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INTERVIEW/018: Lili Fuhr zu Emissionshandel, schädlichen Subventionen und Rio+20 (SB)


Interview mit Lili Fuhr am 31.5.2012 in der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin



Seit September 2008 leitet Lili Fuhr das Referat für Internationale Umweltpolitik der Heinrich-Böll-Stiftung mit den Arbeitsschwerpunkten internationale Klima- und Ressourcenpolitik. Die Diplom-Geographin hat sich während ihres Studiums in Köln, Tübingen, Straßburg und Berlin neben Geographie auch mit Politikwissenschaft, Soziologie und Afrikanistik befaßt. Auf dem Pressebriefing zum bevorstehenden Erdgipfel in Rio de Janeiro am 31. Mai 2012 "Grüne Ökonomie: Wunderwaffe oder Wolf im Schafspelz?" hielt sie einen Vortrag über den "Stand der Verhandlungen im Vorfeld des Erdgipfels in Rio de Janeiro". Im Anschluß an die Presseveranstaltung war sie bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten. [1]

Lili Fuhr - Foto: © 2012 by Schattenblick

Lili Fuhr, Leiterin des Referats Internationale Unmweltpolitik der Heinrich-Böll-Stiftung
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ist der Emissionshandel der Europäischen Union bereits ein Auslaufmodell, bevor er nach Kopenhagen überhaupt richtig Fahrt aufgenommen hat?

Lili Fuhr (LF): Ich glaube, er steht zumindest am Scheideweg. Der Emissionshandel wurde aber nicht als Auslaufmodell angelegt, sondern in Durban wurde im Gegenteil ja noch mal beschlossen, daß nun weitere Marktmechanismen auf den Weg gebracht werden sollen und mehr. Es ist ein Modell, das - jedenfalls in der Theorie - grundsätzlich weiter ausgebaut werden soll, und für das sich ganz viele Akteure in die Bresche werfen, um - nicht nur für CO2, sondern letztlich auch für andere Ressourcen -, entsprechende Märkte anzulegen. So gesehen ist es kein Auslaufmodell, aber gleichzeitig müssen wir in der Praxis erkennen, daß der europäische Emissionshandel durch fehlende Regulierung, also Caps [2], die nicht streng genug sind, Regeln, die nicht konsequent genug eingehalten werden, und dem ganzen "Offsetting"- Bereich [3], einfach an seine Grenzen stößt und auch als Klimaschutzinstrument nicht mehr funktioniert. Also muß man sich fragen, liegt das an der fehlenden Regulierung oder daran, daß es im Grunde das falsche Instrument ist - und daran scheiden sich gerade die Geister. Immerhin wird diese Debatte jetzt seit Jahren wieder ernsthaft geführt.

SB: Im Jahr 2010 wurden weltweit 30,6 Gigatonnen CO2 emittiert. Das ist bis zu einem Drittel mehr, als vom Weltklimarat zum Schutz des Klimas empfohlen wird. Müßte die Menschheit nicht zu sehr viel radikaleren Maßnahmen im Kampf gegen die Erderwärmung greifen, als nun eine "Grüne Ökonomie" aufzubauen?

LF: Ja, die Antwort ist definitiv: Ja! Allein wenn man einmal die emissionsbezogenen Herausforderungen für den Bereich des Klimaschutzes anschaut, ist das schon so. Vergleicht man, was die Herausforderungen sind, was wir uns theoretisch vornehmen und welche Maßnahmen wir schließlich implementieren, ist das ein Witz. Ich habe ja in meinem Vortrag vorhin [1] erklärt, was die Initiative 'Sustainable Energy for All' tatsächlich einbringt. Da sollen wir jetzt bejubeln, daß der Anteil erneuerbarer Energien am globalen Energiemix verdoppelt wird, bis 2030. Das klingt toll, ist aber ein Witz. Das ist kein Ziel, das annähernd dem entspricht, was wir tun müssen.

