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BERICHT/090: Klimarunde, Fragestunde - Techniker des Gegenfeuers ... (SB)


Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions

Scandic Hotel, Berlin, 18. - 21. August 2014

Langwellenrückstrahlungsverstärkungstürme, Größe XXXL



Wenn von Geoengineering oder Climate Engineering die Rede ist, werden in der Regel zwei Strategien unterschieden, die "langfristige Bindung des bereits in der Atmosphäre vorhandenen CO2" und die "Reduzierung der Erderwärmung durch Änderung der Strahlungsbilanz der Erde". So beschreibt es der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags im September 2010. [1] Für diese beiden Säulen des Geoengineerings haben sich die englischen Begriffe Carbon Dioxid Removal (CDR) und Solar Radiation Management (SRM) eingebürgert.

Es gibt aber noch eine dritte Strategie, die häufiger, nicht nur in diesem Fall, vernachlässigt wird. Wer schon einmal in einem Segelflugzeug geflogen ist, weiß um die tragende Kraft des Aufwinds. Hoch und höher schraubt sich der Flieger, bis er beinahe den Augen entschwunden ist. Was wäre, wenn man ihm noch einen kleinen Schubs nach oben versetzen könnte, so daß er sich im Weltraum verflüchtigt? Nein, natürlich nicht der Segler, sondern der Aufwind, der sich ja bereits gewissermaßen auf den Weg gemacht hat, oder, genauer gesagt, die langwellige Infrarotstrahlung.

Schaubild mit differenziertem Blick auf die Energiebilanz der Erde - Grafik: NASA, translated by IqRS, redrawn by Christoph S. - Trenberth, Fasullo and Kiehl (2009): Earth's global energy budget, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Gelb: Kurzwellige Strahlung der Sonne trifft auf Atmosphäre und Erdoberfläche.
Rot: Langwellige Strahlung wird von der Erdoberfläche abgestrahlt und in der Atmosphäre fast vollständig absorbiert.
Die Zahlen geben die Leistung der Strahlung in Watt/Quadratmeter für den Zeitraum 2000 - 2004 an.
Grafik: NASA, translated by IqRS, redrawn by Christoph S. - Trenberth, Fasullo and Kiehl (2009): Earth's global energy budget, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Das ist eine Geoengineering-Strategie der anderen Art, das Earth Radiation Management (ERM). Dabei soll nicht die kurzwellige Sonneneinstrahlung beispielsweise durch die Installation von Spiegelflächen oder das Ausbringen von Staubwolken am Lagrange-Punkt L1 [2] zwischen Erde und Sonne, das Versprühen von Schwefelaerosolen in der Stratosphäre (ca. 15 bis 50 km Höhe), künstlich erzeugte Wolken in der Troposphäre (0 bis ca. 15 km Höhe) oder einen Weißanstrich von Gebäudedächern und Verkehrswegen reduziert, sondern die langwellige Rückstrahlung der Erde verstärkt werden. Von der Idee her ist das durchaus vergleichbar damit, die Treibhausgasemissionen zu senken, weil Kohlendioxid, Methan, Lachgas, etc. einen Teil der Wärmerückstrahlung der Erde daran hindert, in den Weltraum zu entweichen. Bekanntlich steigt die globale Durchschnittstemperatur deswegen an. Ohne einen Treibhauseffekt gäbe es uns Menschen nicht, insofern sollten wir froh darüber sein. Allerdings wurden seit Beginn der Industrialisierung vor rund 200 Jahren so viele Treibhausgase aus der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas in die Atmosphäre entlassen, daß der menschliche Faktor klimarelevant wurde.

