestände aus. Die Fischerei reduziert nicht nur die Nahrungsgrundlage, 50% aller Schweinswaltotfunde stammen aus Stellnetzen, in denen die Schweinswale als Beifang verenden. Plinger, d.h. Störgeräuschsender, die vor den Netzen warnen sollen, haben zudem die kuriose Funktion, den Wal von den Stellnetzen abzuhalten, aber auch aus seinem Schutzgebiet zu vertreiben...

Schweinswal in Nahaufnahme: 'Kleiner Tümmler', 'Braunfisch' oder 'Meerschwein' wird er auch noch genannt. - Foto: by AVampireTear (CC-BY-SA-3.0 ), via Wikimedia Commons

Ein Meer ohne Menschen, wäre das bessere Meer für den Wal.
Foto: by AVampireTear (CC-BY-SA-3.0 ), via Wikimedia Commons

Lärm durch das Rammen beim Bau von Offshore-Anlagen, durch den Schiffsverkehr oder beim Aufsuchen von Bodenschätzen bzw. durch militärische Übungen kann die Schweinswale sowohl aus ihren Revieren vertreiben als auch zu direkten gesundheitlichen Schäden führen. Darüber hinaus hat der Eintrag von Plastikmüll, den die Tiere mit Nahrung verwechseln, aber auch der von langlebigen organischen Schadstoffen (sogenannten POPs von persistant organic polutants) wie Lindan, Chlordan, DDT, Dieldrin, Toxaphen, Industriechemikalien wie polychlorierte Biphenyle (PCB) oder Nebenprodukte, die bei der industriellen Fertigung oder bei Verbrennungsprozessen entstehen, beispielsweise Dioxine, die im Fettgewebe der Meeressäuger akkumulieren, eine auf vielfältige Weise gesundheitlich negative oder tödliche Wirkung für die Meereslebewesen. Bei Seehunden und Schweinswalen fand man Hinweise darauf, daß POPs das Immunsystem und das Hormonsystem schwächen. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch, ob diese Schadstoffe und die Schwächung des Immunsystems einen Einfluß auf die Ausbreitung von Epidemien wie das Seehundsterben (1988 und 2002) haben.

Die Schweinswalpopulation der Nordsee wird laut IUCN zu den gefährdeten Arten gezählt, die Schweinswale der Ostsee, die man auf 300 bis 500 lebende Tiere schätzt, gilt bereits als besonders gefährdete Art. In einer Untersuchung von Kattegat bis Kiel ergab 1994 noch 19.000 Tiere, eine Schweinswalzählung im gleichen Meeresraum 11 Jahre danach wies laut David Pfender einen Rückgang von über 60% auf. Die aktuellen rechtlichen Regelungen stellen hier immer nur einen Kompromiß zu den Ansprüchen dar, die der Mensch an die Ressource stellt.

Die Forderungen des WDC - wie effektive Managementpläne zum Schutz der Ökosysteme in den Natura 2000 Gebieten; mindestens 50% Nullnutzungszonen in den Meeren; ein vollständiger Ausschluß sämtlicher Aktivitäten, die zur Störung der Lebensräume von Walen und Delphinen führen sowie der konsequente Ausschluß von jedwedem Lärm in den Schutzzonen - berücksichtigen in diesem Kompromiß die Interessen der Meeresbewohner ein wenig mehr, mehr aber auch nicht. Der WDC versucht mit zahlreichen Aktivitäten und Filmprojekten in der Öffentlichkeit ein größeres Verständnis für diese Pläne zu wecken. Nach der Diskussion war der Referent bereit, dem Schattenblick noch ein paar ergänzende Fragen zu beantworten.

