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BERICHT/146: Klimawandel - Schaden genug ... (SB)


Positionspapier von VENRO und Klima-Allianz Deutschland sowie weitere klimarelevante Informationsblätter anderer Initiativen - Foto: © 2018 by Schattenblick

Deutschland soll aus dem Klimaabseits geholt werden.
Foto: © 2018 by Schattenblick

Noch ist es möglich, die schlimmsten Folgen der globalen Erwärmung abzuwenden, wenn nur schnellstens in allen gesellschaftlichen Bereichen entschiedene Maßnahmen zur Verringerung des menschlichen Einflusses auf das Klima ergriffen werden. Das betrifft in erster Linie die Vermeidung von anthropogenen Treibhausgasemissionen wie CO₂, das bei der Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) entsteht, und von Emissionen aus der industriellen Landwirtschaft wie Methan (Massentierhaltung von Rindern) und Lachgas (Kunstdünger). Die Bundesregierung müsse einen Plan vorlegen, wie sie ihre eigenen Klimaziele bis 2020 erreichen will, und darüber hinaus ihre Blockadehaltung gegen entsprechende Vorschläge anderer EU-Mitgliedsländer aufgeben, lautet zusammengefaßt die Position von Klima-Allianz Deutschland und VENRO - Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe im Vorfeld des nächsten großen Klimagipfels COP24 im Dezember in Katowice, Polen.

Unter dem Titel "Jedes Zehntelgrad zählt! Gemeinsam handeln!" luden diese beiden Bündnisse am 23. Oktober 2018 zu einer "Konferenz zum Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) zu 1,5 Grad" nach Berlin ein. Jener Sonderbericht war am 8. Oktober 2018 in der südkoreanischen Stadt Incheon der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Darin wird nach Auswertung der gesamten relevanten Fachliteratur im Detail beschrieben, welche gravierenden Unterschiede es hinsichtlich der Klimawandelfolgen (Meeresspiegelanstieg, mehr und heftigere Naturkatastrophen wie Dürren, Überschwemmungen, Wirbelstürme, etc.) macht, ob die globale Erwärmung um 1,5 Grad oder um zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigt. Ersteres ist das Wunsch-, letzteres das Mindestziel des im Dezember 2015 von 196 Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) beschlossenen und am 4. November 2016 in Kraft getretenen Klimaschutzübereinkommens von Paris.

Eröffnet wurde die Konferenz mit der Präsentation des Kurzfilms "Kläger*innen für den Klimaschutz". Menschen unter anderem von der ostfriesischen Insel Langeoog haben vor dem Gericht der Europäischen Union Klage dagegen eingereicht, daß die EU ihrer Ansicht nach zu geringe Klimaschutzziele verfolgt und ihre Lebensgrundlage in Gefahr bringt. Im Anschluß hielten die Konferenzorganisatoren Dr. Christiane Averbeck (Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland) und Hans-Christoph Boppel (VENRO-Vorstand) Begrüßungsansprachen, gefolgt von Martin Jäger, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), mit einem Impulsvortrag zur Klimaschutzpolitik der Bundesregierung.

Der ehemalige Botschafter in Afghanistan, Leiter der Berliner Lobby-Niederlassung von Daimler und Sprecher des früheren Finanzministers Wolfgang Schäuble, gab zu bedenken, daß man nicht immer nur unter sich sprechen sollte, denn hier im Raum seien sich wohl alle über die Notwendigkeit des Klimaschutzes einig. Noch gewichtiger aber sei sein Unbehagen über die globale Entwicklung, denn: "Aus unserer politischen Sicht erleben wir derzeit weltweit einen dramatischen Niedergang der multilateralen Zusammenarbeit, des multilateralen Projekts. Und wenn es eine große, gemeinsam zu lösende multilaterale Aufgabe gibt, dann ist es tatsächlich der Klimaschutz."

Damit hob Jäger darauf ab, daß die von den Nationalstaaten im Pariser Übereinkommen zugesagten Verpflichtungen zum Klimaschutz, die NDCs, auf drei Grad globale Erwärmung hinauslaufen und sich Länder wie die USA und vermutlich demnächst auch Brasilien von internationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz verabschieden. Und das, obgleich es notwendig wäre, noch deutlich über die NDCs hinauszugehen. Wir stecken in einer "Verzweiflungsfalle", kommentierte Jäger das Mißverhältnis zwischen dem, was getan werden muß, um Klimafolgeschäden von zig Millionen Menschen abzuwenden, und der Einstellung mancher Regierungen. Schließlich gehe es um nicht weniger als "um die Zukunft unserer Kinder".

