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INTERVIEW/069: Zukunft der Meere - Pflichten des Fortschritts? (SB)


Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See
Tagung im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen am 7. Dezember 2013

Gespräch mit Dr. Onno Groß über Proteinpiraterie, Sauerstofflöcher, Vermüllung und "Deforestation" bis in die Tiefsee



"Man stelle sich vor...", schreibt fair oceans kompakt, die unter dem Obertitel "Die Weltmeere im Ausverkauf" einige der brisantesten Probleme des größten Teils unseres Planeten in ihren entwicklungs- und umweltpolitischen Dimensionen zusammenfaßt, "man stelle sich vor, die Alpen, die Rhön und der Harz würden Jahr für Jahr mit riesigen Schaufelbaggern, etwa 100 Meter breit und 100 Meter lang, systematisch abgefahren - von blinden Fahrern, die mit ihren Schaufeln alles sammeln, vom Skifahrer bis zum Murmeltier, und hinter sich eine abgeholzte und planierte Fläche hinterlassen. Der gesamte Fang wird in einem Container hochgezogen zu einem 1.500 Meter darüber fliegenden Transportflugzeug, darin ausgekippt und alles wieder aus dem Flugzeug geworfen - vom Skifahrer bis zum Murmeltier - bis auf die Gemsen. Eigentlich handelt es sich nämlich um eine Form der Gamsjagd. Allerdings sinkt der Ertrag von Jahr zu Jahr, weil sich die Gemsen auf der planierten Fläche, die der Bagger hinterläßt, nicht mehr allzu gut entwickeln..." (siehe Informationszeitung, November 2011, Seite 2, des Vereins für Internationalismus und Kommunikation e.V. (IntKom))

Ein Stück Meeresboden mit üppiger Flora und Fauna und das gleiche Stück nach dem Schleppnetzeinsatz - ein verlorener Seeigel auf planer Fläche - Foto: by CSIRO Marine Research, mit freundlicher Genehmigung, CC-BY-SA-2.5 generic

Keine Planierraupen - hier waren Grundschleppnetze am Werk.
A: vorher - B: nachher
Foto: by CSIRO Marine Research, mit freundlicher Genehmigung, CC-BY-SA- 2.5 generic

So surreal muß der Fischfang mit Grundschleppnetzen für einen Tiefsee-Hai, einen Granatbarsch oder einen anderen Bewohner der dunklen Unterwasserwelten jenseits der 600 Meter Meerestiefe wirken. Für jemanden, der die Tiefsee kennt und liebt wie Dr. Onno Groß (*), ist dieser Vergleich gar nicht so abwegig, wie ein Laie glauben könnte. Die Schelfgebiete, der von Meereswasser überspülte Rand der Kontinente, werden im Schnitt tatsächlich bereits einmal pro Jahr komplett mit Grundschleppnetzen abgefischt und eine mögliche Ressource für den Bedarf der zunehmenden Weltbevölkerung an proteinreicher Nahrung von Lebensmittelkonzernen mit einem systematischen Profitstreben verbraucht, als gäbe es kein Morgen.

Doch nicht nur da, immer häufiger werfen die Trawler ihre Schleppnetze auch auf der Hohen See aus und dringen in immer tiefere und bislang noch unerschlossene Regionen der Tiefsee vor, die offiziell allen und eigentlich niemandem gehört. Auf der offenen See, jenseits der Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) der einzelnen Länder, findet daher auch kaum eine Kontrolle der internationalen Fangflotten statt. Dabei werden mit den gewaltigen Netzen Mengen an Tieren als Beifang getötet, was in dieser ohnehin kritisierten Form der Fischerei kein Beispiel kennt. Ganze Artengemeinschaften werden dabei unwiederbringlich zerstört. Die EU hat eine der größten Tiefsee-Flotten der Welt, sie fischt in europäischen Gewässern und der Hohen See. Die Bestände von Tiefseefischen im Nordostatlantik gehören weltweit zu den am stärksten befischten. Der Löwenanteil von 90 Prozent der Fänge geht auf das Konto von nur drei Nationen, Portugal, Spanien und Frankreich.

