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INTERVIEW/002: Niels Feldmann, Projektleiter der Changing Oceans Expedition (SB)


Interview mit Niels Feldmann, Projektleiter der Changing Oceans Expedition, am 6. August 2010 in Bremerhaven


Der Zustand der Ozeane verändert sich fundamental. Nur zögerlich macht sich die Öffentlichkeit bewußt, daß menschliche Aktivitäten nicht nur die Zusammensetzung der Erdatmosphäre beeinflussen, was zur globalen Erwärmung führt und gemeinhin unter dem Stichwort Klimawandel abgehandelt wird, sondern daß auch die Weltmeere einem massiven Wandel unterworfen sind, der sich wiederum negativ auf die globalen Überlebensvoraussetzungen auswirkt. Als die Schweizer Antinea Foundation am 6. August 2010 im Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven ihr auf zehn Jahre anberaumtes Projekt, die Changing Oceans Expedition, vorstellte und zu einem Besuch auf das im Neuen Hafen liegende Segelschiff "Fleur de Passion" einlud, erhielt die Schattenblick-Redaktion die Gelegenheit, an Bord mit der Crew zu sprechen und ein längeres Interview mit dem Projektleiter der Expedition, Niels Feldmann, zu Aktivitäten und Zielen der Antinea Foundation sowie zu allgemeinen meeresökologischen Fragen zu führen.

[Den Report zu der Pressekonferenz im Deutschen Schiffahrtsmuseum und dem Besuch auf der "Fleur des Passion" finden Sie im Infopool unter UMWELT -> REPORT -> BERICHT -> BERICHT/002: Changing Oceans Expedition am 6.8.2010 in Bremerhaven (SB)]

Namensschild 'Fleur de Passion' - © 2010 by Schattenblick

'Fleur de Passion' - Passionsblume
oder Blume der Leidenschaft
© 2010 by Schattenblick

Schattenblick: Sie haben erklärt, daß Sie politische Entscheidungsträger zu Ihrer Arbeit ansprechen wollen. Welche Resonanz haben Sie bisher von dieser Seite mit Ihrem Projekt erfahren?

Niels Feldmann: Dadurch daß wir die Schirmherrschaft von der Unesco bekommen haben, ist das einerseits erstmal eine Resonanz. Die andere Resonanz besteht darin, daß wir vor zwei, drei Jahren hier eine entsprechende Unterstützung durch den damaligen EU-Kommissar Joe Borg erfahren haben, der uns eingeladen hatte, den Maritimen Tag am 20. Mai in Brüssel auszugestalten. Das war schon eine recht gute Resonanz. Ansonsten sind wir keine Organisation, die politische Aktionen macht. Wir laden in der Regel eher Leute ans Schiff, wenn ein Empfang an Bord ist, und da ist die Resonanz im Großen und Ganzen recht gut.

SB: Haben Sie schon mal politische Schwierigkeiten bekommen, in dem Sinne, daß die Behörden oder Hafenbehörden nicht so positiv auf das Schiff reagiert haben?

NF: Bis jetzt nicht, nein, überhaupt nicht. Wir haben aber auch keinen konfrontierenden Ansatz, wir sind rein integrierend. Für uns ist das Interesse willkommen. Jeder Beitrag ist uns sehr lieb, und Forschen in Verbindung mit Jugendarbeit ist in der Regel nicht zu konfliktbelastet.

Spitzkegelige Plakatfläche am Kai neben der 'Fleur de Passion' - © 2010 by Schattenblick

Gemeinsam Handeln - das Motto der Changing Oceans Expedition
© 2010 by Schattenblick

SB: Kürzlich hatte eine Meeresforscherin, die am Marinezensus beteiligt war, in einem wissenschaftlichen Artikel geschrieben, sie hätte zu ihrem Entsetzen festgestellt, daß kein einziger Meeresboden, den sie untersucht hat, ohne Zivilisationsmüll gewesen war. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?

NF: Ja, wir haben selbst in den Gebieten in der Ostsee, von wo wir das nicht erwartet haben, einiges an Müll gefunden. Auch im Mittelmeer, wo wir letztes Jahr waren, sieht man immer wieder Müll. Ich war jetzt nicht persönlich bei allen Expeditionen dabei, kann also nicht sagen, daß jetzt wirklich überall Müll war. Aber im großen Ganzen - ich bin selbst Taucher - sieht man es schon recht häufig. Natürlich gibt es entlegene Gebiete, in denen man keinen oder wenig Müll trifft. Aber normalerweise sieht man schon etwas.

