Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

INTERVIEW/027: Dr. Rainer Froese zum Problem der Überfischung (SB)


Interview mit Dr. Rainer Froese am 27. August in Kiel



Dr. Rainer Froese gehört zu den führenden Meeresbiologen nicht nur Deutschlands, sondern auch der Welt. Der 1952 geborene Leiter des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften in Kiel hat in seinen vielen Veröffentlichungen die Überfischung der Weltmeere dokumentiert und Lösungsansätze zum langfristigen Erhalt der Bestände präsentiert. Froese gilt als Kritiker der Gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union. Am 27. August trat er im Kieler Landtag bei der vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) organisierten Diskussionsveranstaltung "Stoppt die Überfischung! Europas Weg zu einer nachhaltigen Fischerei" auf. [1] Im Anschluß hieran nahm er sich die Zeit, die Fragen des Schattenblicks zu diesem wichtigen Thema zu beantworten.

Froese auf der Podiumsdiskussion - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Rainer Froese
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Dr. Froese, wie würden Sie das Hauptproblem der Fischerei weltweit benennen?

Rainer Froese: Das Hauptproblem der Fischerei besteht weltweit darin, daß zu viel Fische aus dem Meer entnommen werden und daß sie zu früh, also zu klein und zu jung, also bevor sie sich fortpflanzen konnten, entnommen werden.

SB: Wie ließe sich dieses Problem beheben?

RF: Das Problem wäre durch politische Regelungen zu beheben. Im Grunde ist der politische Wille erforderlich, um bestehende Vereinbarungen umzusetzen. Die Staaten der Welt haben sich 1982 bereits darauf geeinigt, alle Fischbestände der Erde so groß werden zu lassen, daß sie den sogenannten maximalen Dauerertrag liefern können. Das Vorhaben ist in den meisten Ländern jedoch leider nicht umgesetzt worden.

SB: Woran liegt die mangelnde Umsetzung? Worauf kann man das zurückführen?

RF: Das ist schwer zu sagen, denn eigentlich ist die Fischerei in den allermeisten Ländern ein ziemlich kleiner Wirtschaftszweig. Wie wir heute in der Veranstaltung gehört haben, gibt es in Deutschland zum Beispiel nur noch 700 hauptberufliche Fischer. Also spielt die Fischerei aus volkswirtschaftlicher Sicht keine nennenswerte Rolle. Führen diese Leute nicht mehr auf See, dann wäre das weniger als wenn eine Fabrik in durchschnittlicher Größe zumacht. Als vor einigen Wochen die Drogeriekette Schlecker geschlossen wurde, waren davon wesentlich mehr Leute betroffen.

Um das Ziel des maximalen Dauerertrages zu erreichen, müßten wir hier in Deutschland auch nicht alle Fischer mit einem Berufsverbot belegen. Wir sprechen lediglich davon, daß sie für einige Jahre, irgendwo zwischen zwei und vier, weniger fangen sollten. Danach könnten sie mehr fangen als jetzt. Weil es sich rechnete, könnten sie auch einen Überbrückungskredit bei der Bank aufnehmen, um ihn nach drei vier Jahren zurückzahlen und danach Gewinn machen zu können. Also, die Überfischung ist eigentlich eines der leichtesten Probleme, das zu lösen wäre. Es wird aber nicht gemacht, weil auf der politischen Ebene der Wille und die Einsicht fehlen und weil es auf der dortigen Tagesordnung bisher nicht hoch genug gekommen ist.

SB: Das klingt, als würden sich die Politiker nicht genügend um die Problematik kümmern. Kann es nicht möglicherweise sein, daß auch wirtschaftliche Interessen einer solchen, von Ihnen umrissenen Lösung im Wege stehen?