Wenn man von dem auf der Climate Engineering Conference 2014, die das IASS (Institute for Advanced Sustainability Studies) vom 18. bis 21. August 2014 in Berlin organisiert hat, kontrovers diskutierten möglichen Effekt absieht, daß der Einsatz von Geoengineering zu einer Vernachlässigung des Energieeinsparens und anderer Klimaschutzmaßnahmen, wie sie im Rahmen des Kyoto-Prozesses unter der Ägide der Vereinten Nationen propagiert werden, führen könnte - eine Folge, die unter dem Stichwort "moral hazard" firmiert - stehen die verschiedenen Geoengineering-Strategien im Prinzip in keinem Widerspruch zueinander. ERM, SRM und CDR könnten sich gegenseitig ergänzen.

Ein leidenschaftlicher Verfechter der Idee einer forcierten Wärmerückstrahlung ist Dr. Renaud de Richter von der Universität von Montpellier. Sowohl die Gigantomanie einiger der von ihm im Rahmen einer Posterausstellung dem Schattenblick erläuterten Konzeptvorschläge als auch der technophile Optimismus, mit dem sie präsentiert wurden, erinnerten an die Stimmung in Science-fiction-Romanen aus einer Zeit, als der Ingenieur und der Künstler noch eine Allianz eingingen, die als Ingenieurskunst in für die damaligen Zeitgenossen schier unglaublichen Projekten Gestalt annahm. Was da den Deutschen ihr Kurt Laßwitz und Hans Dominik ist, haben die Franzosen in Jules Verne. Über riesige Türme, höher als die höchsten Wolkenkratzer, die je errichtet wurden, sollen sich die babylonischen Projekte des Dr. de Richter in den Himmel recken. Entscheidend dabei ist die beschleunigte Abfuhr langwelliger Strahlung und zugleich der Gewinn von Energie, so ihr Protagonist. Außerdem würden fossile Energieträger nach und nach ersetzt.

Weitläufiges Polyester-Vordach, von dünnen Streben gestützt; dahinter der Turm - Foto: Widakora, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0] via Wikimedia Commons

Aufwindkraftwerk Manzanares, 12. Juni 1982. Blick von unterhalb des Polyesterdachs auf den Turm.
Foto: Widakora, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0] via Wikimedia Commons

Das Prinzip eines solchen Turms wurde bereits in den 1980er Jahren in Zentralspanien verwirklicht - mit Unterstützung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT). Das Pilotprojekt eines Aufwindkraftwerks in Manzanares war jedoch nicht in der Absicht eines späteren Nutzens zur Regulierung des Weltklimas errichtet worden, sondern als Option der Energiegewinnung.

Die Idee, Aufwind als Energiequelle zu nutzen, ist simpel, die dazu erforderliche Technologie im Prinzip vorhanden. Eine Anlage besteht aus einem zentralen Turm, durch den warme Luft nach oben strömt, wodurch am Fußbereich Turbinen angetrieben werden, die elektrischen Strom erzeugen. Der Umkreis des Turms muß auf einer relativ großen Fläche mit einem lichtdurchlässigen Material, ähnlich wie bei einem Glashaus, überdacht werden. Nun erhitzt das Sonnenlicht den Boden und die Luft unterhalb des transparenten zum Turm hin aufsteigenden Daches. Die Luft strömt in die Mitte und schießt durch den Turm weiter nach oben.

Foto: Widakora, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0] via Wikimedia Commons

Aufwindkraftwerk Manzanares. Blick vom Turm auf den geschwärzten Kollektorboden und das aus Modulen aufgebaute Vordach, 31. August 1983.
Foto: Widakora, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0] via Wikimedia Commons