SB: Welche konkreten Vorteile bringt die Schirmherrschaft der Unesco für Sie? Verstehe ich das richtig, daß das gewissermaßen ein Türöffner ist?

NF: Sie hat mehrere Vorteile. Einerseits ist sie ein Gütesiegel, ein Türöffner. Aber wir stehen auch mit dem marinen Programm der Unesco in Kontakt. Es gibt weltweit gar nicht so viele Weltnaturerben, die mariner Natur sind. Und darauf richtet die Unesco in den nächsten Jahren ihren Fokus. Wir werden jetzt im Wattenmeer für die Leiterin des Programms eine etwa fünfminütige Kurzreportage erstellen, die im September auf der Expo in Schanghai gezeigt wird, zu der unser Direktor eingeladen wurde. Darin werden wir kurz unser Programm vorstellen. Im Mai waren wir auch bei Veranstaltungen der Unesco in Paris eingeladen. Das sind schon Vorteile.

SB: Wenn Sie jetzt in verschiedenen Feldern aktiv sind - Öffentlichkeitsarbeit, Wissenschaft und Sozialpädagogik -, besteht da nicht die Gefahr, daß der wissenschaftliche Anspruch ins Hintertreffen gerät angesichts der systematischen Arbeit, die in der Ozeanographie und anderen Wissenschaften normalerweise gefordert ist?

NF: Nein, nicht wirklich. Der Unterschied ist, daß wir das nicht selber machen. Wir sind eine Plattform. Wir laden Wissenschaftler zu all den Gebieten ein.

SB: Bedeutet das, daß die Meeresforscher ihre eigenen wissenschaftlichen Geräte und Experimentanordnungen mit an Bord bringen, wodurch dann die Wissenschaftlichkeit der Forschung gewährleistet wird?

NF: Richtig. Wir selbst betreiben ganz eingeschränkte Forschung. Ich hatte vorhin das Beispiel mit dem Plastikmüll erwähnt. Da sitzt dann einer auf der Reling, und guckt ins Wasser rein. So etwas machen wir nach Anleitung von Wissenschaftlern. Alle anderen wissenschaftlichen Programme werden von denen selbst organisiert. Das sind in der Regel Programme, die über längere Zeit laufen und auch nicht nur bei uns an Bord. Das sind anerkannte Wissenschaftler. Darauf achten wir natürlich, daß das eine saubere Studie ist. Wir selbst haben nicht die Kapazität, um die Welt zu verändern. Uns geht es darum, einen kleinen Beitrag zu leisten für bestehende Programme, die nicht die Möglichkeiten haben, auf See zu gehen.

An Bord der 'Fleur de Passion' - © 2010 by Schattenblick

An Bord der 'Fleur de Passion'
© 2010 by Schattenblick
SB: Könnte es Aufträge geben, die Sie ablehnen? Von denen Sie sagen, daß Sie sie für unethisch halten oder nicht im Sinne des Meeresschutzes?

NF: Zunächstmal ist unsere Richtlinie unser Stiftungsauftrag. Wir sind gemeinnützig und laden ein. Das ist ja nicht so, daß die Leute bezahlen und sich das Boot mieten. Und wir wählen natürlich nach dem Zusammenspiel aus von dem, was der Wissenschaftler machen möchte, und unserer Ausrichtung. Das begrenzt schon mal sehr stark. Ehrlich gesagt, fällt mir jetzt kein Beispiel in diesem Umfeld ein, das ethisch fragwürdig ist. Das ist mir bis jetzt noch nie untergekommen.

SB: Wenn jetzt beispielsweise ein Pharmaunternehmen sagt, daß es an bestimmten Korallenarten interessiert ist, weil es die Wirkstoffe verwerten will, könnte es da nicht auch ethische Bedenken geben, weil das nichts mehr mit Meeresschutz zu tun hat?

NF: Wir beschränken uns auf Meeresschutzgebiete, Marine Protected Areas. Alle Forschung, die darin betrieben wird, ist in der Regel nicht kommerziell ausgerichtet.

SB: Waren Sie auch am Marinezensus beteiligt, der in diesem Jahr ausläuft?