RF: Wirtschaftliche Interessen stehen der Lösung der Überfischung nicht im Wege. Warum? Wenn man die Bestände sich erholen läßt, dann sind mehr Fische im Wasser, wodurch man später weniger Zeit als vorher braucht, um die gleiche Menge Fisch zu fangen, das heißt, meine Kosten sinken. Gleichzeitig, wenn mehr Fische vorhanden sind, kann man auch mehr fangen als jetzt: die Einnahmen steigen. Sinkende Kosten und höhere Einnahmen bedeuten höhere Gewinne. In Neuseeland erzielen die Fischer eine Profitrate von etwa 40 Prozent, in Europa dagegen liegt sie wegen der Überfischung zwischen minus zwei bis vier Prozent.

SB: Worauf ist der Unterschied zurückzuführen?

RF: Darauf, daß dort die Fischerei reformiert wurde. Dadurch haben sich die Bestände in den Küstengewässern Neuseelands wieder erholt. Die haben die notwendige Größe erreicht, um den maximalen Dauerertrag liefern zu können. Den Fischern geht es gut; es gibt keine Subventionen mehr; die Fischer zahlen in die Fischereiforschung. Also ist dort alles, wovon man hier in Europa im Augenblick nur träumen könnte, umgesetzt worden und zwar relativ schnell.

Interviewszene am Tisch - Foto: © 2012 by Schattenblick

SB-Redakteur und Dr. Froese
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wenn wir jetzt von neuseeländischen Verhältnissen sprechen, dann wohl von einem geschützten Gebiet innerhalb dessen nur die einheimischen Fischer fischen und Boote aus keinem anderen Land auf Fangfahrt gehen dürfen, oder?

RF: Das ist richtig. Jedes Land hat seine sogenannte ausschließliche Wirtschaftszone, die auf englisch Exclusive Economic Zone (EEZ) heißt. In jener Zone dürfen nur die eigenen Fischer fischen. Schiffe aus anderen Ländern, die dort fischen wollen, brauchen eine Erlaubnis, eine sogenannte Lizenz, von dem Land. Die muß man kaufen. Häufig verkaufen Entwicklungsländer die Fischereirechte in ihrer ausschließlichen Wirtschaftszone an das Ausland, zum Beispiel an die Volksrepublik China oder die Europäische Union. Deren Fischer können anschließend dort auf Fischfang gehen.

SB: Auf der heutigen Veranstaltung ist auch von einigen Rednern der Standpunkt vertreten worden, daß das Problem der Überfischung hauptsächlich auf die Gefriertrawler zurückzuführen ist, die aus anderen Teilen der Welt wie China, Japan, Rußland kommen und einen übermäßigen Fischfang in Küstengewässern betreiben, wo die Anrainerstaaten wie zum Beispiel Somalia oder Mauretanien ihnen gegenüber schutzlos ausgeliefert sind. Wie könnte man dieses Problems Herr werden?

RF: Das ist schwierig. Im Grunde bräuchten diese Länder Unterstützung, um zu verhindern, daß ausländische Boote in ihren Gewässern fischen. Aber es ist wahrscheinlich so, daß viele dieser ausländischen Fischer dort legal fischen, weil sie sich dazu das Recht gekauft haben. Das heißt, sie betreiben keine illegale, sondern legale Fischerei. Sie haben meistens eine Lizenz vom jeweiligen Finanzminister, um in den Gewässern seines Landes fischen zu dürfen. Wegen der fehlenden staatlichen Kontrollen betreiben sie dann dort eine legale Überfischung. Das heißt, sie nehmen mehr raus, als nachwachsen kann. Aber da unterscheiden sich solche Länder wie Mauretanien oder Somalia nicht allzusehr von Europa, wo auch mehr rausgenommen wird als nachwächst.

SB: Die Auswirkungen der Aquakultur auf die Wildfischbestände, sind sie so verheerend wie das manchmal kolportiert wird oder können Fischzucht und die traditionelle Fischerei nebeneinander existieren?

