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INTERVIEW/052: Rohstoff maritim - Träne im Knopfloch (SB)


Internationaler Workshop zu den mineralischen Ressourcen des Meeresbodens vom 18. bis 20. März 2013 in Kiel

Gespräch mit Prof. Cindy Lee Van Dover zu dem Problem, daß Restauration und Umweltmanagement immer nur ein schlechter Kompromiß sein können.



"... in den Ozeanen existieren Vorkommen von Zink, Eisen, Silber und Gold, die man wahrscheinlich recht einfach gewinnen kann..."
(1870, Kapitän Nemo in Jule Vernés Roman "Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer")

Als die ersten Tiefseeforscher in Nemos Reich aufbrachen und mit speziellen Mini-U-Booten in die aphotischen Bereiche [1] des Meeres, tausend Meter unter die Meeresoberfläche abtauchten, in die kein Sonnenlicht mehr dringt und die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hatte, waren sie nicht unbedingt darauf vorbereitet, welche unermeßlichen Schätze sie dort tatsächlich vorfinden würden. Denn angesichts der erstaunlichen biologischen Vielfalt an Meeresgeschöpfen, die sich an die lebensfeindlichen und unattraktiven Bedingungen von ewiger Nacht, extremem Druck und gleichbleibender Kälte außergewöhnlich gut angepaßt haben, dachten die Tiefseeforscher nicht an Zink, Silber, Kobalt oder Gold; auch nicht, als mit der Entdeckung der heißen Tiefseequellen an den seismisch heißen Zonen der ozeanischen Spreizungszentren ein weiterer, extrem giftiger und teilweise kochender "Lebensbereich" von Wissenschaftlern erschlossen wurde.

Das erste Bild, das je von einem Schwarzen Raucher veröffentlicht wurde, zeigt fast rußigschwarz gefärbte Wasserschwaden, die mit 1-5 Meter pro Sekunde und mehr als 380 Grad Celsius (heißer als ein Backofen) aus dem Schlot herausschießen. - Foto: 1980 by NOAA, Image courtesy of Spiess, Macdonald, et al, freigegeben als public domain

Schwarze Raucher - Extreme Herausforderung für das Leben der Tiefsee, aber auch für Wissenschaftler und Bergbaugesellschaften. Die Rauchfahne besteht aus Mineralien, die durch Sedimentation den Kegel oder Schornstein um die Austrittstelle aufbauen und festigen.
Foto: 1980 by NOAA, Image courtesy of Spiess, Macdonald, et al, freigegeben als public domain

Prof. Cindy Lee Van Dover, die erste Frau, die als Pilotin des Tauchbootes Alvin allein 48 Tauchgänge von insgesamt über 100 Tiefsee-Expeditionen durchgeführt hat und zu den ersten 30 Menschen gehört, die zu den Schwarzen Rauchern [2] abgetaucht sind, schildert ihre erste Begegnung mit der bizarren Zauberwelt des Tiefseegrabens in der Nähe der Galápagos Inseln als eine Reise durch die unglaublichsten auf der Erdoberfläche nicht anzutreffenden Blauschattierungen. Der Pilot habe sie an eine Stelle mit zwei Meter großen roten Riesenröhrenwürmern (Riftia pachyptila) [3] navigiert. Kartoffelgroße, gelbe Muscheln, große Flächen voller Anemonen und gewaltige Riesenmuscheln, die ihren Namen auch verdienen, gehören zu den ersten Wesen, die sie in dieser Schatzkiste der Schöpfung erblicken durfte. Es gäbe so viele unglaubliche Lebensformen, die teilweise auf den ersten Blick gar nicht als solche erkannt würden, daß wahrscheinlich jeder Tauchgang eine neue, völlig unbekannte Kreatur hervorbringen würde. [4] Ihre Lebensweise und stoffwechselspezifische Anpassung hat man damit noch lange nicht verstanden.

Illustration aus Jule Vernes Roman 'Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer' - Grafik: 1870 gemeinfrei, da der Urheber des Werks vor über 70 Jahren verstorben ist.

Augenzeugenberichte erinnern an die Fabulierungswelt von Jules Vernes phantastischem Roman.
Grafik: 1870 gemeinfrei, da der Urheber des Werks vor über 70 Jahren verstorben ist.

Bedenkt man die ungeheure Flächenausdehnung der Tiefsee - mehr als die Hälfte der Erdoberfläche (53,6 Prozent) besitzt Tiefen zwischen 3.000 und 6.000 Metern (1 Prozent davon sogar Tiefen über 6.000 Metern), der Rest von 0 bis 3.000 Metern nimmt 16,2 Prozent ein -, so bietet dieser größte Lebensraum unseres Planeten einen noch unentdeckten Reichtum an faszinierenden Spezialisten. Denn die extremen Bedingungen machen es selbst mit modernster Technik schwer, diesen Lebensraum genauer zu erforschen, ohne daß sie das Leben an seiner Entfaltung hindern würde. Selbst am tiefsten Punkt der Erdoberfläche (in 11.000 Meter Meerestiefe), dem Challengertief im Marianengraben des Pazifik, von dem Ronnie Glud vom Nordic Centre for Earth Evolution im dänischen Odense und seine Kollegen bei ihrer im Dezember 2012 veröffentlichten Studie berichteten, pulsiert es. Mittels Tauchrobotern konnten sie Sediment und Wasserproben entnehmen, die ihnen das indirekt bestätigten. So fanden sie rund zehn Mal mehr Mikroben im Sediment als an der 5.000 Meter höher liegenden Vergleichsstelle (in 6.000 Meter unter dem Meeresspiegel). Die Rate der Sauerstoffzehrung - ein Maß für die Aktivität der Organismen - sei sogar doppelt so hoch gewesen, hieß es. [5]

Meeresforscher schätzen, daß noch weitere Hunderttausende verschiedener Lebewesen auf ihre Entdeckung warten. Sollten die Biotope der Tiefsee durch Bergbau zerstört werden, der, wie auf dem Kieler Workshop "Seafloor Mineral Resources: scientific, environmental, and societal issues" (Mineralische Ressourcen des Meeresbodens: wissenschaftliche, umweltbezogene und gesellschaftliche Fragen) deutlich wurde, bereits unvermeidlich in den Startblöcken zu stehen scheint, könnten viele Arten ausgerottet werden, bevor sie überhaupt identifiziert worden sind.

Ein solitär lebender korallenähnlicher Polyp von Bord des Forschungstauchschiffs Alvin photographiert - Foto: 2006 NOAA, Image courtesy of Expedition to the Deep Slope.

Jeder Tauchgang bringt die Entdeckung einer neue Kreatur mit sich.
Foto: 2006 NOAA, Image courtesy of Expedition to the Deep Slope.

