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BERICHT/056: Lebensraum Boden - Verschieben, verdrängen, ersetzen ... (SB)


Fruchtbare Böden werden weltweit immer knapper
Wissenschaftler beraten Konsequenzen und Gegenstrategien

Bericht zum gemeinsamen Pressegespräch der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft und der Universität Rostock
am 10. September 2013



Geläufige Redewendungen wie "jemandem den Boden unter den Füßen wegziehen" oder "den Boden unter den Füßen verlieren" versteht jeder Mensch sofort als das Gefühl vollkommener, unfaßbarer Haltlosigkeit beim Verlust der wichtigsten Existenzgrundlage. Denn ausgerechnet das zu verlieren, was einen selbstverständlich das ganze Leben einen sicheren Stand verleiht, "der feste Boden unter den Füßen", scheint so ungeheuerlich und auch so wenig wahrscheinlich und vorstellbar, daß niemand wirklich daran glaubt, es könnte jemals geschehen.

Acker im Frühjahr mit aufgerissenem Boden und tiefen Löchern - Foto: © Europäische Union, 1995-2012

Bodendegradation - Bodenerosion - Bodenverlust
Foto: © Europäische Union, 1995-2012

Und dennoch ist es so. An vielen Orten der Erde geht Boden heute schon verloren. Ganz schleichend und fast unmerklich geschieht das. Im Wortsinn ziehen drei gewaltige Kräfte an ihm: Man nennt sie Bodendegradation (hier vor allem der Verlust von Nährstoffen, Versauerung, Entkalkung, Verschlechterung der Bodenstruktur etc.), Bodendesertifikation (Verwüstung durch Wind- und Regenerosion) und Bodenversiegelung (Bodenverlust durch infrastrukturelle Flächennutzung). [1] Tatsächlich steckt dahinter jedoch direkt oder indirekt vor allem eine zerstörerische Kraft: der Mensch in seinem Bestreben, sich den Naturkörper "Boden" seinen Interessen entsprechend verfügbar zu machen.

Wie ernst die Situation bereits heute ist, stand im Mittelpunkt der Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft, für die vom 7. bis 12. September 2013 über 800 Wissenschaftler und Bodenexperten aus Deutschland und darüber hinaus an der Universität Rostock zum gegenseitigen Austausch zusammen gekommen waren, um in 15 Fachexkursionen und zahlreichen Vortragsveranstaltungen die Bedeutung des Bodens für Ernährung, Luftreinhaltung, Trinkwasserqualität und Klimaschutz zu erörtern.

Mehr als jeder andere können Bodenkundler ermessen, was ein jährlicher Bodenverlust von rund 35.000 Hektar fruchtbarem Ackerland allein in Deutschland bedeutet oder das weltweite, jährliche Defizit an Ackerboden von 24, 40 oder 75 Mrd. Tonnen [je nach Quelle [2]]. Pro Erdenbewohner entspricht das laut der Weltkonferenz "Global Soil Week" einer Menge von drei Tonnen im Jahr. Wieder andere sprechen davon, daß jedes Jahr eine Fläche von der Größe Bulgariens, 110.994 Quadratkilometer (11.099.400 Hektar), verloren geht, weil der Boden unfruchtbar wird. Die Fülle verschiedener Zahlen verwirrt und hängt vielleicht davon ab, wie drastisch die Zahlen für sich sprechen sollen. Die Warnung bleibt die gleiche: Wertvoller Boden verschwindet zunehmend.

Für die wissenschaftsgeprägte Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft und dem Gastgeber Rostock war die diesjährige Tagung ein Anlaß, den Boden als Naturkörper und zentralen Bestandteil von Ökosystemen, als Lebensraum für eine Vielfalt von Organismen und als Aussteuerungsorgan für den Stoff-, Wasser- und Gashaushalt, mit dem Begleitprogramm "Boden - Landschaft - Kunst", in den Blickpunkt einer breiteren Öffentlichkeit zu rücken und diesen auf die zunehmenden Gefahren für die "irdische" Haut zu fokussieren, damit man besser versteht, warum neben Dünger und Wasser nun auch Foschungsgelder für den Boden unabdingbar sind.