SB: Sie sprachen in Ihrem Vortrag auch über die freiwillige Verpflichtung, die Mutter Erde als einen Wert anzuerkennen. Dafür hat sich die bolivianische Regierung stark gemacht. Nun ist das ja erst mal ein Begriff, der mit unserem Sprachgebrauch und unseren westlichen Denkgewohnheiten wenig zu tun hat. Welchen Wert können Sie darin erkennen oder was könnte diese Ergänzung für uns und für die westliche Lebensweise bedeuten?

LF: Für mich heißt das, daß man sich durch den Gebrauch dieser Terminologie noch mal klarmachen kann, daß die Natur, unsere Umwelt, natürliche Ressourcen noch einen Wert über das hinaus haben, wofür wir sie ökonomisch nutzen. Das kann man natürlich mystisch glorifizieren. Man kann aber auch einfach sagen, dabei geht es um eine kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit. So drücken das ja auch einige aus. Und diese Dimension, in der es darum geht, daß die Dinge eine noch ganz andere Bedeutung für uns Menschen haben und deswegen auch das Recht haben, um ihrer selbst Willen geschützt zu werden, fehlt quasi in Rio+20. Also ich glaube, wir kämen auch ohne so einen Begriff aus, wenn wir es ernst nehmen würden, die Menschenrechte zu schützen. Wenn wir das wirklich durchbuchstabierten, dann würden wir auch entsprechende Umweltschutzmaßnahmen ergreifen, um das gleiche zu ermöglichen. Aber so ist der Begriff "Mutter Erde" ein Konzept, das uns hilft, diesen Gedanken noch mal zu unterstützen. Und so würde ich es nutzen.

SB: Die 56 Vorschläge in der Roadmap zu Rio 20 der UN sind ja nicht so konkret ausformuliert wie versprochen. Zwar schreiben die Autoren, was für die grüne Wirtschaft grundlegend umgebaut werden muß, doch wie müßte das Ihrer Meinung nach im einzelnen aussehen und wie könnte es erreicht werden?

LF: Gute Frage. Ich glaube schon, daß es ein paar größere Hebel gibt, die man umlegen könnte. Nur ein paar Beispiele: So müßte man wirklich ernsthaft und nicht nur rhetorisch alle schädlichen Subventionen abbauen. Dazu haben sich inzwischen sogar 135 Regierungen in verschiedenen Gremien bekannt, von der UNFCCC [4] über Rio bis hin zu G 20 und so weiter. Das heißt, da ist einiges auf dem Weg. Aber das tatsächlich auch umzusetzen, meßbar zu machen, ein Berichtswesen dafür zu schaffen und so weiter, das wären Ansätze, die das System grundsätzlich verändern würden.

Darüber hinaus unterscheiden wir immer zwischen innerhalb des Systems oder außerhalb. Also ich glaube, wenn man manche größeren Hebel umlegt, katapultieren wir uns eigentlich schon aus dem System heraus, oder verändern das System bereits so stark, daß man gar nicht mehr unterscheiden kann, sind wir noch drinnen oder schon draußen. Momentan gibt es - zwar nicht direkt im Umweltbereich, obwohl durchaus mit einem "Link" dazu - eine sehr wichtige Initiative im Bereich Rohstoffe, in der auf EU-Ebene nach dem Vorbild eines US-amerikanischen Gesetzesvorhabens eine Transparenzrichtlinie diskutiert wird, mit der an europäischen Börsen notierte Rohstoffkonzerne dazu verpflichtet werden sollen, ihre länderbezogenen und projektbezogenen Zahlungen offenzulegen. Wenn wir darüber Transparenz erhalten, was Rohstoffkonzerne projektbasiert an wen und in welches Land zahlen, würde das unsere Rohstofflandschaft und die Arbeit von extraktiven Industrien beziehungsweise das Fördern von fossilen Energien grundlegend ändern. Das wäre eine ganz andere Art von demokratischer Kontrolle, als es Rechenschaftsberichte und so weiter ermöglichen könnten. Für mich würde das auch Teil eines Umdenkens bedeuten, hin zu Governancestrukturen, die wir nämlich für die Green Economy dringend brauchen.

SB: Diese projektbasierten Finanzspritzen durch private Unternehmen oder Konzerne würde man aber nicht zu den "schädlichen Subventionen" zählen? Hierbei geht es doch im wesentlichen um Korruption oder wie sollte man das sonst nennen?

