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INTERVIEW/076: Zukunft der Meere - Menschheitserbe, fair geteilt? Kai Kaschinski im Gespräch (SB)


Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See

Tagung am 7. Dezember 2013 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Interview mit Kai Kaschinski, Leiter der Initiative Fair Oceans



"Das UN-Seerechtsübereinkommen von 1994 betrachtet die Weltmeere als gemeinsames Erbe der Menschheit, die zum Wohle aller verwaltet werden sollen. Die Realität jedoch sieht anders aus. Ein Interessenausgleich zwischen Nord und Süd findet kaum statt (...)", schrieb Kai Kaschinski vor gut drei Jahren für das entwicklungspolitische Netzwerk INKOTA [1], und die heutige politische Situation bietet keinen Anlaß, daß er seine Einschätzung ändern müßte. Im Gegenteil, das "gemeinsame Erbe der Menschheit" wird von den vorherrschenden gesellschaftlichen Kräften aufgeteilt. Die Industrie- und Schwellenländer werden die politische, wirtschaftliche und technologische Führung nicht aus der Hand geben und Entwicklungsländer weniger als Partner auf Augenhöhe, denn als notwendiges Feigenblatt an der Nutzung der Weltmeere beteiligen. Hinter dem Anspruch, die Meere als gemeinsames Erbe der Menschheit zu verwalten, verbirgt sich nicht zuletzt ein in nationalökonomischen Kategorien gegründetes und begründendes Verfügungsinteresse, das trotz allen Bekundungen für die Globalisierung nie aufgehört hat zu existieren.

So teilte das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) Anfang dieses Monats mit, daß in seinem Auftrag die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) Ende 2013 bei der Internationalen Meeresbodenbehörde eine Lizenz zur Erkundung von Massivsulfiden auf dem Tiefseeboden des Indischen Ozeans beantragt hat. Diese Pressemitteilung macht deutlich, daß die Vision des WBGU-Gutachtens sicherlich nicht in Einklang mit den deutschen Wirtschaftsinteressen steht, wenn es heißt:

"Die beantragte Lizenz ist für den Standort Deutschland in zweifacher Sicht von Bedeutung: Zum einen erkunden wir neue Quellen zur Deckung unseres Bedarfs an Hochtechnologierohstoffen. Zum anderen werden diese Arbeiten einen starken Impuls an den deutschen Maschinen- und Anlagenbau senden, umweltschonende und wartungsarme Erforschungs- und Fördersysteme zu entwickeln. "Made in Germany" kann auf diesem Zukunftsmarkt zum Standard werden. Das ist eine große Chance für die deutsche Industrie (...) Die angestrebte Lizenz wird neben die seit 2006 bestehende deutsche Lizenz zur Erkundung von so genannten 'Manganknollen' auf dem Tiefseeboden des Pazifiks treten. Mit der beantragten zweiten Lizenz wird Deutschland zu den wenigen Staaten gehören, die mehrere mineralische Rohstoffquellen am Tiefseeboden erforschen." [2]

Formulierungen wie "unser Bedarf", "deutscher Maschinen- und Anlagenbau", "Made in Germany", "große Chance für die deutsche Industrie" und der Hinweis auf die angeblich besondere Bedeutung Deutschlands im zweiten Teil des Zitats sind nicht zu übersehende Hinweise auf virulente nationale Interessen. Dem widerspricht nicht, daß andere Regierungseinrichtungen das Interesse an einer internationalen gemeinschaftlichen Nutzung von Ressourcen vortragen. Beispielsweise in dem Gutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" [3], das der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Darin stellte er abgesehen von konkreten Handlungsvorschlägen eine Vision für Veränderungen des internationalen Seerechts vor, um einen nachhaltigen und gerechten Umgang mit den vielfältigen Ressourcen der Meere sicherzustellen. Dieses Gutachten stand im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen auf der Tagung "Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See" am 7. Dezember 2013 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen.

Angesichts der Absicht, die Rohstoffe vom Meeresboden wirtschaftlich zu verwerten, drohen umwelt- und entwicklungspolitische Aspekte auf der Strecke zu bleiben. Eigentlich umso mehr Anlaß für die Organisatoren der Bremer Tagung, diese Schattenseiten der Meeresnutzung in den Vordergrund ihrer Arbeit zu stellen. Im Anschluß an die Veranstaltung sprach der Schattenblick mit Kai Kaschinski, Mitorganisator und Moderator der Tagung. Er arbeitet im "Verein für Internationalismus und Kommunikation", wo er den Arbeitsschwerpunkt "Fair Oceans" leitet.

Redner am Stehpult - Foto: © 2014 by Schattenblick

Kai Kaschinski eröffnet die Tagung
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Haben sich deine Erwartungen an die Tagung erfüllt?