Die damit einhergehenden massiven Zerstörungen wurden von den Referentinnen und Referenten auf dem vom 18. bis 20. März 2013 von dem Kieler Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft" zusammen mit dem GEOMAR - Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung durchgeführten Workshop nur sehr verhalten ausgesprochen. Dabei ergibt sich aus dem geologischen Aufbau der fraglichen Unterwasserstrukturen, daß genau diese aus Ablagerungen und Schornsteinen bestehende Lebensgrundlage dem "Meeresboden" gleichgemacht werden wird.

Man schien unter den versammelten Forschern, Umweltschützern Industrievertretern, Wirtschaftsexperten und Seerechtsspezialisten auf den Konsens darüber auszuweichen, daß zwar kostspielige Umweltschutzmaßnahmen unumgänglich seien, um sich einer ausreichenden Akzeptanz der Öffentlichkeit zu versichern, eine teilweise Zerstörung der Habitate und Biotope in den zum Bergbau vorgesehenen Bereichen selbst bei den hier selbstverständlich als umweltfreundlich und nachhaltig präsentierten Konzepten der sich um Schürfrechte bemühenden Unternehmen aber in Kauf genommen werden müssen.

Daher hat die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA - International Seabed Authority) - derzeit schon damit beschäftigt, das Erbe der Menschheit auf dem Meeresboden gerecht zu verteilen - als Zugeständnis an kommende Umweltprobleme festgelegt: Für jede Fläche, auf der Unterwasserbergbau betrieben werden soll, müssen die Lizenznehmer ein gleich großes Areal als ökologisches Schutzgebiet ausweisen. Und beim Abbau der Erze soll möglichst wenig Schlamm aufgewühlt werden, um benachbarte Biotope nicht zu vernichten.

Jeder sei bei der Exploration verpflichtet, auch Umweltdaten vorzulegen, sagte Prof. Cindy Lee Van Dover, die als Direktorin des Meeresforschungslaboratoriums der Duke Universität, Beaufort, North Carolina, die ISA mit ihrem Fachwissen berät und auf dem Kieler Workshop einen Vortrag zu Umweltschutzrichtlinien und Schadensbegrenzung hielt ("Deep-sea hydrothermal vents and environmental management: a scientist‹s perspective", deutsch: Hydrothermalquellen in der Tiefsee und Umweltmanagement: aus Sicht des Wissenschaftlers). Angedacht und angesprochen wurde zwar auch, daß bei den Projekten unabhängige Beobachter das Vorgehen der Unternehmen im Auge behalten sollen. Daß solche Umweltkontrollen in sechs Kilometer Tiefe schwer zu machen sein werden und wirklich verbindliche Regeln für den Abbau der Tiefsee-Erze bisher noch gar nicht bestehen, wurde aber im Verlauf der Vorträge und Diskussionen des Workshops ebenfalls klar.

Prof. Van Dover sprach sich einerseits dafür aus, die Schutzpolitik zum integralen Bestandteil der internationalen Meeresboden-Regeln der ISA werden zu lassen, schien sich jedoch generell mit einem entsprechend reglementierten Abbau der Bodenschätze des Meeres arrangiert zu haben. Die Aktivitäten des Nautilus Unternehmens, das Explorationen vor Papua-Neuguinea betreibt, und die unter dem Projektnamen Solwara I bereits eine erste praktische Exploitation ins Auge gefaßt haben [6], sieht die Meeresforscherin auch als Chance, die von Meereswissenschaftlern gesammelten Daten für die Beobachtung der späteren Regeneration und für die aktive Restauration der Abbaugebiete nach ihrer Stillegung zu nutzen. Durch die zuvor erfolgte rein wissenschaftliche Erkundung der in diesen Habitaten vorkommenden Spezies und die wissenschaftliche Aufarbeitung des durch den Bergbau bedrohten Genpools, d.h. durch die Daten, die eine 30jährige Forschungsarbeit ermöglicht hat, hätte man nun genauere Anhaltspunkte dafür, wie erfolgreich sich das jeweilige Biotop regenerieren würde.

Wie wenig 30 Jahre im Vergleich zur Erdgeschichte ausmachen, wird allerdings in den Tabellen ihrer Powerpointpräsentation deutlich, die nur zwei wichtige Genmarker und sechs Spezies aufzählen, anhand derer man die Rückkehr des Lebens nach seiner kompletten Vernichtung qualifizieren will.

Das scheint doch ziemlich wenig, hält man sich vor Augen, daß auch die bereits durchtaxierte Vielfalt an Tiefseebewohnern nur einen winzigen Bruchteil der Fauna und Flora darstellt, die überhaupt erfaßt werden konnte. Die Meereschutzorganisation Deepwave e.V. hält den Stand der Forschung in der Tiefsee für marginal: "Weniger als ein paar Quadratkilometer sind von Biologen und Geologen bisher erforscht worden. Die Tauchfahrten sind zählbar, die erkundete Fläche ist weniger als ein Prozent des Ozeans." [7]

Zudem bringt die Anpassung an extreme Umweltbedingungen, wie u.a. Prof. Dr. Pedro Martinez Arbizu in seinem Vortrag und zahlreichen Diskussionsbeiträgen erklärte, beispielsweise auch Analogien und andere Besonderheiten hervor, die den äußerlichen Vergleich oder die Erfassung von Spezies über ihr Erscheinungsbild erschwert. Man könnte bei zwei scheinbar identischen Kreaturen oder auch bei Tieren mit völlig unterschiedlicher Morphologie nicht sagen, ob es sich um die gleichen oder um verschiedene Spezies handelt. Aus der besonderen Anpassungsleistung dieser Extremisten könnte der Mensch aber möglicherweise auch Lösungen für Umweltprobleme oder andere Anforderungen ableiten, vor die er durch die globalen Veränderungen seines eigenen Lebensraums in naher Zukunft bereits gestellt sein wird.

Blumenähnliche Gebilde auf kargem Gestein - Foto: 2002 by NOAA courtesy of Submarine Ring of Fire 2002, NOAA/OER, Ocean Explorer, freigegeben via Flickr als CC-BY-SA 2.0 Generic

Zweig- oder Nelkenkorallen (Octocorallia: Alcyonacea) auf der Spitze eines Hydrothermalschlotes: Die äußere Anpassung an die extremen Bedingungen erschwert die Bestimmung.
Foto: 2002 by NOAA courtesy of Submarine Ring of Fire 2002, NOAA/OER, Ocean Explorer, freigegeben via Flickr als CC-BY-SA 2.0 Generic

Wie also soll das Umweltmanagement für die Tiefsee aussehen, die nicht umsonst noch immer weitestgehend als Terra inkognita der Meeresforschung gilt und deren ursprünglicher Zustand bereits durch die Erforschung des biologischen Lebens, das dafür mittels Pinzetten und Greifarmen eingesammelt wird, verändert wird? Fraglich bleibt, ob das, was man mit den aus der Tiefsee ermittelten Daten überhaupt anfangen kann, über den Charakter eines Schadensmanagements hinausgeht.