NF: Nein. Dazu sind wir zu spät ins Leben gestartet. (lacht)

SB: Das Meer ist ja eigentlich, so sagt man, grenzenlos. Es gibt einen ständigen Wasseraustausch. Wie kann man ein Meeresschutzgebiet begrenzen? Ein aktuelles Beispiel ist der Golf von Mexiko. Da wird ja befürchtet, daß das Öl aus dem Golf irgendwann hier landet. Welches Schutzgebiet kann das überstehen?

NF: Das ist richtig, nichtsdestotrotz ist das Instrument "Schutzgebiet" als solches anerkannt. Was macht ein Schutzgebiet aus? Ich kann die Stressoren, die Elemente im Schutzgebiet, auf die ich keinen Einfluß habe, nicht entfernen. Ich kann aber sehr wohl für die Organismen, die in einem Schutzgebiet leben, sonstige Stressoren vermeiden, was die Chancen des Überlebens erhöht. Wenn der Ozean versauert, dann kann ich dagegen nichts tun, auch mit einem Schutzgebiet nicht. Aber in meinem lokal begrenzten Rahmen kann ich sehr wohl schauen, daß da vielleicht die Fischerei weniger aktiv ist, daß dort keine Gifte eingeleitet werden, daß der Tourismus weniger wird. Ich kann einfach Stress für die Organismen rausziehen.

SB: Inwieweit haben Sie Einfluß darauf, etwas zu ändern, beispielsweise hinsichtlich des Lärmschutzes, von dem auf der Website der Antinea Foundation berichtet wird?

NF: Das ist begrenzt, realistisch gesehen. Wir unterstützen entsprechende Untersuchungen, und wir laden zu Gesprächen ein. Wenn man jetzt dauerhaften Einfluß nehmen wollte, müßte man sich auf noch wesentlich weniger Themen und die dann über mehrere Jahre fokussieren. Wir können in dem Sinne nur als Katalysator funktionieren, so ist auch unser Plattformprojekt angelegt. Wir laden uns ja immer die Wissenschaftler oder die Organisationen ein, die das Thema dann jeweils über mehrere Jahre betreiben. Wir laden dann vielleicht auch in einer Region einen Nationalparkmanager, einen Fischereiverantwortlichen, einen Tourismusmanager abends zum Empfang an Bord ein, um das Thema noch mal irgendwie zu befeuern. Wir können dem Thema nicht auf Dauer nachgehen. Das - nur im eingegrenzten Rahmen und da, wo wir es tun, geht es uns darum, es generell bekannter zu machen - ist die Bedeutung und Funktionsweise von Schutzgebieten und die Wichtigkeit.

Mast von unten, mit Partner-Flaggen der 'Fleur de Passion' - © 2010 by Schattenblick

Partner-Flaggen der 'Fleur de Passion'
© 2010 by Schattenblick
SB: Kommen Ihnen manchmal auch Zweifel, ob das überhaupt einen Sinn macht, was Sie tun? Wenn Sie zum Beispiel in der Ostsee waren, die toten Zonen sehen und diese dann vielleicht auch zählen oder genauer kartieren, haben Sie nicht manchmal das Gefühl, daß das ein zu dickes Problem ist, um überhaupt etwas machen zu können?

NF: Wenn da nicht die Hoffnung wäre, etwas ändern zu können, würden wir das nicht machen. Daß wir alleine nicht viel bewegen können, das ist uns auch klar. Wir leisten einen Beitrag, das ist uns wichtig. Leute zu interessieren, zu begeistern, heranzuführen an das Thema und auch einen Beitrag zu leisten zu handfesten Dingen, das ist mir ganz persönlich wichtig, deswegen engagiere ich mich auch hier. Ich könnte jetzt auch sagen, ich mache reine Öffentlichkeitsarbeit, in einem rein politischen Umfeld. Aber es gibt dieses schöne Zitat von Kästner: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." - "Action speaks louder than words" auf Englisch - und das finde ich wiederum sehr wichtig, daß man außer dem, darüber zu sprechen, auch etwas mit eigenen Händen tun und etwas unterstützen kann. Das ist ein schönes Erlebnis.

SB: Wenn Sie mit Jugendlichen zusammengearbeitet haben, sind Sie dann auch an Bord oder sind das dann die Betreuer?

NF: Unterschiedlich, aber ich bin auch schon mal an Bord.

SB: Da entstehen ja auch Kontakte, und man lernt die Menschen kennen, hat vielleicht auch einen Blick für die Nöte von Jugendlichen heutzutage. Entstehen daraus weitere Kontakte, oder kann man sagen, daß das nach zwei Wochen vorbei ist und dann kommen die nächsten?

