Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

RESSOURCEN/155: Konzertierte EU-Offensive für Fracking (SB)


Mindeststandards für Fracking - Wegbereiter der umstrittenen Erdgas- und Erdölförderung



In jüngster Zeit haben verschiedene Institutionen der Europäischen Union die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß in den Mitgliedsländern die umstrittene Methode des Frackings bei der Förderung von Erdöl und Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten großmaßstäblich eingesetzt werden kann. Eingedenk der laufenden Verhandlungen der EU mit den USA über ein gemeinsames Freihandelsabkommen (TTIP) könnte der Eindruck aufkommen, als sollten dadurch Bedingungen geschaffen werden, damit zukünftig nordamerikanische Erdöl- und Erdgasunternehmen in der EU "fracken".

Als unkonventionell werden die Lagerstätten bezeichnet, weil der Energieträger nicht in Form einer großen Blase, sondern verteilt auf viele Poren, Spalten und andere kleine Hohlräume im Gestein, bis zu mehreren tausend Metern unter der Erdoberfläche, vorliegt. Bei einem typischen Frackingvorgang wird solch eine Schicht, bei der es sich zumeist um Schiefergestein handelt, zunächst vertikal, dann horizontal angebohrt und mit einer in das Bohrloch abgesenkten Perforationskanone gelöchert und gelockert. Das anschließend unter hohem Druck in den Untergrund gepreßte Gemisch aus Wasser, Sand und einem Chemikaliencocktail weitet die Spalten und bricht das Gestein regelrecht auf, so daß das Erdöl oder Erdgas zusammenströmen und im Anschluß an das Produktionswasser hinaufgepumpt werden kann.

Die Befürworter des umweltgefährdenden Frackings verweisen gern darauf, daß die Methode auch in Deutschland schon seit vielen Jahrzehnten eingesetzt wird und keine Folgeschäden für Mensch und Umwelt bekannt sind. Diese Aussage ist jedoch so nicht zutreffend. Weder Deutschland noch ein anderes europäisches Land verfügt über nennenswerte Erfahrungen mit der Fördermethode, von der hier die Rede ist und wie sie derzeit vor allem in den USA unter dem Titel "Fracking" oder "Hydrofracking" betrieben wird. So heißt es am 22. Januar 2014 in einer Mitteilung der Europäischen Kommission an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament "über die Exploration und Förderung von Kohlenwasserstoffen (z. B. Schiefergas) durch Hochvolumen-Hydrofracking in der EU":

"Beim derzeitigen Stand der technologischen Entwicklung erfordert die Schiefergasförderung den kombinierten Einsatz von Hochvolumen-Hydrofracking und Richtbohrungen (vor allem horizontale Bohrungen). Bislang wurden in Europa hauptsächlich Erfahrungen mit Niedrigvolumen-Hydrofracking in einigen konventionellen und Tight-Gas-Speichern (überwiegend in vertikalen Bohrlöchern) gewonnen, das nur einen geringen Teil der bisherigen Öl- und Gasförderung in der EU ausmachte. Gestützt auf die Erfahrungen in Nordamerika, wo das Hochvolumen-Hydrofracking in großem Umfang angewendet wird, erproben Betreiber in der EU dieses Verfahren nun weiter." [1]

Wer einen Luftballon mit Gas füllt und erfolgreich aufsteigen läßt, besitzt noch lange nicht die Fähigkeit, Luftschiffe zu steuern. Um also beurteilen zu können, ob Fracking in der EU "sicher" verwendet werden kann, wie es die Befürworter dieser Methode behaupten, genügt nicht der Blick in die eigene Vergangenheit, in der mit niedrigen Volumina gearbeitet wurde. Man muß schon über den großen Teich schauen, und da sieht es für die Gasförderunternehmen gar nicht so gut aus. Fast täglich wird aus irgendeinem US-Bundesstaat über neue Verunreinigungen von Böden und Gewässern, unkontrollierte Methanausgasungen, Verschandelungen der Landschaft durch Bohraktivitäten, Staub-, Geruchs- und Lärmbelästigungen der Anwohner, Verschwendung von zu knappem Trinkwasser oder Unfällen berichtet. So ist erst vor einer Woche ein Chevron-Bohrloch in Green County, Pennsylvania, explodiert. Tagelang war das ausströmende Gas immer wieder entflammt und erloschen, so daß man sich der Bohrstelle nur unter großer Gefahr nähern konnte. Ein Arbeiter wurde bei der Explosion leicht verletzt, ein anderer ist seitdem verschwunden. [2]