Auf der Tagung 'Ein anderes Meer ist möglich' vom 15. bis 17. Mai 2014 in Bremen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Jeder sollte einmal darüber nachdenken, ob Tieren nicht auch Persönlichkeitsrechte zukommen.
WDC-Aktivist, Biologe und Walhelfer David Pfender
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Aus einer Studie des Umweltbundesamts [6] ging hervor, daß besondere Airguns oder Luftpulser entwickelt wurden, um am Meeresboden nach Öl- und Gaslagerstätten zu suchen. Der Lärm, der in einem offensichtlich sehr tiefen Tonbereich von 300 Herz stattfindet, soll für Meeressäugetiere allerdings noch in 2.000 km Entfernung wahrnehmbar sein. Sind Wale besonders empfindlich für den Lärm oder ist dieser Lärm besonders groß? Und wie wirken diese Störeinflüsse beziehungsweise welche Folgen entstehen dadurch für den Meeressäuger?

David Pfender (DP): Dieser Lärm nimmt mit zunehmender Entfernung wieder ab. Allerdings kommt es in besonderer Nähe zur Lärmquelle, beispielsweise bei militärischen Sonar-Übungen, regelmäßig zu Strandungen von Walen. Die Ursache dafür ist, daß die Wale orientierungslos werden. Ihr körpereigenes Echolot wird durch den Lärm zerstört, man kann im Gehörgang die direkten Schäden auch erkennen. Es kommt auch vor, daß sie langfristige Schäden davontragen, also im Meer orientierungslos herumschwimmen, keine Nahrung mehr finden und dadurch verhungern. Diese Probleme tauchen gerade bei militärischen Übungen, aber auch bei seismischen Untersuchungen regelmäßig auf.

SB: Kim Detloff merkte vorhin zu einer Zwischenfrage an, daß auch Fische und andere Meerestiere von den Schutzzonen für die Wale profitieren. Ist das auch umgekehrt der Fall, wenn es beispielsweise um Lärm geht? Gibt es Untersuchungen, wie sich Lärm generell auf die Meeresumwelt auswirkt?

DP: Ja. Fische, wie wir schon erläutert haben, sind davon betroffen. Sie müssen nur einmal an ein Aquarium klopfen, dann sehen sie, wie lärmempfindlich Fische sind. Krach kann im Innenohr der Fische regelrechte Verwüstungen hinterlassen. Fische nutzen ihre Ohren, um Räuber rechtzeitig zu bemerken oder um den richtigen Paarungspartner zu finden. Aber man sieht es auch an Robben. Robben nehmen auch unter Wasser noch die Lautstärke wahr. Und dieser Lärm stellt dann auch definitiv ein Problem für die Tiere, für ihre Population, und für die gesamte Art dar.

SB: Die Arktis soll ja in naher Zukunft, besonders im Hinblick auf Bodenschätze am Meeresboden, gründlich untersucht werden. Dabei kommen nicht nur Luftpulser zum Einsatz, auch andere Geräte, mit denen der Meeresboden bearbeitet wird, könnten Lärm verursachen. Nun weiß man ja von der Klimaproblematik, daß auch viele Tiere aus dem warmen Süden in den Norden abwandern. Könnte der Lärm die Tiere in die Lebensbereiche zurückdrängen, aus denen sie gerade aufgrund der zunehmenden globalen Erwärmung fliehen?

DP: Wahrscheinlich würden sie gar nicht dort ankommen, denn sobald die Tiere diese Geräusche wahrnehmen, ist ihr Gehör bereits geschädigt und das führt dann dazu, daß sie langfristig verhungern oder orientierungslos herumschwimmen, wie ich gerade erläutert habe. Da diese Untersuchungen dann die Tiere betreffen werden, die schon vor Ort sind, ist das aber, wenn solche Untersuchungen fortgeführt werden, insofern tragisch, als man dann von enormen Massenanstrandungen von Walen und auch anderen Tieren ausgehen muß.

Ein verwesender Schweinswal am Strand - Foto: by 4028mdk09 (CC-BY-SA-3.0) via Wikimedia Commons

Sollten die Aufsuchungen von Bodenschätzen zunehmen, muß man mit enormen Massenanstrandungen rechnen
Foto: by 4028mdk09 (CC-BY-SA-3.0) via Wikimedia Commons

SB: Welche alternativen Möglichkeiten gäbe es denn für die Forschung, weniger Lärm zu verursachen? Gibt es überhaupt welche?