RF: Es kommt auf die Umstände an, würde ich sagen. In einigen Fällen ist es tatsächlich zu sehr negativen Auswirkungen der Aquakultur auf natürliche Bestände gekommen. Ein Beispiel wäre der atlantische Lachs, der im Pazifik für Aquakultur mit der Aussage eingeführt wurde, er würde nicht aus den Käfigen der Fischfarmen entkommen. Als er dann, wie erwartet, doch entkam, hieß es, er werde sich nicht fortpflanzen. Aber natürlich hat er sich fortgepflanzt, woraufhin man behauptete, er würde sich nicht mit den Wildfischbeständen mischen, weil die eine andere Art seien. Aber natürlich hat er sich nicht nur gemischt, sondern auch Krankheiten wie Parasiten mitgebracht. Der Fall ist also ein Beispiel für massive, negative Auswirkungen der Aquakultur auf die natürlichen Bestände.

Das Hauptproblem mit der Aquakultur im Meer besteht darin, daß diese Zuchttiere mit Meeresfischen gefüttert werden müssen, sonst haben sie keine Omega-3-Fettsäuren, was für sie wichtig ist. Und wie wir heute gehört haben, muß man in die Käfige der Aquakultur etwa fünf Mal soviel an Fisch reinwerfen, wie man an Fischen wieder rausbekommt. Also ist diese Art von Aquakultur ein Netto-Fischverbraucher. Sie verbraucht mehr Fisch, als sie eigentlich produziert. Das Fischmehl, das man da reinwirft, besteht überwiegend aus kleinen Fischen wie Sardinen, Sardellen und Makrelen. Das sind alles Fische, die man entweder wachsen lassen sollte, damit man sie später fangen kann, oder die man auch direkt essen könnte. Wir essen ja Sardinen, Sardellen, Sprotten, Heringe auch direkt; das ist eine viel sinnvollere Verwendung für sie.

SB: Es gibt viele unterentwickelte Länder in Afrika und Asien, in denen die Bewohner kleiner Küstendörfer von der Fischerei leben. Dort hat man das Problem, daß die kleinen Fische gefangen werden, um sie in der Aquakultur an große Fische zu verfüttern, die dann an wohlhabendere Kunden verkauft werden.

RF: So ist es.

Froese im Porträt - Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Angesichts dessen, ist das Problem der Überfischung nicht auch eine Spiegelung der marktwirtschaftlichen Machtverhältnisse?

RF: Das kann man durchaus sagen. Es gibt Beispiele aus Peru, wo die lokalen Fische, die auf dem Markt sehr billig waren und direkt von Leuten mit wenig Einkommen gekauft wurden, jetzt knapp geworden sind, weil die für Fischmehl in der Aquakultur direkt gefischt werden. Dadurch entsteht in den betroffenen Ländern Mangelernährung, Hunger usw. Aus Afrika kennen wir das Phänomen, daß die Fischereilizenzen an ausländische Interessen verkauft worden sind, wodurch die lokale Kleinfischerei mehr oder minder zusammengebrochen ist. In solchen Ländern tritt in der Folge das Problem auf, daß die Leute dann wieder Bushmeat, d.h. kleine Säugetiere, Vögel und ähnliches, die eigentlich als geschützt gelten, fangen und essen.

SB: Dr. Froese, Ihr Spezialgebiet ist nicht nur die Fischerei, sondern die Meeresbiologie insgesamt. Was die Weltmeere betrifft, hört man in letzter Zeit immer mehr von Veränderungen im Zuge des Klimawandels. Ein Beispiel wäre die Versauerung der Meere. Was für Probleme sehen Sie da auf die Fischerei im besonderen und die Menschen im allgemeinen zukommen, und wie ließe sich Ihrer Meinung nach etwas dagegen unternehmen?

RF: Zur Versauerung der Meere kommt es, weil der CO2-Anteil der Atmosphäre steigt. Das CO2 löst sich im Meerwasser und es wird dadurch saurer. Das ist deshalb ein Problem, weil wenn der pH-Wert bzw. der Säuregrad unter einen bestimmten Gehalt fällt, dann ist es schwer für kalkbildende Organismen, ihre Kalkskelette zu bilden. Ein Beispiel wären Korallen aber auch durchaus kleine Fische, Fischlarven, die ihre ersten Gehörsteinchen, die aus Kalk bestehen, ausbilden müssen.

