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KLIMA/722: Permafrost - zehn Jahre vielleicht ... (SB)



Abgerutschtes Holzhaus, teils von Sand überspült, im Winkel von 45 Grad an Abbruchküste - Foto: National Park Service

Folgen des Permafrostschwunds: In Shishmaref, Alaska, stürzen Häuser ins Meer
Foto: National Park Service

Der Permafrost taut mit zunehmender Geschwindigkeit auf. Was vor kurzem eine internationale Forschergruppe in einer arktisweiten Übersichtsstudie festgestellt hat, wird durch weitere Einzelbeobachtungen bestätigt. Beispielsweise stießen kürzlich russische Forscher im nordsibirischen Randmeer auf ein Gebiet, in dem Methan in einer so hohen Konzentration aufstieg, wie sie zuvor in der Region nirgends gemessen worden war. Und in Alaska muß inzwischen ein ganzes Dorf umziehen, weil die Küste, an der seine Häuser stehen, nicht mehr gefroren ist und daher rasend schnell erodiert.

Selbst wenn durch die globale Erwärmung das gewaltige Treibhausgaspotential des im Permafrost eingeschlossenen organischen Materials niemals auf einen Schlag freigesetzt werden würde, können die zunehmenden Emissionen von Methan aus der Arktis die sowieso schon knappe Zeit, in der die globale Erwärmung theoretisch noch aufzuhalten ist, auf unter zehn Jahre verkürzen. Bis 2030 muß die Umkehr geschafft sein, damit das im Klimaübereinkommen von Paris beschlossene Ziel, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad, "möglichst 1,5 Grad Celsius", zu begrenzen, eingehalten wird.

Die Auswertung von über 100 Meßstationen in der Arktis hat ergeben, daß die Kohlenstoffabgabe im Winter die Aufnahme dieses treibhauswirksamen Gases während der sommerlichen Vegetationsperiode deutlich übersteigt. Die Arktis gilt daher als Kohlenstoffquelle. Alles, was klimatisch im Hohen Norden geschieht, wirkt sich auf das globale Klima aus und umgekehrt. Als Permafrost werden Böden, Sedimente oder Gesteine bezeichnet, die mindestens zwei Jahre in Folge gefroren sind.

Der Erwärmungstrend des Permafrosts wird sich bis Ende des Jahrhunderts um 41 Prozent verstärken, sollten die Menschen unverdrossen wie bisher Treibhausgase emittieren, berichtete die Forschergruppe um Hauptautorin Susan M. Natali, Direktorin des Arktis-Programms am Woods Hole Research Center, im Journal "Nature Climate Change". [1]


Seitenansicht des Schiffs - Foto: Digifruitella, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Russisches Forschungsschiff "Akademik Mstislav Keldys"
Foto: Digifruitella, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Mitte Oktober 2019 meldeten russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Tomsk Polytechnic University (TPU) und anderen Institutionen des Landes, daß sie bei einer Expedition mit dem Forschungsschiff "Akademik Mstislav Keldysh", das auch internationale Gäste aus Schweden, Norwegen, den Niederlanden, Italien, UK und USA an Bord hatte, in der Ostsibirischen See zahlreiche Gasblasen entdeckt haben, deren Ausgangspunkt im gefrorenen Methaneis am Meeresboden war. Da die Meerestiefe im Untersuchungsgebiet rund um die Bennett-Insel gering ist, steigt das Methan bis zur Meeresoberfläche auf und emittiert in die Luft - im Unterschied beispielsweise zu Methan, das aus wärmeren und tieferen Gewässern aufsteigt und noch in der Wassersäule von Bakterien verstoffwechselt wird.

Das Methan bei der Bennett-Insel war mit Hilfe von Schallwellen, die in den Wasserkörper gesandt werden, nachgewiesen worden. "Es ist eine Sache, so ein Phänomen mit Hilfe spezieller Instrumente zu finden, aber es ist etwas komplett anderes, die Methanemissionen an der Meeresoberfläche mit eigenen Augen zu beobachten", berichtete Sergey Nikiforov, für die Expedition zuständiger Pressesprecher der TPU. [2]

Das Forschungsschiff hatte eine Stelle im Meer angesteuert, die sich türkisfarben von dem umgebenden Wasser abhob. Auf einer Fläche von etwa fünf Quadratmetern schien das Meer regelrecht zu kochen, so viele Blasen stiegen dort ständig auf. Die Luft oberhalb dieser Fläche wies eine Methankonzentration von bis zu 16 ppm (parts per million) auf, was dem Neunfachen des Normalwerts entspricht, erklärte Prof. Igor Semiletov, Forschungsleiter der Expedition. Das sei der höchste Wert, der jemals von Gasemissionen aus dem Meer registriert worden sei. Mit Blick auf die Methanexplosionskrater auf der sibirischen Yamal-Halbinsel warnte der Wissenschaftler, daß solche Ausbrüche jederzeit auch auf See entstehen könnten, beispielsweise in den Fördergebieten der Öl- und Gasunternehmen Rosneft und Gasprom. [3]