Der Klimawandel gefährde die Entwicklung und drohe, die Erfolge in der Armutsbekämpfung zunichte zu machen, sagte Jäger und prognostizierte unter Bezug auf Angaben der Weltbank, daß bis 2050 mehr als 140 Mio. Menschen ihre Heimat in den Subsaharastaaten, Lateinamerika und Südasien aufgrund des Klimawandels verlassen müßten. Der Referent forderte:

"Es muß uns die Transformation zu nachhaltigem, klimafreundlichen Wirtschaften gelingen. Wir müssen uns als Volkswirtschaft fast neu erfinden. Das ist eine ganz wuchtige Ansage. Ich mache diese Ansage nicht leichtfertig. (...) Da reden wir jetzt hier nicht von Kleinigkeiten. Wir reden von einem wirklich weitreichenden Wandel, der tief in das Leben zahlreicher Familien eingreifen wird und im Einzelfall auch Existenzen in Frage stellt."


Beim Vortrag - Foto: © 2018 by Schattenblick

"Es ist gut, daß es diese Veranstaltung gibt."
(Martin Jäger, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 23. Oktober 2018, Berlin)
Foto: © 2018 by Schattenblick

Alles in allem sieht Jäger die Bundesregierung auf richtigem Kurs. Über die Finanztransfers des Grünen Klimafonds (GCF - Green Climate Fund) und die Kooperation mit 36 Entwicklungsländern im Rahmen von NDC-Partnerschaften sowie durch die Etablierung einer Klimarisikoversicherung (InsuResilience-Initiative), über die bis 2020 zusätzlich 400 Millionen Menschen gegen Klimarisiken versichert werden sollen, engagiert sich die Bundesregierung im Klimaschutz. Abschließend forderte Jäger zum kritischen Dialog auf, übte sich aber auch ein wenig im Bauchpinseln, als er ausführte:

"Ich bin froh, Sie als Zivilgesellschaft als verläßliche und gerne auch kritische Partner an unserer Seite zu wissen. Vor uns allen liegt ein mühevoller und schwieriger Weg. Versuchen wir, diesen Weg gemeinsam zu bewältigen."

Jene im Klimaschutz engagierte Zivilgesellschaft beschränkt sich selbstverständlich nicht auf den Verband VENRO, der sich seit 1995 mit Fragen der Entwicklungspolitik befaßt, und der Klima-Allianz Deutschland, die seit 2007 den Klimaschutz in den Mittelpunkt ihres Engagements stellt. Beides sind Zusammenschlüsse, die den engen Dialog mit Politik und Wirtschaft suchen und, wie diese Veranstaltung gezeigt hat, durchaus auch finden.

Die Klima-Allianz Deutschland hat im Oktober dieses Jahres mit prominenten Persönlichkeiten "Baumpatenschaften" im Hambacher Forst, der für den Braunkohletagebau Hambach gerodet werden soll, organisiert. Ebenfalls um den Klimaschutz besorgte Menschen der sogenannten Zivilgesellschaft bevorzugen eine andere Kommunikationsform und haben auf die Ungeheuerlichkeit dieser Waldrodungen aufmerksam gemacht, indem sie schon vor Jahren einige der Bäume besetzten und auch bei Wind, Wetter und Winter nicht gewichen sind. Dieser von einer wachsenden Zahl an Bürgerinnen und Bürgern als wenn auch nicht legal, so doch legitim empfundene Widerstand gegen Abbau und Verstromung der Braunkohle wurde, wie umfänglich in den Medien berichtet, vor einigen Wochen durch die größte Polizeiaktion in der Geschichte Nordrhein-Westfalens beendet.

