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INTERVIEW/042: Down to Earth - Siedlungsfragen (SB)


32. Weltkongreß der Geographie in Köln

Interview mit Leizel Williams-Bruinders von der Nelson Mandela Metropolitan Universität in Südafrika



Mehreren Millionen Menschen zu einer Unterkunft zu verhelfen, die den Mindeststandards des Baus moderner, infrastrukturell angebundener Häuser genügt, ist für sich genommen schon eine gewaltige Aufgabe. Und doch war das nur eine von vielen Problemen, mit denen sich die südafrikanische Regierung 1994 nach dem Ende der Apartheid-Ära konfrontiert sah. Die Geographin Leizel Williams-Bruinders aus Port Elizabeth hat zum Umsiedlungs- und Wohnungs- bzw. Hausbauprogramm Südafrikas geforscht und übt eine mit Blick auf die großen Herausforderungen für die Gesellschaft zugewandte Kritik an dem Projekt Zanemvula, dem Flaggschiff des nationalen Hausbauprogramms.

Wie Williams-Bruinders in ihrem Vortrag auf dem 32. Weltkongreß der Geographie, der vom 26. bis 30. August 2012 an der Universität Köln abgehalten wurde, berichtete [1], hat die Regierung die sozialen Aspekte bei der Neuansiedlung in dem Projekt Zanemvula grob vernachlässigt. In einem Interview mit dem Schattenblick im Anschluß an ihren Vortrag führte die Wissenschaftlerin ihren Standpunkt genauer aus und war zudem bereit, weitere Fragen zur gesellschaftlichen Entwicklung ihres Landes zu beantworten.

Porträt beim Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

Leizel Williams-Bruinders
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Gibt es in den Townships eine Graswurzelbewegung, die sich mit dem Wohnungsbau- und Umsiedlungsprogramm der Regierung auseinandersetzt?

Leizel Williams-Bruinders (LWB): Es gibt einige NGOs, aber die sind an dem Projekt, über das ich gesprochen habe, nicht aktiv beteiligt. Das liegt meines Erachtens daran, daß das Projekt von der Regierung einfach nur zu dem Zweck geschaffen wurde, Wählerstimmen zu gewinnen. Anschließend wurde es von der nationalen auf die lokale Administrationsebene abgeschoben. Die Leute wurden einfach nur örtlich woandershin versetzt. Aus meiner Sicht hat das einen rein politischen Hintergrund, was ich bedauerlich finde.

Es existiert aber ein anderes Projekt, an dem ein zentrumsnaher Stadtteil von Port Elizabeth beteiligt ist. Das fing gleichzeitig mit dem Zanemvula-Projekt an und soll auch im gleichen Zeitrahmen stattfinden. Darin sind einige NGOs involviert. Die haben mit den Leuten in den Townships über das Wohnungsbauprogramm gesprochen und dabei ihren Schwerpunkt auf die sozialen Aspekte gelegt.

SB: Sie haben in Ihrem Vortrag appelliert, daß der Wohnungsbau den Leuten wieder zurückgegeben werden sollte. Könnten Sie das näher erläutern?

LWB: Die Menschen müssen schon am Erstellen des Wohnungsbauprogramms partizipieren. Sie müssen viel mehr an der Planung ihrer zukünftigen Nachbarschaft beteiligt werden. In dem Zanemvula-Projekt wurde zwar auf einige Bedürfnisse der Menschen eingegangen, nicht aber auf die sozialen. Um die wurde sich einfach nicht gekümmert.

Ich bin der Meinung, man muß das Soziale wieder in die Städte zurückbringen und berücksichtigen, was die Menschen aus dieser Perspektive benötigen. Man könnte zum Beispiel mit dem Bau von Schulen anfangen. Die werden gebraucht, und das schon für die sehr jungen Kinder, denn viele Erwachsene gehen tagsüber aus dem Haus, um sich in der Nachbarschaft Arbeit zu suchen. Das bedeutet nicht, daß sie welche finden oder daß sie jeden Tag Geld erhalten. Aber es bedeutet, daß die Kinder auf verschiedene Art und Weise zu Hause zurückgelassen werden. In diesem sozioökonomischen Umfeld der einkommenschwachen Haushalte ist die Geburtenrate besonders hoch, weshalb dort viele Kinder leben. Die Leute haben jedoch nicht genügend Geld, jemanden für deren Aufsicht zu bezahlen, und es gibt keine Betreuung für die Zeit, wenn die Schule aus ist. Auch fehlt es an Geld, um die Kinder zu einer weiter entfernt liegenden Nachbarschaft zur Schule zu schicken, einfach weil die Wegstrecken zu lang sind.

Ich halte die allgemeine Bereitstellung sozialer Räume ebenfalls für wichtig. Und wenn man sie schafft, daß man dann Gelegenheiten bietet, daß sich soziale Netzwerke bilden. So kann innerhalb der Gemeinschaft soziales Kapital heranwachsen. Dafür könnten Schulen ein sehr wichtiger Ausgangspunkt sein, da Eltern den Wunsch haben, daß ihre Kinder ausgebildet werden. Deshalb werden sie keine Einwände gegen den Schulbau haben, und aus diesen Einrichtungen heraus ergeben sich viele weitere Aspekte, beispielsweise daß die Kinder Interesse an Sport entwickeln. Oder es werden Treffpunkte für sportliche Ereignisse geschaffen, einige Eltern lassen ihre Kinder im Chor singen und ähnliches.

