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BERICHT/015: Stark in der Not - Inselsozialismus kreativ - Kubas Ergebnisse (SB)


"Nachhaltigkeit" in aller Munde - Kuba weist Ergebnisse vor

Veranstaltung zum Thema "Umwelt und Nachhaltigkeit in Cuba - Erfahrungen, Perspektiven und Rio+20" am 29. Mai 2012 in Berlin

Die Hauptreferentin Prof. Dr. María Cristina Muñoz Pérez - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Hauptreferentin Prof. Dr. María Cristina Muñoz Pérez
Foto: © 2012 by Schattenblick

Kuba. Ein Name ist Programm. Wer heute von Kuba spricht, meint das sozialistische Kuba, einen Inselstaat, der seit der Revolution von 1959 unzähligen Angriffen, Drohungen, Attentaten und Interventionsversuchen zum Trotz und ungeachtet einer politischen wie ökonomischen Destabilisierungs- und Boykottpolitik führender westlicher Staaten nie aufgehört hat, sein revolutionäres Projekt zu verfolgen. Diese Unbeugsamkeit hat dem mit rund 11,2 Millionen Menschen relativ kleinen Staat und mehr noch seiner politischen Führung die erbitterte Feindschaft jener Hegemonialkräfte eingetragen, deren historische Vorfahren die Insel im Jahre 1492 "entdeckten". Dieser "Entdeckung" folgten aus Sicht Kubas vier Jahrhunderte kolonialer Ausbeutung, bevor die Insel als spanische Kolonie am 20. Mai 1902 zwar formal unabhängig wurde, jedoch in einen Status neokolonialer Abhängigkeit übergeführt wurde gegenüber den USA, die nicht nur Mittel-, sondern ganz Lateinamerika zu ihrem "Hinterhof" erklärten.

Dreißig Jahre nach der kubanischen Revolution schien die kapitalistische Welt die Systemauseinandersetzung mit dem Herausforderer Sozialismus endgültig gewonnen zu haben. Die damalige Sowjetunion als Hauptstreitmacht des von ihr angeführten Blocks konnte zur Implosion gebracht werden. Damit war der Weg frei, wie es schien, für eine nun ungehinderte Vollendung eines mit dem Etikett "neoliberal" versehenen Projekts, das den kapitalistischen Frontstaaten und Eliten ebenso dauerhaft wie uneingeschränkt die von ihnen beanspruchte Hegemonie über Menschen, Regionen und Ressourcen sichern sollte. Das revolutionäre Kuba stellte aus Sicht dieser Kräfte schon immer einen Störfaktor dar, der sich aufgrund seiner Existenz sowie der fortgesetzten Bemühungen, der für tot und vergessen erklärten Idee des Sozialismus Leben einzuhauchen, den unversöhnlichen Haß der Weltmächtigen zugezogen hat. Es darf angenommen werden, daß über kaum einen zweiten Staat der Welt ein so hohes Maß an Des- und Fehlinformation vorherrscht. Nicht wenige Menschen, auch hier in Deutschland, würden mit Kuba zunächst einmal Begriffe wie "Diktatur" und "Menschenrechtsverletzungen" assoziieren, ohne sich zu fragen, woher ihre vermeintlichen Kenntnisse und mutmaßlich eigenen Einschätzungen eigentlich stammen.

Die vermeintliche Erfolgsstory des westlich-kapitalistischen Systems, das aus der Blockkonfrontation des sogenannten Kalten Krieges als einzig verbliebene Weltmacht hervorgegangen war, hielt nicht einen Tag, was sie versprach. Mit dem Ende des Sowjetsystems entfiel die Letztbegründung für Kriege und Aggressionen. Die Ineffizienz der weltweit implementierten neoliberal-kapitalistischen Raubstruktur, zur Lösung des brennendsten Menschheitsproblems - des Hungers - etwas beizutragen, trat ungeschminkt zu Tage. Der Hungertod unzähliger Menschen stellt das verschwiegene Ergebnis jahrhundertelanger kolonialer Ausbeutung und ihrer modernen Wurmfortsätze dar, die dem Zweck dienen, die brutale Realität des Überlebens zulasten der eigenen Art zu verschleiern und in positivistische Zusammenhänge zu stellen, so als wären Umwelt-, Natur- und sonstige Bedingungen tatsächlich monokausal verantwortlich zu machen für die Ausbeutung verarmter und hungernder Menschen durch die Satten und Reichen.

Der Umweltthematik wurde, auch wenn sie nicht in dieser Zeit erfunden wurde, von interessierter Seite mit Kalkül und Geschick eine herrschaftssichernde und -stabilisierende Funktion zugeordnet, um der drohenden und eigentlich unabwendbaren Legitimationskrise des herrschenden Systems Herr werden zu können. 1992, nur zwei Jahre nach dem Ende der Sowjetunion, luden die Großen dieser Welt sich selbst und alle übrigen Staats- und Regierungschef nach Rio ein, um eine weltweite Konferenz abzuhalten zu Umwelt und Entwicklung. Die tatsächliche Funktion der ersten Rio-Konferenz bestand allerdings darin, die sogenannten Entwicklungsländer glauben zu lassen, "wir alle", die Menschheit, wäre zusammengerückt, um die drängenden Menschheitsfragen zu lösen oder zumindest deren Linderung in Angriff zu nehmen. Dem Begriff der Nachhaltigkeit kam dabei eine zentrale Rolle zu, versprach er doch die perspektivische Lösbarkeit der schon damals dringend anstehenden und völlig unbewältigten Menschheitsprobleme. Rund 10.000 Delegierte aus 172 Staaten kamen in Rio zusammen, faßten Beschlüsse, hielten Reden, beschrieben Papiere und produzierten Absichtserklärungen zu ordnungspolitischen Zwecken.