NF: Erst gestern abend waren Jugendliche an Bord, und es gibt ja das schöne Medium Facebook. Wir haben eine Facebook-Expeditionsseite. Da habe ich meinen Computer zur Verfügung gestellt, und weil ich an dem Abend prompt das Gruppenbild auf Facebook eingestellt hatte, waren die alle erstmal am gucken gewesen. Auf diese Art und Weise halte ich schon Kontakt. Wir werden mit den Jugendlichen, die dieses Jahr an Bord waren - das waren viele aus der südlichen Schweiz -, im Herbst mit denen vielleicht noch mal ein Treffen organisieren in der Schweiz. Die kennen sich untereinander nicht, die kennen nur uns. Die waren ungefähr alle eine Altersklasse und haben die gleiche Erfahrung gemacht, stammen aber aus unterschiedlichen Umfeldern. Die Idee, daß wir die vielleicht mal zusammenbringen, kam gestern abend auf.

Blick aufs Vordeck der 'Fleur de Passion' - © 2010 by Schattenblick

An Deck hat alles seinen festen Platz
© 2010 by Schattenblick
SB: Mit unserer Frage wollten wir die Problematik ansprechen, daß die Jugendlichen zwei Wochen lang eine womöglich phantastische Freizeit erleben und dann wieder in ihre Milieus zurückgeschickt werden. Gibt es da weitere Kontaktmöglichkeiten?

NF: Ich hoffe, daß das nicht eine zweiwöchige Freizeit ist. Dann würde eigentlich was falsch laufen. Weil die Jugendlichen hier schon etwas lernen. Wenn man mit einem Boot auf See und mal ein paar Wochen oder mehrere Tage einmal nicht an Land war und merkt, wie sehr man aufeinander angewiesen ist, was es heißt, in verschiedenen Schichten zu arbeiten oder auch mal unters Wasser zu gucken, die Angelrute einmal auszuwerfen und zu gucken, daß man meistens gar nichts mehr fängt, daß also die Meere tatsächlich leer sind - das sind Erfahrungen, die nehmen die jungen Leute mit. Das geht für mich weit über das Thema Freizeit an Bord hinaus. Und ich glaube auch, daß so etwas in das normale Umfeld mitgenommen wird. Die Jugendlichen erleben einfach mal ein anderes Metier.

Außerdem erleben sie hier, daß da sehr viel leidenschaftliche Arbeit an Bord ist. Denn die meisten hier werden entweder kaum oder gar nicht bezahlt. Das ist etwas, was sie in ihrem normalen Umfeld nicht erleben. Großartige Leistungen gehen nicht ohne Leidenschaft, sei es in einem Unternehmen oder woanders. Da ist immer ein sehr starker innerer Antrieb und allein der ist, glaube ich, für die meisten Jugendlichen sehr inspirierend. Es ist immer wieder schön zu sehen: Am Anfang sind natürlich immer alle etwas unsicher, ob sie jetzt wirklich helfen sollen und so. Nach wenigen Tagen ist es ihr Schiff!

SB: Klappt das mit der Crew dann gut?

NF: Oh, ja! Da haben wir gute Erfahrung gemacht. Das sind ja auch ein paar Charaktere hier an Bord, aber alle sind sehr, sehr nett.

SB: Eine Frage habe ich zum Sponsor. Cargill, ihr Hauptsponsor, ist in der Umweltbewegung nicht unbedingt eine Lieblingsfirma. Cargill befördert pro Jahr 186 Millionen Tonnen Schüttgut über die Ozeane und benutzt die Ozeane somit als Verkehrsweg. Ist das ein Problem für Sie mit Ihrem Anspruch des Natur- und Umweltschutzes?

NF: Also, Probleme habe ich bis jetzt nicht erfahren, im Gegenteil. Wir haben Kontakte zu Cargills Europamanagement in der Schweiz und werden dort insbesondere von der Ocean Transportation unterstützt. Ich habe in den Gesprächen eher ein großes Bewußtsein dafür erfahren, daß man ein schwerwiegender Nutzer der Ozeane ist. Ich weiß auch, daß man sich sehr bewußt werden möchte, welche Faktoren der Schiffahrt einen besonderen, schwerwiegenden Einfluß haben. Das hat den Hintergrund, daß, wenn man jetzt in die Bestellung neuer Schiffe geht, neue Schiffe least, was ja bei Cargill regelmäßig gemacht - die haben eine große Flotte, wie Sie sagten -, es bestimmte Budgets und bestimmte Schwerpunkte gibt, die man bei der Auftragsvergabe auf Umweltaspekte setzt, um über diesen Bereich mehr zu erfahren. Ist es das Ballastwasser? Ist es der Anstrich? - irgendwo ist ja jede Ressource und das Geld begrenzt - und wofür investiere ich es? Daran besteht ein sehr großes Interesse.

