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INTERVIEW/058: Lebensraum Boden - Die verletzte Ökosphäre, Prof. Thomas Scholten im Gespräch (SB)


Interview mit Prof. Dr. Thomas Scholten, Präsident der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft, am 10. September 2013 an der Universität Rostock



Mit dem Titel "Böden - Lebensgrundlage und Verantwortung" haben die Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft (DBG) und die Universität Rostock der Jahrestagung der DBG eine sowohl naturwissenschaftliche als auch gesellschaftspolitische Ausrichtung verliehen. Die Bodenkundler machen darauf aufmerksam, daß der Humusgehalt der Böden weltweit sinkt, was eine potentielle Gefahr für die Nahrungsversorgung der Menschen darstellt, daß Böden großflächig zubetoniert und somit der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen werden und daß aufgrund kürzerer Frostperioden, vermehrten Extremwetterereignissen und eines Anstiegs des Meeresspiegels in Folge des Klimawandels Boden für immer verloren geht.

Sitzend, beim Interview - Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Dr. Thomas Scholten
Foto: © 2013 by Schattenblick

Am Rande der Jahrestagung sprach der Schattenblick mit Prof. Dr. Thomas Scholten, Präsident der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft. [1] Prof. Scholten forscht und lehrt an der Universität Tübingen, Fachbereich Geowissenschaften. Seine Spezialgebiete sind physische Geographie und Bodenkunde; jüngere Forschungsarbeiten aus seinem Fachbereich behandeln die Degradation des Terrassenfeldbaus im zentralchinesischen Drei-Schluchten-Gebiet und Bodenpilzgemeinschaften in subtropischen Waldgebieten Chinas.


Schattenblick (SB): Das Umweltkompartiment Boden enthält je nach Einschätzung um die 2.300 Milliarden Tonnen gebundenen Kohlenstoff. Dieser stammt von den im Boden zersetzten, organischen Resten der Pflanzen, die CO2 verstoffwechseln und daraus Biomasse aufbauen. Daher könnte man humushaltigen Boden durchaus als Kohlenstoff- oder CO2-Senke bezeichnen. Wenn nun aber Boden erodiert, wo geht das hin? Wird der Kohlenstoff dann auf irgendeine Weise wieder verfügbar?

Prof. Dr. Thomas Scholten (TS): Wenn der Boden erodiert, wird das abgetragene Material in der Landschaft umverteilt. Typischerweise landet es dann im nächstgelegenen Tal. Wenn man in geologischen Zeiträumen rechnet, wird alles im Laufe von Millionen Jahren bis ins Meer transportiert und dort sedimentiert.

SB: Wird der Kohlenstoff auf dem Weg dahin irgendwann als Treibhausgas Kohlendioxid freigesetzt? Ist die Bodenerosion somit ein Klimafaktor?

TS: Ja, die hohe Bodenerosion ist ein Klimafaktor, allerdings hat die Wissenschaft noch nicht genügend erforscht, wie hoch genau der Beitrag zum Klima ist. Es ist tatsächlich wahr, wenn das Material aus dem Verband der verschiedenen Aggregate gelöst und transportiert wird, dann vergrößert sich die Oberfläche und es wird mehr Kohlenstoff durch die Atmung der Bodenorganismen freigesetzt. Somit wandert mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre, als wenn das Material am Ort verblieben und nicht erodiert wäre. Mit welchen Raten wir es hier zu tun haben, ist Gegenstand aktueller Forschungen. Ob das einen essentiellen Beitrag zum Klimawandel leistet oder ob das eine vernachlässigbare Größe ist, wissen wir nicht. Dazu ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

SB: Sind Bodenkundler am Erstellen des Weltklimaberichts des IPCC - Intergovernmental Panel on Climate Change - beteiligt?

TS: Nein, nicht direkt. Eine solche Beteiligung von Bodenkundlern ist bisher nicht realisiert, wäre aber sehr, sehr wünschenswert. Es gibt ähnliche Initiativen auf dem Gebiet der Biodiversität, wo Forscher einen eigenen "IPCC-Report" erstellen. Auch in der Bodenkunde werden solche Ansätze vorgenommen, aber wir sind noch nicht soweit. Natürlich pflegen wir gute Kontakte zum Beispiel zum Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, so daß über die persönlichen Verbindungen natürlich auch bodenkundliches Wissen in die Klimaberichte einfließt.

