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BERICHT/126: Folgen regional - Trockenheit und Schwemme ... (SB)


Der Klimawandel ist weder eine Erfindung der Chinesen, um andere Länder wirtschaftlich niederzukonkurrieren, noch ein moralischer Erpressungsversuch bestimmter gesellschaftlicher Klientel. Klimawandel findet statt, nachweislich, und seine Folgen sind erfahrbar - ob in der Arktis, wo immer mehr Einwohner mangels Schnee und Frost vom bevorzugten Schneepflug auf andere Fortbewegungsmittel umsatteln müssen, oder in der Levante, wo sich die "Jahrhundertdürren" inzwischen aneinanderreihen, ob auf den Malediven, die ihre Inseln gegen das steigende Meer zu schützen versuchen, oder in Bolivien, wo mit den letzten Gletschern die wichtigste Trinkwasserquelle zu verschwinden droht. Auch an den Regionen Deutschlands gehen die klimabedingten Veränderungen nicht vorbei.

Diesem Thema hat sich am Freitag, den 30. Juni 2017, eine Tagung mit dem Titel "Klimawandel konkret: Fakten, Folgen und Perspektiven für Mecklenburg-Vorpommern" im Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) gewidmet. Auf Einladung der mecklenburg-vorpommerschen Zweige der Heinrich-Böll-Stiftung und der Naturschutzorganisation BUND fanden sich rund einhundert Personen ein, um sich über das Thema zu informieren und gemeinsam mit den Referenten zu diskutieren.

Nach Grußworten von Susan Schulz, Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung MV, und Prof. Dr. Detlef Schulz-Bull, dem stellvertretenden Direktor des IOW, stand zunächst ein allgemeiner Einführungsvortrag über den Stand der Klimaforschung und die globale Erwärmung auf dem Programm. Daran schlossen sich Vorträge über den konkreten Klimawandel in Mecklenburg-Vorpommern sowie Anpassungsstrategien an die klimatischen Veränderungen an. Weiter ging es mit der Frage, warum Naturschutz den Klimaschutz braucht, und den Abschluß bildete eine Podiumsdiskussion und Fragestunde zu Konzepten einer zukünftigen Klimapolitik.



Hinter Rednerpult stehend - Foto: © 2017 by Schattenblick

Prof. Dr. Stefan Rahmstorf
Foto: © 2017 by Schattenblick

Mit Prof. Dr. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hielt ein Wissenschaftler die allgemeine Einführung, der sich seit vielen Jahren wie kaum ein anderer im deutschsprachigen Raum in Fachartikeln, Interviews und seinem Blog KlimaLounge [1] mit Behauptungen von sogenannten Klimawandelleugnern auseinandersetzt. Über 900 Millionen Dollar hätten bestimmte Interessengruppen in Think Tanks und PR-Aktionen gepumpt, "um die Öffentlichkeit über die globale Erwärmung zu verwirren", berichtete der Referent.

Womöglich sind es Rahmstorfs Erfahrungen im permanenten "Geschützfeuer" von Lobbyisten aus der fossilen Energiewirtschaft und anderer Profiteure des Klimawandels, die zu jener Schärfe und Klarheit der Argumentation beitrugen, die seinen 45minütigen Vortrag mit dem Titel "Aktueller Stand der Klimaforschung: Fakten und Hintergründe zum Klimawandel" ausgezeichnet hat. Darin legte er mittels einer Reihe von Schaubildern den Zusammenhang zwischen den menschengemachten CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger seit Beginn der Industrialisierung und der globalen Erwärmung nachvollziehbar und plausibel dar.