Cindy Lee Van Dover, die sich offen dazu bekennt, für die zur Exploration ausstehenden Gebiete der Tiefsee mehr zu empfinden, als Interesse an einem spannenden Forschungsgebiet, und sich auf keinen Fall als eine "Umweltmanagerin" versteht, mußte am Ende ihrer Ausführungen einräumen, daß wohl erst entsprechende Naturschutz-Wissenschaftler und Ressourcen-Manager in hundert Jahren beurteilen könnten, ob man jetzt die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Wobei man heute schon sagen kann, daß den betroffenen Tiefsee-Lebewesen und deren Bedürfnissen in diesen Überlegungen wohl am wenigsten Platz eingeräumt wird. Sie haben sich wohl nicht umsonst an die Bedingungen einer Umwelt angepaßt, in der ein Mensch nicht überleben könnte. Ist damit nicht jeder Anspruch des Menschen auf ihre nicht wiederherstellbare Lebenswelt ein folgenschwerer Eingriff? Der Schattenblick sprach mit der Wissenschaftlerin im Rahmen der Veranstaltung:

Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Cindy Lee Van Dover
'Ich hätte nie geglaubt, daß Tiefseebergbau noch zu meinen Lebzeiten stattfinden würde.'
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Prof. Van Dover, Sie sind eine der ersten Meeresbiologinnen gewesen, die in den Bereich der Hydrothermalquellen und in ihre erstaunliche, biologische Überlebensgemeinschaft vorgestoßen sind. Haben Sie angesichts all dieser Wunder und Phänomene schon daran gedacht, daß diese Welt einmal durch ganz massive Wirtschaftsinteressen bedroht sein würde?

Prof. Cindy Lee Van Dover (CVD): Ja und nein. Natürlich wußten wir damals bereits, daß in den Mineralablagerungen der hydrothermalen Quellen ein potentiell ökonomisch nutzbarer Wert liegen könnte. Ich kann aber nicht mit Sicherheit sagen, ob nicht sogar maßgeblich für meinen persönlichen Drang, diese phänomenale Biologie unbedingt kennenzulernen und verstehen zu müssen, ein unterschwelliges Bewußtsein war, '... irgendwann könnten die Bergbauunternehmen mit ihren großen Maschinen kommen, die Bodenschätze rauben und alles zerstören!' Doch selbst wenn, hätte ich, ehrlich gesagt, nie geglaubt, daß das noch zu meinen Lebzeiten passieren könnte.

Daher war ich doch sehr überrascht, als 2005 die ISA [8] an mich herantrat, um einen Workshop über umweltrelevante Leitlinien für dem Tiefsee-Bergbau zu begleiten, der potentielle Explorations- und Abbauprojekte in der Nähe dieser heißen Quellen vorbereiten sollte. Selbst dann noch nahm ich es nicht wirklich ernst und dachte für mich: "Klar, natürlich mache ich das, auch wenn es jetzt völlig sinnlos ist, sich darüber Gedanken zu machen, weil doch 'Tiefsee-Bergbau' noch jahrzehntelang kein Thema sein wird." Denn wenn - wie ich glaubte - die Schätze am Meeresboden tatsächlich irgendwann einmal abgebaut werden sollten, würde man sicherlich über eine sehr viel weiter entwickelte, schonendere Technologie verfügen, auch in der Forschung. Kurzum, war es schon ein ziemlicher Schock zu sehen, wie weit die Interessen diesbezüglich schon gediehen sind.

SB: Die chemischen Ablagerungen oder Sedimente rund um die Austrittsstellen von hydrothermalen Quellen sind ja eine Folge von Millionen von Jahren andauernden, beständigen chemischen Prozessen [2]. Noch einmal so lange hat es gebraucht, daß sich ein auf die extremen Verhältnisse eingestelltes Ökosystem entwickeln konnte. Wie lange wird es wohl dauern, bis das alles dem Meeresboden gleichgemacht worden ist oder bis die Bergbauunternehmen sämtliche hydrothermalen Schornsteine abgebaut haben werden?

CVD: Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich Ihre Frage richtig verstanden habe, denn wir werden niemals sämtliche Habitate, also sämtliche Lebensräume auf dem Meeresboden gleichzeitig und komplett zerstören.

Die bereits bestehenden umweltspezifischen Regularien sind zwar durchaus für eine Exploitation der in Frage kommenden Region entwickelt worden. Doch damit haben wir auch die Mittel in der Hand, die jeweiligen Interessenvertreter daran zu hindern, wirklich jede einzelne Fundstelle auch vollständig abzubauen.

Selbst wenn tatsächlich Massivsulfidvorkommen in den hydrothermalen Quellen exploitiert und damit Strukturen komplett zerstört werden sollten, würde ich sicher behaupten, daß sich die biologischen Ökosysteme erholen und die Tiere zurückkommen werden. Nun, vielleicht nicht überall, aber es gibt Bereiche, für die eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß das Leben zurückkehren wird. Wir haben ja auch Beispiele von Eruptionen, also von vulkanischen Aktivitäten unter Wasser, bei denen sehr große Lebensbereiche vollkommen plattgemacht wurden. Selbst hier kann man beobachten, wie sich die Meeresbewohner nach ein paar Jahren allmählich wieder einfinden ...

Kleines Weichtier wird von einem größeren transportiert. - Foto: 2010 by NOAA Image courtesy of NOAA Okeanos Explorer Program, INDEX-SATAL 2010 freigegeben via Flickr als CC-BY-SA 2.0 Generic

Per Anhalter durch die Tiefsee.
Kommen wirklich alle wieder zurück? Bei nur lückenhafter Dokumentation darüber, wer gegangen ist, läßt sich das schwer sagen
Foto: 2010 by NOAA Image courtesy of NOAA Okeanos Explorer Program, INDEX-SATAL 2010 freigegeben via Flickr als CC-BY-SA 2.0 Generic

SB: Würden Sie also auch Dr. Samantha Smith [9] zustimmen, die in ihrem Vortrag die Ansicht vertrat, die Veränderungen der Biotope und Habitate durch den Tiefsee-Bergbau sei nur vorübergehend und würde sich schneller als gedacht wieder zurückbilden? Würden Sie ihre Behauptung, "die Quellen sprudeln weiter, die Ablagerungen bilden sich neu und die Tiere kommen zurück" unterstützen?