Wenn nun in wenigen Tagen das nächste Großereignis dieser Kategorie bevorsteht und abermals Zehntausende Funktionsträger in Rio zusammenkommen, um bei der Rio+20-Konferenz abermals Reden zu halten und - vielleicht geringfügig modifizierte - Absichtserklärungen zu produzieren, wird festgestellt werden, daß die Beschlüsse der ersten Rio-Konferenz nicht die erhofften und damals in Aussicht gestellten Ergebnisse gezeitigt haben. Rio+20 allerdings könnte aus Sicht seiner Initiatoren aus dem Ruder laufen, wenn sich die Delegierten aus den seitens des reichen Nordens als Peripherie bezeichneten ehemaligen Kolonien zu einer Süd-Süd-Kooperation zusammenfänden, in der die westlichen Hegemonialmächte den ihnen gewohnten Einfluß gar nicht erst aufzubauen imstande sind, weil die Fakten und tatsächlichen Ergebnisse inzwischen eine so deutliche und unmißverständliche Sprache sprechen, daß die von der sogenannten internationalen Gemeinschaft propagierten Erklärungsmodelle und Handlungskonzepte kaum noch verfangen können. Es könnte, unbeabsichtigt und ungewollt von den eigentlichen Initiatoren dieser abermaligen Farce, einmal mehr deutlich werden, daß es gerade auch in den Wissenschaften keine Neutralität gibt und geben kann in einer solch hochpolitischen und konfrontativen Auseinandersetzung.

Kuba nun hat im Verlauf der Jahrzehnte einen Stand der wissenschaftlichen, praxiserprobten und -bewährten Forschung entwickelt, die aufhorchen lassen könnte und auch müßte, ginge es bei Rio+20 und all den übrigen, ähnlich gelagerten internationalen Aktivitäten tatsächlich um die dort vorgeblich verfolgten Fragen und bekundeten Absichten. Namentlich die westlichen Industriestaaten sind jedoch auffällig desinteressiert an dem, was kubanische Experten zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen zu sagen und zur weltweiten Diskussion beizutragen haben. So unterblieb in bundesdeutschen Medien nahezu ausnahmslos jegliche Berichterstattung über die Vortragsreise von Prof. Dr. Mariá Cristina Muñoz Perez von der Umweltagentur des kubanischen Ministeriums für Wissenschaft, Technologie und Umwelt (CITMA) zur Nachhaltigkeits- und Umweltpolitik ihres Landes, den auf Kuba bereits gemachten Erfahrungen sowie dem aktuellen Stand der Forschungsarbeit.

Julia Pippig (INES), Reinhard Baier (NABU), S.E. Jorge Jurado (Botschafter Ecuadors) und Prof. Dr. María Cristina Muñoz Pérez - Foto: © 2012 by Schattenblick

Julia Pippig (INES), Reinhard Baier (NABU), S.E. Jorge Jurado (Botschafter Ecuadors) und Prof. Dr. María Cristina Muñoz Pérez (v.l.n.r.)
Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Vorfeld der Weltkonferenz zu "Nachhaltiger Entwicklung" Rio+20 und angesichts des enormen Aufwands, der von offizieller Seite in allen beteiligten Staaten betrieben wird, mutet es unverständlich oder vielmehr entlarvend an, wenn eine Wissenschaftlerin ihres Ranges mit einer solch brisanten und hochinteressanten Thematik im gesamten Bundesgebiet von Repräsentanten des links-alternativen Spektrums, der Umweltschutzbewegung sowie der Kuba-Solidarität eingeladen und von offiziellen Stellen zur Gänze ignoriert wurde. Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) stellte am 29. Mai 2012 in Berlin-Mitte ihre Räumlichkeiten für eine Veranstaltung zum Thema "Umwelt und Nachhaltigkeit in CUBA - Erfahrungen, Perspektiven und RIO+20" zur Verfügung, für die Prof. Dr. Muñoz Pérez als Hauptreferentin gewonnen werden konnte. Nach mehreren Vorträgen binnen einer Woche in Leipzig, Altenberg, Göttingen, Bremen und Hamburg war Prof. Pérez auch nach Berlin gekommen, um auf dieser vom Netzwerk Cuba e.V. organisierten Podiumsdiskussion [1] die Erfahrungen, Ergebnisse und weiteren Forschungsansätze Kubas vorzustellen.

Die kubanische Spitzenwissenschaftlerin ist in der Umweltagentur (AMA) des kubanischen Ministeriums für Wissenschaft, Technologie und Umwelt (CITMA) tätig. Seit 2004 arbeitet sie dort in der Direktion für Forschungsprojekte und -programme der Umweltagentur wie auch für die Forschungsprojekte weiterer Einrichtungen. Sie leitet eine Expertengruppe zur Unterstützung des Nationalen Programms zur Bekämpfung der Versteppung und der Dürre und arbeitet in der Nationalen Expertengruppe für Studien zur Gefahren-, Gefährdungs- und Risikobewertung auf dem Gebiet der Tiergesundheit/-hygiene. Prof. Pérez war von 1976 bis 2000 als führende Veterinärmedizinerin am Nationalen Zentrum für Tier- und Pflanzengesundheit und darüber hinaus auch im Hochschulbereich aktiv. Sie ist im Bereich der Lehre und Ausbildung wie auch als Abgeordnete tätig, so beispielsweise 1998 als Vorsitzende der Ständigen Kommission für Kommunale Gesundheitsfürsorge und Umwelt in der Provinz Havanna.