Die Verbindung zwischen Treibhausgasemissionen und globaler Erwärmung gehen letztlich auf den französischen Mathematiker und Physiker Joseph Fourier (1768-1830) zurück, auch wenn dieser noch nicht von Treibhausgasen gesprochen hat. Doch unter anderem auf dessen Arbeiten zur Wärmeausdehnung stützte sich der schwedische Forscher Svante Arrhenius (1859-1927) mit seinen Untersuchungen zum Treibhauseffekt durch atmosphärisches Kohlenstoffdioxid. Der US-Klimaforscher Charles Keeling (1928-2005) wiederum war es, der ab 1958 und von da an fortlaufend in einer Meßstation auf dem hawaiianischen Vulkankegel Mauna Loa weltweit erstmals ununterbrochen den Gehalt an Kohlenstoffdioxid in der Luft registriert und dessen signifikanten Anstieg festgestellt hat. Auch heute noch werden die Daten laufend in ein Koordinatensystem eingetragen, was die nach dem Forscher benannte Keeling-Kurve ergibt. [2] Diese weist, von jahreszeitlichen Schwankungen überprägt, deutlich nach oben; der Anstieg entspricht ziemlich genau dem, was von der Verbrennung fossiler Energieträger zu erwarten ist.


Schaubild: Delorme, CC-BY-SA-4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en]

Mittlerer globaler Konzentrationsverlauf des Spurengases Kohlenstoffdioxid (CO2) in der Erdatmosphäre seit dem Jahr 1958.
Schaubild: Delorme, CC-BY-SA-4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en]

Die zentrale Größe, anhand derer abgelesen werden kann, wie sich die Temperatur im globalen Maßstab ändert, ist der Strahlungsantrieb. Dieser setzt sich aus der Summe von Wirkfaktoren wie Treibhausgasen, Ozon, Rückstrahlung (Albedo), Aerosole zusammen und wird in Watt pro Quadratmeter - berechnet auf die Grenze zwischen unterer Atmosphäre (Troposphäre) und oberer Atmosphäre (Stratosphäre) - angegeben. Der Strahlungsantrieb liegt derzeit bei etwa 2 Watt/m²; dementsprechend heizt sich die Erde auf. Dieser Betrag lasse sich nicht mit Veränderungen der Sonneneinstrahlung erklären, stellte Rahmstorf klar, denn diese fielen um mindestens den Faktor zehn kleiner aus als das, was der Mensch bewirkt habe.

Damit hat der Referent die Grundlagen aufgezeigt, warum heute laut einer australischen Studie rund 97 Prozent der Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler davon ausgehen, daß der Mensch mit seinen CO2-Emissionen die treibende Kraft hinter der globalen Erwärmung ist. Die beträgt bereits rund ein Grad seit dem 19. Jahrhundert. Die Ende 2015 im Abkommen von Paris von den Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention (COP) beschlossenen Vereinbarungen sehen vor, daß die globale Durchschnittstemperatur bei deutlich unter zwei Grad, möglichst bei 1,5 Grad über der vorindustriellen Zeit gestoppt werden soll. Da davon bereits ein erheblicher Teil in Anspruch genommen wurde, bleibt inzwischen nur noch ein berechenbares Budget von 600 Milliarden Tonnen (600 Gigatonnen) an CO2-Emissionen übrig, um unterhalb der vereinbarten Grenze zu bleiben. Je länger die Menschheit eine Verringerung der CO2-Emissionen hinauszögert, desto drastischer müssen die dann zu ergreifenden Maßnahmen sein.

Rahmstorf gibt zu bedenken: "Wenn wir so weitermachen - ein mittleres Erwärmungsszenario von drei Grad -, dann werden wir uns sehr weit aus dem Erfahrungsbereich des Holozäns hinauskatapultieren in Temperaturregionen, die während unserer Zivilisationsgeschichte niemals zuvor geherrscht haben - und zwar schon in den nächsten Jahrzehnten."

Man muß schon über das gegenwärtige geologische Erdzeitalter des Holozäns hinaus bis in die Eem-Warmzeit des Pleistozäns vor 120.000 Jahren zurückgehen, um eine Epoche zu treffen, in der es auf der Erde höhere Temperaturen gegeben hat als heute. Damals lag der Meeresspiegel vier bis sechs Meter höher. Deshalb warnt der Referent: "Wir können es uns nicht leisten, auch nur wenige Zentimeter des Kontinentaleises zu verlieren, das wir heute noch haben." Der Westantarktische Eisschild ist vermutlich bereits destabilisiert und damit ein sich selbstverstärkender Rückkopplungseffekt eingetreten, der einen Meeresspiegelanstieg von drei Metern bringen wird. Unsicherheit herrscht in der Wissenschaft lediglich über die Geschwindigkeit, mit der das Eis verschwinden wird. Die Bandbreite der Einschätzungen reicht von wenigen Jahrhunderten bis einigen Jahrtausenden.