LF: Ja, die Transparenzrichtlinie soll letztlich der Korruptionsbekämpfung dienen. Eine Folge dieser korrupten Praxis ist natürlich, daß wir Entwicklungsmodelle in vielen rohstoffreichen Ländern verfolgen, die keineswegs ökologisch sind. Und dem wird durch eine vollkommen andere Governancestruktur ein Riegel vorgelegt.

Wieder etwas anderes - das habe ich vorhin auch erwähnt - ist der Mechanismus zur Technikbewertung. Also nicht nur die Folgenabschätzung, sondern eine ganz fundamentale Technikbewertung nach ökologischen, nach sozialen und nach Menschenrechtskriterien wäre im Vorfeld auch etwas, was die Spielregeln grundlegend verändern würde. Ich glaube, über solche Dinge sollten wir nachdenken.

SB: Wenn Sie von "allen" schädlichen Subventionen sprechen, an welche anderen, als die für fossile Energien, denken Sie da?

LF: Im Agrarbereich gibt es einige Subventionen, die sehr schädlich sind. Zum Beispiel hier in der EU-Agrarpolitik die Praxis, Produkte so zu schädigen, also quasi so zu subventionieren, daß wir sie für Spottpreise auf den afrikanischen Markt bringen können und damit dort kleinbäuerliche Strukturen, also lokale Strukturen, zerstören.

SB: Von gewissen Schleichpfaden abgesehen, auf denen man immer noch große Mengen von Geflügel- oder Schweinefleischresten oder -abfall zu Dumpingpreisen nach Westafrika oder Ghana exportiert [5], werden diese Subventionen allerdings bereits abgebaut, wie zu hören war.

LF: Ja, da hat sich bereits was geändert.

SB: Gibt es schon Pläne oder konkretere Vorstellungen, wie die auf diese Weise eingesparten Subventionen anders genutzt werden könnten? Gibt es da irgendwelche Vorhaben oder Projekte, wie man das Geld dann vielleicht den ärmeren Menschen wieder zukommen läßt, die dann höhere Treibstoff- oder Lebensmittelpreise bezahlen müssen?

LF: Es gibt ganz viele Ideen, was alles gerade mit diesen Geldern finanziert werden müßte - von Entwicklungsfinanzierung über Klimafinanzierung, Klimaanpassung, Klimaschutzanpassungen, Waldschutz usw. Da die richtigen Prioritäten zu setzen, ist ja auch noch mal schwierig. Grundsätzlich vertritt man im Moment die Logik, wir müßten mit den knappen öffentlichen Geldern Privatsektorkapital hebeln, was dann die entsprechende Wirkung entfaltet. Diese "Denke" finde ich ganz grundsätzlich falsch.

Eigentlich müßten wir zunächst mal fragen: Geht es um zusätzliche Investitionen? - Nein. Es geht grundsätzlich darum, "wie" wir investieren. Grüne Investition muß nicht zusätzlich sein, sondern wir müssen einfach grundsätzlich anders investieren. Und dann müssen wir uns überlegen, warum wir denn so wenig Geld in öffentlichen Kassen haben? Auch das wäre eines der Paradigmen, an denen wir arbeiten, und das wir eigentlich mal ändern müßten: Wie kriegen wir mehr Geld in die Kassen und dadurch die demokratische Kontrolle zurück über bestimmte Prozesse?

Wenn wir daran gearbeitet haben, kann man erst danach fragen, wie können wir Mechanismen kreieren, die gewährleisten, daß der Einsatz von Privatsektorkapital, unterstützt durch öffentliche Finanzen, tatsächlich auch den Entwicklungs-Benefit oder den ökologischen Benefit [6] hat. Wie gewährleisten wir, daß da Transparenz herrscht oder Kriterien verbindlich angewendet werden und so weiter. Aber in diese Richtung läuft die Debatte überhaupt nicht.

SB: Was erwarten sie persönlich vom Rio+20-Gipfel?