DP: Da gibt es beispielsweise bereits zumindest von der Ostsee alte Wasserkarten, die man heranziehen kann und die schon sehr viel aufweisen. Eine andere Alternative wäre, daß man zunächst gewährleistet, daß keine Waltiere in der Nähe sind und daß man die seismischen Untersuchungen so ausführt, daß die Tiere, die davon betroffen sein könnten, geschützt und in einem ausreichendem Abstand zu diesen Untersuchungen bleiben.

SB: Was muß man unter einem "internationalen Lärmschutzkonzept, im Rahmen des Antarktis-Vertragsstaaten-Systems" verstehen, wie es das Umweltbundesamt fordert? Wären diese Überlegungen darin schon enthalten?

DP: Darunter versteht man vor allem, daß gewährleistet wird, die Schiffahrt in einer Weise zu regulieren, daß die Natur möglichst keinen Schaden davonträgt. Das heißt, daß die Rammungen, die bei den Off-Shore-Windparks gemacht werden, so gemacht werden, daß die Lärmbelastung auf ein Minimum reduziert wird. Dafür gibt es verschiedenste Methoden, beispielsweise einfache oder mehrfache Blasenschleier zu erzeugen, um die Rammungen zu dämpfen und, ja, solche Punkte fallen darunter.

SB: Wenn also jetzt Lärm in bestimmten Grenzen erlaubt ist, wäre das nicht ein ausgesprochen schlechter Kompromiß, zumal man nicht zu wissen scheint, welches Lärm-Maß bereits anfängt, schädigend für die Tiere zu sein?

DP: In vielen Fällen weiß man es schon, aber generell zählt da das sogenannte "Precautionary Principle", das bedeutet, Vorsicht walten zu lassen und lieber mehr Sicherheit für die Tiere und für die Lebewesen zu gewährleisten, als unter Umständen nötig. Und insofern muß an jede Methode, die für die Aufsuchung verwendet wird, mit Vorsicht rangegangen werden und alles erstmal zum Wohle des Tieres und der Natur berücksichtigt und abgesichert werden.

In der Grafik werden die Lebensräume des Schweinswals blau markiert. - Grafik: 2006 by BloodIce (CC-BY-SA-3.0), via Wikimedia Commons

Die wichtigen Lebensräume von Walen überlappen sich nicht immer. Die Tiere lassen sich nur durch grenzübergreifenden Artenschutz erhalten. Ein erster Schritt dazu ist die europäische Initiative "Natura 2000".
Grafik: 2006 by BloodIce (CC-BY-SA-3.0), via Wikimedia Commons

SB: Ein ganz anderes Thema: Laut einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag muß Japan seine Jagd auf Wale in der Antarktis beenden. Australien hatte den Fall vor Gericht gebracht, mit dem begründeten Verdacht, daß Norwegen, Island und Japan sich nicht an das Verbot des kommerziellen Walfangs halten, das von der internationalen Walfangkommission erlassen wurde. Die japanische Walfangindustrie nutzte bisher ein Schlupfloch und berief sich darauf, Wale zu Forschungszwecken zu erlegen. Die Richter in Den Haag entschieden nun, daß die Kriterien für einen wissenschaftlichen Walfang nicht erfüllt seien. Was sind das für Kriterien?

DP: Zum einen müssen dabei ganz neue wissenschaftliche Erkenntnisse geliefert werden. Das heißt, es muß zunächst nachgewiesen werden, daß das Forschungsprojekt innerhalb einer bestimmten Periode neue Daten erbringen wird. Aber dadurch, daß so etwas natürlich gerade beim Walfang völliger Nonsens ist, wurden keine neuen Daten erbracht. Man konnte vielleicht ein paar alte Daten bestätigen, aber mehr auch nicht. In diesem Fall betrifft es genau diesen Aspekt, daß keine neuen Daten produziert wurden und beim Walfang auch nicht produziert werden. Man weiß, was die Wale fressen, das weiß man schon lange, man weiß, wie groß die sind. Diese Messungen muß man nicht noch zwanzigtausendmal wiederholen. Das bringt keinen wissenschaftlichen Fortschritt.