Nach der UN-Seerechtskonvention wären für eine nachhaltige Fischerei die einzelnen Flaggenstaaten zuständig. Internationale Studien wie "Sustainability of deep-sea fisheries" [1] zeigen, wie weitreichend und destruktiv die Auswirkungen dieser Fischerei auf extrem fragile und empfindliche Ökosysteme sind, wie sie Dr. Groß in seinem Vortrag über die Ökologie und Gefährdungen der Tiefsee auf der Tagung "Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See" im Konsul-Hackfeld-Haus am 7. Dezember 2013 in Bremen beschrieb. [2] Der Meeresbiologe und Gründer der Organisation Deepwave e.V., der sich ehrenamtlich für den Schutz dieser artenreichen Lebensräume engagiert, beendete seinen Vortrag mit dem Hinweis auf eine Petition zum Schutz der Tiefsee, die von der Bloom Association (http://www.bloomassociation.org/en/) und Fishlove (www.fishlove.co.uk) erstellt wurde und mit der die Avaaz Gemeinschaft die umweltengagierten EU-Parlamentarier bei der aktuellen Abstimmung in Brüssel über ein Verbot von Grundschleppnetzen ab 600 Metern Tiefe in EU-Gewässern und in der Hohen See unterstützen wollte.

Wir fordern Sie auf, für eine Einstellung der destruktivsten Fangmethoden im Nordostatlantik zu sorgen, besonders von Tiefseebodenschleppnetzen, und hoffen, dass die Mitglieder Ihrer Gruppe für den dringend benötigten Schutz gefährdeter Tiefseearten und Ökosystemen stimmen. Dies ist ihr Vermächtnis. Bitte stellen Sie sicher, dass diese Maßnahmen verabschiedet werden, und schützen Sie damit eines der biologisch empfindlichsten und auch reichhaltigsten Ökosysteme unseres Planeten, bevor es zu spät ist.
(PETITION ZUM SCHUTZ DER TIEFSEE: https://secure.avaaz.org/de/petition/Leaders_of_the_European_Parliament_Stop_the_industrial_destruction_of_the_deep_ocean/?copy)

Nach der Veranstaltung erklärte sich Dr. Onno Groß bereit, dem Schattenblick noch einige Fragen zu beantworten.

Dr. Onno Groß auf der Fair Oceans Veranstaltung in Bremen - Foto: © 2013 by Schattenblick

'Hauptamtlich gibt es viel zu wenig Menschen, die den Meeresschutz hochhalten', Dr. Onno Groß
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Dr. Groß, Sie haben DEEPWAVE e.V. gegründet. Warum war es Ihrer Meinung nach notwendig, zusätzlich zu anderen Umweltverbänden eine Initiative speziell für das Meer beziehungsweise für die Tiefsee ins Leben zu rufen?

Dr. Onno Groß (OG): Ich bin ja Tiefseebiologe und einige Jahre für "mare" [3] und den "National Geographic" als Wissenschaftsjournalist tätig gewesen und habe dabei feststellen müssen, daß mein privates Umfeld von den Warnsignalen für die Meere einfach gar nichts wußte. Man kennt zwar die übliche Diskussion um die Wale oder die Delphine und ein bißchen über die Fischerei, aber besonders diese etwas vernachläßigte, große und globale Sicht auf die Ozeane spiegelt sich einfach nicht in einer angemessenen Form in den Portalen wieder und mit der Entwicklung des Internets wuchs mein Interesse, der Tiefseeproblematik auch irgendwie eine Plattform zu geben für die Verbreitung von Informationen. Daraus ist dann ein Verein geworden, in dem man sich engagieren kann. Das findet inzwischen statt. Wir haben das eigentlich ganz gut geschafft, ein Stakeholder zu werden, das heißt unseren Standpunkt in den Diskussionen anzubringen. Unsere Kollegen aus anderen Programmen und Projekten begrüßen das. Da wir ein kleiner Verein sind, können wir noch flexibler und schneller agieren. Das ist manchmal hilfreich. Aber genau genommen gibt es einfach tatsächlich nach wie vor viel zu wenig Menschen, die sich für die Meere engagieren. Das ist ein großes Manko. Selbst in Deutschland, wo quasi alles durchorganisiert ist, kenne ich nur ein Dutzend Personen, die sich mit dem Thema beschäftigen und hauptamtlich den Meeresschutz hochhalten. Da braucht es mehr!

