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INTERVIEW/078: Treffen der Wege - Das Flüstern im Walde, Florianne Koechlin im Gespräch (SB)


Die Farbe der Forschung II
Das Innovationspotenzial von Beziehungen
Symposium am 7./8. März 2014 in Berlin

Florianne Koechlin über das Bewußtsein und die Würde von Pflanzen sowie über Grenzen, die der Mensch verletzt



Ruhe oder Stille in der Natur gibt es für die Schweizer Biologin Florianne Koechlin nicht [1]. Für sie ist die Luft gefüllt mit heimeligem Flüstern, Tuscheln und Plaudern, aber auch mit lautstarken Beschwerden, Schimpfen, Zetern, Flüchen und Hilferufen der Moose, Gräser, Bäume, Mais-, Hirse- und Bohnenpflanzen ...

Gräser, Farne und Bäume in dichtem Wildwuchs - Foto: © 2013 by Schattenblick

Was gibt's denn da zu tuscheln?
Pflanzen haben einen größeren sozialen Abtausch, als Menschen es sich vorstellen können.
Foto: © 2013 by Schattenblick

Auf dem Berliner Symposium [2] begeisterte Florianne Koechlin die Teilnehmer mit einem für sie selbst gar nicht mehr anders denkbaren Bild "von Pflanzen, die kommunizieren, sich vernetzen, sozial agieren". Zahlreiche Bücher wie "Zellgeflüster" (2005), "PflanzenPalaver" (2008) und "Mozart und die List der Hirse" (2012) deuten darauf hin, daß sie sich schon länger mit dem sozialen Abtausch der im Boden verwurzelten Naturgewächse beschäftigt. Zusammen mit anderen gleichgesinnten Wissenschaftlern, welche die Bodengewächse nicht, wie es die Molekularbiologie nahelegt, als eine Art durch ihr genetisches Programm angetriebene "lebende Bioautomaten" ansehen, die nur reflexartig reagieren und nach Belieben entsprechend manipuliert und verändert werden können, sammelt Florianne Koechlin überall in der Welt wissenschaftliche Beweise sowie neuere Erkenntnisse darüber, welche Fähigkeiten ihre grünen Mitgeschöpfe im Laufe der Evolution entwickelt haben, wenn man sie in Augenhöhe betrachtet.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Waldmeister - der intensive Duft nach Cumarin spricht Bienen und Blattspanner an.
Foto: © 2013 by Schattenblick

Dabei entsteht ein Handlungsspektrum für die blatt- und blütenbewehrten Organismen, das der Mensch bislang nur im Land der Legenden und Märchen gesucht hat. Pflanzen sind nicht nur viel cleverer als gedacht, sie haben ein aktives Sozialleben, sie haben Freunde und Feinde, bilden Allianzen, betreiben Vetternwirtschaft, sind futterneidisch, graben sich gegenseitig das Wasser ab, warnen sich vor Fraßfeinden, kommunizieren über Düfte, Mikroorganismen und Pilze oder wehren sie aktiv ab. Darüber hinaus kommunizieren sie auch mit anderen Lebewesen außerhalb der Pflanzenwelt. Sie können aber noch mehr: Aus einem Bukett von Duftstoffen sind sie in der Lage, Warnsignale herauszufiltern und richtig zu deuten, sie können aus Erfahrungen lernen, sich erinnern, ihre Feinde wiedererkennen, Familienangehörige beschützen und Entscheidungen fällen. Mit ihrer selbstverständlichen Stellungnahme für eine bewußt handelnde Flora bringt Florianne Köchlin das in vielen Köpfen immer noch vorherrschende Weltbild, in dem der Mensch die Krone der Schöpfung oder doch zumindest der Mittelpunkt des Kosmos ist, gehörig ins Wanken. Sie bezieht damit auch eine klare Front gegen die Bereiche der Wissenschaft und ihre Förderer, die in der Vielfalt der Pflanzen nur den Genpool sehen, der durch entsprechende Nutzung Lösungen für anstehende Probleme der Menschheit bieten könnte.

Die Buchautorin, Malerin und Anti-Gentech-Aktivistin war bereit, auf dem von der Organisation zum gegenseitigen Austausch und 'Networking' vorgesehenen 'Marktplatz' am zweiten Tag des Symposiums dem Schattenblick ein paar Fragen zu beantworten:

Foto: © 2014 by Schattenblick

'Pflanzen sind keine Bioautomaten, die ihr genetisches Programm abspulen.'
Florianne Koechlin
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Du hast in deinem Vortrag davon gesprochen, daß Pflanzen alles mögliche können, aber daß man ihnen doch letztlich kein Bewußtsein zuweisen würde.