Das spanische Aufwindkraftwerk hat mehrere Jahre lang im Durchschnitt 50 kW elektrischen Strom geliefert und damit seine prinzipielle Tauglichkeit unter Beweis gestellt. Renaud de Richters Konzepte, die er auf der Climate Engineering Conference vorstellte, gehen von ihren Dimensionen her deutlich darüber hinaus. War der Turm in Manzanares knapp 200 Meter hoch, so sollen die Türme zur Regulierung des Klimas einen Kilometer oder noch höher in den Himmel ragen. Die warme Luft, die am oberen Ende eines solchen Turms in die kälteren Luftmassen herausströmt, würde in alle Richtungen Infrarotwellen abstrahlen, also auch in Richtung Weltraum. Zwar strahlen die warmen Luftmoleküle in Bodennähe ebenfalls im Infrarotbereich in alle Richtungen ab, aber von dieser Wärmestrahlung würde auf dem Weg ins All sehr viel mehr absorbiert werden als von der Wärmestrahlung, die durch den Turm hinaufweht und teils oberhalb vieler Stratus- und Cumuluswolken abgegeben wird. Solche Türme fungieren damit als Wärmebrücken durch die "Isolierschicht" der Troposphäre, vergleichbar mit Wärmebrücken, wie man sie beim Hausbau eigentlich vermeiden möchte.

Das wäre nicht der einzige Effekt eines solchen vertikalen Wärmetransports. Die aufsteigenden warmen Luftmassen würden kondensieren und bei diesem Phasenübergang von gasförmig zu flüssig sogenannte Latentwärme abgeben. Die könnte möglicherweise nutzbar gemacht werden, wenngleich so ein Energieverlust seinerseits den Auftrieb schwächen würde. Ansonsten sorgte die Kondensationswärme dafür, daß der Luftstrom noch höher hinauf getragen wird, vergleichbar mit Cumuluswolken, aus denen heraus die Luftmassen dank der freiwerdenden Kondensationsenergie nach oben herausschießen und dabei die Form eines Ambosses einnehmen.

Hier wäre also der Atmosphärenphysiker gefragt, um das optimale Verhältnis zwischen Auftrieb und Verwendung der Latentwärme zur Stromproduktion zu berechnen. Die durch die Kondensation freiwerdende Energie entspricht jedenfalls der (Sonnen)Energie, die notwendig ist, um das Wasser beispielsweise aus einem See an der Erdoberfläche zum Verdunsten zu bringen; bei einem Kilogramm Wasser unter Normaldruck beträgt die Verdunstungswärme 2257 kJ (Kilojoule).

Gleichzeitig könnte man in einem solchen Aufwindkraftwerk Wasser gewinnen, das für die Reinigung des "Treibhausdaches" um den Turm herum oder auch für den landwirtschaftlichen Anbau oder schlicht als Trinkwasser nutzbar wäre - auch wenn nach Ansicht der Befürworter dieser Konzepte die Türme in trockenen Wüstenregionen stehen sollen, weil dort die Einstrahlung hoch und die Besiedlung gering ist. (Es gibt allerdings auch Konzepte für einen ozeanischen Standort, wobei solche Kraftwerke schon mal als "Hurrikan Killer" bezeichnet wurden, weil mit ihnen die warme Ozeanoberfläche, aus der heraus Hurrikane entstehen, gekühlt würde.)

Ein möglicherweise gravierender Nachteil der Kondensation innerhalb eines Turms besteht darin, daß die Luft an Auftriebsenergie verlöre. Also müßte auch hierbei das optimale Verhältnis von Höhe und Breite des Turms, der Einzugsbereich der Bedachung, die zu erwartende Windgeschwindigkeit und gegebenenfalls die Staubbelastung (Staub bildet Kondensationskerne) usw. berechnet werden. Und das alles noch vor dem Hintergrund der geographischen Lage des Turms, denn die Verhältnisse in einer Höhenlage wie beispielsweise in Mexiko unterscheiden sich deutlich von denen einer Flachlandlage wie in der Wüste von Arizona. Der erwünschte Abkühlungseffekt durch einen Turm, der bereits auf einem Hochplateau steht, so daß die warme Luft in noch größere Höhen verfrachtet würde, könnte erheblich stärker sein.

Über thermische Speicher (z. B. Tanks mit Salzlake) unterhalb der Bedachung könnte ein Ausgleich für Stromschwankungen geschaffen werden, wobei solche Aufwindkraftwerke verglichen mit Photovoltaik- oder Solarthermischen Kraftwerken relativ ausgeglichen Strom produzieren würden, da der Wüstenboden unterhalb der Bedachung in der Nacht die tagsüber gespeicherte Wärme abgibt, was den Aufwind aufrechterhält.