Dr. Edgar Göll vom Vorstand des Netzwerks Cuba e.V. und der Freundschaftsgesellschaft Berlin-Kuba (FBK) erläuterte in seiner Begrüßungsansprache, daß Prof. Muñoz Pérez eingeladen worden war, um durch ihren Vortrag die Entwicklung Kubas in Sachen Ökologie, Umwelt und Nachhaltigkeit bekannter zu machen und ein "anderes Entwicklungsmodell" vorzustellen, das auch in anderen ALBA-Staaten verfolgt werde. Die Referentin stellte ihr Land einleitend kurz vor: Kuba ist eine der größten Inseln in der Karibik mit sechstausend Kilometern Küste. 3,5 der ingesamt 11,2 Millionen Einwohner Kubas leben in dem küstennahen Bereich, weshalb sie von den Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen sind. Als die kubanische Revolution 1959 siegte, war die Umwelt bereits stark angegriffen infolge einer vierhundertjährigen kolonialen Ausbeutung und weiterer 60 Jahre, die Kuba als US-amerikanische Neokolonie zubrachte. Seit 1959 sei das revolutionäre Kuba, wie Prof. Pérez erklärte, gekennzeichnet von Humanität, Unabhängigkeit und nationaler Souveränität und verfolge als oberstes Ziel die Verbesserung der Lebensqualität seiner Bevölkerung.

Um die aktuelle Situation in Hinsicht auf die bevorstehende UN-Nachhaltigkeitskonferenz Rio+20 zu verdeutlichen, zitierte die kubanische Wissenschaftlerin den früheren Staats- und Revolutionsführer Fidel Castro, der bereits auf der ersten Rio-Konferenz 1992 erklärt hatte: "Eine wichtige biologische Spezies läuft Gefahr zu verschwinden aufgrund der schnellen und progressiven Beseitigung seiner natürlichen Lebensgrundlagen: der Mensch." Zwanzig Jahre später habe Fidel Castro auf der internationalen Buchmesse bei einer Versammlung mit Intellektuellen erklärt, daß der "größte Widerspruch unserer Zeit die Fähigkeit der menschlichen Gattung, sich zu zerstören und ihre Unfähigkeit, sich zu regieren" sei. Dieses Zitat stammt aus einem auch im Internet vertriebenen Buch mit dem Titel "Unsere Pflicht zu kämpfen" [2], in dem Fidel Castro die Frage aufgeworfen habe, wofür der Mensch kämpfen und sein Leben einsetzen müsse, wenn wir davon ausgehen, daß die Welt nur noch zehn Jahre existiere?

Prof. Pérez in Großaufnahme - Foto: © 2012 by Schattenblic

Volle Konzentration - Prof. Pérez während ihres Vortrags
Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Pérez ließ diese Frage unbeantwortet auf ihre Zuhörer und Zuhörerinnen nachwirken und setzte ihren Vortrag mit einer Beschreibung der weltweit bestehenden Umweltprobleme fort, von denen auch Kuba betroffen ist. Konkret sprach sie von einer ansteigenden Zahl von Zyklonen, dem Verlust der biologischen Vielfalt, Versteppungen, zunehmenden Dürreperioden, Verschmutzungen der Umwelt wie dem CO²-Ausstoß in die Atmosphäre, Überschwemmungen, aber auch technologischen Katastrophen und extremen Situationen wie Kriegen. Um deutlich zu machen, einen wie hohen Stellenwert bei der Inangriffnahme all dieser Probleme politische Fragen spielten und daß die Menschen selbst zur Zerstörung beitrügen, zitierte sie aus der auf dem 1992er Gipfel verabschiedeten "Agenda 21" aus Kap. 4, wo festgehalten worden war: "Der wichtigste Grund für die fortschreitende weltweite Umweltzerstörung sind die nicht nachhaltigen Modelle des Konsums und der Produktion, speziell in den industrialisierten Ländern."

Die Referentin griff die in der Umweltschutzbewegung weitverbreitete Argumentation auf, daß, ausgehend vom Stand der Entwicklung von 2008, die Menschheit zwei Planeten bräuchte, um im Gleichgewicht mit der Welt zu leben, und wenn es ihr nicht gelingen sollte, eine "nachhaltige Entwicklung durchzusetzen", bräuchte sie im Jahre 2100 sogar vier Planeten. Die Begriffe Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung blieben sowohl in ihrem Referat als auch in der abschließenden Diskussionsrunde unhinterfragt, obwohl sie nahezu bis zur vollständigen Inhaltsleere von neoliberalen Kräften instrumentalisiert wurden und eigentlich eine konkrete Abklärung der tatsächlich mit ihnen verknüpften Stellungnahmen, Analysen und Standpunkten erfordern, um zu einer über den allgemeinen Konsens eines schnellen Verstehens hinausgreifenden Verständigung zu kommen, was selbstverständlich ausschließlich im Interesse all derjenigen liegt, die wie die an diesem interessanten Vortrags- und Diskussionsabend Teilnehmenden eine Gegenposition zum weltweit vorherrschenden neoliberalen Diktat aufbauen bzw. verstärken wollen. [3]