CVD: Nun, es wäre dann wohl erst einmal angebracht, Proben zu nehmen und genau zu klären, ob es sich tatsächlich wieder um die gleichen mineralischen Ablagerungen handelt. Soweit ich weiß, sind Massivsulfid-Vorkommen deshalb kommerziell so unglaublich wertvoll, weil sich die fraglichen Metalle in dem Mineral über einen ausgesprochen langen Zeitraum allmählich angesammelt haben. Was immer man davon wegnimmt, wird aber mindestens ebenso lange brauchen - und das läßt sich meines Erachtens nur in Jahrtausenden bemessen -, um sich in der Massivität zurückzubilden, die es ehemals hatte. Also selbst wenn sich ein Schornstein bereits in zehn Jahren wieder regenerieren kann, dann brauchen die mineralischen Vorkommen, um wieder wirtschaftlich interessante Tonnagen zu erreichen, hundertmal länger.

SB: Sie haben in Ihrem Vortrag von den Röhrenwürmern behauptet, sie wären nicht durch den Bergbau in ihrer Existenz gefährdet. Kann man das denn so sicher behaupten? Gibt es Meeresbewohner, die tatsächlich das Abtragen ihres Lebensraums überleben könnten?

CVD: So wie es derzeit aussieht, sind diese speziellen Bartwürmer deshalb nicht in ihrer Existenz gefährdet, weil ihre Habitate glücklicherweise vom Tiefsee-Bergbau verschont bleiben werden. Der Riesenröhrenwurm (Riftia pachyptila [3]), von dem hier die Rede ist, es gibt da nämlich durchaus mehrere Arten, ist entlang des ostpazifischen Rückens heimisch. Dabei handelt es sich um einen sogenannten schnell spreizenden Rücken [10], das heißt, dort ist die magmatische und seismische Aktivität besonders groß. Durch tektonische Bewegungen bebt praktisch der Meeresboden, so daß Schornsteine zerstört werden und herunterbröckeln. Oder es werden Sedimente unter Lavaschichten begraben, so daß sich ein wirtschaftlich relevantes Vorkommen gar nicht erst bilden kann.

Kurz gesagt, die Bergbaukonzerne interessieren sich noch gar nicht für die Abbaugebiete am ostpazifischen Rücken, was den Riesenröhrenwürmern zugute kommt. Deshalb werden sie wohl eine Spezies sein, die nicht vom Tiefsee-Bergbau betroffen ist.

Rotbraune, wurmartige, in einem Strauß zusammenlebende Tiere, die in hellen Röhren stecken. - Foto: 2006 by NOAA, Image courtesy of Monika Bright - University of Vienna, Austria, freigegeben via Flickr als CC-BY-SA 2.0 Generic

Der Riesenröhrenwurm Riftia pachyptila, der einzige Tiefseebewohner, der den Bergbau überleben wird?
Foto: 2006 by NOAA, Image courtesy of Monika Bright - University of Vienna, Austria, freigegeben via Flickr als CC-BY-SA 2.0 Generic

SB: Noch einmal direkt zu Ihrem Vortrag gefragt [11], glauben Sie, daß sich tatsächlich ein Umweltmanagementsystem entwickeln läßt, mit dem man den Erhalt der Biodiversität in der Tiefsee garantieren kann, auch wenn wir diesen Lebensbereich noch überhaupt nicht genau genug erforscht haben, um ihn zu kennen?

CVD: Wenn es vernünftig gemacht ist, glaube ich schon, daß ein Umweltmanagementsystem beispielsweise Auflagen enthalten könnte, die Belastung von Gebieten mit hoher Biodiversität vollständig zu verhindern. Ich muß das näher erklären. Wir können das anhand des Lizensgebietes von Solwara 1 [11] sehr schön sehen. Wenn ein Bergbauunternehmen vorsichtig um die aktiven Raucher herum schürft und die dabei verursachten "Plumen" [Sedimentfahnen, die beim Abbau aufgewirbelt werden, Anm. d. SB-Red.] unter dem Deckel hält bzw. vorsorglich in Containern einfängt und auf diese Weise keine Umweltgefahr erzeugt wird, ja klar, dann kann man das natürlich als eine Möglichkeit betrachten, bei der eine schädliche Belastung dieser speziellen Populationen verhindert wird.

Mir gefällt diese Lösung - ehrlich gesagt - auch nicht besonders. Ein noch so gutes Umweltmanagement kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß durch den Bergbau Veränderungen entstehen, die natürlich einen Einfluß auf das Ökosystem haben werden. Vielleicht kann man einem massiven Schaden die Spitze nehmen, man kann die Auswirkungen reduzieren oder minimieren, aber es bleibt dennoch ein Schaden.

Wenn man Bodenschätze abbaut, dann trägt man zunächst den Meeresboden ab und das verändert die biologischen Zusammenhänge gewaltig.

Gut, ich vermute, es gibt schon Möglichkeiten, um den Verlust an Arten, den Schaden an der Biodiversität möglichst klein zu halten. Doch auch ein reduzierter Schaden ist noch zu groß. Ich halte deshalb das Minimierungshierarchie-Diagramm, das ich in meinem Vortrag gezeigt habe, für sehr aufschlußreich diesbezüglich. Dort sieht man, daß auf der einen Seite Verluste in der Artenvielfalt entstehen, die aber woanders durch einen Zugewinn an neuen Arten kompensiert werden können, wenn man entsprechende Maßnahmen ergreift. Zu sagen 'etwas stirbt aus' reicht eigentlich nicht, um auszudrücken, das dem Gesamtsystem etwas verloren geht. Das scheint mir weitreichender. Doch wenn wir gar kein Umweltmanagement hätten, dann würde noch sehr viel mehr verloren gehen.

SB: Also halten Sie das, was Sie unter Umweltmanagement verstehen, zwar für einen nicht besonders guten Kompromiß, aber auch für das einzige, was man im Augenblick im Falle eines Tiefsee-Explorationsvorhabens für die Umwelt tun kann?

CVD: Ja genau. Aber ich glaube auch, daß man mit einem intelligenten Umweltmanagement beispielsweise durchaus Manganknollenfelder abernten kann. Man würde zwar die Umwelt schädigen, es würden auch Tiere getötet werden, die gewissermaßen "im Weg" sind, und es wird lange dauern, bis sich die Umwelt, das Biotop, wieder erholen wird. Aber, wenn man mit entsprechender Behutsamkeit an die Sache herangeht, wenn man eine gesunde Umwelt als solide Grundlage hat, die man laufend überwacht, dann könnte es tatsächlich und sogar sehr gut funktionieren. Und wenn die Überwachung zeigt, daß es nicht optimal funktioniert, dann muß man eben die Förderung entsprechend reduzieren. Ob das dann noch wirtschaftlich interessant genug ist, sei dahingestellt. Doch auf diese Weise ließe sich der Erhalt der Umwelt so weit managen, bis der Rohstoffabbau für die Umgebung untragbar würde. Und das könnte dann in einigen Fällen heißen, daß man mit dem Tiefsee-Bergbau aufhört.