SB: Vielleicht auch mit Blick auf die Methanausdünstungen auftauender Permafrostböden beispielsweise in Sibirien?

TS: Richtig.

SB: Wenn man von einem Verlust an Kohlenstoff spricht, bedeutet das doch, daß er irgendwie umgesetzt werden muß, damit er in die Atmosphäre gelangt. Welche Faktoren kommen da zusammen?

TS: Im Prinzip handelt es sich um eine sogenannte Redoxkette. Das heißt, es finden Reduktions- und Oxidationsprozesse statt. Wenn Sie den Kohlenstoff nehmen und daraus CO2 machen, dann ist das oxidiert worden, das nennen wir Bodenrespiration oder Bodenatmung. Und wenn kein Sauerstoff zur Oxidation vorliegt, bildet sich CH4, das ist das Methan. Diese Vorgänge werden mikrobiell gesteuert, die Arbeit wird sozusagen von Mikroorganismen geleistet. Insbesondere im Bereich der Bodenmikrobiologie ist die Forschung in den letzten Jahren exponentiell gewachsen, weil inzwischen auch Techniken entwickelt wurden, die es vor zehn Jahren noch gar nicht gab. Daß da so viele neue Erkenntnisse gewonnen werden, hatte niemand auch nur zu träumen gewagt.

Kohlenstoffspeicher und -migration zwischen Boden, Pflanzen, Mensch, Luft und Meer - Schaubild: FischX, modifiziert von Brudersohn, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Diagramm des Kohlenstoffkreislaufs. Die schwarzen Zahlen zeigen, wie viele Milliarden Tonnen Kohlenstoff (Gt C) in den verschiedenen Reservoiren vorhanden sind. Die blauen Zahlen geben an, wieviel Kohlenstoff zwischen den einzelnen Speichern pro Jahr ausgetauscht wird.
Schaubild: FischX, modifiziert von Brudersohn, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

SB: Welche neuen Techniken wurden in die Bodenkunde eingebracht?

TS: Die kommen insbesondere aus der mikrobiellen Biologie wie die DNA- und RNA-Analytik, also allgemein die Genanalytik. Mit ihrer Hilfe lassen sich die verschiedenen Organismengruppen identifizieren, und dann kann man untersuchen, mit welchen Funktionen sie verbunden sind und wie sich das im Boden darstellt. Das sind auch bei der Degradation und dem Auftauen des Permafrosts beispielsweise in Sibirien, Alaska, Kanada und dem Tibetplateau ganz wichtige Fragen. Denn man weiß überhaupt noch nicht genau, welche Bakterien, Mikroorganismen und Gemeinschaften im Permafrost stecken und ob die aktiv werden, wenn der auftaut oder nicht. Das alles ist Gegenstand aktueller Forschungen.

SB: In der Medienberichterstattung wird häufiger von "Peak Soil", der Spitze des Bodenverbrauchs, gesprochen. Wie würden Sie den Begriff definieren?

TS: Peak Soil ist eigentlich eine Adaption des Begriffs "Peak Oil" aus dem Ressourcenbereich. Der Zusammenhang stellt sich allerdings etwas anders dar als bei der Ölförderung. Beim Boden handelt es sich eigentlich mehr um einen Abgleich, einen sogenannten Trade-off. Das heißt, auf der einen Seite ist die Menge an Boden natürlich begrenzt, auf der anderen Seite erfolgt die Nutzung nicht wirklich linear. Im Unterschied zum Erdöl kann man nicht sagen, daß der Boden irgendwann verbraucht ist, sondern es geht darum, deutlich zu machen, daß wir seine Menge in menschlichen Zeiträumen gerechnet nicht vergrößern können, sondern daß wir mit einer limitierten Menge leben müssen. Wir sind längst an dem Punkt angelangt, an dem die zur Verfügung stehende Menge Boden pro Kopf abnimmt, so daß der Peak überschritten wurde.