Prof. Pérez setzte ihren Vortrag mit der Frage nach den größten Auswirkungen des Klimawandels weltweit wie auch in bezug auf Kuba fort und benannte den Temperaturanstieg, der zu einem Anwachsen von Krankheiten sowie verringerten landwirtschaftlichen Erträgen führe. Desweiteren sprach sie von Verlusten der Wasserqualität und -verfügbarkeit, einer Bodenerosion und Beeinträchtigung der natürlichen Bewaldung, einer Überbeanspruchung der Mangrovenwälder, einem dramatischen Artensterben, einer Kontaminierung der Umwelt durch flüssige und feste Abfälle und nicht zuletzt einem immer noch zu geringen Umwelt- und Risikobewußtsein der Menschen. Die kubanische Wissenschaftlerin sprach von komplexen Wechselbeziehungen zwischen dem Klimawandel und den Umweltproblemen, die zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität der Menschen führe und sich auch auf die Ressourcen negativ auswirke, und erklärte in Hinblick auf den bevorstehenden Rio-Gipfel, daß eine nachhaltige Entwicklung wie auf Kuba erfordere, daß drei Grundpfeiler - wirtschaftliches Wachstum, soziale Gleichheit und Umweltschutz - adäquat beachtet werden und nicht einer von ihnen vernachlässigt werden dürfe.

Die Referentin lieferte ein persönliches und lebendiges Beispiel für die Politik und Herangehensweise ihres dem Sozialismus nicht abschwörenden Heimatlandes, war doch ihren Ausführungen unzweifelhaft zu entnehmen, daß ihr eine Trennung zwischen Umwelt- und sozialen Fragen, wie sie in der westlichen Welt propagiert und praktiziert wird, fremd ist. Für eine Kubanerin wie Prof. Pérez ist es bereits so selbstverständlich, die soziale Frage von der Sorge um die Umwelt und damit den Lebensbedingungen der Menschen nicht zu trennen, daß ihr gar nicht bewußt zu sein scheint, welch ein politisches Potential andernorts allein schon in dieser Herangehensweise liegt. Um ein Beispiel zu nennen: Zu der Frage, wie Kuba seit der Revolution 1959 gearbeitet habe, führte sie als ersten wichtigen Punkt an, daß das Land bereits zwei Jahre später den Analphabetismus überwunden hat. Zur Begründung erklärte sie, daß wir, wenn wir nicht lesen und schreiben können, die Entwicklung nicht verstehen können. Für Kuba ist es also selbstverständlich, daß Bildungspolitik auch Entwicklungspolitik ist und nicht eine Regierung ein Volk zu beherrschen sucht, sondern dessen Entwicklung zur kooperativen Inangriffnahme sozialer wie umweltbezogener Probleme voranzutreiben sucht.

Die Referentin skizzierte weitere Entwicklungsschritte des kubanischen Umweltschutzes folgendermaßen: 1976 wurde der Umweltschutz in Art. 27 in die Verfassung Kubas aufgenommen. 1992 wurde dieser Artikel infolge des 1. Rio-Gipfels um den Begriff der "Nachhaltigen Entwicklung" ergänzt. 1994 wurde eigens zu diesem Bereich ein neues Ministerium geschaffen - das Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Umwelt (CITMA), für dessen Umweltagentur die Referentin selbst tätig ist. Eine in drei Zyklen strukturierte Umweltstrategie wurde entwickelt und 2005 ein Programm aufgelegt, um die notwendigen Anpassungen an den Klimawandel zu bewerkstelligen. Im Ergebnis des 6. Parteikongresses der Kommunistischen Partei Kubas werden all diese Arbeiten und Programme derzeit auch noch aktualisiert. Der kubanischen Umweltschutzpolitik bzw. -bewegung liege, wie Prof. Pérez deutlich machte, eine strategische Vision von Fidel Castro aus dem Jahr 1960 zugrunde, in der der frühere Staatschef erklärt habe, daß Kuba nicht viele Naturressourcen habe und daß deshalb die Zukunft des Landes "notwendigerweise die des forschenden Menschen, des Intellektuellen", sein werde. Diese strategische Vision eines wissenschaftlichen Sektors als einer schnellstmöglich zu Ergebnissen führenden Produktivkraft habe sich, so Pérez, "auch dank der Solidarität, die wir empfangen haben in unserem Lande", erfüllt.

Die Umweltagentur, die sie vertrete, habe auch die Aufgabe, "unsere Menschen für die Umwelt zu sensibilisieren". In einem hochindustrialisierten Staat wie der Bundesrepublik Deutschland mit einem schier überbordenden Wissenschaftsbetrieb, dessen Institutionen ob ihrer Masse schwerlich vollständig aufgelistet werden können, ist wohl kaum auf Anhieb nachzuvollziehen, welch einen Stellenwert die Errichtung wissenschaftlicher Institute in einem kleinen Karibikstaat wie Kuba, der in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht seit dem Sieg der Revolution durch die Blockadepolitik der USA in seinen Möglichkeiten massiv eingeschränkt wird, einnimmt. Als wichtigste wissenschaftliche Zentren im Umweltbereich benannte die Referentin das Institut für Meteorologie (gegründet 1964), das Institut für Geophysik und Astronomie (1974), das Institut für Tropengeographie (1962), das Institut für Ökologie und Systematik (1986), das Institut für Ozeanwissenschaften (1965), das Zentrum für Bioprodukte des Meeres (2005), das Nationalaquarium Kubas mit großen erzieherischen Aufgaben (1960) und das Nationalmuseum für Naturgeschichte Kubas (1964), das auch eine breite Umweltarbeit leistet.