SB: Und sie bilden sich gar nicht?

RF: So schlimm ist es bisher nicht, aber es wird schwieriger für sie, weil sie in einem sauren Medium einen größeren Gradienten überwinden müssen, so ein Steinchen auch zu bilden. Es sieht so aus, als wenn das in den nächsten 50 Jahren noch kein dramatisches Problem wird, aber in den nächsten 100 Jahren könnte es durchaus eines werden. Im Augenblick ist die Überfischung tatsächlich eines der größten Probleme, das wir auch am schnellsten lösen könnten.

SB: Die Veranstaltung heute stand unter dem Motto einer Reform der deutschen und europäischen Fischereipolitik. Welche Fehler sind in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit zum Beispiel durch falsche Subventionierung gemacht worden und wie müßte Ihrer Meinung nach die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) der EU künftig im optimalen Fall aussehen?

RF: Der Hauptfehler der europäischen Fischerei war, daß bezogen auf die Fangquoten der falsche Richtwert genommen wurde. Danach haben Europas Fischer die Bestände so bewirtschaftet, daß sie beinahe zusammengebrochen sind. Bei dieser Größe bestehen die Bestände fast nur aus Jungfischen; die meisten können sich nicht fortpflanzen. Die Bestände sind dauernd vom Zusammenbruch bedroht, weil sie halt an der Grenze dazu gehalten werden. Infolgedessen sind auch einige Bestände wie der Kabeljau in der Nordsee doch noch zusammengebrochen. Der Hering in der Nordsee ist auch zusammengebrochen, hat sich danach zum Glück wieder erholt. Da war also ein falscher Richtwert als Grundlage für die Fangquoten genommen worden. Der soll nun durch den Richtwert MSY, den Maximum Sustainable Yield, den maximalen Dauerertrag, ersetzt werden, was ich für einen Schritt in die richtige Richtung halte. Ein anderes Problem bestand darin, daß durch Subventionen die Flotten viel zu groß gehalten wurden. Aber das Hauptproblem war wirklich der falsche Richtwert, denn solange die Bestände groß genug sind, ist es relativ egal, ob die Fische von zehn oder hundert Schiffen gefangen werden. Solange nur die richtige Menge eingefahren wird und der Bestand die nötige Größe hat, ist das egal. Das ist vielleicht unökonomisch, aber von der Biologie her wäre das egal.

SB: Was das Problem der falschen Subventionierung betrifft, scheint es der Fall zu sein, daß die EU zwecks Maximierung des Fangs hauptsächlich den Bau größerer Schiffe auf Kosten der kleineren Boote und der sogenannten handwerklichen Fischerei gefördert hat. Würden Sie dem zustimmen?

RF: Ja, aber das ist ein Nebenkriegsschauplatz. Das übergeordnete Problem ist, daß die Bestände zu klein geworden sind und eine bestimmte Größe, die für den langfristigen Erhalt erforderlich ist, unterschritten wurde. Sind die Bestände groß genug, können große und kleine Boote sie befischen. Zusammengenommen dürfen sie aber nicht mehr rausnehmen als diese 20 Prozent, von denen ich auf der Veranstaltung sprach. Das ist die maximale Menge, die man im Durchschnitt bezogen auf die meisten Bestände rausnehmen darf, will man deren langfristiges Überleben garantieren.

SB: Also auf den Bestand kommt es an.

RF: Auf den Bestand kommt es an und wieviel von dem wir pro Jahr rausnehmen. In Wirklichkeit wird meistens um die 60 Prozent rausgenommen. Das eingetretene Ergebnis ist etwas, das jedes Schulkind ausrechnen könnte.

SB: Dr. Froese, vielen Dank für Ihre Erläuterungen.

Fußnote:
[1] BERICHT/023: Fischfang in der Krise - Diskussion in Kiel (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0023.html

Eingang des Kieler Landtages - Foto: © 2012 by Schattenblick

Parlamentssitz des Landes Schleswig-Holstein
Foto: © 2012 by Schattenblick

10. September 2012