SB: In der Diskussion vorhin wurde neben dem Müll auch die Veränderung der Meereschemie durch den Klimawandel und das Problem der Überdüngung angesprochen, die einen Sauerstoffschwund in Teilbereichen des Meeres verursachen. Sie sprachen auch von Tiefenwasser, das an Polen generiert wird, durch das diese Verschmutzungen weiter transportiert werden. Ist das schon in der Tiefsee spürbar?

Ein kleiner, transparenter Krebs - Foto: by Uwe Kils, CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz via Wikimedia Commons

Die Populationen des antarktischen Krill (Euphausia superba) werden kleiner.
Foto: by Uwe Kils, CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz via Wikimedia Commons

OG: Ja, in der Tat. Alles, was vom landseitigen Run-off ins Meer gelangt, hat auch Auswirkungen bis hinunter in die Tiefsee. Ich denke jetzt zum Beispiel nur an den Golf von Mexiko. Auch vor der Öl-Katastrophe von Deep Water Horizon gab es dort riesengroße, mittlerweile tote Zonen in der Tiefsee. Aufgrund der Beckensituation sammelten sich dort die Run-offs der ganzen Schweinemast des Umlands, die über den Mississippi und den Missouri und andere Zuläufe in den Golf gespült werden. Da hat man gewissermaßen über Jahrzehnte Nährstoffe in dieses Randmeer gepackt. Ähnlich wie auch in der Ostsee kommt es dann zum Sauerstoffschwund in der Tiefe, in der kein Leben mehr stattfindet. Diese wirklich toten Zonen sind ein Riesenproblem.

Wenn man sich vorstellt, daß aufgrund der Erwärmung der Meere die Produktivität in den Ozeanen noch steigt, dann werden wir dieses Problem, also große Bereiche ohne Sauerstoff, auch noch in anderen Regionen haben, überall, wo solche Becken vorkommen.

Da wir immer nur die Oberfläche des Meeres sehen, sind uns die drastischen und dramatischen Ausmaße unseres Tuns noch nicht vollständig bewußt. Wir sehen zwar inzwischen durchaus Bilder, auf denen der Müll im Meer selbst auf dem Meeresboden bis zu 3.000 Metern Tiefe immer mehr zunimmt. Wir sehen teilweise Regionen, in denen es schon weniger Fische gibt oder wo sich das Plankton bereits verändert hat, zum Beispiel in der Antarktis, wo der Krill weniger geworden ist. Dort machen sich Salpen und andere unempfindliche Tiergruppen breit. Das alles ist hinlänglich bekannt, aber die Auswirkungen auf die Tiefsee sind noch nicht richtig dokumentiert. Doch die dramatischen Ergebnisse werden uns noch sehr beschäftigen.

Karte des Nordpolarmeers mit eingezeichneten Gebieten, in denen der Krill bevorzugt zu finden ist. - Foto: NASA image composed by Uwe Kils, CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz via Wikimedia Commons

Lebensraum des Krill, durch die Folgen der Erwärmung bedroht.
Foto: NASA image composed by Uwe Kils, CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz via Wikimedia Commons

Eine Salpenkolonnie: Zarte transparente Ringe (Manteltiere, die hauptsächlich aus einem Kiemendarm bestehen und sich von Plankton ernähren) lagern sich zu einem wurmartigen Gebilde zusammen - Foto: by Hartmut Olstowski, CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz via Wikimedia Commons

Dafür kommen dann Salpen (Thaliaceaen), die eine große Rolle für den Kohlenstoffzyklus spielen sollen, weil ein Schwarm mehrere tausend Tonnen Kohlenstoff pro Tag aus der Atmosphäre verarbeiten kann.
Foto: by Hartmut Olstowski, CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz via Wikimedia Commons

SB: Haben Sie eine Vorstellung davon, von welchen Schadstoffbelastungen man da ausgehen muß? Haben nicht auch schon niedrige Konzentrationen als Veränderungen irgendeine Form von Wirkung?

