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KLIMA/754: FCKW-Ersatz - Verschlimmbesserung ... (SB)



Die Zerstörung der Ozonschicht hatte 1987 zum schrittweisen Verbot von FCKWs in Kühlschränken, Klimaanlagen, Haarsprays, etc. geführt. Entsprechende Ersatzstoffe kamen auf den Markt, die allerdings die globale Erwärmung verstärkten. Jetzt wird in einer kanadischen Studie festgestellt, daß auch die Ersatzstoffe der Ersatzstoffe ihrerseits in chemische Verbindungen zerfallen, über die man noch nicht viel weiß außer, daß sie extrem langlebig sind und zu einer Klasse von Chemikalien gehören, die umwelt- und gesundheitsschädlich sein können.

Die Atmosphärenchemikerin Cora Young von der Universität York in Toronto und ihr Team haben Eisbohrkerne aus dem Devon-Eisschild in Nunavut im hohen Norden Kanadas analysiert und herausgefunden, daß sich seit 1990 der Gehalt an kurzkettigen Perfluoralkylcarbonsäuren (short-chain perfluoroalkyl carboxylic acids - scPFCAs) um den Faktor zehn gegenüber der Zeit vor Abschluß des Montrealer Protokolls zum Schutz der Ozonschicht erhöht hat. Die scPFCAs sind ein Zerfallsprodukt von Kältemitteln und zählen zu den per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (per- and polyfluoroalkyl substances - PFAS). Einige von ihnen bergen teils hohe Umwelt- und Gesundheitsrisiken.

Das 1987 beschlossene Montrealer Abkommen zum Schutz der Ozonschicht wird häufig als Vorbild für erfolgreiche internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des globalen Umweltschutzes bezeichnet. Damals hatte die Staatengemeinschaft beschlossen, die Produktion und Nutzung der ozonschichtzerstörenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) zu beenden bzw. auslaufen zu lassen. Seitdem scheint sich das Ozonloch über der Antarktis allmählich zu schließen. Dieser Erfolg hat jedoch einen Preis, der womöglich bis heute nicht bezahlt ist.

Die scPFCAs können vom Wind getragen weite Strecken zurücklegen, bis sie mit Regen oder Schnee beispielsweise in Flüssen, Seen und Feuchtgebieten landen, wo sie Süßwassertiere wie Insekten, Krebse und Würmer schädigen. Die heutigen Trinkwasseraufbereitungsanlagen vermögen diese Substanzen nicht aus dem Wasser herauszufiltern, das heißt, wir nehmen sie mit dem Wasser auf. Inzwischen wurden sie schon in menschlicher Nahrung (Obst, Gemüse, Getreide) und im menschlichen Blut nachgewiesen.

In der kanadischen Studie, die in den Geophysical Research Letters [1] veröffentlicht wurde, waren alle drei bekannten chemischen Zerfallsprodukte der scPFCA untersucht worden. Demnach hat deren Konzentration in der Umwelt in den letzten Jahren mehr und mehr zugenommen. Besonderes Augenmerk der Studie galt der Anreicherung von Trifluoressigsäure (trifluoroacetic acid - TFA), die zwar auch beim Zerfall von HFC-134a entsteht, aber in größerer Menge durch den Zerfall von HFO-1234yf, das seit 2017 für Klimaanlagen in Autos verwendet wird.

Der ursprüngliche Ersatzstoff für ozonschichtzersetzende Fluorchlorkohlenwasserstoffe war HFC-134a. Das ist jedoch, auf einen Zeitraum von 100 Jahren bezogen, 1300mal und auf 20 Jahre bezogen sogar 3710mal so klimawirksam wie Kohlenstoffdioxid. Deshalb hatte man Ersatz für den FCKW-Ersatz gesucht. Noch heute meint man, ihn in HFO-1234yf gefunden zu haben. Denn diese chemische Verbindung hat den Vorteil, daß sie die Ozonschicht nicht zersetzt und auch nur 4,4mal so klimawirksam ist wie Kohlenstoffdioxid. Das wäre also zu verkraften in Anbetracht der im Verhältnis zum menschengemachten Kohlenstoffdioxid, das bei der Verbrennung fossiler Energieträger emittiert wird, geringen Menge, die hiervon global freigesetzt wird.