Prof. Pérez mit der Übersetzerin Margit Streblow auf dem Podium - Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Pérez mit der Übersetzerin Margit Streblow auf dem Podium
Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Pérez nahm auch zu den Ergebnissen der kubanischen Wissenschaft in Hinsicht auf Nachhaltigkeit und internationale Zusammenarbeit Stellung. In diesem Jahr (2012) wird es eine Bewertung der kubanischen Umweltprojekte, die zwischen 1992 und 2011 entwickelt wurden, durch den UN-Umweltfonds geben. Der Nachweis, daß es sich um Projekte handelt, die zu Erfolgen geführt haben und in die Regierungspolitik einbezogen wurden, konnte bereits erbracht werden. Aufgrund seiner hohen biologischen Diversität gehört Kuba zum regionalen und weltweiten Naturerbe und weist aufgrund seiner Gesamtartenzahl den höchsten Endemismus der Antillen auf. Der kubanische Staat betreibt ein nationales, vom Umweltfonds der Vereinten Nationen unterstütztes Schutzsystem im Zuge seiner nationalen Biodiversitätsstrategie, die für die Jahre 2011 und 2015 den jüngsten Entwicklungen angepaßt und aktualisiert wurde. Es gibt auf Kuba Schutzzonen, die von der UNESCO bestätigt wurden, und weitere, unter einem besonderen Schutz stehende biologische Standorte.

Eine wichtige und für die Ernährungssicherheit der Bevölkerung wesentliche Ressource stellen die landwirtschaftlichen Böden dar, die zu 65 Prozent eine niedrige, unterhalb der Hälfte ihres Potentials liegende Leistungsfähigkeit aufweisen, was die Referentin als Folge von fast fünf Jahrhunderten einer irrationalen und nicht-nachhaltigen Nutzung und einer damit einhergehenden Degradierung der Böden auswies. Die Bemühungen und damit einhergehenden Erfolge der kubanischen Umweltschutzmaßnahmen betreffen auch die Bewaldung des Inselstaates, der im Jahre 1959 einen bewaldeten Flächenanteil von 14 Prozent aufgewiesen hatte. Die kubanische Nachhaltigkeitsarbeit hat es ermöglicht, diesen Anteil auf 26,7 Prozent (2010) zu erhöhen. Die gegenwärtige Zielsetzung besagt, daß von 2011 bis 2015 die Bewaldung auf 29,4 Prozent gesteigert werden soll. Ein großes Problem stellt dabei aufgrund der Waldbrände die Dürre dar, weshalb ein landesweites Programm zum Schutz der Böden wie auch zur Bekämpfung der Versteppung und Dürren aufgestellt wurde, während weitere Projekte die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung sichern sollen. Prof. Pérez sprach in diesem Zusammenhang von einem neuen Paradigma und davon, den ökologischen Aspekt gegenüber dem rein landwirtschaftlichen zu betonen und erklärte, daß andere Staaten, die dieselben Probleme haben, selbstverständlich von den Erfahrungen und Erkenntnissen Kubas in diesem Forschungsbereich profitieren könnten.

Für das Jahr 2012 sagen kubanische Wissenschaftlicher für Kuba verheerende Dürren voraus, die aller Voraussicht nach ähnlich große Verluste wie die Dürre von 2005 hervorrufen werden. Immer wieder kommt es, wie auch in den gegenwärtigen Monaten, auf Kuba zu Niederschlagsdefiziten. Überhaupt ist die Wasserverteilung in einem landwirtschaftlich geprägten Land wie Kuba ein weiteres, wichtiges Problem. Da Kuba von Wasser sehr abhängig ist, wurden schon 1959 Anstrengungen unternommen, um die Wasserspeicherkapazität wieder herzustellen und zu vervielfachen. Auch hier hat Kuba respektable Ergebnisse aufzuweisen, konnte doch die Wasserspeicherkapazität von 48 Millionen Kubikmeter im Jahre 1959 auf heute über neun Milliarden angehoben werden durch eine Steigerung der Verfügbarkeit des Wassers wie auch einen sparsamen und rationalem Umgang mit dem Wasser.

Nachhaltigkeitsentwicklung bedeutet in bezug auf Kuba, so fuhr die Referentin fort, zum einen von der Verletzbarkeit des Landes durch Naturkatastrophen auszugehen und daraus Konsequenzen für die Bodenbewirtschaftung sowie die Produktionsstätten zu ziehen und zum anderen sich mit den Erscheinungen des Klimawandels, als da wären Niederschlagsdefizite, verstärkte Dürren und vermehrte Wirbelstürme, intensiv auseinanderzusetzen. Schon heute überschreiten die Folgen des Klimawandels auf die Ressourcen der Insel die bisherigen Klimaauswirkungen deutlich. Kuba hat sich zum Ziel gesetzt, hier die dringend erforderlichen Anpassungsmaßnahmen zu vollziehen und wird dabei vom UN-Umweltfonds unterstützt. In Zusammenarbeit mit der Zivilverteidigung des Landes werden umfangreiche Studien erstellt zu Gefahren, Schwachpunkten und Risiken. So wird untersucht, inwiefern durch den Anstieg des Meeresspiegels und starke Winde auch die Gefahr küstennaher Überflutungen angewachsen ist und welche Gefährdungen durch Waldbrände, Dürren, Erdrutsche und Erdbeben bestehen.