OG: Es gilt ja: keine Dosis ohne Wirkung. Natürlich müssen wir unterscheiden, ist es eine vielleicht sogar anregende, homöopathische Dosis oder haben wir es - wie im Falle von Fukushima, wo radioaktives Cäsium in den Pazifik gelangt - mit Halbwertzeiten von 30 Jahren und somit mit Katastrophen von gewaltiger, ökologischer Auswirkung zu tun?

Wenn man an das Öl im Golf von Mexiko denkt, an die radioaktive Belastung durch Fukushima oder auch nur an den heute auf zwei Millionen Tonnen geschätzten Meeresmüll, der jetzt auf die Küsten von Hawaii und dann später auf die nordamerikanische Küste von der pazifischen Seite zutreibt, in dem sich Tiere verfangen oder den sie verschlucken und darunter leiden, dann ist das eine große Zeitbombe, eine tickende Zeitbombe. Es sind Zeichen dafür, wie unpfleglich wir mit dem Ozean umgehen. Das darf in Zukunft einfach nicht mehr passieren!

SB: DEEPWAVE engagiert sich nicht nur für den Umweltschutz der Hohen See und der Tiefsee. Im Internet findet man Ihre Initiative auch häufiger im Zusammenhang mit Aktionen gegen die Proteinpiraterie. Was verstehen Sie eigentlich unter diesem Begriff?

OG: Der Begriff Proteinpiraten geht eigentlich auf einen Film der Hamburger Filmemacherin Frau Altemeier zurück, die sich mit dem Thema Aquakultur beschäftigt hat und hier besonders mit einer speziellen Form des Landgrabbing mit Aquakulturen in tropischen Regionen. Gemeint ist damit, daß in anderen Ländern Proteine, also Eiweiße, erzeugt werden, die man dann in die Erste Welt exportiert und die nicht mehr den Menschen in den Ländern, in denen sie hergestellt werden, zur Verfügung stehen. Also im Grunde genommen handelt es sich um eine Art von Ressourcen-Piraterie aus Entwicklungsländern. Dabei geht es nicht nur um Aquakultur, man könnte auch das Thema West-Sahara oder westafrikanische Küsten nennen, denn von dort werden ebenfalls Fische für unseren Konsum importiert, also geraubt. Daran sind auch andere Länder beteiligt, die diese Eiweißquellen einkaufen. Allerdings importiert die EU bereits 60 Prozent ihres Fischbedarfs, und davon einen großen Teil aus den Entwicklungsländern, aber auch aus China und Rußland. Auch das kann man in gewisser Hinsicht Piraterie nennen, weil die betroffenen Länder keine Kompensation für den Verlust ihrer Ökosysteme durch die zerstörerische Fischerei erhalten und somit über den Tisch gezogen werden.

Der Begriff "Proteinpiraten" für eine Kampagne kam daher, daß wir eine Aufklärungs-Tour, Proteinpiraten-Tour, in der Ostsee durchgeführt haben. Dabei wurde das Problem des Eiweißraubs aus den Südländern mit verschiedensten Aktionen und Filmvorführungen in den Küstenstädten der Ostsee thematisiert. Das verstehe ich unter dem Begriff Proteinpiraten.

SB: Wie schon erwähnt engagiert sich Deepwave für eine andere Art von Proteinpiraterie in der Tiefsee. Sie hatten in Ihrem Vortrag bereits auf das Grundschleppnetzproblem aufmerksam gemacht und die Petition vorgestellt, um ein Votum für das Verbot von Schleppnetzen ab 600 Metern Meerestiefe zu unterstützen. - Bei dem Versuch das Problem und das skurrile Ausmaß eines solchen Tuns einem größeren Publikum verständlich zu machen, wird der Wald als Vergleich herangezogen. Ich finde dieser Vergleich hinkt, da der Mensch auch nicht vor uralten Wäldern haltmacht und sie unwiederbringlich zum Zwecke der Energiegewinnung abholzt, wie man am Hambacher Forst sehen kann. Sollte man sich da nicht um ein verständlicheres Beispiel bemühen?

OG: Also der Grundschleppnetzeinsatzes in der Tiefsee läßt sich damit vergleichen, daß man bei der Jagd auf ein paar Vögel, Eulen, Rehe oder Wild eben tatsächlich einen ganzen Wald abholzt.