Grafik: © Mit freundlicher Genehmigung von Renaud de Richter

Schematische Darstellung eines 1 km hohen Aufwindkraftwerks mit 7 km durchmessendem Vordach. Während des Aufstiegs kühlt die Luft von 70 Grad am Boden auf 20 Grad beim Austritt ab.
Kleines Bild oben rechts: Eine Reihe von Turbinen wandelt die Bewegungsenergie des Winds in elektrische Energie um.
Grafik: © Mit freundlicher Genehmigung von Renaud de Richter

Renaud de Richter berichtete, daß sie bislang noch keinen Investor gefunden haben, der so ein Projekt in die Hand nimmt. Damit sprach er einen heiklen Punkt an, denn das aufzubringende Startkapital für eine größere Anlage ist enorm. Allerdings wären die Betriebskosten, verglichen mit Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken, eher gering. Weder müßte Brennstoff zugeführt noch Abraum beseitigt werden; weder würden ganze Landschaften devastiert wie für die Braunkohleverstromung, noch träten Umwelt- und Gesundheitsprobleme wie beim Uranabbau auf. Würde man all die bislang externalisierten Kosten der fossilen und nuklearen Stromproduktion in die Bilanz einberechnen, ständen Aufwindkraftwerke womöglich gar nicht so schlecht da. Die hohe Hürde für Investoren könnte abgebaut werden, wenn, wie es auf der Climate Engineering Conference häufiger zu vernehmen war, die "Verzweiflung" wächst, da die globale Temperatur steigt und schwerwiegende Folgen auftreten.

Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, seien hier noch in Kurzform weitere Vorschläge des ERM, teils noch nicht bis zur Konzeptreife entwickelt, genannt:

- Der Australier Ian Edmonds schlägt vor, Heißluftballone an mehrere Kilometer langen Leinen aufsteigen zu lassen. 80 Prozent der warmen Luft würde dann in großer Höhe in die Atmosphäre entlassen; der Rest würde für den "kontrollierten" Sinkflug gebraucht. Durch den Aufstieg könnte ein Generator betrieben werden, der elektrische Energie erzeugt. [3]

- Michael Pesochinsky möchte fünf bis zehn Kilometer hohe und bis zu einen Kilometer durchmessende Aufwindkraftwerke errichten. Seinen Berechnungen zufolge genügten zehn dieser Türme, um den gleichen Wärmetransport zu erreichen, wie es derzeit durch das Einsparen des Treibhausgases CO2 zu erreichen versucht wird. Ein Alternativkonzept Pesochinskys zu den Türmen sieht vor, fünf Kilometer lange und zehn Meter durchmessende Schläuche aus tuch- oder folienartigem Material aufsteigen zu lassen. [4]

- Der Kanadier Louis Michaud und andere wollen Wirbelstürme im Innern von Türmen erzeugen. Unter anderem sollen durch seine Konstruktionen herkömmliche Kraftwerkskühltürme ersetzt werden. Dabei würde die in solchen Luftwirbelkraftwerken (Atmospheric Vortex Engine) - vermutlich - erzeugte Energie genutzt, wobei, wie in all diesen Ideen üblich, auch Wärme von nahe der Erdoberfläche in größere Höhen befördert würde. [5]

- Umgekehrt besteht auch die Idee, riesige Kühltürme zu bauen, an deren Spitze Meerwasser versprüht wird, das innerhalb des Turms herabregnet und dabei verdunstet, was mit einer Energieaufnahme verbunden ist. Die so abgekühlte Luft würde weiter absinken und am Boden aus dem Turm austreten.