Zudem besteht bei Cargill das Interesse, die eigenen Mitarbeiter in entsprechende Projekte hineinzubringen. Wir haben hier regelmäßig Cargill-Mitarbeiter, die dann für ein, zwei Wochen an Bord sind. Ich hab jetzt vor drei, vier Tagen gerade in Hamburg eine Cargill-Gruppe an Bord gehabt - ich glaube KS Council hießen die. Das sind Leute, die unter Cargill arbeiten, aber sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich in Umweltthemen engagieren. Das wird gefördert. Und an dieser Stelle, muß ich sagen, bin ich froh für jedes Engagement und jede Beteiligung, die in diese richtige Richtung geht. Auf der anderen Seite habe ich noch nie ein Problem erfahren - ich war auch bei Gesprächen bei Cargill dabei -, ich habe nie erfahren, daß man in irgendeiner Weise versucht hat, ein Thema auszublenden.

SB: Inwiefern nimmt denn Cargill Einfluß auf Inhalte dessen, was Sie machen, oder die Reiseroute?

NF: Inhalte bis jetzt gar nicht. Zur Reiseroute - wir hatten Cargill für dieses Jahr zwei Routen vorgeschlagen. Und nachdem wir im letzten Jahr in einer Region unterwegs waren, wo es nahezu keine Repräsentanzen gab und wir dieses Jahr gesagt haben, wir könnten auch in die Nord- und Ostsee fahren, nach Deutschland und seien 65 Jahre nach Kriegsende das erste Mal wieder hier, das war natürlich schon beliebt. Wenn man sagte, wir sind in Amsterdam, wir sind in Hamburg, wir sind in London, dann könnten wir ja auch mal was vor Ort bei uns machen auf dem Weg hoch - das war natürlich schon beliebt gewesen. Aber daß das jetzt gefordert war? Nein. Man hat sich darüber gefreut.

Skipper Sébastien Schwarz, Maschinist Olivier Aulnette und Logistikerin Caroline Sidler an Bord - © 2010 by Schattenblick

Skipper Sébastien Schwarz, Maschinist Olivier Aulnette
und Logistikerin Caroline Sidler auf der 'Fleur de Passion'
© 2010 by Schattenblick

SB: Neulich wurde berichtet, daß das Meeresplankton seit 1950 weltweit um vierzig Prozent zurückgegangen ist. Dann wurde in den Berichten immer gewarnt, daß das Plankton die Basis der Nahrungskette ist und daß es deswegen Probleme geben könnte. Ein zweiter Aspekt blieb weitgehend unterbelichtet, nämlich daß das Plankton auch fast die Hälfte des atmosphärischen Sauerstoffs freisetzt.

NF: Ja.

SB: Wie kommt es, daß dieser Aspekt nicht größer herausgestellt wird? Man glaubt, daß der Sauerstoffgehalt der Erde konstant immer auf einem relativ konstanten Niveau bleibt, aber das war er erstens erdgeschichtlich nicht und zweitens muß man ja immer sehen, daß es Produzenten und Verbraucher gibt. Jetzt erfahren wir, daß das Meeresplankton als Produzent zu vierzig Prozent verschwunden ist. Wäre der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre nicht ein Thema, von dem man erwarten sollte, daß das von der Umweltbewegung und gerade auch von Meeresökologen besonders nach vorne gebracht werden soll?

NF: Ja, es gibt bestimmt ein Bedrohungspotential. Ich kann das sicherlich nicht besser bewerten als ein Wissenschaftler. Ich bin kein Wissenschaftler in dem Sinne. Die Zahlen, die Sie genannt haben, kann ich bestätigen. Es gibt ein Buch von Herrn Rahmstorf [1] genau zu dem Thema, und er nennt diese Zahlen darin auch. Siebzig Prozent des Sauerstoffs sind ursprünglich einmal von Cyanobakterien geschaffen worden, heute sind es noch ungefähr fünfzig Prozent, die vom Plankton im Meer produziert werden. Das Thema Versauerung der Meere wird auch immer wieder als Angriffsaspekt in Richtung Phytoplankton genannt, was die Kalkschalen angeht.