Kai Kaschinski (KK): Ja, sie haben sich im wesentlichen tatsächlich erfüllt. Wir wollten Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaft zusammenbringen, indem wir das Hauptgutachten des WBGU, das aus dem wissenschaftlichen Bereich kommt, mit den SDG-Forderungen [4], die wir beim Forum Umwelt und Entwicklung mit den anderen entwicklungs- und umweltpolitischen Organisationen aufgestellt haben, gemeinsam diskutieren. Nach der Resonanz, die ich erhalten habe, ist uns das gelungen. Auch die mediale Resonanz auf die Tagung war gut, wir konnten uns also mit den eigenen Positionen präsentieren.

SB: Du hast im vergangenen Jahr für die Heinrich-Böll-Stiftung in Rostock einen Vortrag mit dem Titel "Wem gehört das Meer?" gehalten. Hast du eine Antwort darauf?

KK: Ja, es gehört uns allen. Wenn man sich die Realitäten anschaut, dann ist es natürlich etwas komplizierter. Übrigens hieß "Wem gehört das Meer?" auch der Titel des ersten Projektes, das wir zur Meerespolitik gemacht haben. Auf diese Idee war Christoph [5] gekommen, und seitdem begleitet uns diese Frage. Bei genauerer Betrachtung des UN-Seerechtsübereinkommens stellt man fest, daß es nicht nur die "Area" mit den Schätzen der Tiefsee zum Gemeingut erklärt, sondern gleichzeitig dafür gesorgt hat, daß mit den AWZs [6] im Prinzip ökonomisch-nationalisierte Zonen entstanden sind. Um die Verwertung der Ressourcen wird sich jetzt intensiv gestritten, auch das wurde auf der Tagung angesprochen.

Uns hat mal ein Fischer an der Ems berichtet, daß sie im Küstenbereich nur noch 30 Prozent der Fläche zur Verfügung haben, in der sie überhaupt nur Fische fangen dürfen. Es treten mittlerweile richtige Konkurrenzen auf, denn der Rest sind Schiffahrtswege, Offshore-Windräder und so weiter. Wir haben es hier im Prinzip mit einer Industrialisierung, und zwar einer beschleunigten Variante der Industrialisierung, zu tun.

SB: In der Ankündigung zur heutigen Tagung heißt es sinngemäß, daß an die Erschließung der Meere von vornherein entwicklungs- und umweltpolitische Anforderungen zu knüpfen sind. Ist es dafür nicht längst zu spät? Kann jetzt noch mehr als nur der Versuch einer Schadensbegrenzung unternommen werden?

KK: Es ist noch nicht zu spät. Zwar habe ich eben selbst gesagt, daß sich die Entwicklung in den letzten Jahren stark beschleunigt hat, aber an ganz vielen Punkten sind wir noch in der Umbruchphase. Ich habe schon oft bedauert, wenn eine soziale Bewegung zu spät gekommen ist. Das ist für mich auch eine Motivation, jetzt zu versuchen, Bündnisse herzustellen, zu vernetzen, bestimmte Punkte aufzugreifen, damit wir vielleicht noch eine Chance haben, tatsächlich Einfluß zu nehmen. Daß das gelingen kann, ist zum Teil bei der Fischereireform bewiesen worden, obwohl das sogar eine Politik ist, die schon über mehrere Jahrzehnte läuft. Ich glaube, da haben wir schon etwas in Zusammenarbeit mit allen anderen bewirkt. Daß es immer noch Konflikte und Kämpfe um die Umsetzung gibt, ist klar. Jedenfalls ist die Zusammenarbeit besser geworden, und wenn man das Thema Tiefsee nimmt, das Onno [7] vorgetragen hat, würde ich sagen, ist noch lange nicht alles entschieden. Da können wir noch intervenieren. Natürlich müssen wir uns beeilen - die anderen beeilen sich ja auch.

In Deutschland speziell haben nicht nur wir, was die Tiefsee angeht, Probleme, politisch zu mobilisieren, sondern es bestehen auch auf Seiten der Unternehmen und der Regierung Probleme. Wir haben in Deutschland zwar Technologien, die noch von hier aus vermarktet werden, aber es gibt einfach kein großes deutsches Förderunternehmen. Zudem besteht noch ein Mangel an Aufbereitungstechnologien der Meeresressourcen, sobald diese an der Wasseroberfläche sind.

Freundliche Übergabe - Foto: © 2014 by Schattenblick

Paul Lynch, der für mineralische Rohstoffe des Meeresbodens zuständige Commissioner der Cookinseln, warb auf dem internationalen Workshop "Seafloor Mineral Resources: scientific, environmental, and societal issues" (Mineralische Ressourcen des Meeresbodens: wissenschaftliche, umweltbezogene und gesellschaftliche Fragen) vom 18. bis 20. März 2013 in Kiel um Investoren für den Abbau von Manganknollen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone seines Landes. Hier präsentiert Lynch eine zertifizierte Manganknolle der Cookinseln, um sie Prof. Dr. Colin Devey vom GEOMAR - Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung zu übergeben.
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: An der Erkundung der Ressourcen des Manganknollen-Gürtels sind auch Tonga, Nauru und andere kleinere Staaten beteiligt. Erfüllen sie eine Feigenblattfunktion für die großen, die das "Erbe der Menschheit" unter sich aufteilen?