Wie gesagt, wenn HFO-1234yf zerfällt, entstehen scPFCAs, die zu den PFAS zählen. Nach Angaben der OECD aus dem Jahr 2018 gibt es mindestens 4.700 PFAS. [2] Diese Stoffgruppe ist künstlichen Ursprungs; vor Beginn der chemischen Industrie gab es sie nicht. Nicht nur die Chemieindustrie macht riesige Umsätze mit den teilweise nachweislich krankmachenden Verbindungen, die in zahlreichen Produkten Eingang gefunden haben, sondern auch die Pharmazie, Medizin, Medizintechnik und andere Bereiche des Gesundheitswesens sowie die Umweltschutzbranche. Denn einige PFAS sind krebserregend, machen auf andere Weise krank, sorgen für Fehlgeburten, etc und sie müssen in der Umwelt überwacht werden. Alles in allem ein riesiges Geschäft zu Lasten der menschlichen Unversehrtheit.

Laut einer vom Nordischen Ministerrat in Auftrag gegebenen soziökonomischen Analyse mit dem Titel "The cost of inaction" (Die Kosten der Tatenlosigkeit) zu den Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen durch die Exposition mit PFAS aus dem Jahr 2019 belaufen sich die PFAS-verursachten Gesundheitskosten im Europäischen Wirtschaftsraum auf 52 Mrd. bis 84 Mrd. Euro jährlich. [3]

Wer übernimmt die Verantwortung dafür, sollte eines Tages festgestellt werden, daß durch die Kühlmittel in Autos chemische Verbindungen wie TFA freigesetzt werden und diese krebserregend sind? Etwa die Autoindustrie, die bereits Verursacherin eines signifikanten Teils der städtischen Feinstaubbelastung und damit für zahlreiche erkrankte oder vorzeitig verstorbene Menschen verantwortlich ist? Oder die chemische Industrie, die gut daran verdient, daß sie Stoffe auf den Markt bringt, die nach einigen Jahren, wenn über eine Reihe von Studien endlich der Nachweis ihres Schadenspotentials erbracht wurde, profitträchtige Ersatzstoffe aus dem Hut zaubert, die sich ebenfalls erst nach einigen Jahren als gesundheitsschädlich herausstellen?

Man weiß noch nicht, was die scPFCA, respektive ihr Beiprodukt TFA, in der Nahrung und dem menschlichen und tierischen Organismus anrichten, aber sicherlich ist generell äußerste Wachsamkeit geboten angesichts der vielfältigen Schädigungen, die Menschen seit Beginn der chemischen Industrie und der massenhaften Verbreitung ihrer Produkte erfahren haben. Wenn sich ein synthetischer Stoff wie TFA praktisch gar nicht in der Umwelt abbaut und laut der kanadischen Studie vermutlich in der gesamten nördlichen Hemisphäre ausgebreitet hat, und wenn man dann noch weiß, daß diese Substanz einer Stoffgruppe zugeordnet ist, die krankmachen kann, dann stellt sich spätestens nach dem in der EU geltenden Vorsorgeprinzip die Frage, ob die Kältemittel der inzwischen vierten Generation nicht schon wieder obsolet sind und vom Markt genommen werden müßten.

Noch wichtiger jedoch wäre es zu fragen, ob nicht die menschliche Produktionsweise, durch die immer wieder Substanzen in die Umwelt entlassen werden, deren Schadensfolgen man viel zu spät erkennt (wenn überhaupt), auf den Prüfstand gehört und nach gänzlich anderen Kriterien als den vorherrschenden ausgerichtet werden sollte. Das hieße dann wohl, von wirtschaftlicher Wachstumsnot, Profitorientierung und Konsumismus Abschied zu nehmen.


Fußnoten:

[1] https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1029/2020GL087535

[2] http://www.oecd.org/officialdocuments/publicdisplaydocumentpdf/?cote=ENV-JM-MONO(2018)7&doclanguage=en

[3] http://norden.diva-portal.org/smash/get/diva2:1295959/FULLTEXT01.pdf

18. Mai 2020


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