Die EU-Kommission empfiehlt in der obigen Mitteilung die Festlegung auf Mindeststandards für Fracking. Damit erweckt sie den Eindruck, als würde sie die Bedenken der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen. Doch war eine komplette Ablehnung des Frackings von vornherein keine Option. Das deckt sich mit der Vorstellung des deutschen EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der wiederholt gefordert hat, man solle Fracking eine Chance geben. Einmal ließ seine Begründung gar die Befürchtung aufkommen, daß sie mehr auf persönliche Animositäten gegenüber dem russischen Präsidenten gestützt ist als auf die gebotene Nüchternheit bei diesem Thema, denn er sagte am 11. November vergangenen Jahres auf der Handelsblatt-Tagung Energiewirtschaft in Wien: "Wir brauchen in Europa die Option des Fracking, zumindest als Drohung gegen Putin." [3]

Rußland ist der mit Abstand wichtigste Gaslieferant der Europäischen Union, die auf diesem Gebiet der Energieversorgung eine strategische Abhängigkeit eingegangen ist. Aber das Problem allein an der Person Putins festzumachen, läßt ein oberflächliches Politikverständnis vermuten, bei dem anscheinend die Personifizierung an die Stelle von handfesten politischen und geopolitischen Interessen sowohl der Europäischen Union als auch Rußlands getreten ist.

Eine Festlegung von Mindeststandards beim Fracking, wie es die EU-Kommission vorschlägt, bedeutet, daß die Methode eingeführt werden kann, sobald die Vorgaben erfüllt sind. Anschließend wird ein Unionsmitglied nicht mehr so einfach begründen können, warum es Fracking ablehnt, widerspräche es damit doch der Einschätzung der übergeordneten Administration, welche die Standards festgelegt hat.

Mitteilungen der EU-Kommission haben einen verbindlichen Charakter, der etwa dem von Leitlinien entspricht. In diesem Fall sind die EU-Staaten angehalten, die Empfehlungen binnen sechs Monaten umzusetzen und der Kommission ab Dezember 2014 jedes Jahr über ihre Fracking-Vorhaben zu berichten, so daß diese überwacht werden können. Nach 18 Monaten soll die Wirksamkeit dieses Ansatzes überprüft werden. [4]

Daß sich hinter den wohlfeilen Worten der Mitteilung nicht das verbirgt, was sie versprechen, macht unter anderem die Kritik des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) deutlich. Dessen Vizepräsident, Michael Beckereit, zeigte sich enttäuscht und spricht laut Euractiv von einer Gefährdung der europäischen Trinkwasserressourcen. [4]

Die Vorsitzende der Fraktion Grüne/EFA im Europaparlament, Rebecca Harms, lehnt Fracking grundsätzlich ab. Einerseits. Auf der anderen Seite sagt sie aber auch, daß für alle Frackingprojekte, einschließlich der Suche nach Schiefergas, "zumindest Umweltverträglichkeitsprüfungen zur Pflicht werden" und "klare Angaben für Mindestabstände und Verbote von Fracking in sensiblen Gebieten gemacht werden" müssen. Das klingt schon weniger nach einer uneingeschränkten Ablehnung.

Harms hat die Gelegenheit für eine Attacke gegen den politischen Gegner genutzt: "Die EU-Kommission macht mit diesen Vorschlägen den Weg frei für gefährliches Fracking in der EU. Ihre unverbindlichen Empfehlungen schützen weder die Umwelt noch die europäischen Bürger. Anstatt die bekannten Gesundheitsrisiken und Umweltprobleme von Fracking in Angriff zu nehmen, beugt sich EU-Kommissionspräsident Barroso der Öl- und Gasindustrie und ihren politischen Unterstützern, wie David Cameron." [5]

Auch das EU-Parlament hat sich am 5. Februar im Rahmen der Beratungen zur "Klima- und Energiepolitik 2030" zum Fracking geäußert. Umweltverbände begrüßten, daß sich die EU-Abgeordneten "für bindende Ziele für 40 Prozent Energiesparen, 40 Prozent Treibhausgasreduktionen und 30 Prozent erneuerbare Energien" aussprechen. [6] Aber was das Fracking betraf, so hatten nur 239 Abgeordnete dagegen votiert, die Mehrheit von 384 Abgeordneten dagegen lehnte ein Verbot ab. [7]