Neben dem Rektor der Universität Rostock, Prof. Dr. Wolfgang Schareck, stellten sich am 10. September 2013 auch drei Experten der Bodenkunde, Prof. Dr. Peter Leinweber (Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Uni Rostock), Prof. Dr. Bernd Lennartz (Ressourcenschutz und Bodenphysik, Uni Rostock) und der amtierende Präsident der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft, Prof. Dr. Thomas Scholten (Uni Tübingen) den Medien zur Diskussion.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Peter Leinweber, Prof. Wolfgang Schareck, Prof. Thomas Scholten und Dr. Ulrich Vetter (von links nach rechts) im Gespräch mit Journalisten
Foto: © 2013 by Schattenblick

Mit dem Tagungsmotto "Böden - Lebensgrundlage und Verantwortung" würde die Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft kundtun, erklärte Prof. Scholten, daß Bodenkundler nicht nur den Status quo feststellen und die Ursachen erforschen, sondern auch den Folgen für die gesamte Erde und den darauf lebenden Menschen nachgehen.

Für die Böden bedeute allein die Zunahme der Weltbevölkerung, daß mehr Nahrungsmittel bereitgestellt werden müßten, ohne daß sich die Erdoberfläche erweitern läßt. Etwas mehr als 95 Prozent der Nahrungsmittel würden nach wie vor auf Böden angebaut. Darüber hinaus ist Boden auch das Filtersubstrat für Trinkwasser, eine ebenfalls existentiell notwendige Ressource, die von der Kontamination mit Schadstoffen zunehmend bedroht ist. Der Schutz des Bodens ist ein wortwörtlich vielschichtiges Problem, an dem verschiedene Interessen miteinander in Konkurrenz treten.

Mit drei Lehrstühlen (Prof. Leinweber, Prof. Lennartz und Prof. Dr. Stephan Glatzel (Landschaftsökologie)) hat die Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät Rostock in der Bodenkunde einen Schwerpunkt gesetzt, von dem man in naher Zukunft Lösungskonzepte und Gegenstrategien erwartet, denn der Standort Rostock soll in diesem Fachbereich Exzellenz-Cluster werden.

Das bodenkundliche Dream-Team, wie es Prof. Scharek nennt, kann heute schon tatsächlich mit Ergebnissen aufwarten, wenn man den Blick auf einen nur kleinen Bereich der wortwörtlich vielschichtigen Bodendegradation, das Nährstoffdefizit und hier vor allem auf das naheliegendste, bereits auf 2030 datierte erste Mangelproblem "Phosphor" zuspitzt. Die Warnung vor dem Bodenverlust soll nicht so schwarz und unlösbar rüberkommen, wie es das gesamte Ausmaß womöglich darstellen könnte. Die Botschaft aus Rostock heißt: "Wir (die Bodenkundler) kümmern uns drum, so wie wir Möglichkeiten eröffnen, Phosphor zu rezirkulieren oder für Pflanzen leichter verfügbar zu machen."

Prof. Lennartz - Foto: © 2013 by Schattenblick

'Böden müssen immer in Wechselwirkung mit dem Wasser betrachtet werden. Die Bewirtschaftung unserer Böden hat Konsequenzen für die Ostsee im baltischen Raum.'
Prof. Lennartz (hinten, Ressourcenschutz und Bodenphysik)
Foto: © 2013 by Schattenblick


Schwerpunkt Phosphor

Phosphor oder in seiner häufigsten chemischen Verbindung, Phosphat, ist ein essentieller Baustein für alle Lebewesen. Ob Pflanze oder Tier, Phosphor kommt als Calciumphosphat in allen Knochen vor, er spielt im Energiestoffwechsel eine zentrale Rolle, er bildet aber auch gewissermaßen in den für die Erbsubstanz geltenden Molekülen, der sogenannten Desoxyribunukleinsäure, oder DNA, gewissermaßen das strukturelle Rückgrad. Sämtliche lebende Organismen beziehen ihren Bedarf an dem Mineral aus der Fleisch- oder Pflanzennahrung, die sie zu sich nehmen. Die Pflanze als eines der ersten Glieder dieser Nahrungskette, gewinnt den Phosphor in mineralischer, wassergelöster Form aus dem Boden, der daran zunehmend verarmt, weil die landwirtschaftlichen Produkte nicht wieder zurück in den Boden gelangen. Ein vollständiger Verbrauch sämtlicher Ressourcen würde nicht weniger als das Ende sämtlichen Lebens bedeuten.