- Über riesige Wärmetauscher, wie sie im kleinen Maßstab bereits zu Hunderttausenden in den polaren Breiten verwendet werden, um beispielsweise das Auftauen des gefrorenen Bodens entlang von Erdölpipelines in Alaska oder der Lhasa-Bahn in China zu verhindern, könnte Wärme von Bodennähe in größere Höhen verfrachtet werden. Ein typischer Wärmetauscher ist eine mit Ammoniak gefüllte Stahlröhre, die einige Meter aus dem Boden herausragt. Im unteren Bereich der Röhre, die im Permafrostboden steckt, verdunstet das flüssige Ammoniak, entzieht dabei der Umgebung Wärme. Der Ammoniakdampf steigt auf und gibt diese am oberen Ende der Röhre an die Atmosphäre ab. Dabei verflüssigt sich das Ammoniak, fließt nach unten, wo der Prozeß von neuem beginnt.

- In der Arktis könnte eine von Windenergie angetriebene Eismaschine Meereis produzieren. Durch den Phasenübergang von flüssig zu fest würde nicht nur der Umgebung Wärme entzogen, sondern es würde auch die Albedo (Rückstrahlung) des Nordpolarmeeres entgegen des aktuellen Trends wieder verstärkt.

Darstellung einer im Treibeis schwimmenden Fabrik samt Turm, aus dem in zwei Richtungen Schnee aus Meerwasser versprüht wird - Grafik: © Mit freundlicher Genehmigung von Renaud de Richter

Schwimmende Meereismaschine
Grafik: © Mit freundlicher Genehmigung von Renaud de Richter

Einige der ERM-Konzepte erinnern an die Vision von Desertec. Im Mittelpunkt dieses vor einigen Jahren einer breiten Öffentlichkeit vorgestellten Konzepts steht eine einfache Rechnung: Mit einer Photovoltaikfläche von 300 mal 300 Kilometern an einem einstrahlungsreichen Wüstenstandort könnte der elektrische Strombedarf der ganzen Welt abgedeckt werden. Damit hätte man noch nicht den Treibstoffverbrauch ausgeglichen, aber wenn man dann auch noch den gesamten Fahrzeugverkehr auf Elektroantrieb umstellte, bräuchte man die Fläche nur zu vergrößern. Dann wären beispielsweise die CO2-Einsparungsziele der Europäischen Union von 80 bis 95 Prozent bis zum Jahr 2050 leicht zu erreichen. All das apokalyptische Gerede vom Absaufen pazifischer Atolle und ganzer Küstenregionen, einschließlich einer Reihe von Megacities, wäre hinfällig ...

Leider werden sowohl bei der Desertec-Vision als auch den Träumen von gigantischen Aufwindkraftwerken und anderen Geoengineering-Projekten mehrere "spielentscheidende" Faktoren übersehen. Es wird vernachlässigt, daß die Herstellung der Türme, Photovoltaikflächen, etc. einen enormen Energie- und Rohstoffeinsatz erfordert, und das nicht nur unmittelbar für die Anlagen selbst, sondern auch für die Fabriken, in denen die Anlagen gebaut werden. Und für die Fabriken, um diese Fabriken herzustellen.

Die unverzichtbare industrielle Infrastruktur, um eine Solarzelle oder eine Turbinenschaufel für ein Aufwindkraftwerk herzustellen, ist gewaltig. Nur ein extremes Beispiel, um das zu berücksichtigende Ausmaß der infrastrukturellen Verzweigung zu veranschaulichen: Ohne die Arbeiter, die regelmäßig mit dem eigenen Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln in die Fabrik fahren, um Solarzellen oder Turbinenschaufeln herzustellen, sind die oben beschriebenen Konzepte zum Schutz vor der globalen Erwärmung nicht denkbar. In den Berechnungen zur energetischen Amortisationszeit beispielsweise von Kraftwerken werden üblicherweise "Abschneidekriterien" festgelegt, weil die Rechnung der Ingenieure völlig entufern würde, wollte man den energetischen Aufwand für die Herstellung der Wohnungen jener Fabrikarbeiter oder der Verkehrsmittel, mit denen sie zur Arbeit fahren, einbeziehen.