Cindy Van Dover im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Der Artenverlust hat weitreichendere Folgen, die sich nicht durch Umweltmanagement aufhalten lassen. Doch ohne dies würde noch viel mehr verloren gehen.
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Womit wir wieder bei der Frage wären, welche Schäden für die Umwelt tragbar und welche nicht mehr tragbar sind. Warum fängt man überhaupt damit an? Benötigen wir die Bodenschätze im Meer so sehr, daß sich Tiefsee-Bergbau nicht mehr vermeiden läßt?

CVD: Ja, ich glaube der Bergbau ist unumgänglich. Das hat alles bereits so viel Fahrt aufgenommen und eine Eigendynamik entwickelt, daß es nicht mehr zu stoppen ist. Für mich steht das außer Frage. Ich selbst möchte nur dann, wenn es passieren sollte, entsprechend darauf vorbereitet sein, indem wir die Schäden kalkulieren und Vorsorge treffen, um sie so klein wie möglich zu halten.

Ehrlich gesagt möchte ich diese "Wenn-es-losgeht"-Unausweichlichkeit für mich noch nicht festschreiben. Aber ich habe mich irgendwie damit abgefunden, daß es doch sehr wahrscheinlich einmal "losgehen" wird. Ich versuche das ganz neutral und objektiv zu betrachten. Und ganz objektiv gesehen kann man durchaus auch Konzepte erkennen, beispielsweise für den Abbau von Massivsulfiden, die man umweltverträglich nennen könnte, aber im stillen denke ich dann doch, "Oh, mein Gott, sie wollen meinen armen Röhrenwürmern an den Kragen, meinen Schnecken, meinen Muscheln...", eben "meiner" liebgewonnenen Welt. Also, da fällt es mir sehr schwer, einfach nur sachlich und objektiv zu bleiben.

SB: Ganz objektiv gesehen kommen die Tiefsee-Lebewesen eben auch nur auf dem Papier, im Rechner bzw. in den statistischen Tabellen zurück. Es sind aber nicht mehr dieselben Tiere und möglicherweise sind es auch nicht mehr alle Spezies, die dort zuvor gelebt haben und sich unter den veränderten Bedingungen später wieder neu ansiedeln. Was haben diese Überlegungen noch mit den Lebewesen, die quasi dem Bergbau preisgegeben werden, zu tun?

CVD: Das hängt natürlich auch davon ab, wo man diese Frage stellt. In Solwara 1 gibt es beispielsweise ein paar äußerst selten vorkommende Spezies, die nur hier leben. Das heißt, sie sind nicht etwa deshalb selten, weil sie vom Aussterben bedroht sind, sondern weil es davon einfach schon immer nur sehr wenige, einzelne Exemplare gegeben hat. Wir nennen sie Singletons, Unikate. Und das ist eine sehr typische Erscheinung für hoch produktive Biotope. Dort findet man immer einige wenige Arten, die sich stark vermehren und sehr verbreitet sind und dann einen langen Schwanz mit allen möglichen Lebensformen, von denen es oft nur Einzelexemplare gibt. Das kennt man in Flachwasserbereichen ganz genau so.

Und nun vermutet man einfach, daß es diese Singletons vielleicht nochmal irgendwo anders gibt. Daß diese Möglichkeit besteht, würde ich auch nicht ausschließen, aber - ich zögere hier, weil ich da nicht gerne falsch zitiert werden möchte - das würde bedeuten, daß sie zwar "lokal begrenzt" aussterben könnten, aber insgesamt gesehen noch im System vorkommen. Und dann könnten sie tatsächlich eines Tages plötzlich wieder auftauchen. Aber das wäre reiner Zufall. Das wäre eine statistische Fragestellung, keine umweltspezifische.

SB: Wo Sie gerade von seltenen Endemiten [12] sprechen, deren spezielle Stoffwechsellösungen durch die Anpassung an extreme Verhältnisse wie aggressive Chemie oder unvorstellbar hohe Temperaturen für die pharmazeutische oder chemische Industrie höchst interessant sind: Läßt sich vorstellen, daß sich an diesen Fundorten ein Ressourcenwettbewerb ganz anderer Art entwickeln könnte, bei dem der Genpool, also die mögliche biogenetische Nutzung der dort heimischen Extremisten mit den Bodenschätzen konkurriert?

CVD: Gute Frage. So weit ich allerdings das Ausnutzen genetischer Ressourcen verstehe, wird es wohl nie auf ein "Abernten" und direktes Verwerten von biologischen Organismen hinauslaufen. Natürlich besteht von seiten der chemischen Industrie ein großes Interesse daran, extrem angepaßte Lebewesen aus den Biotopen hydrothermaler Quellen zu sammeln und dann ihren genetischen Code zu extrahieren, zuzuordnen und mittels Gentechnik zu kopieren. Es geht somit eher um gentechnische Produkte, die man daraus gewinnen kann.

SB: Doch was ist mit den genetisch festgelegten Überlebenstechniken, den bionischen Modellen [13] sozusagen, aus denen Menschen beispielsweise Lösungen für die Klimaerwärmung ableiten könnten, würden nicht auch die durch den Tiefseebergbau verloren gehen?

CVD: Natürlich geht mit der biologischen Vielfalt auch die genetische Diversität verloren. Dann verschwinden einige dieser Anpassungstechniken.

SB: Könnte das nicht als Argument in der Diskussion gegen den Tiefsee-Bergbau eingesetzt werden?

CVD: Das ist richtig und das ist auch einer der Gründe, warum ich dafür eintrete, daß die genetische Diversität erhalten bleiben muß. Um sich eine gesunde Population zu bewahren, braucht man immer ein paar Angehörige dieser Lebensgemeinschaft, die praktisch genetisch schon bereit sind, sich neuen Umweltherausforderungen zu stellen. Ja klar, das ist ein wichtiger Punkt. Aber ich halte ihn nicht für ein besonders schlagkräftiges Argument in der Diskussion über den Tiefseebergbau.

Ich denke, das ist etwas, auf das wir achten müssen, indem wir es versuchen zu überwachen. Dabei müssen wir uns auf die intensive Beobachtung von einigen wenigen, sehr typischen Spezies, gewissermaßen Bioindikatoren, beschränken, können allerdings nur hoffen, daß wir dann auch die richtigen dafür ausgesucht haben.

SB: Eine kleine Zwischenfrage: Wissen Sie eigentlich auswendig, wie viele verschiedene Tiere Sie persönlich in der Tiefsee entdeckt haben?

CVD: Nein, ehrlich gesagt, kann ich das nicht sagen. Ich habe so viele neue Arten entdeckt und einige davon sitzen immer noch in meinem Schrank und warten darauf, taxonomisch zugeordnet zu werden. Die Bestimmung ist auch sehr schwierig, weil das Äußere täuscht. Wir müssen die Tiere genetisch bestimmen. Manchmal schließen wir Wetten darüber ab, ob ein bisher noch nie gesehenes Tier auch tatsächlich ausreichend unterschiedliche Gene besitzt, um als neue Spezies zu gelten.