Allerdings ist Phosphorersatz oder Düngung, die heute praktiziert wird, um diesen Mangel auszugleichen, auch nicht unproblematisch und führt zu zahlreichen schwerwiegenden Umweltproblemen wie die Euthrophierung. Phosphor gelangt mit den Niederschlägen über den Boden ins Grundwasser oder wird in die nahen Oberflächen- oder Fließgewässer ausgewaschen, was zu Algenwuchs, Sauerstoffverlust und im schlimmsten Fall zu einem Massensterben der Wassertiere führt. Die Gewinnung, Produktion und Vermarktung von Phosphor ist zudem im Höchstmaß energie-, wasser- und somit ressourcenaufwendig und trägt mit den Emissionen der verarbeitenden Industrie zu Klimaerwärmung und Luftverschmutzung bei. Darüber hinaus kommt Phosphor je nach Lagerstätte häufig mit giftigen Schwermetallen wie Cadmium vergesellschaftet vor, die auf den beschriebenen Wegen in den Boden und in das Wasser gelangen. Prof. Leinweber warnte hier vor allem vor Uran, das bereits im Trinkwasser gefunden werden kann. Der Grenzwert für Uran wurde seit dem 1. November 2011 auf 10 Mikrogramm Uran pro Liter [3] festgelegt, nachdem an einigen Stellen bereits 8 Mikrogramm pro Liter aufgetreten waren. Schon das wäre Grund genug, nach Alternativen zu derart gesundheitsgefährdenden Ressourcen zu forschen.

Historische Aufnahme: Phosphatabbau 1946 am Peace River, Florida USA - Foto: by State of Florida Photographic Archives, U.S. Geological Survey

Phosphorabbau, Flächennutzung und seine Folgen. Die Sediment- oder Landschaftsveränderungen zur Düngemittelproduktion machen das hurrikangebeutelte Gebiet bis heute für Extremwetterereignisse besonders angreifbar.
Foto: by State of Florida Photographic Archives, U.S. Geological Survey

Der Materialverlust des Wertstoffes auf dem Weg vom Mineralabbau zum Teller ist ebenfalls extrem hoch. Nur ein Fünftel der abgebauten Mengen wird schließlich mit der Nahrung konsumiert. [4] Der Überschuß an eingesetztem Phosphor verschwindet irgendwann im Meer, wie in einem Abfluß, aus dem sich vorerst nichts davon wieder zurückgewinnen läßt.

Mit einem vor allem auf Effektivitätssteigerung bedachten landwirtschaftlichen Umgang mit dem Bodenmineral Phosphor könnte sich der Mensch somit selbst dieser elementaren Lebensgrundlage berauben. Der auf 2030 terminierte Phosphormangel oder "Peak Phosphorus" wie man die größte Produktionsrate bei der mineralischen Phosphorgewinnung nennt, die dann erreicht sein wird, ist trotz seines warnenden Inhalts ein dehnbarer Begriff. Keiner der Experten kann wirklich sagen, wie groß die noch vorhandenen Phosphorreserven sind. Neue Technologien können möglicherweise auch Lagerstätten unter dem Meeresboden erschließen. [5] Allerdings gibt es bereits Studien, die für einen Zeitraum von 80 bis 120 Jahren [4], je nach Verbrauch, die komplette Erschöpfung der weltweit verfügbaren Phosphorlagerstätten prognostizieren.


"Nein, Phosphor ist durch nichts zu ersetzen"...