Weitere Auswirkungen der globalen Erwärmung, die in dem Vortrag näher ausgeführt wurden, seien hier nur erwähnt: Versauerung der Meere, Absterben der Korallen, globale Zunahme der Rekordniederschläge, auffällige Häufung der heißesten Sommer seit über 500 Jahren (in den Jahren 2010, 2003, 2002, 2006 und 2007), Häufung der Monatshitzerekorde, mehr Tropenstürme, Rückgang der Eisbedeckung des arktischen Ozeans.

Das Kyoto-Protokoll, in dem nur einige Industriestaaten verpflichtet waren, ihren Treibhausgasausstoß in den Jahren 2008 bis 2012 um rund fünf Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu reduzieren, sei um das Vierfache übererfüllt worden, kann Rahmstorf dem internationalen Klimaschutzabkommen etwas Positives abgewinnen. Was er nicht näher ausgeführt hat: Die Übererfüllung kam unter anderem dadurch zustande, daß die stärksten CO2-Produzenten, die USA, das Kyoto-Protokoll gar nicht erst ratifiziert hatten und Kanada im Jahr 2011 ausgestiegen war.

Das geht aus einer Studie von Romain Morel und Igor Shishlov mit dem Titel "EX-POST EVALUATION OF THE KYOTO PROTOCOL: FOUR KEY LESSONS FOR THE 2015 PARIS AGREEMENT" (Mai 2014, Nr. 44 "Climate Policy") hervor. Auch Hans Joachim Schellnhuber bezieht sich in Kapitel 17 seines Buchs "Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff" (2015) auf Morel und Shislovs Tabelle. Aus ihr geht hervor, daß die Industriestaaten (Annex B-2012) eine CO2-Emissionsreduktion von 20,2 Prozent erreicht haben, nicht jedoch die Industriestaaten plus USA und Kanada (Annex B-1997), die alle zusammen auf 6,7 Prozent kamen.

Auch die Zerschlagung der Sowjetunion und damit einhergehend die Deindustrialisierung der Deutschen Demokratischen Republik sowie anderer ehemaliger Ostblockstaaten trugen zum "Erfolg" des Klimaabkommens bei. Darüber hinaus ermöglichten die im Kyoto-Protokoll nicht zuletzt von der damaligen US-Delegation aus der Clinton-Präsidentschaft eingebrachten sogenannten flexiblen Mechanismen, daß die Industriestaaten einen Teil ihrer Verpflichtungen auf Schwellen- und Entwicklungsländer abwälzen konnten, indem sie dort rechnerisch billigere CO2-Einsparungen finanzieren durften, beispielsweise durch die Investition in modernere Energiegewinnungstechnologien. Hier kam es aber sowohl zu Scheinreduktionen als auch zu menschenrechtsverletzenden Investitionen. Und zu guter Letzt sei daran erinnert, daß beim Abfassen des Kyoto-Protokolls niedrige, relativ leicht zu erreichende Reduktionsziele vereinbart worden waren.

Ungeachtet seiner positiven Einschätzung des Kyoto-Protokolls mahnt Rahmstorf nun, daß das Nachfolgeabkommen unbedingt umgesetzt werden muß. In spätestens drei Jahren müsse der Gipfel der CO2-Emissionen überschritten sein, ansonsten sei das Abkommen von Paris praktisch nicht mehr zu erfüllen. Bis 2040, spätestens 2050 müßten die Treibhausgasemissionen auf Null zurückgefahren werden. Dazu reichten die bisherigen Emissionsreduktionen noch lange nicht aus, sagte er und stellte fest: "Für mich ist es bedrückend, daß die Bundesregierung die Energiewende in den letzten Jahren gebremst hat, anstatt sie zu beschleunigen." Deutschland müsse beim Kohleausstieg vorangehen und dürfe ab sofort keine neuen Kohlekraftwerke mehr bauen. Gleichzeitig müsse der Anteil der Erneuerbaren alle fünf bis sieben Jahre verdoppelt werden. Man habe es hier nicht mit einem Umweltproblem zu tun, sondern mit einem Problem der "Bedrohung der menschlichen Zivilisation", resümiert er, eine ähnliche Dimension der Probleme ansprechend wie sein Kollege, Prof. Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des PIK. [3]