In einem Großprojekt werden die Auswirkungen des ansteigenden Meeresspiegels in einem Szenario für 2050 und einem weiteren für 2100 dargestellt, um aufgrund dieser Kenntnisse und Einschätzungen Gegenmaßnahmen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene treffen zu können. In einer Gefahrenkarte werden in der Version 2.0 von 2009 die gefährdeten Siedlungsbereiche dargestellt als Grundlage für Anpassungsmaßnahmen, die entsprechenden Frühwarnsysteme und Evakuierungspläne. Spätestens an dieser Stelle sei - in Ergänzung zu dem Vortrag von Prof. Perez - einmal darauf hingewiesen, wie Kuba in den zurückliegenden Jahren bereits mit derartigen Katastrophen umgegangen ist. Im Jahre 2005, als das gegen Kuba verhängte Handelsembargo der USA bereits 45 Jahre alt war, erwies sich der Inselstaat als deutlich qualifizierter - oder sollte man sagen, interessierter? - in Sachen Katastrophenbewältigung und Nothilfen aller Art als das Nachbarland, die reichste Nation der Welt, die von dem Hurrican "Katrina" heimgesucht wurde.

Als in New Orleans tausende Menschen ums Leben kamen und viele Überlebende, in Stadien eingepfercht, tagelang ohne jede Versorgung neben Sterbenden und Toten ausharren mußten, hatte die kubanische Regierung dem großen Nachbarn Hilfe durch eine Notfallbrigade von zunächst 1000 Ärzten, deren Zahl dann auf 1500 erhöht wurde, angeboten. In Washington wurde dieses Hilfsangebot nicht einmal einer Antwort für würdig befunden und lediglich mit der Bemerkung quittiert, Castro soll seinem eigenen Volk "Freiheit" anbieten. Nach Einschätzung nicht weniger Experten hätten die kubanischen und katastrophenerfahrenen Ärzte vielen Menschen das Leben retten können.

Auf Kuba selbst waren zu diesem Zeitpunkt bei ähnlich starken Wirbelstürmen in der Katastrophenbewältigung bereits große Erfolge erzielt worden. Im Juli 2004 hatte der Hurrikan "Dennis" über Kuba gewütet und schwere Verwüstungen angerichtet, wobei 16 Menschen starben. Im September desselben Jahres fegte mit "Ivan", der zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen der letzten hundert Jahre zählte, ein weiterer Hurrikan über die Insel hinweg, ohne daß ein einziger Kubaner ums Leben kam. Bei beiden Stürmen war es den kubanischen Behörden gelungen, über 1,5 Millionen Menschen in kürzester Zeit zu evakuieren und die besonders gefährdeten Küstengebiete vollständig zu räumen. Alles war bestens vorbereitet und organisiert. Die Menschen wurden mit Bussen in bereitstehende Schutzräume gebracht, wo Wasser und Lebensmittel zur Verfügung standen und medizinische Versorgung geleistet werden konnte. 80 Prozent der Flüchtlinge fanden Aufnahme in privaten Haushalten, was ein untrügliches Zeichen für den Zusammenhalt der kubanischen Bevölkerung untereinander wie auch die Bereitschaft zur Kooperation der Menschen mit den Behörden darstellt.

Im Jahre 2005 hatte Kuba abermals mit einem verheerenden Wirbelsturm zu kämpfen. "Gustav" richtete Verwüstungen an, die so verheerend waren, daß Fidel Castro in einem Beitrag schrieb, die Zerstörungen erinnerten ihn an Hiroshima, das er nach dem Zweiten Weltkrieg besucht hatte. Sachschäden in Millionenhöhe waren entstanden, über 100.000 Häuser waren zerstört worden - doch kein einziger Mensch hatte sein Leben verloren, und abermals wurde mit staatlicher Hilfe und gegenseitiger Unterstützung der Kampf um die Versorgung der Menschen mit Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten geschlagen. Nach Angaben des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) hat es in den Jahren 1998 bis 2008 über 20 Tropenstürme über Kuba gegeben, denen insgesamt 35 Menschen zum Opfer fielen. Eine solch geringe Zahl an Todesopfern stellt das wohl denkbar überzeugendste Argument für die generelle Politik Kubas dar, die dem 1959 gegebenen Versprechen, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und soziale Gerechtigkeit durchsetzen zu wollen, ungeachtet der massiven Behinderungen aus dem Ausland gemessen an diesen und weiteren Ergebnissen gerecht geworden ist.