... erklärte Prof. Leinweber während des Pressegesprächs. Der konkrete Beitrag für ein im nachhaltigen Fachterminus "ressourceneffizientes Phosphormanagement"-Konzept über den gesamten Lebenszyklus heißt für ihn und die drei Rostocker Leibniz-Institute [6], die sich mit den Fragen befassen, wie man Phosphor am besten rezirkulieren und wie man die Effektivität der Düngung mit Phosphor in der Pflanze steigern kann: Knochenkohle. Im Zuge des EU-Rahmenprogramm-Projekts PROTECTOR [7] wird hier das komplette Recycling "Pflanze - Tier- Schlachtabfall - Boden" untersucht. Man nutzt die Calciumphosphat-haltigen Knochen, die aus Schlachtabfällen stammen und mit einer thermischen Behandlung sterilisiert werden, um Kreuzkontaminationen, die man von im organischen Landbau eingesetztem Fleischknochenmehl kennt, auszuschließen, und in einem Hochtemperaturverfahren, der sogenannten technischen Pyrolyse, in vollkommen sterile Kohle umzuwandeln. Die auf diese Weise gewonnene Knochenkohle ist ein schadstoffreier Dünger mit hohem Nährwert für die Pflanzendüngung. Knochenkohle wird laut Prof. Leinweber bisher nur für einige Nischenprodukte wie Pigmente für die Farbindustrie und dergleichen gebraucht.

Da die Ausgangsprodukte Schweine- und Rinderknochen vorher entfettet und entgelatinisiert wurden, womit Rohstoffe für die Lebensmittelindustrie oder die Kosmetikindustrie, um nur ein paar Beispiele zu nennen, gewonnen werden, kann man von einer kompletten Verwertung sprechen. Das EU-Projekt sieht allerdings auch vor, auf diese Art und Weise noch andere organische Materialien aus Nahrungsmittelabfällen oder auch Klärschlämme für die organische Düngung verfügbar zu machen, die ebenfalls Phosphor oder Phosphate enthalten. Die darin zu vermutenden Kontaminationen an Giften und Krankheitserregern wird die Recycling-Forschung vor noch ungelöste Fragen stellen.

Schlachthaus mit hängenden Rinderhälften - Foto: 2011 Myrabella, via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

Total-Recycling - eine Alternative zu mineralischem Phosphor?
Schlachtabfälle als ein Rohstoff für Knochenkohle, Nährstoff für die Agrarproduktion
Foto: 2011 Myrabella, via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

Pipette taucht in eine Lösung, Feststoffe fallen aus - Foto: © Fraunhofer IGB

Das EU-Projekt sieht vor, auch aus anderen organischen Abfällen Nährstoffe wie organischen und anorganischen Phosphor, Kalium, Stickstoff, Calcium als fertige Düngerprodukte zurückzugewinnen.
Foto: © Fraunhofer IGB

Weitere Fragen, die sich aus dem thermischen Karbonisierungverfahren ergeben, auf die hier aber aufgrund der Kürze der Zeit nicht näher eingegangen werden konnte, sind die nach dem zu erwartenden hohen Aufwand an Energie und nach möglicherweise vorgeschalteten Ausschlußverfahren für jene Schadstoffe, die auch Schlachtvieh im Laufe seines Lebens in seinen Knochen durchaus kumulieren kann, und die nichts in künftigen Nahrungsmitteln zu suchen haben. Man denke hier im Extremfall z.B. an unverkäufliche Sonder-Tierabfälle, die aus Notschlachtungen von Tieren stammen, die nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignet sind, weil sie aus radioaktiv belasteten Zonen wie Tschernobyl oder Fukushima stammen.

Auch Pflanzenzüchtungen werden untersucht und andere Möglichkeiten, die Phosphorreserven noch in tieferen Bodenschichten zu erreichen, sie mit phosphatmobilisierenden Zusätzen oder Mikroorganismen zu erschließen oder den Unterboden für die Pflanzenwurzeln besser erreichbar zu machen. Die Frage, ob mit dieser Art von Effektivitätssteigerung nicht ein bodenfeindliches Weitermachen wie bisher nur zeitlich in die Länge gedehnt wird, bzw. diese möglicherweise biotechnologischen Lösungsmöglichkeiten nicht wirklich etwas am räuberischen Umgang mit dem Boden ändern, stellt sich angesichts einer Milliarde hungernder Menschen auf der Welt vermutlich nicht.