Beim Vortrag - Foto: © 2017 by Schattenblick

Prof. Dr. Gerald Schernewski
Foto: © 2017 by Schattenblick

Im zweiten Panel der Tagung ging es dann vom Globalen hinunter zum Regionalen. Der Küsten- und Meeresforscher Prof. Dr. Gerald Schernewski vom IOW referierte über lokale Veränderungen der Ostsee unter den zukünftigen Klimabedingungen. Man rechnet mit einer Temperaturerhöhung dieser Region um 2,5 Grad bis Ende des Jahrhunderts. Erhöhte Niederschläge im Osten und Norden der Ostsee werden die Salzkonzentration verändern, und die winterliche Eisbedeckung wird in Zukunft zumeist auf den Norden Skandinaviens beschränkt bleiben. Das biete Chancen, meinte der Referent. In den hochbelasteten eutrophen Gewässern könnten Muschelfarmen angelegt werden, wobei dann die vielen Algen als Nahrung dienten.

Eine Veränderung der Badewasserqualität durch den Klimawandel sieht er nicht, gleichzeitig berichtete er jedoch, daß sich bei einer Wassertemperatur von über 20 Grad in den Küstengewässern das Bakterium Vibrio vulnificus "recht rasch" ausbreiten kann. Das sei höchst gefährlich für Menschen mit offenen Wunden, und es gebe wenig Möglichkeiten, sich an die Einwanderung und Vermehrung solcher Bakterien anzupassen. Wenig machen könne man auch gegen die Vermehrung von Quallen unter den für sie günstigeren Witterungsbedingungen der zukünftig wärmeren Winter und Sommer. Man könne aber die Touristen, die sich in der Regel sehr von Quallen gestört fühlen, mit Hilfe von Faltblättern "sensibilisieren" und darin die Ästhetik der Tiere herausstreichen.

Die Erhaltungskosten für Buhnen als Küstenschutz sind in den letzten 25 Jahren deutlich gestiegen und werden weiter zunehmen, zumal die Gefahr besteht, daß sich die in wärmeren Gewässern recht wohlfühlende Schiffsbohrmuschel in den Holzbauten einnistet. Der voraussichtliche Anstieg des Meeresspiegels in der Ostsee um rund einen Meter bis Ende des Jahrhunderts wird den Nutzungsdruck auf die schmaler werdende Strandfläche erhöhen und auch Schutzmaßnahmen unter anderem gegen Erosion erfordern. Der Rostocker Ortsteil Markgreifenheide hat sich bereits mit einem 1,5 Kilometer langen Ringwall umgeben, so daß dessen Bewohner bei Sturmfluten von bis zu 2,75 Meter über Normal auch vom Hinterland aus nicht überrascht werden können. (Wohl aber von Wildschweinen, die offenbar diesem Sturmflutschutz nicht viel abgewinnen konnten und ihn vermutlich auf der Suche nach Leckereien durchwühlt haben ... [4])

Nach dem Thema Ostsee und Küsten ging es weiter ins Landesinnere Mecklenburg-Vorpommerns. Über "Landwirtschaft im Klimawandel" referierte Dr. Hubert Heilmann von der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommerns. Die Klimaveränderungen haben bereits dazu geführt, daß die Vegetationszeit von 1984 bis 2016 um einen Monat zugenommen hat. Zukünftig höhere Tagestemperaturen stellten für die Landwirtschaft "eine gewisse Bedrohung" dar.