Es gibt jedoch ein Konzept, das ich für wesentlich geschickter halte als Peak Soil. Das ist das sogenannte "Critical Zone Concept", bei dem man den Boden als Haut der Erde ins Zentrum stellt und die Verbindung zu all dem, was für uns Menschen letztendlich wichtig ist, also zu Pflanze, Tier, menschlichem Lebensraum und nach unten hin zum Grundwasser und zum Ausgangsgestein als "kritische Zone" betrachtet. In den Übergangs- oder Durchdringungsbereichen werden die Schnittstellen der Prozesse, die dort ablaufen, untersucht. Das ist meiner Meinung nach ein überzeugenderes Konzept, als von Peak Soil zu sprechen.

SB: Weil man mit den Schnittstellen die kritischeren Punkte in den Blick nimmt?

TS: Ja, es gibt einen Begriff, der in letzter Zeit gerne benutzt wird, das ist der des Nexus. Das ist die gesamtheitliche, holistische Sicht von Dingen und da hatte man dann eben so ein Boden-Wasser-Energienexus mit all diesen Dingen, die letztendlich zusammenwirken und wo wir nicht weiterkommen, wenn wir das nicht berücksichtigen. Wir haben verstanden, daß keiner nur für sich zum Ziel kommen kann, keiner kann die Probleme alleine lösen. Ich glaube, wir sind soweit, daß wir nicht mehr in Sparten denken.

Sonnenlichtdurchfluteter Wald mit kräftiger Humusschicht, dichtem Unterholz, Teich, Farnen und Schwertlilien - Foto: © 2013 by Schattenblick

Nexus Mischwald, Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten - Norddeutschland, Juni 2011
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Es wird immer von Bodenverlust gesprochen. Mal heißt es, der Bodenverlust in Deutschland beträgt rund 35.000 Hektar pro Jahr, mal wird angegeben - beispielsweise vom Umweltbundesamt -, daß jedes Jahr weltweit die Fläche Bulgariens an Boden verloren geht. Wie hat man solche Angaben zu verstehen, sind sie nur die Spitze des Eisbergs? Ist damit beispielsweise nur die Bodenversiegelung gemeint und muß die Erosion noch hinzugerechnet werden?

TS: Diese Zahlen werden mit verschiedenen Dingen in Beziehung gesetzt. Einmal gibt es die Bodenversiegelung, von der man sagen kann, daß wir einen vollständigen Verlust aller anderen Funktionen haben, da wir uns für eine Funktion entschieden haben, nämlich, auf dem Boden zu bauen oder darauf zu fahren. Dann gibt es Degradationsprozesse wie beispielsweise die Bodenerosion, und die stellen sich sehr heterogen dar. Wenn Sie zum Beispiel im Bundesland Sachsen eine Bodendecke von drei Metern fruchtbarem Löß haben und Sie verlieren davon zehn Zentimeter, dann wirkt sich das auf den landwirtschaftlichen Ertrag überhaupt nicht aus. Wenn Sie aber an einer anderen Stelle mit zehn Zentimetern ein Drittel des Wurzelraums verlieren, dann ist das ertragsrelevant. Und all diese Zahlen fließen natürlich zusammen. Damit soll die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Problem des Bodenverlustes gelenkt werden. Wenn ich dagegen als Wissenschaftler diese Zahlen untersuche, dann zeigt sich, daß der Sachverhalt viel komplexer ist und ich fragen muß, wie schwerwiegend beispielsweise der Bodenabtrag ist und wie sich das auf den Standort tatsächlich auswirkt. Da kann dieselbe Menge Bodenabtrag pro Hektar dramatische Konsequenzen oder so gut wie gar keine haben.

Es ist wichtig zu verstehen, daß der Boden von gesellschaftlichem Belang ist und wir ihn als Gemeinschaftsgut begreifen. Darum geht es eigentlich, das ist der zentrale Punkt. Ich habe viel in Entwicklungsländern gearbeitet. Dort war Boden so etwas wie von Gott Gegebenes. Es war überhaupt kein Bewußtsein dafür da, daß man selbst in der Verantwortung steht. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, etwas zu tun und gegenzusteuern. Jeder kann persönlich in seinem Umfeld oder in seinem Garten Dinge tun, die hilfreich sind. Aber das ist bei vielen Leute noch nicht angekommen. Jeder denkt, 'das ist mein Stück Land und damit kann ich machen, was ich will, und das geht meinen Nachbarn einen feuchten Kehricht an'. Und jeder ist natürlich auch per se davon überzeugt, daß er das Richtige tut.