Methodisch ist das aber eine Schwachstelle, denn ohne die aus der Rechnung herausgestrichene industrielle Infrastruktur wäre niemals eine Solarzelle oder eine Turbinenschaufel entstanden. Es gäbe sie nicht, wenn dahinter nicht eine weitverzweigte Produktionskette stünde. Anders gesagt: Zu irgendeinem Zeitpunkt hat ein Energieverbrauch stattgefunden, damit Menschen heute Solarzellen und Turbinenschaufeln produzieren können. Und von solchen Zeitpunkten gibt es in der industriellen Entwicklung unendlich viele. Daß sie in den Berechnungen zur Energiebilanz nicht auftauchen, spricht nicht gerade für die Fähigkeit des Menschen, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.

Grafik: © Mit freundlicher Genehmigung von Renaud de Richter

Fabrik zur Wiedervereisung der Arktis: Vom Golfstrom aufgewärmtes Wasser des Nordpolarmeeres wird mittels einer langen Reihe von Becken auf einen Berg gebracht, wo der kalte Polarwind die Wärme entzieht. Kurz bevor das Wasser gefriert, wird es wieder zum Meer transportiert und entlassen, wo es die Meereisbildung unterstützt.
Grafik: © Mit freundlicher Genehmigung von Renaud de Richter

An dieser Stelle wäre der Einwand eines Wissenschaftlers denkbar: "Aber es geht doch darum, die Welt vor der globalen Erwärmung zu schützen, oder nicht? Ohne Geoengineering könnten klimatische Verhältnisse entstehen, bei denen viele Millionen Menschen sterben! Was interessiert mich der Energieaufwand im Laufe der Industriegeschichte - ist es nicht gut, daß ich mich theoretisch mit Geoengineering befasse, nur für den Fall, daß eines Tages Notmaßnahmen ergriffen werden müssen?"

In dieser Argumentation würde sich in gewisser Hinsicht die auf den eigenen Tellerrand begrenzte Sicht fortsetzen. Das hat auf der Climate Engineering Conference der Pflanzenbiologe Viliamu Iese von der University of the South Pacific in der Republik Fidschi im Interview mit dem Schattenblick treffend gesagt:

"Ich habe hier schon mehrfach gehört, wenn die Welt nur verzweifelt genug ist, würde man drastische Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen ergreifen. Aber von meinem Standpunkt oder dem der pazifischen Inselstaaten her besteht da eine Ungerechtigkeit. Auf wessen Verzweiflung hin wird man dann hören? Denn in der Zwischenzeit werden wir längst verzweifelt sein!" [6]

Man kann noch einen Schritt weitergehen und fragen: Fällt es vielleicht leichter, sich um die Millionen Menschen zu sorgen, die irgendwann in der Zukunft als Folge der Klimaentwicklung sterben, als um die Millionen Menschen, die hier und heute selbst unter klimatisch weniger extremen Bedingungen beispielsweise an Hunger oder vermeidbaren Krankheiten vorzeitig sterben? Verliert nicht der erhobene Anspruch, sich um die Welt von morgen zu sorgen, an Glaubwürdigkeit, wenn man die Welt von heute dermaßen schwerwiegend und dauerhaft vernachlässigt?

Das ist keine Frage der Moral, vielmehr hebt die Frage auf die heutigen gesellschaftlich vorherrschenden Produktionsverhältnisse ab, die sich nicht ändern würden, nur weil von kohlenwasserstoffgestützten auf sogenannte regenerative Energien umgeschaltet würde. Die beschriebenen ERM-Projekte würden, wenn sie funktionierten, an dieser gesellschaftlichen Ordnung nicht das geringste ändern. Menschen würden weiterhin genötigt, Lohnarbeit zu verrichten und eine Wirtschaftsweise am Laufen zu halten, die bereits für die Entstehung der produzierten Not maßgeblich verantwortlich ist und sich nun als Retter der globalen Erwärmungskrise aufspielt.