SB: Es wurde auch die Qualität der Daten bemängelt. Außerdem hätte wohl geprüft werden müssen, ob die Forschung nicht auch an lebenden Tieren hätte stattfinden können. Auf jeden Fall hat sich Japan sehr schnell mit dem Urteil einverstanden erklärt und will mit dem Walfang aufhören. Warum so schnell? Glauben Sie, daß es da vielleicht irgendwelche Schlupflöcher gibt, diese Kriterien doch noch zu erfüllen oder gilt das Fangverbot vielleicht in der eigenen Wirtschaftszone nicht, so daß die Walfänger Ausweichmöglichkeiten haben?

DP: Die Japaner haben das Urteil wahrscheinlich so schnell angenommen, weil sich auch inzwischen bei ihnen zeigt, daß Walfang einfach nicht mehr wirtschaftlich rentabel ist, gerade diese weiten Entfernungen nur dafür zurückzulegen, bringt keinen Gewinn mehr, zumindest nicht mehr genug. Deshalb sind es wahrscheinlich wirtschaftliche Gründe, warum sie diesen Gerichtsbeschluß so schnell akzeptiert haben.

SB: Man konnte lesen, daß die Walfänger ihr Walfleisch in Japan gar nicht mehr los werden und beispielsweise gefangene Finnwale, die ja zu einer bedrohten Art gehören, bereits zu Hundefutter verarbeitet wurden. Warum fängt man eigentlich überhaupt noch Wale, wenn es eigentlich gar keinen Bedarf mehr dafür gibt?

DP: Alte Gewohnheiten, alte Traditionen. Zum Beispiel auf den Faröer Inseln gibt es eine sehr umstrittene Tradition, bei der ein junger Mann den Grindwal, eine Delphinart, in eine Bucht reintreibt und dann brutal mit der Hand tötet, das wird als Initiation des Jungen zum Mann verstanden. Solchen Traditionen gehören auch dazu, warum immer noch Wale gefangen werden.

Außerdem wird Walöl nach wie vor in einigen Ländern in der Kosmetik verwendet. Die Knochen werden für bestimmte Methoden in der Pharmazie benutzt. Also leider bestehen da in einigen Ländern noch Ansprüche und Bedarf. Letzterer ist mittlerweile allerdings so gering, wird aber allein dadurch aufrechterhalten, daß diese Industrie und damit der Walfang stark subventioniert oder gefördert wird, so daß da dementsprechend dann doch das Geld kommt.

SB: Der WDC hatte, wie Sie sagten, seinen Kreativwettbewerb unter die Frage gestellt: "Was bedeutet der Wal für den Menschen?" Da würde ich gern wissen, wie Sie selbst dazu gekommen sind, sich für Wale zu engagieren? Und was sie persönlich für Sie bedeuten?

DP: Wale waren für mich immer schon etwas ganz besonderes. Schon als ich mit meinen Eltern im Fernsehen Tierfilme oder irgendwelche Dokus gesehen habe. Und diese Beziehung hat sich irgendwie mein Leben lang gehalten. Dadurch, daß ich Biologe bin, hat sich das in meiner Wissenschaft fortgetragen. Ich habe mich am Anfang sehr viel mit Untersuchungen an Walen beschäftigt und das Interesse daran ist einfach nie abgeklungen. Wale bedeuten für mich auch sehr viel Freiheit. Wale sollen in der Unendlichkeit des Meeres frei sein. Darüber hinaus sind es einfach Geschöpfe, vor denen ich Respekt habe, vor ihrer Größe, ihrer Stärke, vor allem, was sie verkörpern. Und das sind Sachen, die für mich einfach den Walen eine ganz besondere Bedeutung im Meer zuschreiben lassen.

SB: Eine andere fremde intelligente Lebensform, die man würdigen sollte?

DP: Ja. Genau.

SB: Vielen Dank, David Pfender, für das Gespräch.