Nicht nur die höheren Temperaturen, auch die Niederschläge werden für die Landwirtschaft zu einem Problem. Die Forschung rechnet damit, daß sich an der Summe der Niederschläge in Mecklenburg-Vorpommern nicht viel ändert, wohl aber an der Verteilung im Jahreslauf. Es wird weniger Sommer- und mehr Winterniederschläge geben. Der Winter ist jedoch eine unproduktive Zeit, in der nicht viel Wasser gebraucht wird, wohingegen ausgerechnet Frühjahr und Sommer, wenn die Pflanzen ihre Fruchtstämme anlegen, immer trockener werden. Da sei Wassermangel "kontraproduktiv", so Heilmann. Außerdem wird der Klimawandel eine Zunahme der Wetterextreme bewirken und damit das Produktionsrisiko für die Landwirte deutlich erhöhen. Dem sollte man mit einer ausgewogenen Fruchtfolge begegnen, worin er nach wie vor "das wichtigste Risikominderungsmanagement gegen Klimawandel und überhaupt gegen die klimatisch bedingten Risiken" sieht.

Der Landwirtschaftsexperte bezeichnete sein Konzept, wie dem Klimawandel am besten zu begegnen sei, als "nachhaltige Intensivierung". Dabei soll die Nährstoffressourceneffizienz so hoch wie möglich sein; die Streßtoleranz wird angehoben - vielleicht durch die Einführung neuer Sorten und Kulturarten -; Treibhausgasemissionen werden gemindert; gleichzeitig erwirtschaften die Landwirte Ertragssteigerungen und erringen eine Stabilisierung auf möglichst hohem Niveau.

Aus Sicht der Landwirtschaft sind bisher die Auswirkungen des Klimawandels moderat. Aber es bestehe "begründeter Anlaß zur Sorge", daß es dabei nicht bleiben wird, erklärte Heilmann mit Verweis auf eingewanderte Schädlinge, deren Lebensbedingungen sich verbessern werden. Generell bereitet den Landwirten weniger der Wandel des Klimas an sich die größten Sorgen, sondern die Geschwindigkeit, mit der dieser stattfindet.


Beim Vortrag - Foto: © 2017 by Schattenblick Beim Vortrag - Foto: © 2017 by Schattenblick

links: Dr. Hubert Heilmann
rechts: Prof. Dr. Hans Joosten
Foto: © 2017 by Schattenblick

In Mecklenburg-Vorpommern sind Moore die wichtigste Treibhausgasquelle. Ein Drittel der CO2-Emissionen wird aufgrund ihrer Entwässerung freigesetzt. Mit dieser Aussage dürfte Prof. Dr. Hans Joosten die meisten der Tagungsgäste überrascht haben. Der Wissenschaftler vom Institut für Botanik und Landschaftsökologie der Universität Greifswald, der einen Vortrag über "Moore und Klimawandel" hielt, erweckte durchaus den Eindruck, daß das Problem der globalen Erwärmung als Folge anthropogener Treibhausgase mit doch relativ einfachen, kostengünstigen Maßnahmen vielleicht nicht gelöst, jedoch erheblich abgemildert werden kann. Joosten empfiehlt, Moore wieder zu vernässen, und weil es eine Flächennutzungskonkurrenz zwischen Nahrungsanbau und dem Erhalt von Mooren gibt, schlägt er eine stärkere Verbreitung der Paludikultur vor. So wird die Land- und Forstwirtschaft genannt, die auf nassem Moor stattfindet.

Paludikultur erfordert eine gänzlich neue Landwirtschaft, die noch gelernt werden muß. "Eigentlich läuft die ganze nasse Landwirtschaft und ihre Forschungsentwicklung 10.000 Jahre der Trockenlandwirtschaft hinterher", erklärte Joosten, der daran erinnert, daß der Ursprung des Getreideanbaus in den semiariden Regionen des fruchtbaren Halbmonds, dem heutigen Mittleren Osten, liegt. Von dort aus hat sich die Landwirtschaft nach Europa ausgebreitet, und bis heute würden landwirtschaftliche Flächen entwässert, würden Böden nachgestellt, wie es sie im semiariden Ursprungsgebiet gab. Hiesige Böden seien jedoch nicht semiarid.

Weltweit nehmen entwässerte Moore nur 0,4 Prozent der Landfläche ein, sind aber für fünf Prozent der landgebundenen CO2-Emissionen verantwortlich. In der Summe emittieren Moore weltweit fast zwei Gigatonnen CO2 pro Jahr. Wenn die Staatengemeinschaft bis Mitte des Jahrhunderts keine Treibhausgasemissionen mehr produzieren will, werden "vollständig neue Konzepte" erforderlich und es muß mit "falschen Entwicklungen radikal gebrochen werden", folgerte Joosten.