Florianne Koechlin (FK): Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, man weiß es nicht!

SB: Wann würde man es wissen, beziehungsweise woran würdest du ein absichtsvolles, interessenbezogenes Verhalten erkennen, beziehungsweise wie würdest du es von einem biologischen oder biochemischen Reiz-Reaktionsschema unterscheiden?

FK: So wie ich das Geschehen in der Natur beobachte, finde ich zunehmend Evidenzien für ein absichtsvolles Handeln der Pflanzen, so daß ich immer mehr dazu tendiere, eine Absicht in ihrem Verhalten zu erkennen. Eine Pflanze ist keine biologische Maschine, die ihr genetisches Programm abspult. Sie kommuniziert wirklich mit einer anderen, sie tauschen nicht nur Signale aus. Wir können erkennen, daß Pflanzen offenbar wirklich so etwas wie ein Sozialleben haben, daß sie tatsächlich aus Erfahrungen lernen, sich erinnern, also viel mehr sind und können, als man bislang dachte. Sie handeln absichtsvoll, sie nehmen ihre Umwelt sehr gezielt wahr, sie interpretieren die Signale und entscheiden dann, wie sie sich verhalten sollen. Ob ein Bewußtsein dabei ist oder nicht, hängt wahrscheinlich auch von unserer Definition des Bewußtseins ab. Aber zu vielen dieser Dinge muß ich einfach sagen, wir wissen es nicht, wir können es aber auch nicht ausschließen.

SB: Warum gibt es eigentlich noch Einzeller, wäre es für sie aus evolutionären Gründen nicht in vieler Hinsicht von Vorteil gewesen, sich in Mehrzellverbänden oder Kolonien zusammenzuschließen?

FK: Das gibt es ja durchaus schon. Das schließt sich nicht aus. Es gibt Bereiche im Ökosystem, wo du als Einzeller besser überlebst als ein Vielzeller. Das Reich der Mikroorganismen, also Bakterien oder Viren, ist so unendlich reichhaltig, daß man heute annimmt, daß höchstens zwei Prozent aller Bodenlebewesen überhaupt erst entdeckt wurden und man von den restlichen achtundneunzig Prozent überhaupt keine Ahnung hat.

SB: Nach all den Dingen, die du in deinem Vortrag von den Möglichkeiten der Pflanzen erzählt hast - zu interagieren, miteinander oder mit ihrer Umwelt, und damit auch mit uns; zu kommunizieren, Äußerungen in Form von Düften oder anderem von sich zu geben; auf alles mögliche zu reagieren und so weiter -, kann man da eigentlich noch einen Apfel essen oder Pflanzen? Kann man das dann noch ethisch vertreten?

FK: Ja, unbedingt! Pflanzen wollen das. Ich würde sogar sagen, Pflanzen haben eine evolutionäre Strategie entwickelt, damit sie gefressen und auf diese Weise ihre Samen verbreitet werden. Wir sind in diese Kreisläufe eingebunden. Nicht nur wir essen Pflanzen, fast alle Tiere, alle Herbivoren und Omnivoren, also Pflanzen- und Allesfresser fressen Pflanzen. Das ganze Ökosystem funktioniert nur, wenn es diese Kreisläufe gibt.

Für mich ist die Frage der Ethik eine andere. Ich habe vorhin schon erzählt, daß sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland den meisten inzwischen klar ist, daß das Tier keine Sache ist und daß es ein tiergerechtes Verhalten ihm gegenüber gibt. Das Tier hat eine Würde, aber wie ist es denn bei den Pflanzen? Gibt es nicht auch dort irgendwo Beschränkungen oder Verpflichtungen für uns Menschen ihnen gegenüber? Das heißt aber nicht, daß wir sie nicht essen oder pfropfen oder schneiden sollen, sondern daß es vielleicht Grenzen gibt, die der Mensch nicht überschreiten sollte. Für mich sind das die Patentierungen gewisser Genmanipulationen an Pflanzen. Vielleicht auch nicht alle, aber einige ganz sicher.

Mir wäre es wichtig, daß wir Menschen dafür ein Bewußtsein bekommen, daß die Pflanze eben sehr viel mehr ist, als etwas, das in der Natur für sich allein dasteht. Die Pflanze ist Beziehung, das habe ich in meinem Vortrag auszudrücken versucht.

SB: Wie bist du eigentlich persönlich darauf gekommen, dich für diese Beziehung von Pflanzen zu ihrer Umwelt zu interessieren?