Eins wird angesichts der Phosphorproblematik unweigerlich klar, der Zeitpunkt, an dem die landwirtschaftlichen Erträge zurückgehen, weil nicht genügend Phosphate ergänzt werden können, läßt sich nur verschieben, nicht aufhalten. Es gäbe zudem tropische und subtropische Regionen, die mehr Phosphatdünger benötigten. Weil dort die Bodenbestandteile den Phosphor stärker binden als anderswo, ist dieser gebundene Phosphor nicht mehr "pflanzenverfügbar". Und weil die Landwirte dort möglicherweise nicht genügend finanzielle Mittel haben, ausreichende Mengen an Dünger zu kaufen, ergänzte Leinweber, wird das Phosphatproblem wieder einmal zuerst die ärmeren Regionen treffen.

Trockenfurchen im Ackerboden - Foto: © Europäische Union, 1995-2012

Der Einfluß der Böden auf das Klima und der Klimaerwärmung auf den Humusverlust ist weitgehend unerforscht.
Foto: © Europäische Union, 1995-2012


Phosphor ist nur die Spitze des Eisbergs

Die interessengebundene Ausbeutung des Bodens durch den Menschen hat eine lange Tradition, die möglicherweise nicht erst mit dem Beginn der Agrarkultur anfing und entzieht sich damit dem Einflußbereich der Bodenkunde. Da Menschen von jeher dort siedelten und seßhaft wurden, wo Boden fruchtbar war und Lebensmittel erzeugt werden konnten, wurde und wird durch die sich von dort ausdehnenden Siedlungen zu Städten, gemeinsam mit einer zunehmenden Infrastruktur, der vielleicht fruchtbarste Boden immer weiter zubetoniert. Heute sind das in Deutschland 200 Hektar, 100 Hektar davon sind landwirtschaftlich nutzbare Fläche. In anderen Industrieländern sieht es ähnlich aus. Allein der Bedarf an Wohnraum pro Person hat enorm zugenommen. Zwar gibt es auf Landes- und Bundesebene Bemühungen darum, die Versiegelung mit Hilfe von gesetzlichen Regelungen auf 10 Prozent zu reduzieren. Das gelingt allerdings kaum, da hier die konkurrierenden Argumente für mehr Bodenschutz oder Infrastruktur bereits bei den politischen Entscheidungsträgern, die hier Gegenmaßnahmen ergreifen könnten, häufig zugunsten des wirtschaftsfördernden Strukturaufbaus schwerer wiegen. Das bedeutet jedoch auch, daß die derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Gewohnheiten allein durch den mit der Versiegelung einhergehenden Verlust an Ackerböden letztlich den bereits von einigen Experten erwarteten Mangel an Lebensmitteln in den nächsten Jahrzehnten und damit den Hunger auf der Welt fördern werden.

Der mit Monokulturen zur agrarwirtschaftlichen Gewinnsteigerung durchgeführte Raubbau hat in Amerika schon in den 30er und 40er Jahren ganze Landstriche im Mittelwesten verwüstet. Sand- und Staubstürme (sogenannte Dustbowls) haben die dort lebenden Menschen zum Umsiedeln gezwungen. Ähnliche Entwicklungen gibt es aber auch schon hierzulande. Auf der Autobahn A19 Wittstock-Rostock kam es vor wenigen Jahren zu einem riesigen Auffahrunfall in der Höhe von Kavelsdorf, als etwa 80 Fahrzeuge ineinanderfuhren, deren Fahrer von einer plötzlichen Staubvernebelung blind geworden waren. Humusverlust, der zu Wind- oder Wassererosion, zu Staubstürmen und Verwehungen führt, ist jedoch kein Einzelfall.

Hier wird auf ähnliche Weise wie seinerzeit in Amerika Landwirtschaft betrieben: zu beiden Seiten Ackerschläge bis zum Horizont. Auf dem ehemaligen LPG-Land werden großflächig Kartoffeln, Weizen und Raps angebaut. Die fehlende Bodenbedeckung sei die größte Gefahr für Erosion, erklärten die Rostocker Wissenschaftler. Besonders der Mais-Anbau bietet sich hier an. Laut Prof. Leinweber ist Maisanbau in den Größenordnungen wie wir ihn haben, bereits bodenschädigend. Er wird allerdings als Biospritlieferant ebenfalls aus Gründen der Nachhaltigkeit staatlich gefördert.