LF: Ich persönlich erwarte vor allem spannende Debatten. Viel mehr nicht. Ich freue mich auf die Debatten rund um Rio. Also ich wäre letztlich froh, wenn wir irgendwie eine kleine Aufwertung von UNEP [7] als konkretes Ergebnis bekommen und keinen vollkommen hilflos verlorenen Ablenkungsprozeß, der unverbindliche, nichtssagende Sustainable Development Goals verabschiedet. Ich erwarte aber schon rund um Rio spannende Debatten darüber, wie wir Grüne Ökonomie definieren, was die Potentiale sind, wo die Risiken liegen und wie die Chancen für zivilgesellschaftliches Engagement aussehen. Es gab einfach so lange keinen Ort außerhalb der reinen Klimaszene, in dem Zivilgesellschaft in dieser großen Breite zu diesen Themen zusammengekommen ist. Deshalb ist es auch schade, daß es ein ziemlich brasilienlastiges Treffen werden wird mit nur wenig internationaler Beteiligung. Das ist aber angesichts der geringen Erwartung auch gut zu verstehen.

SB: Hat der Erdgipfel in Rio ein bißchen den Charakter des Weltsozialforums [8] angenommen?

LF: Darüber wurde in der Vorbereitung des Gipfels der Völker tatsächlich ziemlich gestritten, ob das jetzt ein Weltsozialforum wird oder nicht. Also, es gibt da starke Fraktionen in der Weltsozialforumsbewegung, aber insgesamt besteht doch der Anspruch, sehr viel gezielter auf eine gemeinsame Position hinzuarbeiten und etwas zu produzieren, als das ein Weltsozialforum im Charakter tun würde.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Anmerkungen:

[1] Einen Bericht zur Pressekonferenz der Heinrich-Böll-Stiftung zu Rio+20 und Interviews mit Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung sowie mit Thomas Fatheuer, freier Autor und Berater können Sie hier lesen:
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0015.html
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0017.html
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0016.html

[2] Hier wird auf den Emissionsrechtehandel (englisch: "Cap and Trade") Bezug genommen, bei dem für das gesamte Handelssystem eine bestimmte Höchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen festgelegt wird, die sukzessive gesenkt werden soll. Trade bedeutet, daß der Handel mit sogenannten Emissions-Zertifikaten erlaubt ist und offen bleibt, wo die Emissionen vermieden werden. D.h. die verpflichteten Unternehmen können über ihr Cap hinaus emittieren, wenn sie hierfür Emissionsrechte halten.

[3] Offsetting, eingedeutscht aus dem englischen "Carbon offsetting" (deutsch: freiwillige Kompensation) - bei dem unvermeidliche CO2-Emissionen von Enzelpersonen, Unternehmen oder Organisationen durch die finanzielle Förderung von Klimaschutzprojekten kompensiert werden sollen, ohne daß sie hierzu verpflichtet wären.

[4] Die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (englisch: UNFCCC United Nations Framework Convention on Climate Change) ist ein internationales Umweltabkommen mit dem Ziel, die globale Erderwärmung zu verlangsamen sowie ihre Folgen zu mildern.

[5] Mehr zum Thema Massentierhaltung und subventionierte Überproduktion der EU, die den afrikanischen Markt durch Hühnerreste-Export kaputt macht, findet man im Schattenblick:
www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0002.html
www.schattenblick.de/infopool/politik/ausland/paafr827.html
weitere Links hierzu über die Webseite:
http://dokumente-u-kritischer-beobachtung.blogspot.de/2011/11/auch-deutschland-exportiert-weiterhin.html

[6] neudeutsch: "Benefit" für "Nutzen, Vorteil"

[7] UNEP - United Nations Environment Programme (Umweltprogramm der Vereinten Nationen), siehe hierzu auch [1]

[8] Alle zwei Jahre findet das Weltsozialforum statt, das sich als offenes Forum der Diskussion und Verständigung von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen versteht. Quasi als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos konzipiert, soll das Weltsozialforum einen offenen Raum für soziale Bewegungen bieten, um sich zu treffen, zu diskutieren und Strategien für eine Welt zu entwerfen.

Lili Fuhr und SB-Redakteur in der Caféteria der Heinrich-Böll-Stiftung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Lili Fuhr im Gespräch mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

17. Juni 2012