FK: Ich war lange im Widerstand gegen Gentechnik, aber vor allem Agro-Gentechnik, und gegen die Freisetzung von Genfood aktiv. Nachdem wir die Abstimmung in der Schweiz massiv verloren haben, wurde mir bewußt, daß die Gegenseite, das sind die schweizer Gentech-Konzerne, eigentlich immer nur positive Visionen in die Welt setzen. Die sagen dann: Morgen ohne Krebs. Punkt. Nicht: Fragezeichen. Oder auch: Hunger gelöst!

Wir hingegen sagen immer nur: Nein, nein, nein! Wir traten als die Zögerinnen und Zauderer auf, die diese "bessere Zukunft" verhindern wollten. Aber wo waren denn unsere Gegenentwürfe? Welche Welt wollten wir? Und das hat mich dann immer mehr interessiert. Ich ging die Leute fragen: Was wissen wir denn eigentlich über die Pflanzen und über das Leben? Und so kam ich dazu. Ich möchte nicht nur in der Schmollecke hocken, ohne nach den Alternativen zu fragen.

SB: Es gibt von seiten der Gentechnik-Industrie ja durchaus den Standpunkt, daß sich gentechnisch veränderte Pflanzen gar nicht oder nicht so sehr von den ursprünglichen, natürlichen Pflanzen unterscheiden. Sie sind angeblich "substantiell äquivalent", also in etwa das gleiche. Nach deinem Vortrag könnte aber jede individuelle Pflanze durchaus ganz anders auf das in sie verfrachtete Gen reagieren.

FK: Bei der "substantiellen Äquivalenz" geht es um etwas anderes. Da sagt die Gentech-Industrie: 'Wir haben einen normalen Mais, den kennen wir, und wir haben ein Gen aus einer anderen Pflanze oder einem Bakterium. Wir wissen, beides ist ungefährlich, und die Summe davon, der Gentech-Mais, ist dann auch nicht gefährlich.' Das dokumentiert null Verständnis dafür, daß so etwas auch zusammenwirken oder miteinander wechselwirken kann und daß man darüber eigentlich noch gar nichts weiß. Gleichzeitig ist das aber auch ein politischer Kampfbegriff der Gegenseite.

SB: Hast du deinen politischen Kampf gegen Genfood wirklich ad acta gelegt?

FK: Nein nicht ad acta, aber ich habe mich im Moment sehr zurückgezogen. Einmal weil ich mein neues Buch schreiben wollte. [3] Und dann wird man auch manchmal ein bißchen müde, sich immer wieder mit den gleichen Argumenten der Gegenseite auseinanderzusetzen. Da hat sich seit 1990 nämlich nichts verändert. Es ist gewissermaßen ein "Rollback", nur sehr viel aggressiver, aber auf die gleiche Weise stupide.

SB: Warum ändert sich nichts an den Argumenten?

FK: In der Schweiz waren wir mit dem Moratorium für kommerzielle Freisetzungen bis 2017 sehr erfolgreich. Und die Gegenseite ist ziemlich nervös und aggressiv und sehr populistisch, hat aber nichts weiter als diese uralten Argumente anzubieten, die oft schon von der wissenschaftlichen Seite her längst überholt sind.

SB: Du selbst drückst dich ja außerdem über deine Aquarelle und Bilder aus, das heißt, du hast einen künstlerischen Zugang zur Natur. Hast du in der Pflanzenwelt vielleicht auch schon so etwas wie eine künstlerische Note finden können? Oder ist die Kreativität oder speziell die Kunst tatsächlich etwas, das für den Menschen spezifisch ist?

FK: Für mich ist die Kunst, also das Malen, eine Möglichkeit, mich den Pflanzen anzunähern und zu ihnen irgendeine Art von Beziehung aufzubauen, die ich dann aber selber interpretiere. Es ist meine Art, mit den Pflanzen Verbindung aufzunehmen. Andere Leute haben einen Grünen Daumen oder den Züchterblick, und die Schamanen machen das nochmal wieder etwas anders. Ich habe keinen Grünen Daumen, und nur einen ziemlich verwilderten kleinen Garten. - Ob die Pflanzen allerdings selbst Kunst machen? Das glaube ich eigentlich nicht.

SB: Vielen Dank, Florianne, für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.floriannekoechlin.ch/

[2] Weitere Berichte und Interviews zum Berliner Symposium "Die Farbe der Forschung II" vom 7. und 8. März 2014 finden Sie unter dem kategorischen Titel "Treffen der Wege":
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
und
http:/www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

[3] In Kürze erscheint ein weiteres Buch mit dem Titel "Jenseits der Blattwände. Eine Annäherung an Pflanzen", an dem unter vielen anderen auch einige der Referenten des Symposiums "Die Farbe der Forschung II" wie Andres Wiemken, Patrick Tschudin oder Martin Ott mitgewirkt haben, kündigte die Referentin im Anschluß an ihren Vortrag an.

21. März 2014