Anschließend Baumpatenschaften auszusprechen kommt zumindest um einige Jahre später als die Baumbesetzungen von Menschen, die zu jener jungen Generation gehören, um deren Zukunft es Jäger geht, und die im Hambacher Forst initiativ geworden sind, nachdem sich die "Erwachsenenwelt" in Gestalt von Politik und Wirtschaft eher um die Zukunft bestimmter Arbeitsplätze besorgt zeigte denn um die Zukunft des Planeten. Doch ganz im Sinne des Konferenzappells zum "gemeinsamen Handeln" soll hier nicht die eine Protest- oder Widerstandsform gegen die andere ausgespielt werden. Denn was auch immer dazu beiträgt zu verhindern, daß das tiefste künstliche Loch Europas bis über den verbliebenen Restwald des ökologisch wertvollen und einst ausgedehnten Hambacher Forsts hinaus erweitert wird, nur um den profitträchtigen Energieträger Braunkohle aus 400 Meter Tiefe abzubaggern, sollte nicht verworfen werden.


Beim Vortrag - Foto: © 2018 by Schattenblick

"Wir haben nicht gedacht, daß es soviel wissenschaftliche Evidenz gibt, die zeigt, daß da ein wichtiger Grenzwert zwischen 1,5 und zwei Grad globale Erwärmung ist."
(Prof. Dr. Daniela Jacob, 23. Oktober 2018, Berlin)
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In einem zweiten Impulsvortrag berichtete Prof. Dr. Daniela Jacob, koordinierende Leitautorin des IPCC-Sonderberichts und Direktorin des Climate Service Center Germany (GERICS) in Geesthacht, über das Zustandekommen des SR1.5 genannten Sonderberichts und seine Inhalte. Im Gegensatz zu ihrem Vorredner, der auf dem politischen Feld eine mangelnde internationale Zusammenarbeit konstatierte, lobte Jacob die Kooperationsbereitschaft in Incheon. Nicht ein Staat habe geleugnet, daß der Klimawandel stattfindet, auch nicht die Vertreter beispielsweise Saudi-Arabiens und der USA.

An dem Sonderbericht haben 91 Autoren aus 40 Ländern gearbeitet. Unterstützung erhielten sie von weiteren 133 Autoren, die 18 Monate lang zusammen 6000 wissenschaftliche Veröffentlichungen analysiert haben. Darüber hinaus mußten 42.000 Kommentare ausgewertet werden. Die Begutachtung fand in drei Runden statt, zu denen wiederum Vertreter der Wissenschaft, aber auch der Zivilgesellschaft und Regierungen Kommentare abgeben konnten. Jacob war es wichtig, die für sie entscheidende Botschaft des Berichts zu vermitteln:

"Es ist machbar, die Erwärmung auf etwa 1,5 Grad im Verhältnis zum vorindustriellen Zeitalter zu halten. Es gibt keine physikalischen, chemischen, technischen oder finanziellen Probleme, die es unmöglich machen. Es gibt aber politische Hürden und Chancen, die eine große Rolle dabei spielen."

Würde die Menschheit schlagartig aufhören, CO₂ zu emittieren, bliebe sie noch unterhalb der 1,5-Grad-Schwelle. Der gegenwärtige CO₂-Anstieg jedoch würde weit über dieses Ziel hinausschießen. "Was wir ab heute emittieren, hat einen entscheidenden Beitrag zu dem, was auf uns zukommt", betonte die Wissenschaftlerin und stellte klar, daß man sich "durch die 1,5 Grad, durch zwei Grad, durch 2,5 Grad immer weiter" bewegt und daß mindestens eine Generation in dieser 1,5-Grad-Welt leben wird. Wie diese Welt für 30 oder 40 Jahre aussieht, wisse man jetzt. Das sei vor dem Abkommen von Paris nicht in dieser Deutlichkeit klar gewesen.

Der Klimawandel ist kein Ereignis, das auf die Menschen zukommt, sondern das bereits stattfindet. So hat sich die globale Durchschnittstemperatur zwischen 1950 und heute um 0,5 Grad erhöht. Damit ging eine Zunahme der Niederschlagsmenge einher, die aus tropischen Wirbelstürmen fällt. Die Wissenschaft rechnet damit, daß dieser Trend anhält, wenn die Temperatur weiter steigt.