Diese Schleppnetze hinterlassen in ihrer jetzigen Form zerstörte beziehungsweise geplünderte Landschaften, weil es sich um riesige Scherbretter, teilweise mit zwei Tonnen schweren Stahlplatten bewehrte Netze handelt, in die beispielsweise ein ganzer Jumbo-Jet hineinpaßt, die in 1.000 bis 2.000 Meter Tiefe auf Gummirollen über dem Meeresboden entlang gezogen werden und einfach alles zermalmen und zerstören, was dort wohnt und wächst. Das sind Schwämme, wunderschöne Kaltwasserkorallen, eigentlich all das, was den Meeresboden und die Unterwasserlandschaften ausmacht. Und man weiß mittlerweile, daß in diesen Strukturen wie Kaltwasserkorallenriffen eigentlich die Kinderstube der Fische existiert. Der Rotbarsch zum Beispiel hat dort seine Nachkommen. Und wenn man sie durch diese Schleppnetze zerstört, dann zerstört man sogar auf lange Sicht den Nachwuchs der Fische.

Zudem ist eine Spezialität für die Tiefsee, daß die Tiere sowieso sehr langsam wachsen, wenige Nachkommen haben, speziell angepaßt sind und daß eine nachhaltige Fischerei gar nicht machbar ist. Wenn man, verglichen mit dem Wald, diesen abhackt, dann könnte man ja abwarten, und ungefähr in 30 Jahren habe ich wieder einen Nutzwald, den man dann erneut ernten könnte. Das ist in der Tiefsee mit dieser zerstörerischen Praxis nicht der Fall, es kann so schnell nichts nachwachsen, weil Korallen hunderte von Jahren alt werden. Es gibt jetzt eine Hochrechnung: Gegenüber dem Schaden, den die Langleinen-Fischerei zum Beispiel produziert, ist die Tiefseeschleppnetzfischerei so schädlich, daß für 300 bis zu 700 Jahre der Meeresboden unfruchtbar bleibt, wenn man das so sagen kann. Das ist ein Riesenunterschied zu den Ökosystemen an Land, die sich immer relativ schnell regenerieren.

Die Vernunft ist leider nicht vorhanden. Für die Fischer gilt es, Profit zu machen und dementsprechend geht man in diesem Fall über Korallenleichen. Das ist wirklich die Perversität dieser Fischerei und auch die Perversität des Konsumenten, der den Fisch erwirbt, der sehr, sehr unökologisch, nicht naturverträglich, gefangen ist und trotzdem konsumiert werden möchte. Wir haben den Leng und den Heilbutt oder auch die verschiedensten Tiefseetiere, die dann auf der Speisekarte bei uns erscheinen. Meist wissen wir es gar nicht, daß sie aus der Tiefsee stammen. Da muß ein Umdenken stattfinden.

Trauriger Anblick, der Schwarze Degenfisch im Kühlregal eines Supermarkts - Foto: 2006 by AngMoKio CC-BY-SA-2.5 generic via Wikimedia Commons

'Der erste Schritt ist, ein Bewußtsein zu schaffen, welche Fische man nicht essen sollte.'
Foto: 2006 by AngMoKio CC-BY-SA-2.5 generic via Wikimedia Commons

SB: Was Sie von den Schleppnetzen erzählen, das erinnert an den Manganknollenabbau. Man sagt, daß die Folgen noch mindestens 35 Jahre nach den ersten Piloterkundungen zu sehen waren und es war auch die Sprache davon, daß durch dieses Aufwirbeln nicht nur unmittelbar das zerstört wird, was abgeschürft wurde, sondern durch die Verwirbelung auch noch die Umgebung erstickt. Ist das bei den Fangnetzen auch so?