Vereinfachte Darstellung verschiedener ERM-Konzepte, bei denen die Wärme teils über die Wolkendecke befördert wird. - Grafik: © Mit freundlicher Genehmigung von Renaud de Richter

Meteorologische Kraftwerke zur Verstärkung der globalen Langwellenemissionen.
Von links: Wärmetauscher-Turm, Aufwindkraftwerk, Wirbelsturmkraftwerk, Kühlturm mit abfallenden Winden, äquatorialer Solarturm, Verstärkung der nächtlichen Abstrahlung.
Grafik: © Mit freundlicher Genehmigung von Renaud de Richter


Fußnoten:

[1] https://www.bundestag.de/blob/191498/f431adbf6710b93daea833922eca2f51/geo-engineering-data.pdf

[2] Da sich im Lagrange-Punkt L1 die Schwerefelder von Erde und Sonne gegenseitig aufheben, haben Wissenschaftler die Idee vorgetragen, hier, auf einer gedachten Verbindungslinie zwischen Erde und Sonne, könnten Spiegelflächen oder auch Staub ausgebracht werden, um die Sonneneinstrahlung zu verringern.
Wegen der besonderen Bedingungen in der Raumregion L1 wurden dort Satelliten wie das Sonnenobservatorium SOHO positioniert.

[3] Ian Edmonds Idee wird unter anderem hier beschrieben:
http://www.solartran.com.au/RENE3145%20(1).pdf

[4] http://www.superchimney.org/build.html

[5] http://vortexengine.ca/deutsch.shtml

[6] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0154.html


Zur "Climate Engineering Conference 2014" sind bisher in den Pools
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
unter dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" erschienen:

BERICHT/088: Klimarunde, Fragestunde - für und wider und voran ... (SB)
Ein Einführungsbericht

INTERVIEW/149: Klimarunde, Fragestunde - Hört den Wind ...    Pene Lefale im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimarunde, Fragestunde - defensiv zur Sicherheit ...    Prof. Jürgen Scheffran im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimarunde, Fragestunde - Folgen kaum absehbar ...    Prof. Mark Lawrence im Gespräch (SB)
INTERVIEW/152: Klimarunde, Fragestunde - geteilte Not, dieselbe Not ...    Dr. Thomas Bruhn im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimarunde, Fragestunde - Fortschritt in falscher Hand ...    Prof. Clive Hamilton im Gespräch (SB)
INTERVIEW/154: Klimarunde, Fragestunde - Erstickt nicht den Atem der Natur ...    Viliamu Iese im Gespräch (SB)
INTERVIEW/155: Klimarunde, Fragestunde - schlußendlich nach der Decke strecken ...    im Gespräch mit fünf Klimawandelexperten, -besorgten und -betroffenen der CEC'14 Tagung (SB)
INTERVIEW/156: Klimarunde, Fragestunde - Die guten ins Töpfchen ...    Prof. Steve Rayner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/158: Klimarunde, Fragestunde - Zeit für neue Kalküle ...    Dr. Rachel Smolker im Gespräch (SB)
INTERVIEW/159: Klimarunde, Fragestunde - Am Rande der Wissenschaften ...    Dr. Cush Ngonzo Luwesi im Gespräch (SB)
INTERVIEW/160: Klimarunde, Fragestunde - Ohren für die anderen ...    Dr. Bronislaw Szerszynski im Gespräch (SB)
INTERVIEW/161: Klimarunde, Fragestunde - für Aktivisten und Kritiker offen ...    Stefan Schäfer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/163: Klimarunde, Fragestunde - Gesprächstoleranz über die Maßen ...    Ian Simpson im Gespräch (SB)
INTERVIEW/164: Klimarunde, Fragestunde - Gegen den Strom ...    Dr. Elizabeth Bravo im Gespräch (SB)
INTERVIEW/165: Klimarunde, Fragestunde - Hoffnung im Verborgenen ...    Prof. James R. Fleming im Gespräch (SB)

30. September 2014