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RESSOURCEN/210: Umwelt - Versorgung und Überleben ... (SB)



Kein Land der Erde ermöglicht seinen Bürgerinnen und Bürgern ein gesundes, langes und glückliches Leben innerhalb der planetaren Grenzen. Entweder ist der Ressourcenverbrauch übermäßig oder aber die Grundbedürfnisse der Menschen werden nicht erfüllt. Das fand eine Forschergruppe unter anderem von der Universität Leeds bei der vergleichenden Analyse von 151 Ländern heraus.

Das Vereinigte Königreich oder die USA, die ihren Bevölkerungen ein gutes Leben böten, müßten den Ressourcenverbrauch zur Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse um den Faktor 2 bis 6 reduzieren, heißt es in der Studie, an der auch das in Berlin ansässige Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) beteiligt ist. Auf der anderen Seite verbrauche ein Land wie Sri Lanka zwar nicht mehr Ressourcen, als der Planet hergebe, aber es könne wiederum die Grundbedürfnisse der Bevölkerung nicht ausreichend decken. Die an der Studie Beteiligten, die eine Nähe zu Postwachstumsideen erkennen lassen, sprechen sich dafür aus, daß beides zusammenkommt und allen Menschen ein nachhaltiges und sozial zufriedenstellendes Leben geboten wird.

Als global nachhaltig gilt der Ressourcenverbrauch (oder auch die Inanspruchnahme von Ressourcen wie die Atmosphäre, in der die CO2-Emissionen landen) eines Staates dann, wenn alle anderen Staaten den gleichen Verbrauch haben könnten, ohne daß die Ressourcen der Erde in absehbarer Zeit erschöpft werden und eine Notlage entsteht.

Bei der im Journal Nature Sustainability [1] veröffentlichten Studie u. a. von Dr. Daniel O'Neill und Dr. Andrew Fanning, beide vom Sustainability Research Institute der Universität Leeds, wurden die Staaten nach sieben Umwelt- und elf Sozialindikatoren untersucht und in Beziehung zu ihrem Ressourcenverbrauch (abzüglich der Effekte des internationalen Handels) gesetzt. Erstere bauen auf den "planetaren Grenzen" (Klimawandel, Landnutzungsänderungen, Trinkwasserverbrauch, u. a.) auf, die das Stockholm Resilience Centre beschrieben hat und die besagen, daß ein dauerhaftes Überschreiten einer solchen Grenze einen katastrophalen Wandel nach sich ziehen würde. Die verwendeten sozialen Indikatoren (wie Höhe der Lebenserwartung, Zugang zu Energie, demokratische Mitbestimmung, Zufriedenheit der Bevölkerung, gesundes Leben bis 65 Jahre und Beseitigung der Armut unterhalb von 1,90 US-Dollar pro Tag) orientieren sich an den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen. Den übergreifenden Rahmen der Studie, bei der planetare Grenzen und soziale Schwellen zusammen untersucht werden, geht auf die Ökonomin Kate Raworth zurück, die ihren Ansatz in dem Buch Doughnut Economics (2017) beschrieben hat.

Der ernüchternde Befund: Kein Land kommt auch nur in die Nähe eines umwelt- und sozialverträglichen Lebens. Die größte Annäherung an das Ideal stellte die Forschergruppe bei Vietnam fest, das sechs der elf Sozialindikatoren erfüllt und nur eine der sieben sogenannten biophysikalischen Grenzen überschreitet, nämlich die CO2-Emissionen. Auf einer interaktiven Website sind die Daten zu den einzelnen Ländern abrufbar. [2]

Wenn die mehr als sieben Milliarden Menschen ein gutes Leben innerhalb der Grenzen unseren Planeten haben sollen, sind "radikale Veränderungen" notwendig, schreibt Leitautor O'Neill in The Conversation [3] und führt näher aus: Das mindeste wäre, die Einkommensungleichheit dramatisch zu verringern und so schnell wie möglich von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien zu wechseln. Am wichtigsten aber wäre es, wenn reiche Länder wie die USA und das Vereinigte Königreich ihr Streben nach Wirtschaftswachstum überwinden, da das nicht länger das Leben der Menschen innerhalb dieser Länder verbessert, sondern die Menschheit immer näher an die globale Umweltkatastrophe heranbringt.

Theoretisch gibt die Erde genügend her, damit die Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigt werden könnten, glauben die Autoren. Doch gelte das nicht mehr für andere soziale Ziele jenseits der Grundbedürfnisse. Als Beispiele werden Sekundarschulbildung und gehobener Lebensstil genannt.

In der Untersuchung wird unausgesprochen vorausgesetzt, daß alle Menschen gleich sind und folglich den gleichen Anspruch an Überlebenssicherheit und Lebensqualität haben. Nicht berücksichtigt wird, daß manche Menschen gleicher sind. So sind in Deutschland, dem Vereinigten Königreich und insbesondere den USA keineswegs die Grundbedürfnisse aller Einwohnerinnen und Einwohner gedeckt. Rein rechnerisch wird die Armut innerhalb der reichen Länder unkenntlich gemacht, weil in ihnen der Wohlstand und das Wohlbefinden vergleichsweise hoch ist und für statistischen Ausgleich sorgt.

Die Vorstellung, daß allen Menschen ein nachhaltiges und sozial gesichertes Leben beschert werden könnte, hat etwas Sympathisches. Jedoch birgt der Versuch, eine offenkundig schlechte Weltgesellschaft zu verbessern, die Gefahr, daß dabei das Abzulehnende eher noch verstärkt wird. Berechnungen zum Ressourcenverbrauch eines jeden Menschen könnten beispielsweise Bestandteil einer gesellschaftlichen Zuteilungsadministration werden und zum genauen Gegenteil dessen pervertiert werden, was mit der Studie beabsichtigt wird, nämlich den Entzug des Zugangs zu bestimmten Ressourcen begründen. Um eine solche Entwicklung zu verhindern müßte der geforderte "radikale Wandel" wohl um einiges tiefer greifen, als es eine am Staatsmodell orientierte Studie zu leisten vermag.


Fußnoten:

[1] https://www.nature.com/articles/s41893-018-0021-4

[2] https://goodlife.leeds.ac.uk/

[3] https://theconversation.com/is-it-possible-for-everyone-to-live-a-good-life-within-our-planets-limits-91421

9. Februar 2018


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