OG: Der Einfluß von diesen Netzen ist in der Tat groß, wobei sie nicht unbedingt auf den wirklich feinen Tonen der Tiefsee der Äquatorialzonen fischen. Da ist es ja noch tiefer, so 4.000 Meter tief. Man muß sich vorstellen, daß das alles Kalk ist, aufgrund der Kalklösungszonen ganz feines Material, ganz toniges Material wird. Und insofern ist dort die Gefahr umso größer, weil sich diese Wirbel tatsächlich über Tausende von Quadratkilometern auswirken. Und die fragile Tierwelt, die auf diesen benachbarten Manganknollen sitzt, das sind meistens Filtrierer und dergleichen, denen dann die Futterapparate verkleben. Die Schleppnetzfischerei ist eher auf härterem Grund, und der Manganknollen-Bergbau findet auf diesem sehr, sehr weichen Material statt. Bis jetzt ist mir noch nicht bekannt, ob es diese Technik wirklich gibt. Man muß sich vorstellen, daß keine Sedimentfahnen entstehen, im Gegenteil, man rechnet damit, daß es zu diesen großen Sedimentfahnen kommt, die hunderte, tausende Kilometer weit verdriftet werden durch die Strömung. Nun gibt es die Überlegung, wie weit müssen eigentlich die Korridore gesetzt werden, wenn es zum Manganknollenabbau kommt, damit die nächste Spur des Abbaus weit genug entfernt ist. Dazwischen sollen Regionen sein, von denen aus die Fauna dann wieder diese zerstörten Gebiete besiedelt. In der Tat haben die Experimente, beispielsweise das DISCOL-Projekt der Amerikaner aus den 90er Jahren [4], gezeigt, daß 30 Jahre später immer noch die Spuren zu sehen sind und die Fauna sich auch verändert hat. Denn mit dem Wegnehmen dieses Hartsubstrats, der Manganknollen, verschwindet ein großer Anteil der Fauna. Er ist einfach unwiederbringlich weg und so fehlt dann auch der Lebensraum.

SB: Es gibt ja Supermarktketten, die bestimmte Fischmarken aus ihrem Angebot streichen. Nützt das dem Gesamtökosystem überhaupt etwas, wenn bestimmte Fische nicht mehr gefragt sind?

OG: Der erste Schritt ist die Aufklärung, ein Bewußtsein zu schaffen, welche Fische man nicht essen sollte. Die Methusalems der Meere, wir denken an den großen Blauflossen-Thunfisch, sollte man nicht mehr essen. Auch Haie, die sehr empfindlich gegen Überfischung sind, sollte man nicht essen, wir denken an den Dornhai - die Schillerlocken sind die Bauchlocken vom Dornhai -, darauf sollte man verzichten. Ich würde sagen, Fischratgeber, die es von allen Organisationen gibt, sind die beste Methode, auf das Problem aufmerksam zu machen, daß nicht alle Fischereien zertifiziert sind. Bestimmte Arten sind einfach untauglich für die Ernährung von uns Menschen.

SB: Mit welchen Argumenten kann man den Menschen von dieser zerstörerischen Ausbeutung noch abhalten oder vielmehr, welche Gruppierungen muß man, abgesehen vom Verbraucher, überzeugen, daß man auf diese Fische verzichten kann?

OG: Ich glaube, das wichtigste sind unsere Entscheidungsträger, sprich die Politik. Sie muß den Willen der Verbraucher widerspiegeln und dann die entsprechenden Reglements treffen. Traditionen müssen gebrochen werden, wir wollen keine Wale mehr essen, wir wollen auch keine seltenen Tiere mehr essen. Wir müssen darauf achten, daß das, wie gesagt, in den politischen Gremien gehört wird und dann, denke ich, kann das auch umgesetzt werden. Zum Teil findet es ja auch statt, was die Haie zum Beispiel angeht. Wir haben mit der Shark Alliance [5] eine sehr erfolgreiche Kampagne gemacht, wonach die Fangquote für Tiefseehaie auf Null gesetzt und die Datengrundlage für die Haifischerei öffentlich gemacht wurde, damit man mehr über die Bestände weiß. Wir haben mittlerweile eine ganze Reihe von Maßnahmen, die uns helfen, daß die Meere nicht leergefischt werden.

SB: Geben Sie dem Moratorium nächste Woche eine Chance?

OG: Das Moratorium ist aus einer Kampagne der Jahre 2004 bis 2006. Leider ist es gescheitert. Das war bei den Vereinten Nation angesiedelt mit dem Sinn, daß die General Assembly, die Generalversammlung der Vereinten Nationen, ein Fangmoratorium in der Tiefsee insbesondere mit der Grundschleppnetzfischerei durchsetzt.