Der Referent machte darauf aufmerksam, daß im Rahmen des Energieeinspeisegesetzes auf entwässerten Mooren Mais angebaut wird, und stellte dazu eine bemerkenswerte Rechnung auf: "Wenn man die Kohlenstoffverluste aus dem Boden mit berücksichtigt, zeigt sich, daß das sogenannte Biogas, das als Klimaschutzmaßnahme bezuschußt wird, in Wirklichkeit Emissionen verursacht, die pro Energieeinheit achtmal mehr das Klima schädigen als das Verbrennen von Braunkohle. Das Verursacherprinzip wird auf den Kopf gestellt."

Von den zahlreichen weiteren negativen Begleiterscheinungen der Moorverluste führte Joosten nur eine näher aus, die Absackungen. Durch Entwässerung sind beispielsweise die Niederlande bereits acht Meter abgesunken, man habe sich sprichwörtlich "heruntergewirtschaftet" und sei nun genötigt, die Deiche immer höher zu bauen und ähnliche Schutzmaßnahmen mehr zu ergreifen. Auch um solche Vorgänge aufzuhalten, setzt sich Joosten für die Wiedervernässung von Mooren ein. Darin sieht er einen doppelten Klimanutzen, zum einen weil lebendige, nasse Moore als Kohlenstoffsenke, zum anderen als Kühlungsfläche dienen. Außerdem können sie im Zweifelsfall mit dem steigenden Meeresspiegel mitwachsen.


Beim Vortrag - Foto: © 2017 by Schattenblick Beim Vortrag - Foto: © 2017 by Schattenblick

links: Sven Schmeil
rechts: Dipl.-Ing. Jörg Schmiedel
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Beispielhaft für konkrete infrastrukturelle und raumplanerische Maßnahmen, die von den Städten Mecklenburg-Vorpommerns ergriffen werden, um sich auf die Klimwandelfolgen vorzubereiten, hielt Sven Schmeil vom Amt für Umweltschutz Rostock einen Vortrag mit dem Titel: "Integrale Entwässerungsleitplanung in der Hansestadt Rostock im Rahmenkonzept Klimawandelanpassung". Die Hansestadt erwartet in Zukunft mehr Sturmfluten und Überschwemmungen und hat dazu ein integriertes Entwässerungskonzept (Intek) mit relativ gleichmäßig über das Stadtgebiet verteilten Senken und Abflußbahnen entwickelt.

Warum der Naturschutz den Klimaschutz braucht, wurde im nächsten Vortrag verdeutlicht. Jörg Schmiedel vom BUND MV sagte, daß sich bei einem wärmeren Klima der Lebensraum des vom Aussterben gefährdeten Feldschwirl weiter nach Norden in Richtung Skandinavien verlagern wird. Dort stehen dem Vogel jedoch weniger Landflächen zur Verfügung, was bedeutet, daß die Population in Folge des Klimawandels abnehmen wird. Fast alle Brutvögel werden Verluste erleiden, führte Schmiedel weiter aus. Besonders Zugvögel gerieten unter Druck. Wenn sich die Sahara, wie vermutet wird, weiter ausbreitet, hätten die Tiere eine längere Strecke ununterbrochenen Fluges zu überstehen. Klimawandelbedingte unsichere Witterungsverhältnisse werden ihnen zusätzlich schwer zu schaffen machen.

Im Unterschied zu Tieren seien Pflanzen nicht so beweglich und könnten von Hindernissen wie den Alpen daran gehindert werden, für sie günstigere Klimate zu erreichen. Ihre Ausbreitung nach Norden oder in größere Höhen sei aufgrund solcher natürlichen Bedingungen nicht immer möglich. Summa summarum: Die klimabedingten Veränderungen der Natursysteme setzen Tiere und Pflanzen unter Druck, einige von ihnen werden es nicht schaffen, sich rechtzeitig den neuen Bedingungen anzupassen.