Laut Semiletov hat sich in den letzten 30 Jahren die Geschwindigkeit, mit der sich das Methaneis im Meeresboden der Ostsibirischen See auflöst, gegenüber früheren Jahrhunderten verdoppelt. Demnach werden pro Jahr 18 Zentimeter von der Methaneisschicht abgetragen, was eine ganze Größenordnung über den bisherigen Abschätzungen liegt. Das bringe sie dazu, ihre Vorstellung zu überdenken, daß der submarine Permafrost bis Ende des Jahrhunderts nur ein paar Meter abnimmt, so Semiletov. Ein Vergleich der Messungen der zurückliegenden Expedition mit denen der letzten zwölf Forschungsfahrten zeigt eine signifikante Beschleunigung des Auftauens des submarinen Permafrosts, und zwar bis zum Drei- bis Fünffachen in den letzten fünf bis sieben Jahren.

Dieser Trend zeigt sich auch beim terrestrischen Permafrost. Der hat sich zwischen 2007 und 2016 um durchschnittlich 0,3 Grad Celsius erwärmt. Das klingt nicht viel, doch wurden die Messungen in Bohrlöchern von über zehn Meter Tiefe durchgeführt, wo die Temperaturveränderungen normalerweise verschwindend gering sind. [4]


Luftaufnahme der neu angelegten Siedlung Mertavik nahe des Flusses Ninglick. Gut erkennbar ist die planerische Anlage der Siedlung. Nur ein Teil der angelegten Fundamente ist schon bebaut - Foto: National Guard, gemeinfrei

Oktober 2019: Nach jahrzehntelanger Planung hat die Bevölkerung von Newtok, Alaska, angefangen, nach Mertarvik überzusiedeln.
Foto: National Guard, gemeinfrei

Das Dorf Newtok am Ninglick-Fluß nahe der Beringsee und viele weitere küstennahe Siedlungen müssen aufgegeben werden, weil die Küste abbricht, der zuvor gefrorene Boden aufweicht oder Wasser, das nicht ablaufen kann, in die Häuser eindringt. Am 12. Oktober verließen die ersten Familien Newtok und zogen in das rund 15 Kilometer weiter im Landesinnern gelegene Mertarvik. [5]

Die Auflösung des Permafrosts und ihre Folgen für die Hochgebirge ist auch Thema einer dreitägigen Konferenz der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) Ende Oktober in Genf. Die Themen spannen sich von Steinlawinen und Felsabbrüchen über Gletscherschwund bis hin zu Trinkwassermangel. [6]

Die verheerenden lokalen Folgen, wenn der Permafrost auftaut, sind sofort zu bemerken: Felsen stürzen zu Tal, Häuser kippen ins Meer, Methanblasen explodieren und hinterlassen Krater. Die globalen Folgen des sich auflösenden Permafrosts sind nicht so leicht zu bestimmen, weil sie in den verschiedenen Faktoren, die zur globalen Erwärmung beitragen, untergehen.

Vielleicht hat das Verschwinden des Permafrosts auch mit dem plötzlichen Anstieg der Methankonzentration in der Atmosphäre seit 2008 zu tun. Jedenfalls forderte im März dieses Jahres eine internationaler Forschergruppe in "Nature Climate Change", daß den Methanemissionen aus auftauendem Permafrostboden mehr Aufmerksamkeit hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Klimawandel geschenkt werden sollte. [7] Und wie eigentlich immer, wenn von der Arktis die Rede ist, wird erneut davor gewarnt, daß man es hier mit einem sich selbst verstärkenden Prozeß zu tun hat: Die globale Erwärmung beschleunigt den Verlust an Permafrost. Dadurch werden Treibhausgasemissionen frei, von denen wiederum die globale Erwärmung angetrieben wird.


Fußnoten:

[1] https://www.nature.com/articles/s41558-019-0592-8

[2] https://news.tpu.ru/en/news/2019/10/24/35411/

[3] https://www.maritime-executive.com/article/research-vessel-encounters-giant-methane-seep-in-arctic-waters

[4] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-682.html

[5] https://www.adn.com/alaska-news/rural-alaska/2019/10/19/a-western-alaska-village-long-threatened-by-erosion-and-flooding-begins-to-relocate

[6] https://highmountainsummit.wmo.int/en/programme

[7] https://www.nature.com/articles/s41558-018-0095-z

29. Oktober 2019


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