Referenten und Teilnehmer der Podiumsdiskussion an einem langen Tisch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Intensiv ins Gespräch vertieft - Referenten und Teilnehmer an einem Tisch
Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Perez setzte ihren Vortrag fort mit der Frage, welche Prognosen für die Zukunft vorliegen. Auszugehen ist nach ihrer Einschätzung von einem allmählichen Temperaturanstieg bis zum Jahr 2100 von etwa 1,6 bis 2,5 Grad Celsius. Durch den Anstieg des Meeresspiegels wird auf Kuba ein Rückgang der Landflächen in Tiefebenen von 2,31 Prozent bis 2050 und von 5,44 Prozent bis 2100 erwartet. Dies bedeutet zum Beispiel, daß bis 2050 voraussichtlich 122 küstennahe Siedlungen betroffen sind, weshalb die kubanischen Behörden heute schon damit anfangen, Vorkehrungen für diese Überschwemmungen zu treffen und die entsprechenden Anpassungsmaßnahmen vorzubereiten. Mit einem nationalen Programm zur Rückgewinnung von Stränden sollen zudem die negativen Auswirkungen auf den Tourismus reduziert werden. Die Referentin stellte desweiteren das Nationale Ozonbüro in Havanna vor, das auch vom UN-Umweltfonds unterstützt wird und dessen Ziel darin besteht, den Import und die Verwendung von chlorierten Kohlenwasserstoffen abzustellen.

Im Energiebereich wäre Kuba ein interessanter Gesprächspartner für die Staaten der Europäischen Union und auch Deutschlands, da in Kuba intensiv an Fragen der Energieeffizienz gearbeitet wird. Prof. Pérez erläuterte die praktischen Auswirkungen des entsprechenden Regierungsprogramms ihres Landes. So wurden auf Kuba bereits drei Millionen ineffiziente Kühlschränke gegen energiesparendere Modelle ausgetauscht. Durch ein seit 2006 bestehendes Programm wurden Glühbirnen abgeschafft, was sich auf die Energieversorgung des Landes bereits positiv ausgewirkt habe. Auf Kuba wird auch an sogenannten "erneuerbaren Energiequellen" gearbeitet, was in den bergigen Regionen, die an das nationale Stromnetz nicht angeschlossen werden konnten, besonders wichtig ist. Erschlossen werden Wind-, Wasser- und Sonnenenergie, auch die Zuckerindustrie wird einbezogen, alles unter der Maßgabe, die Finanzierung der weiteren Entwicklung des Landes sicherzustellen. Bereits 2010 konnte Kuba von sich sagen, viele der Milleniums-Entwicklungsziele erreicht zu haben. Bis zum Jahre 2015, so erklärte die kubanische Wissenschaftlerin, werde ihr Land weiter darum kämpfen, die Ziele zu erfüllen und die Energieeffizienz noch weiter zu steigern.

Das Recht auf Bildung beispielsweise ist auf Kuba umgesetzt, so wie es in der UN-Dekade für Bildung und Nachhaltigkeit für 2005 bis 2014 deklariert worden ist. Seit 1997 gibt es auf Kuba eine nationale Strategie für Umwelterziehung. Ein eigenes Forschungsprogramm widmet sich allen Bildungsebenen, unterstützt die Bildungspläne und sorgt für die Umsetzung der Verpflichtungen, die sich aus dem UNESCO-Programm für nachhaltige Entwicklung ergeben. Zur Bildung und Weiterbildung des gesamten Volkes wurde ein Projekt "Universität für alle" ins Leben gerufen. Die kubanische Alphabetisierungskampagne mit dem Titel "Ja, ich kann" ("Yo si puedo") ist weit über Kuba hinaus bekannt und erfolgreich zur Anwendung gebracht worden. 28 Staaten haben dieses Programm übernommen und ebenfalls gute Ergebnisse erzielt. Mehr als fünf Millionen Menschen haben mit diesem Programm bereits lesen und schreiben gelernt. Es gibt Textversionen in 21 Sprachen. Für blinde Menschen wurde das Programm ins Braille-System übertragen, auch taube Menschen oder Personen mit leichten geistigen Problemen wurden berücksichtigt.

Zu den größten Erfolgen auf Kuba gehört mit Sicherheit auch das Gesundheitssystem, das, wie Prof. Pérez erläuterte, für alle Bürger garantiert wird. Darüberhinaus leistet Kuba jedoch auch im Ausland medizinische Hilfe. So engagiert sich Kuba im Rahmen eines internationalen Gesundheitsprogramms in über 70 Ländern, wobei die kubanischen Ärztebrigaden auch in den entlegendsten und schwer zugänglichsten Regionen arbeiten. Mit einem speziellen, gemeinsam mit Venezuela 2004 entwickelten Programm, der Operation "Wunder", wird augenärztliche Hilfe in über 16 Ländern geleistet. Bereits seit 1960 unterhält Kuba das internationale Kontingent "Henry Revé", das aus spezialisierten Ärzten besteht, die bei Naturkatastrophen und schweren Epidemien Unterstützungsarbeiten leisten.

An internationaler Anerkennung Kubas mangelt es nicht. In der WWF-Studie "Unserer lebendiger Planet" wurde Kuba 2006 als das einzige Land mit einem nachhaltigen "ökologischen Fußabdruck" bezeichnet. Im Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) von 2007/2008 wird Kuba unter den Ländern mit einem hohen "Index menschlicher Entwicklung" aufgeführt und nimmt dort den 51. Platz ein. Die Nichtregierungsorganisation "Save the Childen" kam 2011 zu dem Ergebnis, daß Kuba weltweit den 8. Platz beim Schutz und der medizinischen Versorgung der Kinder einnimmt - womit der kleine Karibikstaat noch viele der sogenannten entwickelten Staaten übertroffen hat. Im UNICEF-Bericht "Zur Situation der Kinder, Bilanz der Unterernährung" des vergangenen Jahres heißt es klipp und klar: "Kuba ist das einzige Land Lateinamerikas ohne Unterernährung der Kinder."