Definierte Nanostrukturen auf der Oberfläche des Lotusblattes lassen das Wasser abperlen - Foto: 2007 by William Thielicke, via Wikimedia Commons freigegeben als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

Nur ein schwaches Argument gegen den Tiefsee-Bergbau? Bereits realisierte Lösungswege der Natur könnten für künftige Problemstellungen verloren gehen.
Foto: 2007 by William Thielicke, via Wikimedia Commons freigegeben als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

SB: Die Überwachungsmaßnahmen hatten Sie auch als Voraussetzung für die spätere Restauration des Gebietes in Ihrem Vortrag beschrieben. Darüber hinaus hatten Sie erwähnt, daß die Restauration beispielsweise des Lizensgebiets Solwara 1 etwa 740 Millionen Dollar pro Hektar kosten würde. Was wird für diese Summe praktisch im einzelnen getan, an welche Restaurationsmaßnahmen wird dabei gedacht, um die zerstörten Habitate wieder herzustellen?

CVD: Nun, Restaurationsvorhaben in der Tiefsee sind ein derzeit noch völlig neues und unerforschtes Gebiet. Praktische Beispiele dafür gibt es bisher noch nicht.

Wir fangen eigentlich gerade erst an, uns damit zu beschäftigen, wie die mögliche Restauration des Meeresbodens nach dem Abbau von polymetallischen Massivsulfiden aussehen könnte. Allerdings sollte man sich jetzt schon von dem Gedanken verabschieden. Eine Restauration ist nicht möglich. Es mag wohl allmählich eine passive Regeneration stattfinden, die wir mit einigen Maßnahmen unterstützen oder beschleunigen können, mehr aber auch nicht.

So kann das Ziel einer sogenannten Restauration bestenfalls darin bestehen, künstliche Strukturen nachzubilden, auf denen die Tiere wieder leben können. Anders gesagt nimmt man beispielsweise Sammelbehälter für Bodenproben, das sind röhrenartige, verschließbare Körbe, die man mit Steinen füllt, und auf die Austrittsstellen der hydrothermalen Fluide auf dem Meeresboden plaziert, um den Bereich, in dem sich dann neue Mineralablagerungen bilden können, künstlich zu stabilisieren.

Anschließend können wir mit der Umsiedlung von Tiefsee-Lebewesen von anderen, weiter entfernt gelegenen Biotopen beginnen und beispielsweise Schnecken und Muscheln auf diesen künstlichen, wenngleich aktiven Schornstein umpflanzen, der natürlich durch diese Maßnahme schneller größer und immer massiver werden wird, so daß die Lebewesen dort annehmbare Überlebensbedingungen vorfinden.

Das alles wird jedoch ein wissenschaftlich kontrolliertes Experiment werden, indem wir verschiedene Ausgangsbedingungen und ergänzende Maßnahmen miteinander vergleichen, was sich für das Überleben dort am sinnvollsten erweisen könnte.

Der beachtliche Octopus, Benthoctopus sp., auf dem Greifarm des Tiefsee-Tauchboots DSV Alvin. Die Crew im Tauchboot war über die Neugier des Tiefseebewohners verblüfft. - Foto: NOAA, Image courtesy of Bruce Strickrott, Expedition to the Deep Slope, freigegeben via Flickr als CC-BY-SA 2.0 Generic

So könnte aktive Restauration auch aussehen.
Foto: NOAA, Image courtesy of Bruce Strickrott, Expedition to the Deep Slope, freigegeben via Flickr als CC-BY-SA 2.0 Generic

SB: Welche Ausgangsbedingungen oder Parameter lassen sich überhaupt messen und korrigieren? Ich erinnere ein Bild von einem schwarzen Raucher, an dem die Temperatur gemessen wurde, spielt so etwas eine Rolle?

CVD: Ja, die Temperatur ist tatsächlich ein wesentlicher Faktor. Zunächst beobachtet man allerdings, ob der künstliche Schornstein gewissermaßen gut anwächst, so daß die für die Lebewesen notwendige chemischen Fluide in der richtigen Konzentration austreten. Wenn ein Schornstein aus sich selbst heraus entsteht, ist er zunächst sehr fragil und kollabiert, vor allem, wenn man versucht, die Prozesse zu beschleunigen. Daher schaffen wir ihm als erstes eine stabile Verankerung, auf der er aufbauen kann, und wenn das geschehen ist, fangen wir tatsächlich an, die Temperatur zu messen. Eine gleichbleibende Umgebungstemperatur ist ein ziemlich sicherer Anhaltspunkt dafür, daß der Ausfluß des hydrothermalen Fluids gleichmäßig stattfindet und daß keine Störungen mehr passieren. Ich weiß, das hört sich alles ein bißchen verrückt an, aber es ist augenblicklich das einzige, was man unterstützend tun könnte, um die Regenerierung der vom Bergbau betroffenen Gebiete und Ökosysteme zu fördern. Wesentlich besser wäre natürlich, gar nicht erst mit dem Abbau der Bodenschätze anzufangen.

SB: In Ihrem Vortrag haben Sie von Restauration und Rehabilitation gesprochen als wären es zwei verschiedene Dinge. Jetzt scheint mir die Rehabilitation, also Regeneration, praktisch der Anteil zu sein, den die Umwelt bei der Restauration selbst leisten muß. Unterscheiden Sie im Umweltmanagement die beiden Begriffe?

CVD: Es ist eine Frage der Definition. Die Begriffe stammen aus unterschiedlichen Quellen. Die Extraktions-Industrie spricht gerne von Rehabilitation, also einer Erholung von den Extraktionsaktivitäten. Und Restauration wird gemeinhin so gedeutet, daß man etwas wieder in seinen geschichtlich und qualitativ ursprünglichen Zustand zurückversetzen will. Allerdings ändert sich diese Definition bereits, da sich der geschichtliche Urzustand inzwischen nicht mehr unbedingt als der sinnvollste erweist, wenn man bedenkt, wie sich die Umwelt durch die Klimaerwärmung ändert. Auch der globale Wandel in anderen umweltrelevanten Bereichen zeigt, daß man die Zeit nicht mehr zurückdrehen und auf keinen Fall zum Urzustand zurückkehren kann. Demzufolge machen die Vertreter der Restaurationsvorhaben definitiv Abstriche in ihren Zielvorgaben und reduzieren sich hierin vor allem auf den Erhalt der Biodiversität.