KK: Ja. Laut dem UN-Seerechtsübereinkommen dürfen auf die Gebiete im gemeinsamen Erbe der Area nur Staaten zugreifen. Wenn Unternehmen das gleiche vorhaben, dann können sie das nur, wenn sie dort mit einer staatlichen Lizenz-Vereinbarung auftreten, sie selbst können keinen Antrag bei der Internationalen Meeresbodenbehörde stellen. Nauru und Tonga nehmen ihren Anteil, machen ein Geschäft mit den großen Förderunternehmen, indem sie ihnen die Möglichkeit geben, Lizenzen zu erwerben, während sie selbst stille Teilhaber bleiben und dann im Prinzip davon profitieren werden. Das ist ein an sich nicht gewollter Umweg im Zugriff auf das gemeinsame Erbe, das diese Unternehmen vornehmen.

Aber für viel dramatischer halte ich die Entwicklung in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen, weil sie nicht durch die Internationale Meeresbodenbehörde kontrolliert werden. Da wächst die Gefahr, daß dort eine Menge schiefläuft, weil ja immer mehr Inselstaaten auf das Vermarkten ihrer Ressourcen setzen. Das ist also wesentlich unregulierter.

Ein Lichtblick war 2012 das juristische Gutachten des internationalen Seegerichtshofs, in dem er festgestellt hat, daß die Staaten, die in ihren AWZs Förderlizenzen an Privatunternehmen vergeben, trotzdem verpflichtet sind, darauf zu achten, daß die Unternehmen dort nachhaltig wirtschaften und auch bei Unfällen für die Schäden, die sie anrichten, aufkommen. Das habe der Staat sicherzustellen. Damit wurde eine Grundsatzentscheidung getroffen, durch die die Schwierigkeiten ein bißchen eingehegt werden. Aber die AWZs sind das größte Problem, darum versuchen ja auch so viele, sie zu erweitern.

SB: Was sind die nächsten Projekte von Fair Oceans, was habt ihr vor?

KK: Unser nächstes wesentliches Projekt hängt am Europäischen Tag der Meere am 20. Mai hier in Bremen. Den haben wir schon vor gut über einem Jahr ins Auge gefaßt und dazu ein Bündnis initiiert, das in diesem Rahmen eine internationale Konferenz vorbereiten soll. Die soll gemeinsam mit anderen umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen, auch über das Forum Umwelt und Entwicklung, veranstaltet werden. Im Vorfeld wird es einige Workshops zur Positionsfindung geben, dazu hat auch die heutige Tagung schon den Startschuß gegeben. Wir wollen auf der Konferenz versuchen, eine Position des Bündnisses zu entwickeln, bei der die umwelt-, entwicklungs- und meerespolitischen Initiativen, einschließlich der Flüchtlingsbewegungen, gemeinsame Positionen zur Meerespolitik erarbeiten. Die sollen dann so deutlich im Vorfeld der ganzen Konferenz veröffentlicht werden, daß wir Gehör finden und das politisch auch sichtbar wird. Auf diese Weise wollen wir Einfluß nehmen auf das, was eine europäische Meerespolitik sein soll oder wie sie in der Öffentlichkeit dargestellt wird.

SB: Vielen Dank für das Gespräch, Kai.

Bei der Podiumsdiskussion - Foto: © 2014 by Schattenblick

Vor dem an Wirtschaftsinteressen ausgerichteten Europäischen Tag der Meere 2014 in Bremen bündelt die Zivilgesellschaft ihre Kräfte: Kai Kaschinski, Francisco Mari und Jürgen Maier (von links nach rechts)
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.inkota.de/?id=781

[2] http://schattenblick.com/infopool/politik/wirtsch/pwroh090.html

[3] http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/hg2013/wbgu_hg2013.pdf

[4] SDGs - Abkürzung für Sustainable Development Goals (Nachhaltige Entwicklungsziele)

[5] Dr. Christoph Spehr, Sprecher des Landesverbandes Bremen der Linkspartei, Mitarbeiter von Fair Oceans.

[6] AWZ - Ausschließliche Wirtschaftszone, auch 200-Seemeilen-Zone genannt. Bis 200 Seemeilen (gut 370 km) jenseits des Küstenmeeres darf ein Küstenstaat in begrenztem Umfang souveräne Rechte und Hoheitsbefugnisse wahrnehmen.

[7] Dr. Onno Groß, Tiefseebiologe, Gründer und Leiter der Organisation Deep Wave.

Weitere Berichte und Interviews zur Bremer Tagung finden Sie unter:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

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