Das hat nicht geklappt, weil Island dagegen stimmte. Was jetzt diskutiert wird, ist eine Beschränkung dieser Schleppnetzfischerei bis zu 600 Metern Tiefe. Je tiefer man geht, desto seltener sind die Arten, desto schwieriger wird das Management der Fischerei. Wir geben dem schon eine Chance. Es sieht danach aus, daß das Europäische Parlament darüber abstimmen muß. Die haben sich zumindest im Umweltausschuß, sehr, sehr, sehr positiv ausgedrückt. Der Fischereiausschuß hat einen Kompromiß vorgelegt, und wir werden am Dienstag erfahren, wie weit der Antrag für diesen Fangstopp unterhalb 600 Metern für die Schleppnetzfischerei ankommt. Auch dann muß es noch einmal im Europäischen Rat verhandelt werden, mit Rat und Parlament. Und dann müssen wir gucken, daß das dann umgesetzt wird, daß der Volkswille vom Parlament tatsächlich auch bei den Fischereiministern ankommt. Es ist kein grundsätzliches Verbot der Tiefseefischerei, sondern es ist ein Verbot der schädlichen Tiefseefischerei. Das ist der erste Schritt, den man gehen muß.

SB: Vielen Dank Herr Dr. Groß

Der Versuch, Fische und Lebensräume der Tiefsee besser zu schützen, ist am 10. Dezember 2013 im EU-Parlament abermals gescheitert. Die EU-Abgeordneten stimmten mit einem Votum von 342 zu 326 Stimmen gegen ein Verbot von Grundschleppnetzen ab 600 Metern Tiefe in EU-Gewässern und der Hohen See.


Anmerkungen:

[1] Elliott A. Norse, Sandra Brooke, William W. L. Cheung, Malcolm R. Clark, Ivar Ekeland, Rainer Froese, Kristina M. Gjerde, Richard L. Haedrich, Selina S. Heppell, Telmo Morato, Lance E. Morgan, Daniel Pauly, Rashid Sumaila, RegWatson, Marine Policy - Sustainabilityofdeep- seafisheries
http://www.marine-conservation.org/media/filer_public/2011/09/06/norse_et_al_2012_sustainability_of_deep-sea_fisheries.pdf

[2] siehe auch: BERICHT/062: Zukunft der Meere - Tiefsee in Not (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0062.html

Eine umfangreiche Berichterstattung zur Tagung "Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See" im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen am 7. Dezember 2013 zu den Vorträgen und Interviews mit Onno Groß, Kai Kaschinski, Christoph Spehr, Alexander Proelß, Michael Stadermann, Francisco Mari, Jürgen Maier und Uwe Johannsen finden Sie hier in Kürze unter dem kategorischen Titel "Zunkunft der Meere":

Infopool → Umwelt → Report
Infopool → Umwelt → Interview

[3] mare - Zeitschrift der Meere
http://www.mare.de/index.php

[4] Das DISCOL-Experiment (Disturbance and Recolonisation Experiment) war eines der wichtigsten TUSCH Projekte und wurde 1989 in Südamerika durchgeführt.
Mehr darüber siehe auch:
http://www.scinexx.de/index.php?cmd=focus_detail2&f_id=250&rang=10

oder Schattenblick:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0054.html

[5] http://www.sharkalliance.org/

(*) Dr. Onno Groß wurde 1964 in Cuxhaven geboren und studierte von 1984 bis 1990 an der Universität Hamburg, der Universität Tübingen und der kanadischen University of Victoria Biologie mit Schwerpunkt Meeresbiologie und nahm an einer Reihe von Forschungsexpeditionen teil. Er arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen und als Berater für unterschiedliche Projekte bei der EU. Er ist Meeresbiologe, Wissenschafts- und Umweltjournalist, freier Berater in der EU-Fischereipolitik für Seerichtlinien und Gründer sowie 1. Vorsitzender der gemeinnützigen Meeresschutzorganisation DEEPWAVE e.V.

23. Dezember 2013