Wir hatten dazu letztes Jahr auch mal ein Projekt gehabt in Sizilien. In der Nähe des Ätnas gibt es Unterwasserausströmungen, Gasaustritte, die gewissermaßen eine Unterwasserwelt simulieren, wie sie mal in hundert Jahren aussehen könnte, wenn alle schlechten Prognosen eintreten.

SB: Und was haben Sie da gesehen? Wie sah das aus? Haben sich die Meereslebewesen verändert und darauf eingestellt?

NF: Ich selber war nicht operativ dabei, so daß ich Ihnen keine Einzelheiten nennen kann. Das sind aber Forschungen, die wir auch mit unserem Segelschiff machen.

SB: Im vergangenen Jahr wurde in deutschen Kinos der Film "Die Bucht" (engl. Originaltitel: The Cove) von Richard O'Barry gezeigt. Er hatte einen totalen Sinneswandel durchgemacht, weil einmal ein Delphinweibchen in seinen Armen gestorben und er der Meinung war, daß sie Selbstmord gemacht hat, weil sie es nicht aushielt und ein solches Leben nicht mehr wollte. Da hat er sich zum Delphinschützer entwickelt und eben diesen Film gedreht, der davon handelt, daß in einer bestimmten Bucht in Japan mit Lärm Delphine und andere Kleinwale zusammengetrieben ...

NF: Ja, ich kenne die Bilder.

SB: ... und dann für Delphinshows eingefangen werden. Teilweise wurden sie auch abgemetzelt. Die besondere Note bestand darin, daß das Wal- bzw. Delphinfleisch dann an Schulkinder ausgegeben wurde und daß es bleivergiftet ist. Können Sie das nachvollziehen, daß Menschen deswegen die Wut packt und zu radikalen Meeresschützern werden wie zum Beispiel von der Organisation Sea Shepherd?

NF: Es gibt zwei Ansätze im Naturschutz. Es gibt den sicherlich auch notwendigen Ansatz, der in Richtung Aufrütteln geht. Das war gewissermaßen einmal ursprünglich die Aufgabe, die sich Greenpeace in den sechziger Jahren gegeben hat. Das waren alles Journalisten gewesen, welche die Mißstände beobachtet und gesagt haben: Wir klagen an, wir machen es öffentlich. Das ist der eine Weg. Der andere Weg ist der, der klassischerweise dem WWF zugeschrieben wird. Die sagen dann, wir machen auch Öffentlichkeit, aber unser Thema ist primär, Dinge in Projekten vor Ort zu lösen, und dafür investieren wir unser Geld. Wir sind in unserer Ausrichtung tendenziell eher auf der zweiten Schiene.

Halte ich die andere für notwendig? Ja, Mißstände müssen benannt werden. Muß man deshalb radikal werden? Die Grenzen sind fließend. Ich selbst bin kein Freund von ganz radikalen Ansätzen. Also durchaus mal ein polarisierender Artikel, das schon. Das andere ist mir eher etwas suspekt. Da frage ich mich auch, was man am Ende damit erreicht. Man spielt eigentlich die Fronten nur hoch, und in der Regel werden die meisten Dinge letztendlich doch durch ein Zusammenspiel erreicht. Das ist meine ganz persönliche Meinung.

Ich bin jetzt kein Experte im Bereich Walschutz. Aber ich glaube, man wird das Beispiel Japan und Wale nicht lösen, indem man sie immer weiter quasi in die Öffentlichkeit zerrt und anklagt. Zumal es auch gegen die dortige Mentalität spricht. Natürlich stellt es sie schlecht dar, natürlich übt es einen Druck aus. Es ist vielleicht ein Druck, irgendwann auch in andere Verhandlungen einzusteigen. Eine Lösung, glaube ich, wird man auf die Art und Weise dort nicht erzielen. Das ist meine ganz persönliche Meinung, nicht unbedingt die meiner Stiftung. (lacht)

SB: Herzlichen Dank, Herr Feldmann, für das ausführliche Gespräch.


*


Anmerkung:

[1] Prof. Dr. Stefan Rahmstorf, Ozeanograph und Klimawissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

'Fleur de Passion' liegt mit Beiboot im Neuen Hafen von Bremerhaven - © 2010 by Schattenblick

Möge die 'Fleur de Passion' immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel haben
© 2010 by Schattenblick


16. August 2010