SB: Halten Sie die Cross Compliance-Regeln der Europäischen Union zum Erhalt des Humus für ausreichend ...

TS: Nein.

SB: ... und wie bewerten Sie die gegenwärtige EU-Agrarreform mit Blick auf den Bodenschutz?

TS: Die Agrarreform ist ein Schritt in die richtige Richtung, obwohl es sicherlich ganz viele Punkte gibt, die verbesserungswürdig sind und die man diskutieren kann. Ich bin kein Freund von Cross Compliance und auch nicht vom Zertifikathandel. Die Idee finde ich zwar wirklich gut, aber es hat sich gezeigt, daß das mehr ein Verschiebebahnhof als eine Maßnahme ist, die wirkt. Wir sehen viele gute Beispiele in kleinen Ländern, wo das natürlich leichter umsetzbar ist. So wird jemand in der Schweiz, der Energiepflanzenanbau betreibt und dafür Mais anbaut, zusätzlich zur Kasse gebeten. Denn er erhöht dadurch das Erosionsrisiko, was nicht förderlich für die Nachhaltigkeit ist. Diese Maßnahme würde automatisch nivellieren, was die Bioenergienutzung an solchen Standorten angeht. Da würde man dann keinen Mais mehr anbauen, weil es sich nicht mehr rechnet.

SB: Ist das spezifisch für die Schweiz wegen der verbreiteten Gebirgslagen und der zu erwartenden stärkeren Erosionseffekte?

TS: Ja. Eine ähnliche Problematik haben wir bei der Bodenverdichtung im Forst, in den mit Vollerntern hineingefahren wird, um die Bäume zu ernten. In der Schweiz muß jemand, der den Forst auf diese Weise bewirtschaftet, dafür bezahlen. Schon nivellieren sich die Spitzen raus, das heißt, es wird ein gesellschaftlicher Ausgleich geschaffen. Aber im föderalistischen System der Bundesrepublik Deutschland wird das anders gehandhabt. In Ländern wie Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern leben viele Menschen von der Landwirtschaft, und da ist die Art der Bodenbearbeitung ein ganz anderes Thema, als beispielsweise in Baden-Württemberg. Das ist auch dort wichtig, doch es wird mehr über Gentechnik und regionale Vermarktung von Produkten gesprochen und weniger häufig grundsätzlich vom Wirtschaftsfaktor Agrar.

SB: Was halten Sie als Bodenkundler von der bodenlosen Landwirtschaft - sehen Sie beispielsweise im Sky Farming Chancen, daß das ein relevanter Faktor für die Welternährung werden könnte?

TS: Nein, das wird von der Menge her kein relevanter Faktor, aber es ist ein ganz wichtiges Modellsystem, um uns den Spiegel vor das Gesicht zu halten und zum Nachdenken zu bringen. Und das finde ich gut.

SB: Herr Professor Scholten, herzlichen Dank für das Gespräch.

Circa ein Meter tiefer und breiter Aufschluß mit deutlich erkennbarem Bodenprofil - Foto: Begonia, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Plaggenesch - 'Boden des Jahres 2013'. Im Bild ist die 40-50 cm dicke Plaggenauflage oberhalb eines fossilen Podsols zu sehen. Standort in der Nähe von Engter bei Osnabrück, 15. September 2010.
Foto: Begonia, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons


[1] Weitere Berichte und Interviews der Schattenblick-Redaktion von der Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft finden Sie unter:

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BERICHT/056: Lebensraum Boden - Verschieben, verdrängen, ersetzen ... (SB)
Bericht zum gemeinsamen Pressegespräch der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft und der Universität Rostock
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0056.html

BERICHT/057: Lebensraum Boden - Schritt für Schritt geht jeder mit? (SB)
Öffentlicher Vortrag von Prof. Felix Ekardt
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0057.html



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27. September 2013