Insbesondere im Frühjahr, wenn Mais gesät wird, ist der Boden längere Zeit unbedeckt. In der kritischen Zeit, wenn Frühjahrsstürme kommen, kann es zu Winderosion kommen. Die weiten Reihenabstände fördern wiederum die Wassererosion. Der beste Bodenschutz, so die Bodenkundler, wäre eigentlich, den Boden dauerhaft bedeckt zu halten, so daß er für diese Naturerscheinungen weniger angreifbar wird.

Böden werden jedoch nicht nur von Wind und Wetter angegriffen, sie sind auch ein bedeutender Faktor im Klimageschehen. Zwar wurden die enormen Speicherkapazitäten an Kohlenstoff in diesem Rahmen nicht erwähnt. Angesprochen wurden jedoch bereits erkennbare allmähliche Veränderungen der Böden, die als Einfluß des Klimawandels gedeutet werden könnten. Es gäbe erste Anzeichen, meinte Prof. Leinweber, daß die Klimaerwärmung und die damit im Zusammenhang stehenden wärmeren oder milderen Winter den Humusabbau beschleunigen.

Das wären auch im Bereich der Bodenkunde noch heiß diskutierte Themen, die erst wissenschaftlich erschlossen und verstanden werden müßten, um Gegenstrategien zu entwickeln. Da könne auch der Landwirt noch gar nichts tun.


Ignoranz, das eigentliche Problem ...

Daß dies bereits jetzt einer Sisyphusarbeit gleichen wird, und die Bodenschützer dabei einen Krieg an mehreren Fronten zu führen haben, sollte wohl niemandem so klar sein wie den 800 Bodenkundlern, die sich auf Einladung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft diesmal an der Universität Rostock trafen. Angesichts der teilweise widersprüchlichen oder miteinander konkurrierenden Forschungsgebiete ist ein möglichst weitgesteckter, interdisziplinärer Austausch unbedingt erforderlich. Laut Prof. Scholten werden deshalb bereits heute fachübergreifend Studiengänge mit Titeln wie Ressourcenschutz oder Umweltmanagement angeboten, in denen die interdisziplinäre Entwicklung zum Ausdruck kommt. Dennoch greifen sie zu kurz.

Nehmen wir nur einen kleinen Teil der komplexen Zusammenhänge, dann entsteht bereits ein Teufelskreis, aus dem ein Entrinnen schon kaum mehr möglich scheint, da an seinem Anfang und an seinem Ende existentielle Interessen stehen: Boden ist eine wichtige strategische Georessource vor dem Hintergrund der steten Zunahme der Weltbevölkerung und der Verknappung von Nahrungsmitteln. Das erfordert künstliche Düngemittel angesichts der nährstoffverarmten Böden. Massive Chemie, auch organische, verändert jedoch das Bodenmilieu, der Lebensraum für Millionen von Organismen, die dadurch in ihren Funktionen, u.a. dem Aufbau von Humus, gestört werden, dessen Degradation wiederum Pflanzenschutzmittel oder eine neue noch zu erforschende Chemie erforderlich macht. Dies führt zu einem Aufschwung der Agrarindustrie oder auch Recycling-Industrie und damit zu vermehrtem Energieverbrauch und Flächennutzung, die wiederum die Bodenfläche und über den Emissionen-Klimaerwärmungskreislauf auch die Humusmasse reduziert.

Die Forschung kann an diesem Komplex - ihren immanenten Möglichkeiten entsprechend - immer nur Einzelfragen nachgehen, die aber nicht nur Probleme lösen, sondern möglicherweise weitere nach sich ziehen. Es gibt Lösungsmöglichkeiten, resümierte Prof. Leinweber die Fragen der anwesenden Medien, aber die sind vielleicht auch mit einer Infragestellung unserer Lebensweise insgesamt verbunden. Wie schwer diese grundlegende Infragestellung menschlichen Verhaltens offensichtlich ist, wird daran deutlich, daß man sich bereits bei der ersten Lösung, "weniger Fleisch", innerlich zufrieden zurücklehnt und aufhört zu fragen. Weniger Fleischkonsum würde weniger landwirtschaftlich genutzte Fläche in Anspruch nehmen, schloß Scholten. Mit dieser "Übergangstechnologie" könne man schon einiges bewegen.