Das EU-Parlament besitzt zwar keine Entscheidungsbefugnis, doch stellt das Ergebnis eine Rückendeckung für die Staats- und Regierungschefs dar, wenn sie im nächsten Monat zur Beratung zusammenkommen. Eine Minderheit von EU-Staaten hatte bereits im Dezember vergangenen Jahres im Europäischen Rat verhindert, daß für die Schiefergasexplorations- und Extraktionsaktivitäten Umweltverträglichkeitsprüfungen zur Pflicht gemacht werden. Der italienische EU-Abgeordnete Andrea Zanoni, der sich für solche Prüfungen stark gemacht hatte, war empört: "Das ist inakzeptabel. Europa ist nicht der Wilde Westen!" [8]

Es ist erst wenige Tage her, da unterstrich der Umweltausschuß des EU-Parlaments einmal mehr seine Funktion als Feigenblatt für Wirtschaftsinteressen. Das EU-Parlament hatte am 5. Februar neue Rahmenrichtlinien für Umweltverträglichkeitsprüfungen (EIA - Environmental Impact Assessments) beschlossen und dabei mit 344 zu 258 Stimmen gefordert, daß bereits die Aufsuchung (Exploration) von unkonventionellem Erdgas eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern sollte. Dieser Passus wurde vom Umweltausschuß gestrichen. Federführend hierbei seien das Vereinigte Königreich, Polen, Litauen und eine Handvoll weiter EU-Staaten gewesen, berichtet EnergyDaily unter Berufung auf eine UPI-Meldung. [8] Über seinen mit 46 zu acht Stimmen bei zwei Enthaltungen angenommenen Text werde auf der Plenarsitzung vom 10. bis 13. März in Strasbourg abgestimmt, teilte der Umweltausschuß mit. [9]

Der Rat, die Kommission und das Parlament der Europäischen Union befürworten das Fracking. Die entsprechenden administrativen Vorbereitungen in jüngster Zeit sind sicherlich nicht allein mit einer vorauseilenden Angleichung des Rechtsrahmens mit den USA zu erklären. Die EU hat ein eigenes Interesse am Fracking, sie will die Importabhängigkeit zumindest verringern und eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber ihren Geschäftspartnern, respektive Rußland, erlangen. Den Preis dafür werden die Bürgerinnen und Bürger der Union zahlen, die allerdings umgekehrt davon profitieren, wenn die Europäische Union ihre wirtschaftliche Vormachtstellung auf diese Weise gegenüber anderen Ländern bzw. Wirtschaftsräumen sichert.

Die EU muß einen großen Teil der von ihr verbrauchten Energieträger importieren, was in den Herkunftsländern weitreichende Umweltzerstörungen hinterläßt. In Ostsibirien sind die Flüsse und Seen mit Öl verseucht; in den Appalachen werden ganze Bergkuppen weggesprengt, um die Kohleflöze freizulegen; die Staubstürme Nordnigers verteilen Uranpartikel in der Umwelt; und die keineswegs unbewohnten Tropenwälder Asiens fallen dem Plantagenanbau von Palmen für die Produktion von Treibstoff zum Opfer, der auch in Europa verbraucht wird. Durch das Fracking rückt also ein wenig näher, was für die Einwohner anderer Weltregionen seit langem Alltag ist. Das rechtfertigt diese umstrittene Fördermethode nicht, läßt aber die Ahnung aufkommen, daß das Problem der Energiegewinnung größer ist, als es zunächst den Anschein hat.


Fußnoten:

[1] http://register.consilium.europa.eu/doc/srv?l=DE&t=PDF&gc=true&sc=false&f=ST%205706%202014%20INIT

[2] http://www.post-gazette.com/news/environment/2014/02/16/Gas-well-fires-extinguished/stories/201402160220

[3] http://www.handelsblatt.com/politik/international/oettinger-auf-handelsblatt-tagung-wir-brauchen-in-europa-die-option-des-fracking/9058578.html

[4] http://www.euractiv.de/energie-und-klimaschutz/artikel/fracking-eu-kommission-empfiehlt-mindeststandards-008459

[5] http://www.rebecca-harms.de/index.php/presse/eu-kommission-macht-weg-frei-fuer-gefaehrliches-fracking-56545

[6] http://www.eu-koordination.de/umweltnews/news/klima-energie/2484-eu-parlament-stimmt-fuer-drei-verbindliche-ziele

[7] http://www.vorarlbergernachrichten.at/politik/2014/02/05/wer-in-strassburg-fuer-fracking-stimmt.vn

[8] http://www.energy-daily.com/reports/Euro_Parliament_panel_exempts_shale_gas_from_beefed-up_rules_999.html

[9] tinyurl.com/ozlp2zw

18. Februar 2014