Kohlekraftwerke sind nicht nur schlecht fürs Klima, sondern man kann sie auch nicht so gut regeln wie beispielsweise flexible Gaskraftwerke, sagte der aus dem Klimaaktivismus [5] stammende Georg P. Kössler, Vertreter der Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin, im abschließenden Vortrag der Tagung. Darin ging es um die Kohle, den geplanten sowie erfolgreich verhinderten Kohleausbau in Deutschland, die globale Entwicklung der Kohleverstromung und den Parteitagsbeschluß der Grünen, demzufolge aus Gründen des Klimaschutzes der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 vollzogen werden muß.

Weitere Gründe für den Kohleausstieg, die Kössler erwähnte, sind sicherlich nicht nebensächlich: Von den zehn Tonnen des toxischen Elements Quecksilber, die jedes Jahr in Deutschland emittiert werden, kommen sieben Tonnen aus der Kohle. Würde man die Grenzwerte für Quecksilberemissionen aus den USA hierzulande anwenden, müßte man alle Kohlekraftwerke schließen, sagte er.

Allein die Staaten der G7 gäben jährlich über 40 Milliarden Euro für Kohle und Kohleinfrastruktur aus. Diese staatlichen und privaten Gelder müßten umgelenkt werden, forderte der Berliner Stadtabgeordnete. Das Stichwort hierzu lautet Divestment. Daraus ist eine Bewegung entstanden, der sich immer mehr Personen, Unternehmen, Städte und Institutionen wie beispielsweise der norwegische Pensionsfonds anschließen. Sie ziehen sich aus der Finanzierung der Kohlewirtschaft zurück, machen sie wirtschaftlich unattraktiv und wollen auf diese Weise dafür sorgen, daß sie mehr und mehr aufgegeben wird.

Eine reale Bepreisung der Kohle, bei der die externalisierten Kosten mit eingerechnet werden, ist nach Kössler wünschenswert, doch läge dies in weiter Ferne. Umgekehrt zum Ausstieg aus der Kohle solle der Ausbau der erneuerbaren Energien unterstützt werden. Nicht durch Subventionen, denn preislich könnten die Erneuerbaren bereits mit anderen Energieträgern mithalten, sondern lediglich durch die Beseitigung von Hürden.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion mit der mal eloquenten, mal bärbeißigen Moderation des IOW-Direktors Prof. Dr. Ulrich Bathmann waren sich Kössler und die beiden Mitdiskutanten Johann-Georg Jaeger, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern, und Rudolf Borchert, ehemaliger energiepolitischer Sprecher der SPD im mecklenburg-vorpommerschen Landtag, zumindest hinsichtlich des großen Entwurfs einig: Klimaschutzmaßnahmen sind dringend erforderlich, auch Mecklenburg-Vorpommern muß sich darauf einstellen, und die Erneuerbaren sollen die Energieträger der Zukunft sein.


Nebeneinander an einem Tisch sitzend - Foto: © 2017 by Schattenblick

Von links: Johann-Georg Jaeger, Rudolf Borchert, Georg P. Kössler, Prof. Dr. Ulrich Bathmann
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://scilogs.spektrum.de/klimalounge/

[2] https://scripps.ucsd.edu/programs/keelingcurve/

[3] Prof. Schellnhuber sagte im vergangenen Jahr gegenüber dem Schattenblick: "Das Schicksal unserer Hochzivilisation wird sich in den nächsten hundert Jahren entscheiden."
http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0050.html

[4] http://www.ostsee-zeitung.de/Region-Rostock/Rostock/Warnemuende/Wildschweine-zerstoeren-Ringdeich

[5] Ein Schattenblick-Interview mit Georg P. Kössler anläßlich der Aktion "Ende Gelände" 2016 in der Lausitz finden Sie hier:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0222.html


Bisher zur Tagung "Klimawandel konkret: Fakten, Folgen und Perspektiven für Mecklenburg-Vorpommern" im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:
INTERVIEW/256: Folgen regional - Schadensbeschleuniger ...     Meereschemiker Prof. Dr. Detlef Schulz-Bull im Gespräch (SB)


4. Juli 2017


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