Vor sieben Jahren hatte ich Forschungen zu einer anderen Siedlung durchgeführt. Dort hatten die Bewohner sogar die kommunale Verwaltung übernommen, ohne daß die Regierung von außen Einfluß darauf genommen hätte. Allerdings erhielten sie reichlich Hilfe von NGOs, denen es gestattet war, in dem Gebiet tätig zu werden.

SB: Sie haben in Ihrem Vortrag den Wert sozialer Aktivitäten betont. Wie definieren Sie den von Ihnen verwendeten Begriff "soziale Nachhaltigkeit" - Nachhaltigkeit ist ja ein Begriff, der aus der Forstwirtschaft stammt?

LWB: Das ist sehr schwierig zu beantworten. Die sozialen Aspekte werden immer vernachlässigt, und ich gehöre zu den Menschen, die mehr Wert auf das Soziale legen als auf irgend etwas anderes. Wir Menschen sind Herdentiere, wir brauchen die Interaktion mit anderen Menschen. Sie können doch keine Nachbarschaft entwerfen, in der jeder Mensch einfach nur existiert und alle sozialen Verbindungen weg sind. Genau das trifft auf jene Nachbarschaft, über die ich gesprochen habe, zu. Da wurde nichts eingeplant: keine Kinderkrippen, keine Kirchen, keine Grundschulen, keine Gymnasien, keine Einrichtungen, in denen Kinder nach der Schule unter Aufsicht sind. Es wurde lediglich ein einziges Gemeindezentrum für alle gebaut. Zwar gibt es ein Essensprogramm, aber es fehlt seine finanzielle Unterstützung. Häufig bekommen die Leute von der Kommunalverwaltung zu hören, daß in diesem Monat kein Geld dafür da ist. Aus solchen Gründen kann sich das Projekt einfach nicht weiterentwickeln.

SB: Als der ANC 1994 in Südafrika die Regierungsgeschäfte übernahm, hatte er große Pläne. Die wurden bis jetzt nur teilweise umgesetzt. Wie schätzen Sie die bisherigen Erfolge ein?

LWB: Die ANC-Regierung hat mit dem Wohnungsbauprogramm eine gewaltige Aufgabe übernommen. Hinzu kommt, daß nicht einfach nur ein großer Teil der Bevölkerung innerhalb der Grenzen Südafrikas mit Häusern ausgestattet werden muß, sondern auch die Menschen aus den Bantustans [2]. Deren Bewohner waren nie gezählt worden und wurden somit nicht dem Kern der mit eigenen Häusern auszustattenden Personen zugerechnet. Aber selbst die einfachen Townships waren nur als vorübergehende Unterkunft angesehen worden, weshalb auch hier nur vage Vorstellungen von der Zahl der Bewohner existierten. In der Apartheid-Ära konnte man also keine genauen Pläne aufstellen und heute kann man es ebenfalls nicht. Niemand vermag genau zu sagen, wieviele Leute in welchem Gebiet wohnen. Die Bevölkerungszahl kann nur geschätzt werden. Was im übrigen auch an der Natur solcher informeller Siedlungen liegt. Die Hütten können plötzlich irgendwo entstehen, aber auch binnen weniger Stunden abgebaut werden.

SB: Kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2010 waren in Südafrika Unruhen ausgebrochen, die sich gezielt gegen Menschen aus dem Nachbarland Simbabwe richteten. Wie schätzen Sie die Lage ein - ist Rassismus ein weiteres größeres Problem Südafrikas im allgemeinen und die Migration von Simbabwern im speziellen?

LWB: Ja, das Problem der Xenophobie besteht. In der Ortschaft, über die ich referiert habe, gab es einmal einen Vorfall, allerdings mit Somaliern. Von denen betätigen sich viele als Händler, die einen Laden aufmachen und damit Geld verdienen. Einige der Bewohner hatten Bereiche ihres Hauses verkauft, weil sie Geld brauchten. Aus ihrer Sicht war das innovativ. Als aber die Somalier einen Teil des Hauses belegten und dort ihre Lager mit Waren einrichteten, die die Menschen tagtäglich brauchten wie zum Beispiel Mehl oder Zucker, hat das ein paar Leute aus der Nachbarschaft gegen die Somalier aufgebracht: 'Die sollen gehen, die nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg!', hieß es. Doch es waren die Somalier, die sich initiativ gezeigt hatten und so einfallsreich waren, daß sie sich im Gegensatz zur örtlichen Bevölkerung selbst versorgen konnten. Sie trieben einfach nur redlichen Handel, kauften Dinge für Geld und verkauften sie, um Profit zu machen.

