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KLIMA/692: Erderwärmung - auf dem Gaspedal ... (SB)



Die EU-Kommission hat acht Optionen für eine neue Klimaschutzstrategie vorgelegt, doch kaum eine von ihnen wird der Geschwindigkeit, mit der sich die Erdsysteme gegenwärtig verändern, gerecht. Der weitestgehende Vorschlag sieht zwar eine rechnerisch vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft bis zum Jahr 2050 vor, allerdings mit einem Ausbau der Atomenergie sowie der umstrittenen Kohlenstoffverklappung. Möglicherweise würden weiterhin fossile Energieträger verbrannt, nur daß deren CO₂-Emissionen abgefangen, verflüssigt und unterirdisch gelagert würden. Dieses CCS genannte Verfahren ist seinerseits energieaufwendig und damit natürlich eine äußerst gelungene Geschäftsidee ausgerechnet für jene, die große Mengen CO₂ emittieren.

So unzureichend selbst der klimapolitisch ehrgeizigste der acht Entwürfe auch ist, bei einer Diskussion der EU-Energieminister über die Strategievorschläge der EU-Kommission gingen sie dem Vertreter Deutschlands noch zu weit. Manchmal sei es besser, wenn man langsamer und mit Bedacht vorgehe, erklärte Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß laut klimareporter.de. [1]

Die hier reklamierte Bedachtsamkeit, das hat der 1,5-Grad-Sonderbericht des Weltklimarats im Oktober vergangenen Jahres unmißverständlich klargestellt, steht der Menschheit nicht mehr zur Verfügung, will sie Klimafolgeschäden für Millionen Menschen vermeiden. Mit jedem Jahr, das tatenlos verstreicht, ohne daß meßbare Klimaschutzerfolge erzielt werden, wird es um vieles schwieriger, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu senken, wie es als Wunschziel im Übereinkommen von Paris vereinbart ist. Die Bundesregierung verfehlt jetzt schon ihre Klimaschutzziele für das Jahr 2020, tut aber so, als hätte sie noch viel Zeit. Im Geiste dieser Behäbigkeit hat offenbar auch die von der Regierung eingesetzte sogenannte Kohlekommission den Ausstieg aus der Kohleverbrennung auf das sehr ferne Jahr 2038 verlegt.

Bei jenem EU-Energieministertreffen am Montag in Brüssel kritisierten laut EurActiv.de [2] fünf Mitgliedstaaten die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Szenarien, da keines von ihnen auf 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2050 setze und sechs der acht Vorschläge sich sowieso am inzwischen überholten EU-Klimaschutzplan von 2014 orientierten. Wie man längst weiß, schreitet die globale Erwärmung schneller voran, als noch vor fünf Jahren vermutet, so daß es nicht reichen würde, die Wirtschaft der EU-Staaten bis Mitte des Jahrhunderts um 80 bis 90 Prozent zu dekarbonisieren.

Konsequenterweise erteilte der luxemburgische Energieminister Claude Turmes, der bis Juni 2018 für die Fraktion der Grünen/EFA im Europaparlament saß, jenen sechs Szenarien eine pauschale Absage. Turmes forderte die EU-Kommission zu mehr Transparenz über die verwendete Zahlengrundlage auf und bezeichnete den Vorschlag der Juncker-Kommission, die bis 2050 50 oder 60 neue Kernreaktoren bauen wolle, als "Bedrohung" der EU-Bürger und "keine gute, nachbarschaftliche Politik". Über die zukünftige Energie- und Klimapolitik der EU könne nicht debattiert werden, solange kein Vorschlag zu 100 Prozent erneuerbare Energien vorgelegt werde. Neben Luxemburg unterstützen auch Irland, Litauen, Österreich und Spanien eine 100prozentige Umstellung auf erneuerbare Energien. Wie gesagt, Deutschland sprach sich dagegen aus.

Turmes strebt nicht nur 100 Prozent erneuerbare Energien für die Stromproduktion an, sondern für den gesamten Energieverbrauch, einschließlich des Heizens, Kühlens und des Personen- und Güterverkehrs.

Die EU-Kommission erweckt gerne den Eindruck, sie würde sich für wirksamen Klimaschutz starkmachen. So hat vor kurzem der Kommissionsvorsitzende Jean-Claude Juncker die 16jährige schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg in Brüssel per Handkuß begrüßt, aber in seiner späteren Rede ihrem Anliegen nach einer viel rascheren Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen eine Absage erteilt. Vielleicht war es ihm dann doch etwas säuerlich aufgestoßen, daß laut der "Welt" Thunberg in ihrer Rede gesagt hatte, man werde sich womöglich an die Leute, die nicht zuhören und nicht genug gegen die Erderwärmung machen, später als "die größten Schurken aller Zeiten" erinnern. [3]

Wer wie die EU-Kommission der Industrie in die Hände spielt, braucht natürlich ein großes Zeitfenster für seine Vorstellung einer atomaren Zukunft. Wobei ausgeblendet werden muß, daß für den Bau neuer Kernreaktoren sehr viel Energie verbraucht wird, man folglich nicht von einer klimafreundlichen Technologie sprechen kann - ganz zu schweigen von den Ewigkeitskosten und -aufwänden der Lagerung des hochradioaktiven Abfalls nach dem Betriebsende eines Akws.

Allen acht Optionen, die von der EU-Kommission als Klimastrategie 2050 ins Spiel gebracht wurden, mangelt es an einer umfassenden Vision, wie die Treibhausgasemissionen gesenkt werden können, indem von vornherein deutlich weniger Energie verbraucht wird. Die EU-Kommission will allenfalls den fossilen Extraktivismus durch den regenerativen Extraktivismus ersetzen, aber eben nicht die Produktionsweise so verändern, daß sich die Europäische Union von der fatalen Wachstumsideologie verabschiedet.


Fußnoten:

[1] https://www.klimareporter.de/europaische-union/fuenf-laender-wollen-100-prozent-erneuerbare-eu-im-jahr-2050

[2] https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/fuenf-eu-staaten-fordern-100-prozent-erneuerbare-energie-bis-2050/

[3] https://www.welt.de/wirtschaft/article189170629/Greta-Thunberg-nennt-Jean-Claude-Juncker-indirekt-einen-Schurken.html

6. März 2019


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