In der 1,5-Grad-Welt werden deutlich weniger Wetterextreme auftreten als in der 2-Grad-Welt, wird der Meeresspiegel zehn Zentimeter weniger steigen und werden bis zum Jahr 2050 mehrere 100 Millionen Menschen weniger von Armut und Hunger bedroht sein, nannte Jacob einige ausgewählte Beispiele für die zu erwartenden Klimawandelfolgen, auf die der SR1.5 näher eingeht.

Der Sonderbericht zeigt ebenfalls auf, welche Emissionsmengen in welche Zukunft führen. Um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen die CO₂-Emissionen bis 2030 um etwa 45 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2010 sinken. Bis 2050 muß Kohlenstoffneutralität erreicht sein, das heißt, es dürfen keine zusätzlichen Emissionen abgegeben werden, auch nicht durch CO₂-Äquivalente wie Methan, Ozon oder Lachgas. Beim Zwei-Grad-Ziel müßte man 2075 "carbon neutral" - kohlenstoffneutral - sein.

Ähnlich der Aussage des Staatssekretärs im BMZ erklärte auch Jacob, daß diese Begrenzung eine nie dagewesene Veränderung in allen gesellschaftlichen Bereichen erfordert. Es sei die Verhaltensänderung eines jeden gefragt und auch eine Veränderung der Arbeitswelt. Es müsse eine Bandbreite von CO₂-armen Technologien etabliert werden, und man käme nicht umhin, Treibhausgase aktiv aus der Atmosphäre herauszuziehen. Das aber, so Jacob, berge Risiken hinsichtlich der Ernährungssicherheit, Ökosysteme und Artenvielfalt.

Genau an dieser Stelle setzt eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen mit ihrer Kritik an der Vorstellung an, mittels "negativer Emissionen", das heißt, mit dem aktiven Entzug von CO₂ aus der Atmosphäre, dem Klimawandel entgegenzutreten, und fordert, erst gar kein CO₂ mehr zu emittieren. Stellvertretend für diesen Standpunkt sei hier der vor kurzem veröffentlichte Bericht "Missing Pathways to 1.5°C" der Climate, Land, Ambition & Rights Alliance (CLARA) genannt, der diese komplexe Frage umfassend behandelt. Darin werden Wege aufgezeigt, wie Klimaschutz betrieben werden kann, ohne die Landrechte von Kleinbauern und indigenen Gemeinschaften, die Biodiversität und Ernährungssouveränität zu gefährden. CLARA ist ein Netzwerk von Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Klimagerechtigkeit, Landrechte, Entwicklung, Agroökologie, Wissenschaft, Kirche und Basisorganisation.

Der Auftrag an den Sonderbericht 1.5 schließt auch die Frage ein, wie Klimaschutz zu einer nachhaltigen Entwicklung und Beseitigung der Armut beitragen kann. Laut Jacob ist es wichtig, die SDGs, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, mit dem IPCC-Bericht zu verbinden, da dieser Vorteile für die nachhaltige Entwicklung böte, und sie schloß ihren Vortrag mit den Worten: "Ganz entscheidend sind die nationalen, subnationalen Verwaltungen, Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft, indigene Völker und lokale Gemeinschaften, die gemeinsam, zusammen dieses ehrgeizige Ziel erreichen können."

Der zweite Teil der Konferenz umfaßte vier Themenforen zu verschiedenen Aspekten des Sonderberichts 1.5:
- Klimafolgen und Bausteine für eine klimaresiliente Zukunft
- Wird die Politik schnell genug handeln?
- Gerechte Transition als Chance
- Die Bedeutung des Landsektors für 1,5 Grad

Abgeschlossen wurde die Veranstaltung mit einer Podiumsdiskussion zu "Ernst gemeinter Klimaschutz und internationale Verantwortung". Der Schattenblick wird seine Berichterstattung über die Konferenz "Jedes Zehntelgrad zählt!" fortsetzen.


Zwei Strommasten ragen aus einer von Wellen geprägten Wasserfläche bis zum Horizont heraus - Foto: Manoj nav, CC BY 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en]

Klimawandel - Überschwemmungen drohen zur Normalität zu werden.
Landwirtschaftliches Anbaugebiet Bihar, Nordindien, im Jahr 2008.
Foto: Manoj nav, CC BY 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en]


28. Oktober 2018


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