Drei Grindwale im Meer - Foto: by Mario Müller (CC-BY-SA-2.0-de), via Wikimedia Commons

'Wale sollen in der Unendlichkeit des Meeres frei sein.' (David Pfender)
Foto: by Mario Müller (CC-BY-SA-2.0-de), via Wikimedia Commons


Fußnoten:


[1] Tatsächlich sollen Pottwale ihre Stirn schon mehrfach und gezielt als Rammbock gegen Schiffe eingesetzt haben. Dokumentiert ist zumindest ein Fall, der zum Untergang eines 300 Tonnen großen Walfangseglers (der Essex im Jahr 1820) herbeigeführt wurde.

[2] Begehrt war neben dem Tran aus dem Speck insbesondere das im Kopf befindliche Walrat (Spermaceti) und Ambra aus den Därmen. Während Ambra hauptsächlich in der Kosmetikindustrie Abnehmer fand, wurde Walrat als Additiv in Ölen für automatische Getriebe durch die Automobilindustrie benötigt. Noch in den 1960ern und 1970ern wurden alljährlich über 20.000 Pottwale getötet. Der Walfang der Jahre 1987-2002 durch Mitglieder des Internationalen Übereinkommens zur Regelung des Walfangs wird mit insgesamt 206 Tieren angegeben. Die Europäische Union trägt dem Schutzgedanken in der Richtlinie 92/43/EWG oder der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie Rechnung. Die Bundesrepublik Deutschland bezeichnet den Pottwal im Bundesnaturschutzgesetz als streng zu schützende Art.

[3] Die Namen der 20 NGOs und auch die Abschlußerklärung können im Einführungsbeitrag zur Konferenz nachgelesen werden:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
BERICHT/073: Wohnstube Meer - verletzt man nicht ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0073.html

[4] So heißt es in der Einleitung der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik ab dem 1. Januar 2014:
Mit der neuen GFP sollen die Fischbestände wieder auf ein dauerhaft beständiges Niveau gebracht, ressourcenschädigende Fischereimethoden beendet und neue Beschäftigungsmöglichkeiten sowie Wachstum in Küstengebieten geschaffen werden. So werden beispielsweise Rückwürfe verboten [...]
http://ec.europa.eu/fisheries/reform/index_de.htm

[5] Als ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) wird nach Art. 55 des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) der Vereinten Nationen das Gebiet jenseits des Küstenmeeres bis zu einer Erstreckung von 200 (370,4 km) ab der Basislinie bezeichnet (daher auch 200-Meilen-Zone), in dem der angrenzende Küstenstaat in begrenztem Umfang souveräne Rechte und Hoheitsbefugnisse wahrnehmen kann, insbesondere das alleinige Recht zur wirtschaftlichen Ausbeutung einschließlich des Fischfangs (vgl. im Einzelnen Art. 55 bis 75 SRÜ).

[6] Bericht des Bundesumweltamts:
http://www.umweltbundesamt.de/presse/presseinformationen/laerm-im-meer-der-unterschaetzte-stoerfaktor
und
http://oceansoundmaps.ucc.ie/


Weitere Berichte und Interviews zur Bremer-Konferenz "Ein anderes Meer ist möglich" vom 15. bis 17. Mai in Bremen finden Sie unter dem kategorischen Titel "Wohnstube Meer" :
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

BERICHT/073: Wohnstube Meer - verletzt man nicht ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0073.html

INTERVIEW/104: Wohnstube Meer - Messies, Müll und Therapien ... Kai Kaschinski im Gespräch (SB)
Kai Kaschinski über den Zusammenschluß von NGOs, die sich mit Meerespolitik befassen, um die drohenden Folgen des von der Europäischen Union ausgerufenen "Blauen Wachstums" abzuwenden
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0104.html

INTERVIEW/105: Wohnstube Meer - Pflege, Sorge, Schutz und Leben ... Thilo Maack im Gespräch (SB)
Thilo Maack, Greenpeace-Kampaigner Meere und Biodiversität, über den desolaten Zustand der Meere, nachhaltige Fischerei und seine Motivation, sich für den Meeresschutz einzusetzen
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0104.html

26. Mai 2014