Aber in der Bodenschätze extrahierenden Welt der Bergbauindustrie spricht man von Rehabilitation, und das heißt etwas ganz anderes und geht von anderen Umweltvorstellungen aus. Die hängen wiederum davon ab, welche Handlungsziele mit dem Umweltmanagement verbunden werden. Wenn beispielsweise in West Virginia beim sogenannten Mountaintop Removal ganze Bergkuppen abgesprengt werden, dann besteht das Ziel dieses Umweltmanagements tatsächlich darin, flache Hochebenen zu erzeugen, weil der Staat darin eine Notwendigkeit sieht. Virginia ist ein bergiges Gebiet und der Kohleabbau soll auf den abgeflachten Bergen ganz ausgezeichnet funktionieren. Was ich sagen will: Es gibt durchaus gesellschaftliche oder politische Einflüsse bei den jeweiligen Entscheidungen, unter welchen Gesichtspunkten oder Zielvorgaben die Umwelt restauriert oder rehabilitiert werden soll.

Das Pilotprojekt für die Restauration von Solwara 1 will auch nicht vortäuschen, daß es das Explorationsgebiet wieder in seinen Urzustand zurückversetzen kann. Aber es ist eine Chance, experimentell daran zu arbeiten, wie man die Restauration und den Genesungsprozeß unterstützen könnte. Vielleicht sollte man in diesem Fall wirklich von Genesung sprechen, denn wahrscheinlich wird die natürliche Regenerierung hier tatsächlich sehr schnelle Fortschritte machen. Beantwortet das Ihre Frage? Natürlich gibt es ganz formelle Definitionen zu diesen Begriffen und Haarspalterei bis zum äußersten. Ein paar zusammengewürfelte Restaurationswissenschaftler, Ökologen und Bergleute würden sich darüber vermutlich stundenlang die Köpfe heiß reden, aber das ist meine persönliche Ansicht dazu.

SB: Sie haben durch Ihre wissenschaftliche Vorgeschichte eine sehr persönliche Beziehung zur Tiefsee und ihren Lebewesen entwickelt. Vermissen Sie das Meer und die aktive Forschungstätigkeit am Meeresgrund?

U-Boot unter Wasser - Foto: 1978 by NOAA freigegeben als Public Domain

Tauchboot in Meeresregionen, die nie zuvor ein Mensch gesehen hat - Forschungstauchboot Alvin DSV-2
Foto: 1978 by NOAA freigegeben als Public Domain

CVD: Ob ich es vermisse? Ja klar, obwohl ich immer noch Feldforschung betreibe. Ich bin seit 2005 nicht mehr selbst abgetaucht, weil man mich zur Direktorin des Meereslaboratoriums der Duke Universität berufen hat. Dazu mußte ich mich vom Meer und meinem Seefahrerleben verabschieden, da ich jetzt in dem Meeresforschungslabor auf der Insel arbeite. Das habe ich bereits fünf Jahre getan und auch einen Vertrag für weitere fünf Jahre unterzeichnet. Doch ich werde auch wieder in See stechen. Das ist sehr wichtig für mich. Wenn ich mich mit jungen Forschern treffe, die mir dann von ihren Erlebnissen erzählen, beginne ich sofort selbst wieder Pläne zu machen. Momentan sind es drei Projekte, die ich im Visier habe, und von denen ich Ihnen sehr viel erzählen könnte. Kurz gesagt, ich werde ganz sicher wieder abtauchen. Die Alvin [14] bekommt gerade ein Upgrade und wird generalüberholt. Sie ist jetzt schon ein paar Jahre im Dock und sollte eigentlich im Mai fertig werden. Doch augenblicklich ist sie noch nicht fit, um für Menschen und Passagiere an Bord zertifiziert werden zu können. Dafür ist jetzt ein Termin Ende Mai anberaumt. Allerdings sollte ich mit ihr den ersten Prüfungstauchgang machen, um festzustellen, wie gut sie für die Forschungsarbeit einsetzbar ist, das wurde jetzt natürlich gestrichen. Aber 2014 werde ich wieder an Bord sein, nicht als Pilotin, aber als Wissenschaftlerin. Und dann tauche ich wieder in diese wunderschöne Welt ab. Bis dahin gefällt es mir allerdings auch ausgesprochen gut, daß ich durch die heutige technische Telepräsenz - wir haben Videoübertragungen, alle Forscher wie Begleiter stehen in ständigem Kontakt, da unsere Forschungsarbeit sehr demokratisch funktioniert und wir jeden Schritt diskutieren - gewissermaßen bei allen Projekten mit dabei sein kann, obwohl ich eigentlich auf der Insel sitze. Irgendwie wird die Forschungsarbeit auch an Land dadurch zum Abenteuerurlaub. Man kann alle seine Freunde daran teilhaben lassen, und wir haben einfach sehr viel Spaß an der Forschung.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Van Dover im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Das Pilotprojekt für die Restauration von Solwara 1 kann nicht vortäuschen, daß es das Explorationsgebiet wieder in seinen Urzustand zurückversetzen kann.
Foto: © 2013 by Schattenblick


Anmerkungen:

[1] aphotisch - (griechisch a = un, phos = Licht) in 800 Meter Meerestiefe beginnt die aphotische Zone, d.h. Der Tiefenbereich des Ozeans, in den aufgrund von Streuung, Brechung und Absorption des Lichts in der darüber liegenden Wassersäule kein Licht mehr eindringen kann. Daher ist hier keine Photosynthese und somit auch kein Pflanzenwachstum mehr möglich. 70 Prozent des Meeres liegen in diesem tiefen Bereich.

[2] Schwarze Raucher (siehe erstes Bild) gehören neben weißen Rauchern zu den hydrothermalen (heißen) Quellen der Tiefsee. Aus den hydrothermalen Erdspalten strömen die im heißen Wasser gelösten Mineralien heraus, vor allem schwarze Schwefelverbindungen (Eisen-, Mangan-, Kupfer- und Zinksulfide), fallen im 2 Grad Celsius kalten Wasser des Meeresgrundes aus und lagern sich zu rohrartigen Schornsteinen ab. Die charakteristische schwarze Sedimentwolke ist reich an Eisensulfiden (z.B. Pyrit). Aber auch die anderen Sulfide bilden meistenteils dunkelfarbige Fällungen: Mangansulfid (grün), Kupfersulfid (blaugrau), Zinksulfid (gelb, aber durch Vergesellschaftung mit Eisen in Mineralien wie Sphalerit oder Zinkblende schwarzbraun). Weiße Raucher geben andere Mineralien wie Sulfate (Anhydrite und Gipse) oder Siliziumdioxid frei, die helle Sedimentwolken und Ablagerungen ergeben.

Gespeist durch die Verwertung von chemischer Energie haben sich unabhängig vom Sonnenlicht um die hydrothermalen Quellen Oasen der Biodiversität gebildet. So gibt es vielfältige Arten von Symbiosen. Eines der besten Beispiele ist der Röhrenwurm Riftia. Seit 3,2 Milliarden Jahren präsent, stellen die Quellen die ältesten Lebensräume auf der Erde dar. Und theoretisch sind sie auch anderswo im Weltraum vorstellbar.