Auf diese Weise werden erst im Verlauf ihrer Nutzung und auftretenden Unzulänglichkeiten die heute als Erfolgskonzepte gefeierten Lösungen, wie idealer schadstoffreier Recycling-Dünger oder Fleischverzicht in naher Zukunft, als der gleiche herkömmliche Raubbau mit organischen Mitteln erkannt. Eines läßt sich nicht von der Hand weisen: Die entscheidende Frage jedoch, die ein Umdenken nach sich zöge, das sich wesentlich nicht an vorherrschenden Konzepten oder Herangehensweisen (Wirtschaftswachstum, Ressourcenraub) orientiert, ist in der notwendigen Konsequenz noch nicht gestellt worden. Dabei hält die zunehmende Nachhaltigkeitsdiskussion doch zum Beispiel genügend Anregungen, Ideen und Recherchen bereit, das diesbezügliche gesellschaftliche Bewußtsein wie die Technologien und Produktionsweisen positiv zu verändern.

Ein Baum am Kai, völlig einbetoniert in die Uferbefestigung - Foto: © 2013 by Schattenblick

Bodenversiegelung bis zum Meer - Abendstimmung im Rostocker Hafen
Foto: © 2013 by Schattenblick

Anmerkungen:

Ein weiterer Bericht zum öffentlichen Vortrag von Prof. Felix Ekhardt und Interviews mit zu diesem Themenkreis engagierten Wissenschaftlern folgen.

[1] Bodendesertifikation, aber auch Bodenverdichtung und Bodenversiegelung sind ebenfalls Formen vom Menschen verursachter Umwandlungen des Bodens, d.h. der Bodendegradation. Der Begriff "Degradation" bzw. "Degradierung" beinhaltet, daß die Veränderungen negativer Art sind.

[2] Auf der Pressekonferenz wurde ein vermutlicher Mittelwert von 40 Mrd. Tonnen globaler Bodenverlust genannt. Die letzte Weltkonferenz "Global soil Week" von November 2012 legte den jährlichen Bodenverlust von 24 Mrd Tonnen zugrunde.
http://globalsoilweek.org/wp-content/uploads/2013/04/GSW_Media_Sheet_DE.pdf
Die UNO spricht von 75 Mrd Tonnen.
Das Umweltbundesamt (UBA) gibt die Fläche Bulgariens als Maßstab des Bodenverlusts an.

[3] 2008 hatte man laut einer Studie des Instituts für Pflanzenernährung und Bodenkunde einen Urangehalt unter anderem in Darmstadt, Kassel und Frankfurt am Main gemessen, der über zwei Mikrogramm pro Liter lag. Das ist der gesetzlich vorgeschriebene Höchstwert für Mineralwasser, das für Säuglinge geeignet ist. Am höchsten waren die Uranwerte im oberfränkischen Kulmbach. Dort wurden über acht Mikrogramm gemessen.
Siehe auch:
http://www.t-online.de/lifestyle/besser-leben/id_14314390/verbraucher-schutz-wo-das-wasser-am-meisten-uran-enthaelt.html

[4] Raimund Bleischwitz, Bettina Bahn-Walkowiak, Felix Ekhardt, Heidi Feldt und Lili Fuhr, International Resource Politics - New challenges demanding new governance approaches for a green economy", Seite 20 ff, Phosphorus - necessary to feed the world, Heinrich Böll Stiftung, Volume 26, 2012
http://www.boell.de/downloads/2012-06-International-Resource-Politics.pdf

[5] siehe auch Berichte und Interviews zum Kieler Workshop "Seafloor Mineral Resources: scientific, environmental, and societal issues" jeweils versehen mit dem kategorischen Titel "Rohstoff maritim", unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

[6] Institut für Ostseeforschung, Institut für Nutztierbiologie in Wummersdorf und das Institut für Katalyse am Südstadt Campus.

[7] PROTECTOR "Recycling and upgrading of bone meal for environmentally friendly crop protection and nutrition" (EU-FP6 Priority 5 Food Quality and Safety-Strep)
http://ec.europa.eu/research/biosociety/food_quality/projects/080_en.html

17. September 2013