Prof. Pérez beendete ihren hochinformativen Vortrag mit einem Ausblick auf die wichtigsten Umweltziele Kubas in den kommenden Jahren und nannte die Fertigstellung eines Programms zur Anpassung an den Klimawandel und die Garantie der Nachhaltigkeit bei der Verwendung natürlicher Rohstoffe. Als größte Beeinträchtigung der Entwicklung Kubas bezeichnete die Wissenschaftlerin die bereits über ein halbes Jahrhundert andauernde und laufend verschärfte völkermörderische Blockade durch die USA, die bis heute zu wirtschaftlichen Verlusten in Höhe von 104 Milliarden Pesos geführt habe, womit die psychologischen Folgen noch nicht einmal beziffert wären. Und natürlich ist Kuba wie alle anderen Staaten der Welt von den weltweiten Finanz-, Wirtschafts- und Umweltkrisen sowie den globalen Klimawandel betroffen. Die schlimmste Beeinträchtigung sei allerdings, wie die Referentin betonte, die Blockade durch die USA, die seit 1992 jedes Jahr von der Vollversammlung der Vereinten Nationen mit stetig wachsender Mehrheit verurteilt wird. Im vergangenen Jahr wurde mit 186 Staaten, die sich für die Aufhebung des Embargos aussprachen, bei zwei Gegenstimmen (USA und Israel) und drei Enthaltungen ein neuer Rekord erreicht, ohne daß dies tatsächlich zur Beendigung der US-Blockadepolitik gegen Kuba geführt hätte.

Prof. Pérez beschloß ihren Vortrag mit einem Appell an solidarische Menschen, Kuba darin zu unterstützen, die fünf unschuldig in den USA einsitzenden Kubaner zurückzubringen. Sie machte deutlich, daß der kubanische Standpunkt nicht lautet: "Ihr sollt glauben", sondern "Ihr sollt lesen", um zu verstehen, wie unmenschlich aus humanitärer Sicht die Behandlung der fünf Kubaner ist und erklärte, daß das kubanische Volk bis zum Schluß für ihre Rückkehr kämpfen werde und garantiere, daß sie - auch aufgrund der international wachsenden Solidarität - zurückkehren werden. [4] In Hinblick auf den bevorstehenden Gipfel in Rio stellte sie klar, daß aus Sicht Kubas über eine neue globale Wirtschaftsweise, die die vitalen sozialen Bedürfnisse bei einem geringen Verbrauch natürlicher Ressourcen befriedige, diskutiert werden müsse. Sie erteilte jedwedem Alleinvertretungs- und -herrschaftsanspruch eine Absage und sprach sich dafür aus, "eine Einheit in der Vielfalt zu schaffen" auf der Basis der Erkenntnis, daß die anstehenden Probleme alle Menschen betreffen und auch nur von allen gelöst werden können.

Fußnoten:

[1] Die Veranstaltung wurde vom Netzwerk Cuba, einem Dachverband von über 40 Gruppen der Kuba-Solidarität, in Kooperation mit der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative "NatWiss - Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V." (www.natwiss.de), dem Verein "Unterstützung internationaler Kommunikation kritischer WissenschaftlerInnen und IngenieurInnen e.V. - KriWi" (www.kriwi.org) und dem internationalen Netzwerk "INES - International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility" (www.inesglobal.com) organisiert.

[2] Das Buch "Nuestro deber es luchar" (Unsere Pflicht ist zu kämpfen) wird z.B. vom Internetportal Cubadebate zum freien Herunterladen angeboten.

[3] Zur Kritik an dem Begriff "Nachhaltigkeit" siehe im Schattenblick im Fachpool UMWELT/REPORT den Bericht über eine Veranstaltung am 21. März 2012 beim GIGA Forum in Hamburg:
BERICHT/014: Konferenz Rio+20 - grüner Kapitalismus in den Startlöchern (SB)
www/schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0014.html

[4] Bei diesen fünf Kubanern handelt es sich um Ramón Labandiño, Antonio Guerrero, René González, Gerardo Hernández und Fernando González. Die "Cuban Five" waren 1998 wegen angeblicher Spionage in den USA zu Freiheitsstrafen zwischen elf Jahren und Lebenslänglich verurteilt worden, weil sie versucht hatten, auf dem Boden der USA Terroranschläge gegen Kuba zu verhindern, indem sie exilkubanische Gruppen in Florida unterwandert und deren Anschlagsplanungen nach Kuba gemeldet hatten. René González ist zwar inzwischen auf freiem Fuß und konnte im Frühjahr seine Familie auf Kuba besuchen, muß jedoch noch für die Zeit einer dreijährigen Bewährungsstrafe in den USA verbleiben.

Der Eingang des 'Michaelsen Palais', dem Sitz der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler - Foto: © 2012 by Schattenblick

"Michaelsen Palais" - Schauplatz einer Veranstaltung der Kuba-Solidarität inmitten Berlins
Foto: © 2012 by Schattenblick

8. Juni 2012