[3] Die Riesenröhrenwürmer (Riftia pachyptila) aus der Familie der Bartwürmer siedeln meistens an den Black Smokers in 2.000 bis 3.000 Meter Tiefe an und können über drei Meter hoch werden und einen Körperdurchmesser von vier Zentimeter erreichen. Sie leben in Symbiose mit Bakterien: Der Wurm hat noch nicht mal einen Mund oder Verdauungsorgane. Er versorgt seine Symbionten mit einem extra Organ mit den Rohstoffen, die sie für ihre Chemosynthese benötigen. Die Bakterien sind im Inneren des Wurms vor Fressfeinden geschützt und beliefern ihn im Gegenzug mit Nährstoffen.

[4] Interview 2007 mit der New York Times, "Deep in the Sea, Imagining the Cradle of Life on Earth"
http://www.nytimes.com/2007/10/16/science/16conv.html?_r=0

[5] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/316919

[6] Exploration = Erkundung; Exploitation = bergmännischer Abbau von Metallvorkommen oder anderer Bodenschätze.

[7] http://www.deepwave.org/de/ozean-in-gefahr/tiefsee.html

[8] Die ISA (International Sea Authority) = Internationale Meeresbodenbehörde befaßt sich derzeit schon mit der gerechten Verteilung des Welterbes der Menschheit, indem sie den fraglichen Bereich des an Bodenschätzen reichen Meeresbodens in Planquadrate aufteilt. Seit 2001 wurden von der ISA mehrere Lizenzen zur Erkundung von Manganknollenfeldern an staatliche Institutionen vergeben. Noch dreht es sich nicht um einen Abbau, sondern zunächst um die genaue Untersuchung (Explorationslizenzen) der potentiellen Abbaugebiete. Auch Deutschland hat sich 2006 für 15 Jahre die Rechte an einem 150.000 Quadratkilometer großen Gebiet in der Clarion-Clipperton Zone vor der Westküste Mexikos gesichert - der doppelten Größe Bayerns. Über Kooperationen mit Entwicklungsländern (Tonga, Nauru) haben erstmalig auch Industriefirmen Anträge auf die Exploration von Manganknollenfeldern in der offenen See gestellt.

[9] Dr. Samantha Smith ist bei dem Tiefsee-Bergbauunternehmen "Nautilus Minerals" angestellt und sprach auf dem Kieler Workshop über das Thema "The first environmental impact assessment of a submarine massive sulfide mining operation" (deutsch: Erste Umweltverträglichkeitsprüfungen für den submarinen Abbau von Massivsulfiden), bei der sie die Projekte der Firma Nautilus als nachhaltig und umweltverträglich vorstellte. Sie vertrat den Standpunkt ihres Unternehmens: Die hydrothermalen Quellen würden weitersprudeln und neue Sedimentablagerungen aufbauen. Damit wäre auch die Voraussetzung geschaffen, daß sich das Ökosystem regenerieren und auch die Tiefseebewohner zurückkehren könnten.

Letzteres bestreiten Geologen durchaus, die den hydrothermalen Tiefseequellen nur eine verhältnismäßig geringe Lebensspanne von 10 bis höchstens 100 Jahren zusprechen. Dann verstopfen die ausgefällten Mineralien die Röhren und Spalten, die Quellen erkalten oder werden durch vulkanische Aktivitäten verschüttet. Mit den Rauchern stirbt auch die Fauna in der nun für sie lebensfeindlich gewordenen Umgebung. Wie das Leben an neue Felder hydrothermaler Quellen kommt, gilt als bisher nicht erforscht.

Mehr dazu siehe:
http://mobil.scinexx.de/dossier-detail-40-9.html

http://www.uni-landau.de/umwelt/study/content/files/archiv/H.Schulz/WS09/Oekoregionen_und_Makrooekologie/Handout_2_Mittmann.pdf

http://www.uni-landau.de/umwelt/study/content/files/archiv/H.Schulz/WS09/Oekoregionen_und_Makrooekologie/Makrooekologie_2_Mittmann.pdf

[10] Der Ostpazifische Rücken ist ein im südöstlichen Pazifik verlaufender Mittelozeanischer Rücken. Der Begriff "schnell spreizend" ist ein Einordnungsbegriff. Man spricht von einem schnell spreizenden Rücken, wenn eine Spreizungsrate von 80-100 mm pro Jahr charakteristisch ist. Da der ostpazifische Rücken im Norden zwar nur mit einer Geschwindigkeit von 60 mm pro Jahr auseinanderreißt, also langsam spreizt, im Süden dagegen aber eine extrem hohe Spreizungsrate von 160 mm pro Jahr aufweist, wird er als "schnell spreizender Rücken" klassifiziert. Mehr dazu:

http://www.gzn.uni-erlangen.de/krustendynamik/mitarbeiter/akademische-mitarbeiter/beier/forschung/

[11] Eine dieser Firmen, Nautilus, hat seit Januar 2011 die erste Abbaulizenz für ein Vorkommen mit Schwarzen Rauchern in Papua-Neuguinea erhalten, und es wird derzeit davon ausgegangen, daß der Abbau Ende 2013 beginnt. Hier sollen ca. 2 Mio. Tonnen Sulfid mit einem derzeitigen Metallwert von ca. 2 Mrd. US Dollar liegen.

[12] Als Endemit werden in der Biologie Pflanzen oder Tiere bezeichnet, die nur in einer bestimmten, klar abgegrenzten Umgebung vorkommen wie die Darwin-Finken auf den Galápagos Inseln.

[13] Die Bionik beschäftigt sich mit dem Übertragen von Phänomenen der Natur auf die Technik. Das älteste bekannte Beispiel dafür ist Leonardo da Vincis Idee, den Vogelflug auf Flugmaschinen zu übertragen. Die gängigsten Beispiele aus dem modernen Alltag sind der von Kletten inspirierte Klettverschluß, wasserabweisende Sanitäranlagen durch Nanostrukturen (Lotos-Effekt), Saugnäpfe (von Kraken oder Käfern), Walhaut imitierende Unterwasseranstriche für Schiffe u. dgl.

[14] Alvin (Deep Submergence Research Vehicle - DSV-2) ist ein Tiefsee-U-Boot mit einer Länge von 7 Metern und einem Gewicht von 16 Tonnen. Der Eigentümer von Alvin ist die United States Navy, betrieben wird das Boot derzeit von der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI).


Weitere Berichte und Interviews zum Kieler Workshop "Seafloor Mineral Resources: scientific, environmental, and societal issues" finden Sie, jeweils versehen mit dem kategorischen Titel "Rohstoff maritim", unter

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml

und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

15. April 2013