SB: Welchen Einfluß auf die sozialen Verhältnisse in Südafrika hatte im vergangenen Jahrzehnt die Einwanderung von schätzungsweise einer Million Menschen aus Simbabwe in Folge der dort von der Regierung Robert Mugabes erzwungenen Landreform und den anschließenden Gegenmaßnahmen durch Großbritannien und andere westliche Industriestaaten?

LWB: Es hat zwar keine rassistischen Übergriffe seitens der örtlichen Bevölkerung gegeben und auch keine gewaltsamen Auseinandersetzungen, aber viel Unmut. Lediglich in einer Township war es in den Jahren 2007, 2008 zu Übergriffen gegen Simbabwer gekommen, die sich dort in großer Zahl niedergelassen hatten. Davon betroffen waren trotz enormer Unruhen weniger als zehn Personen. Später wurden die Leute auf verschiedene Gebiete verteilt. Die Südafrikaner haben das Gefühl, daß ihnen ein Teil des Einkommens gestohlen wird, weil es regelmäßig vorkommt, daß Simbabwer längere Zeiten für weniger Lohn arbeiten. Sie sind offensichtlich preiswertere Arbeiter und werden von den Unternehmen bevorzugt genommen.

SB: Besteht demnach ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Einheimischen und den Simbabwern?

LWB: Ja. Manche sorgen sich wegen der Simbabwer und verhalten sich ihnen gegenüber feindselig. Ich kenne einige Simbabwer. Sie pflegen zu sagen: "Die können mich auf eine Meile Entfernung erkennen, weil ich in ihren Augen anders aussehe." Und wenn jemand an einer Bushaltestelle steht, sagen die Südafrikaner schon mal zueinander: "Oh, sie ist keine von uns. Rede nicht mit ihr." Wissen Sie, wir Südafrikaner sind eigentlich eine sehr freundliche Gesellschaft. Jeder spricht mit jedem. Alle grüßen einander. Doch die Simbabwer berichten oftmals, daß sie unfreundlich behandelt werden.

SB: Südafrika ist sehr disparat, mit wenigen Reichen und vielen armen Menschen. In jüngster Zeit wird vor allem im Bergbau viel gestreikt, und in einer Platinmine wurden 35 streikende Arbeiter von der Polizei erschossen. Nehmen die Spannungen in der Gesellschaft zu?

LWB: Die Spannungen sind da. Ich lebe jedoch seit neun Monaten in Belgien und weiß deshalb nicht ganz genau, welche Stimmung zur Zeit unter den Leuten die vorherrschende ist.

Interviewpartner im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Leizel Williams-Bruinders und SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Kommen wir zum Abschluß noch einmal auf das Wohnungsbauprogramm zurück. Haben Sie den Eindruck, daß es unter Präsident Jacob Zuma an Geschwindigkeit zugelegt hat?

LWB: Nein, die Übergabe von Häusern hat sich verlangsamt. Der Nachholbedarf ist einfach zu groß. Das hat aber auch viel mit dem Verschieben von Geldern und der Trennung zwischen nationalen Wohnungsbauprogrammen und denen der Provinzen zu tun, und innerhalb der Programme wiederum mit den unterschiedlichen Verwaltungsebenen. Wir haben es in Südafrika mit einem Multitude-Regierungssystem zu tun, da kann nicht jeder unbedingt immer mit jedem. Da kocht jeder sein eigenes Süppchen, so wie mit dem Zanemvula-Projekt. Es handelt sich um ein nationales Projekt, das aber nicht bis hinunter auf die lokale Verwaltungsebene durchgesetzt wurde. Das hat beispielsweise zur Folge, daß es keine vernünftige Müllabfuhr und auch keine angemessene Versorgung mit elektrischen Strom gibt. Und um all solche Probleme zu besprechen wurden nicht einmal runde Tische einberufen.

Zanemvula ist ein Pilotprojekt, von denen in Südafrika insgesamt neun aufgelegt wurden. Es ist dasjenige, das in meiner Heimatstadt, Port Elizabeth, durchgeführt wird und von dem ich nicht möchte, daß es als Vorbild dient. Die Verantwortlichen glauben, es sei eine Erfolgsgeschichte, aber ich nehme an, daß sie letztlich wissen, daß das nicht stimmt. Am Sozialen fehlt es. Wenn sie mehr soziale Aspekte einbrächten, bestünde noch die Chance, daß daraus ein erfolgreiches, sozial nachhaltiges Dorf wird, aber wenn sie nicht bald damit anfangen, wird das Projekt nicht überleben.

SB: Frau Williams-Bruinders, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:
[1] Einzelheiten dazu siehe UMWELT, REPORT:

BERICHT/036: Down to Earth - urban human (SB)

[2] Als Bantustans bzw. Homelands wurden die Gebiete bezeichnet, in denen von der Apartheidregierung vorwiegend Schwarze angesiedelt wurden. Diese auch Homelands genannten Bereiche waren der Inbegriff der Rassentrennung. Unter anderem waren den Bewohnern die Bürgerrechte aberkannt worden. Offiziell waren die Gebiete relativ autonom, dabei unterstanden sie aber dem strikten Regime der von Weißen geführten Bantu-Administration.

30. Oktober 2012